London, 1981 – Die New Romantics erobern das Stadtbild, die Szene-Shops, die Nachtclubs und die Musikszene und schon damals polarisieren sie die Gesellschaft. Mode-Opfer, Selbstdarsteller und Trittbrettfahrer werden sie genannt, während andere ihren Stil nacheifern und maximieren. Was vielleicht mit Bowie begann und 1980 eine Szene ohne Namen, wurde ein Jahr später zu den New Romantics. 1981 ist auch das Jahr wirtschaftlicher Depression, während die eiserne Lady England regiert. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Gefälle zwischen arm und reich wird größer.  Die Jugend ohne damals erkennbare Zukunft gibt sich der Depression hin, kämpft dagegen an oder kleidet sich reich und kunstvoll um den grauen Alltag zu verdrängen. Die New Romantics sind das visuelle Gegenteil der wirtschaftlichen Depression. Die Szene, die von 1980-82 ihren Höhepunkt feierte, glänzte durch gewollte Inhaltslosigkeit. Man gab sich dem Ego hin, eine Meinung war irrelevant, was zählte, war gutes Aussehen. New Romantic starb einen gut aussehenden Tod, jedenfalls glaubte man das. Doch der Geist lebt bis heute.
Die New Romantics waren mehr. Sie mutierten zum visuellen Schmelztiegel für alle späteren Subkulturen, alles was dann kam, konnte man bereits hier finden. So dauerte es nicht lange, bis Gothic der „dunkle Bruder“ der New Romantics genannt wurde. Als die Phänomene zwei Jahre später nach Deutschland schwappten, nannte man die New Romantics „Popper“ und die Goths „Grufties“. Wieder und wieder erleben modische Ausdrucksformen des New Romantic ihre Reinkarnation.
Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass man in der Dokumentation „Posers – New Romantics in the Kings Road“ unzählige Anknüpfungspunkte findet. Die Kings Road, die zu dieser Zeit mit ihren rund 250 Boutiquen das Mekka aller Mode-Begeisterten war, wurde zum Laufsteg der Eitelkeiten, auf dem die jungen Leute zeigten, wie man aussehen konnte. Sie zeigten, wie man mit dem was man kaufen konnte und dem, was man sich selber schuf, verkörpern konnte, wer man sein wollte. Man beachte die Situation ab Minute 6:12, die in merkwürdiger Weise an das Agra-Gelände zu Pfingsten erinnert.
Ganz nebenbei vermittelt der kurze Film einen bewegten Blick in das London der frühen 80er und zeigt interessante Orte, interessante Gespräche und jede Menge Selbstdarsteller. Alles feiert ein Comeback. Wirklich alles. Ich fürchte fast, dass Mode und Style ein ständiges aufwärmen alter Kamellen ist. Nicht, dass ich das nicht mögen würde, Suppe vom Vortag schmeckt manchmal einfach besser. Die King’s Road ist heute übrigens nur noch ein Schatten ihrer Selbst, nichts erinnert mehr an die aufregende Zeit. Nur die alten Pubs lauern an ihren Ecken immer noch auf das, was vorbeiläuft und beobachten stoisch, wie die Jahre an den Fenstern vorbeiziehen.
Und genau deswegen gab es diese Szene ja auch nur so kurz. Es braucht nunmal Inhalte und Meinungen, damit man etwas von Bestand erschaffen kann. Hauptsache „gut aussehen“ ist nämlich nicht alles im Leben. :-)
Das war ein schöner Film. Danke fürs posten! Wann kommt eigentlich die Streitschrift zum Thema „Die ganzen Kameras auf Festivals sind total nervig“? Ich würde gerne bei meinem Standpunkt diesen Filmbeitrag zitieren…
Tobikult: Die Streitschrift ist im Pfingstgeflüster erschienen (gelesen?), ich werde sie bald – in Absprache mit Markus – hier im Blog veröffentlichen, dann kann das Thema nach Herzenslust kommentiert werden. Bin schon sehr gespannt auf deine Sichtweise ;)
Axel: Das stimmt natürlich, manchmal reicht auch eine gemeinsame Musik. „Gut aussehen“ ist sicher nicht alles im Leben, aber wenn ein Hauch Selbstdarstellung das Leben bereichert, hat „Gut aussehen“ seinen Zweck erfüllt.
Ist ja doch gemischter, als der Titel vermuten lässt. Ich denke, ich habe ca. sechs verschiedene Jugendkulturen in diesem Video entdeckt. Die Blitzkids, die Futurists (kaum bekannt), die Punks, ein paar Protogoten, Teds und Skinheads.
Und Ted Polhemus bei der Arbeit. Wie erwartet, ist auch Boy George mit von der Partie (21:10).
Dass die New Romantics den deutschen Poppern entsprachen, halte ich allerdings für falsch. Es gab auch hierzulande New Romantics. ;-)
Danke für diese schöne Zeitreise!
Als ich im Sommer ’81 stolze 12 Jahre alt wurde, beschenkte man mich mit den Vinyl-Singles von Visage und Adam Ant – ob das die Initialzündung war, wenige Jahre danach auf die schwarze Seite zu treten?
Kein Zweifel: Die kurze New-Romantic-Epoche mag inhaltlich nichts geboten haben – als Entzünder für Sehnsüchte lebt sie noch heute fort! :)