Die Faszination für das Blut, das durch unsere Adern fließt, ist ungebrochen. Vor allem die literarischen Vampire des späten 19. Jahrhunderts machten daraus einen leidenschaftlich bis erotischen Kult, der bis in die heutige Zeit seine Anhänger findet. Was für die Kritiker ein widerlicher und absonderlicher Gedanke ist, sorgt bei Liebhabern des roten Lebenselixiers für wahre Wonnen. Real-Life Vampire, also Menschen, die tatsächlich das Blut anderer trinken, ist nicht zum ersten mal Thema bei uns, doch diesmal hat man sich der deutschen Community der blutsaugenden Zeitgenossen gewidmet.
Diesmal sogar mit öffentlich-rechtlichem Segen, denn das Y-Kollektiv hat sich in Bremen nach deutschen Real-Life Vampiren umgesehen. Auf Youtube abrufbar, jugendlich modern, auf Augenhöhe mit seinen Protagonisten und „…die Storys immer echt.“
So hat man dann auch dort Leute gesucht, wo sich die „echten“ Vampire herumtreiben. In Internetforen und Communitys, in denen sich Vampyre und Donoren (Spender) treffen und austauschen können „Viele aus der schwarzen Szene„, heißt es da.
Raven (26), der ohne Sonnenbrille nach eigenen Angaben nahezu blind ist (3:15) kommt freundlich aber ziemlich unecht rüber, erfährt er doch später im Video eine Wunderheilung von seinem Leiden, bei Sonne nichts zu sehen (11:32). Aber immerhin merkt er selbst, dass er als echter Vampir, der vor der Kamera auf dem Friedhof rumläuft, wie ein Poser rüberkommt.
Morcar, wirkt da schon irgendwie Erwachsener, schließlich ist er ja auch schon 15 Jahre dabei. Warum er das alles macht, wird mir nicht klar. Ich habe den Eindruck, er weiß selbst noch nicht so genau, wo er sich einordnen soll mit seiner Lust. Glücklicherweise möchte Lydia Benecke dabei helfen, eine passende Schublade zu finden.
Mit Lydia Benecke gegen den evolutionären Ekel
Lydia Benecke spricht sich für mehr Toleranz aus und dafür, dem „evolutionären Ekel“ der „statistisch durchschnittlichen Gehirne“ zu überwinden und den Real-Life Vampiren ihr Glück zu gönnen. Lydia, die Fahne halte ich hoch!
Ein interessante Frage hätte ich dennoch: Wenn es diese gesellschaftliche Prägung, die meiner Meinung nach nichts mit dem „durchschnittlichen Gehirn“ zu tun hat, nicht geben würde und Blut trinken etwas total akzeptiertes wäre, würde es dann überhaupt eine „Szene“ in dieser Form geben? Würde es Menschen geben, die sich und ihre Neigungen als etwas Besonderes sehen und sich möglicherweise darüber definieren? Wären dann überhaupt Vampire noch Vampire?
Ich spekuliere: Menschen suchen sich Nischen und Tabus, um sich darüber zu finden. Es geht nicht um die Bedienung völlig normaler und akzeptierter Verhaltensweisen, sondern mehr um die Randbereiche, die eben solche starken Gefühle wie „Ekel“ und letztendlich Ablehnung auslösen. Sie möchten etwas Besonderes, etwas Geheimnisvolles, etwas nicht Verstandenes sein, um sich in unsere Individualgesellschaft zu behaupten.
Daran ist nichts schlimmes. Im Gegenteil. Doch dafür braucht es eben Randbereiche, Tabus und Ekelzonen. Fazit: Ein Hoch auf die „durchschnittlichen Gehirne“ die aus uns Gothics erst da machen, was wir sind, eine Subkultur.
„Sie möchten etwas Besonderes, etwas Geheimnisvolles, etwas nicht Verstandenes sein, um sich in unsere Individualgesellschaft zu behaupten.“ Und dann wollen sie wieder/gleichzeitig in der Gruppe aufgehen, in der sie normal, „natürlich“, und verstanden sind, um sich in ihrer Individualität nicht allein zu fühlen. Und so bilden sie eine (Sub)Kultur. P.S. Gut das es keine Real Life Zombies gibt…. zumindest weiß ich davon nichts… P.P.S. Wenn man durchdenkt, was homo sapiens sapiens alles macht, was er/sie/es aber auch nicht wirklich schlüssig erklären kann weshalb/wieso/warum, und was („trotzdem“) von mal mehr mal weniger anderen homo sapiens sapiens alles toleriert wird, erscheint Real Life Vampirismus garnicht mehr so besonders.
Wiener Blut : Genau so ist es. Allein individuell zu sein, ist eben komisch, erfordert Mut und ist Zeichen echter Abgrenzung. Der Teil von einer komischen Bewegung zu sein, ist cooler, ein Stück weit bequemer und fühlt sich trotzdem noch Andersartig an :)
Sicherlich irgendwo skurril die ganze Sache, aber wenn man jetzt den Beitrag mal ganz anschaut dann ist es meiner Meinung nach eigentlich normaler als man denkt und gerade wegen der fehlenden sexuellen Komponente (die zumindest ich beim Thema „Blutsaugen“ im Hinterkopf habe) auf jeden Fall positiver aufgeladen als diverse Gewalt-Vergewaltigungs-Shaming-Pornos die das allwissende Netz uns täglich serviert.
Grüße
Seven C. : Mir geht es auch gar nicht um „normal“ oder „unnormal“ sondern eher um den Impuls, sich vor die Kamera zu stellen und den Versuch zu starten „seine Welt“ zu erklären. Ich behaupte, die Protagonisten sind sich sehr bewusst darüber, dass ihre Leidenschaft beim Rest der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen dürfte. Ich spekuliere ja in meinem Beitrag, dass das auch der Grund sein könnte, sich so eine Leidenschaft überhaupt hinzugeben.
Warum also stellt man sich vor die Kamera, um etwas zu erklären, was viele gar nicht verstehen oder verstehen wollen? Ist es diese 5 Minuten Ruhm Sache? Aufmerksamkeitsdefizit?
Es ist ein Paradoxon. Die Typen wollen möglicherweise etwas Besonderes sein, sich abgrenzen, Tabus brechen. Und letztendlich buhlen sie doch so, wenn sie nicht im Rampenlicht stehen wollen, um das Verständnis anderer Menschen, oder irre ich mich?