Was waren das noch für Zeiten, als man in der Schule bewundernde Blicke für seinen ersten Ohrring einheimsen konnte, nachdem man am Vorabend damit einen Familiendisput provozierte. Heute gehören Piercings zum guten Ton der Szene und Tattoos sind zum Pflichtprogramm geworden. Musste man die verwegenen Körpermodifizierer einst in den miesen Vierteln der Metropolen suchen, hat heute jedes Provinzkaff ein eigenes Hochglanzstudio. Und immer wieder frage ich mich: wo soll die Reise hingehen? Ist in 20 Jahren ein völlig unveränderter Körper die neue Provokation? Bis es soweit ist, wird es täglich extremer. Letztes Jahr berichtete ich mit einigen spannenden und zum Teil gruseligen Bilder vom neuesten Trend aus Japan, den Bagelheads. Neulich hat sich das altehrwürdige National Geographic der Sache angenommen:
https://www.youtube.com/watch?v=dTcxgIhYkoc
Natürlich ging dieses Phänomen auch an den berufsjugendlichen Joko und Klaas nicht vorbei, die für eine Show im Privatfernsehen ebenfalls einen Trip nach Japan buchten, um sich ebenfalls einen Bagel in die Stirn drücken zu lassen. Klar, dass Gothic-Fashion-Queen La Carmina mit dabei gewesen ist. Die weltweite Vernetzung macht aus einem Untergrund-Phänomen innerhalb kürzester Zeit einen Aufreger, Lustigmacher und Fashion-Trend. Kann nicht lange dauern, bis uns die nächste Entdeckung zum vergessen zwingt.
„Herr XY, Sie haben Wasser am Kopf eingelagert. Ich verschreibe Ihnen ne 40er Furo.“
Ich find das schwachsinnig. Wie kann man denn das so feiern?
Naja… ich finde es eigentlich auch ziemlich beknackt. Aber es gibt schon so vieles, da erscheint es diesen Leuten wohl als Innovation des Unnötigen :-)
Innovation? Ich glaub ohne irgendeine Form von Körpermodifikation ist man heutzutage auh innovativ genug. :D So von wegen natürliche Schönheit und so… ;-)
Aufgrund meines Empfindens vertrete ich die Ansicht, dass jede Art von Körperschmuck die Ausstrahlung des Trägers in seiner Ästhetik unterstützen bzw. unterstreichen soll. Das fängt bei solch belanglosen Dingen wie Ohrringen oder Ketten an und hört bei der Liga der grenzwertigen Bodymodifikation auf.
Somit kann ich beim besten Willen keine Faszination für diese inszenierte Beulenpest empfinden. Deformationen, die mehr an pathologische Fälle erinnern und nicht sofort als Zierde erkennbar sind, sind für mich einfach nur charakterlos. Oder um es mit schon genanntem Wort auszudrücken: Einfach nur schwachsinnig.
Guldhan: Da stimme ich dir absolut zu :-)
Ich würde den ästhetischen Standpunkt gerne noch erweitern. Für mich müssen Dinge ein Bedeutung haben, gerade Körpermodifikationen. Für mich ist jedes Schmuckstück mit einer Geschichte verbunden, zusätzlich zum ästhetischen Standpunkt. Für mich persönlich wollen „Bagelheads“ nur eins: Auffallen, Aufmerksamkeit, Beachtung, Bewunderung. Sie wollen eine Reaktion provozieren. Oftmals geht das soweit, dass auch körperliche Schäden billigend in Kauf genommen werden.
Ja, bei mir fängt das schon bei Tattoos und Piercings an. Manchmal glaube ich, diejenigen, die das tun (besonders jüngere), machen das nur aus Mode- oder Gruppenzwang. Vor zehn Jahren war ein Unterlippen- oder Nasenpiercing noch Ausdruck von Rebellion und Andersartigkeit, heutzutage können die Ohrlöcher nicht mehr weit genug gedehnt sein. Ich habe solche Donut-Stirnen vereinzelt letztes Jahr auf dem M’era Luna herumlaufen sehen und bin verblüfft gewesen, wie manche Menschen es über sich bringen, sich derart zu entstellen. Irgendwann wird es sicherlich Mode sein, Chemikalien zu injizieren, um spastische Bewegungen zu verursachen. Ich finde so etwas würdelos. Da macht man sich (un)absichtlich über Menschen mit Krankheiten Lustig. Diese Bagelheads erinnern mich z.B. stark an diese Elefantenkrankheit. Also meine Meinung zählt zwar nicht, aber ich bin alles andere als begeistert von so etwas.
Durchaus. So kann ich mich beispielsweise mit dieser Welle an Septum-Piercings überhaupt nicht anfreunden. Nicht nur dass ich das Gefühl bekomme, dass jeder irgendwie Gepiercte auch automatisch mit so einem Ding herumrennen muss. Für mich sind diese auf der Ästhetikskala im Gesicht ganz weit unten. Bzw. auf der Piercings-Ekel-Skala ganz weit oben.
Piercings waren für mich auch immer Meilensteine, ebenso Tattoos. Ein Stück Lebensgeschichte, die mit der jeweiligen Zierte verewigt worden ist. Und so sollte es auch sein. Wodurch selbst die scheußlichste Bodymodifikation über das Bewusstsein des Trägern legitim werden kann. Selbst das Septum.
Aber hierbei. Hierbei wird nicht einmal der Mut zum dauerhaften Eingriff erforderlich. Zungenspaltung, Tunnel, Elfenohren, Brandings, Augentattoos, Narben, alldas setzt die Auseinandersetzung mit der Endgültigkeit voraus. Der Wille zum ertragen des Eingriffs und die Gewissheit, dass diese Veränderung auch wirklich eine Veränderung ist, auf Lebenszeit.
Doch jener Affenzirkus. Kurz die Stirn aufgespritzt, ein paar Stunden oder Tage damit durch die Fußgängerzone gehopst und danach ist alles vergessen. Das ist Maskerade, Fasching…nichts weiter. Und für mich auf keiner Stufe mit Körperkult oder Bodymodifikation.
Das stimmt. Zum Thema Septums: Ich finde die Dinger auch scheußlich. Zumindest verbinde ich damit eine unangenehme Geschichte von Willhelm Busch, „Fipps der Affe“ heißt sie. Es tut mir wirklich leid, auch wenn fremde Kulturen dies als Schönheitsideal ansehen, ich habe immer dieses schreckliche Bild im Kopf, in dem der Affe die Nase des Mannes am Baum festbindet und diese dann abreißt. Ich empfinde Schmerzen, wenn ich solch einen gepiercten Hipster auf der Straße herumlaufen sehe. Letztlich muss jeder selbst wissen, was er tut. Ich bin jedenfalls kein Freund von Piercings abgesehen von welchen an den Ohren.
Hmm, mir kommt diese Geschichte auch eher als ein Partyspaß vor über den man weniger über nachhaltige Konsequenzen nachzudenken braucht als über eine ernsthafte Bodymodifikation. Klar soll jeder tun und lassen was er will, ich finde das aber auch wenig ästhetisch, abgesehen davon daß sicher auch sowas mit gewissen Risiken verbunden ist – immerhin lässt man sich ne Nadel in die Stirn jagen und darf dann erstmal eine Stunde so rumsitzen – bei der Vorstellung schüttelts mich ehrlichgesagt auch. Und *würde* ich persönlich Bedarf für einen reversiblen Moster-Look haben, dann doch eher mit maskenbildnerischen Mitteln.
Generell finde ich Bodymods nicht uninteressant, auch durchaus extremere Sachen. Da muss ich mich Guldhan und Robert anschließen – es muss authentisch zum Träger passen und einen Hintergrund haben und insbesondere eine bewusste Entscheidung, da eben nicht reversibel. Immerhin – wie war das noch mit den oft unbedacht angebrachten Arschgeweih-Tatoos? Da schämt sich ja heute auch so ziemlich jeder ders in den 90ern noch als super Idee empfunden hat weil *in* war auf einmal.
Gut, ich hab inzwischen auch Tunnel in den Ohren – was ja auch eine gewisse Modeerscheinung geworden ist, aber ich habs nicht deswegen (ganz sicher nicht ^^) gemacht, ich hab lang überlegt und mich ausgiebig informiert. Und ich bin zufrieden damit, ich finde es passt ins Gesamtbild (wenn auch nicht bezogen auf andere Piercings, Metall hab ich nur in den Ohren) und die Überlegungen waren auch nicht auf den rein optischen Aspekt beschränkt.