Schon wieder die 80er. Vieles von dem, was damals passierte, wird heute erst aufgearbeitet, wiederholt sich oder wurde immer noch nicht verstanden. Die nukleare Gefahr ist immer noch im Tagesgeschehen zu finden, Kriege in Schwellenländern sind allgegenwärtig und in manchen Städten gibt es kaum noch bezahlbaren Wohnraum. Die Jugend steht immer mehr unter Leistungsdruck, Burn-Out ist zur Volkskrankheit mutiert. Doch es ist nicht alles schlecht geblieben, die Mauer ist gefallen und Deutschland ist wieder vereinigt. Gestern erinnerte ein Feiertag an diesen historischen Moment. Erinnerungen. Und genau wie Ronny vom wiederauferstandenen Kraftfuttermischwerk gebe ich mich dem Schwelgen in Erinnerungen und dem Radiofeature „Zwischen Protest und Pessimismus“ des Deutschlandradios hin, der auch mich dazu anstiftete, einen Beitrag zu schreiben.
Wie war das denn damals, als wir die Jugendlichen waren und zu einer Zeit groß wurden, der man heute mit so vielen Stimmen nachtrauert? Die Welt war viel kleiner. Es gab kein mediales Dauerfeuer, kein Twitter, keine Facebook und überhaupt kein Internet. Es gab mehr Platz für Ängste und Sorgen und mehr Zeit für Protest und Rebellion. Wenn man denn nur wollte, es waren viele da, die genauso fühlten. Die Schule war Informations- und Mitmachbörse. Irgendwann hast du dich einer Gruppe angeschlossen, oder wurdest schlichtweg dazu gezählt. Mit großer Brille und Aktenkoffer begann ich meine Karriere als Klassenbester im Informatikunterricht am C64. Ich war Eigenbrötler und Einzelgänger, die Gruftis 1 fand ich cool, denn allein durch ihr Äußeres schreckten sie ab.
„Gabi: Die äußeren Aspekte der Grufties der 80er war‘ n hauptsächlich eben schwarze Kleidung, aber auch eben noch dieser New Wave Stil mit Rüschen und Samt, auch so ’n bisschen Richtung Mittelalter, aber eben auch so ’n bisschen Punkmischung. Von der Einstellung her – die die ich kannte – war‘ n schon auch eher diese ruhigeren Leute, die gerne gelesen haben, sich zurückgezogen haben und eigentlich n sehr ruhigen, friedlichen Eindruck gemacht haben.“ 2
Aktiver Protest war nicht meine Sache, ich wollte nur meine Ruhe und zu einer coolen Gruppe gehören. Als man den Salat aus dem Supermarkt entsorgte, weil die Wolke von Tschernobyl ihn verseucht haben könnte, war sowieso alles zwecklos. Kinder von Traurigkeit waren wir jedoch nicht, wir schufen uns einen eigenen Mikrokosmos aus Musik und Themen, für die sich sonst niemand interessierte. Das machte uns besonders und wir fühlten uns elitär, weil wir über Mythologie Bescheid wussten und auch schon mal Gläser gerückt haben.
Immer wieder werde ich gefragt, wie das denn früher so war, in den 80er. Ich erzähle dann immer von meiner kleinen Welt, die völlig unspektakulär einen linearen Verlauf hatte. Schule, Ausbildung, Bundeswehr, Beruf. Und nebenbei ein bisschen Jugend mit einem Hauch von Rebellion und das zu einer Zeit, in der eigentlich schon wieder alles gelaufen war. Das Radiofeature vermag ein viel intensiveres Bild von dieser Zeit zu spinnen, weil man sich auf das Drumherum einlassen muss und kein visuell vorgefertigtes Bild geliefert bekommt. Meinhard Stark hat ein zeitgemäßes Bild gezeichnet und würzt viele O-Töne mit einer feinsinnigen Musikauswahl. Nehmt euch die Zeit in eure eigene Jugend oder in Zeit fallen zu lassen, die uns heute in so vielen Lebensbereichen wieder einholt.
Die 80er sind nicht Synonym für Protest. Höchstwahrscheinlich gibt es heute genau soviel davon, wie früher. Er wird anders wahrgenommen und geht oftmals im medialen Gewitter verloren. Die 80er sind auch nicht Synonym für Pessimismus. Die Jugend ist eine Zeit der Emotionen, hier wird alles extremer wahrgenommen, als es häufig ist. Man gibt sich der Freude und auch dem Pessimismus hin. Früher war immer jemand da, dem es genauso ging. Heute wirken wir vielleicht optimistischer, weil der Pessimismus keinen Platz und kein Gehör mehr findet.
Einzelnachweise
- Gruftis? Unter diesem Namen kannte ich die schwarzen Gestalten zunächst nicht, erst als ich in der Bravo einen Artikel über diese „Leute“ entdeckte, hatte das Kind einen Namen.[↩]
- Aus dem Manuskript zum Radiofeature „Zwischen Protest und Pessimismus“ des Deutschlandradios – Abgerufen am 03. Oktober 2013:Â http://www.dradio.de/download/206654/[↩]
Danke für den Beitrag. Es gibt nichts spannenderes und interessanteres als Zeitzeugenberichte. Gefällt mir sehr gut.
Richtig interessantes Thema! Kann’s leider gerade nicht anhören da auf Arbeit aber zu Hause lass ich damit mal ins Wochenende starten :)