Neulich unterhielt ich mich über Kunst, oder besser gesagt über das, was ich als Kunst empfinde. Ist es für mich automatisch Kunst, wenn ein selbsternannter Künstler etwas hervorbringt? Ist es Kunst, wenn etwas in einem renommierten Museum oder in einer Galerie ausgestellt wird? Ist es Kunst, wenn ein Experte sagt, es wäre so?
Ich schlage jetzt nicht bei Wikipedia nach, was Kunst bedeutet und wie man Kunstverständnis definiert, ich verlasse mich auf meine Intuition. Kunst liegt im Auge des Betrachters, soviel steht für mich fest. Es spielt keine Rolle, ob es als Kunst gedacht ist, oder nicht. Gelegentlich kommt es vor, dass ich etwas als solche empfinde, obwohl niemand sonst einen künstlerischen Anspruch darin entdecken kann. Der Franzose Marcel Duchamps brachte schon 1917 die Galeristen zur Verzweiflung. Er kaufte ein Pissbecken im Sanitärfachhandel, setzte seine Unterschrift darauf und bot es New Yorker Galeristen zur Ausstellung an. Die weigerten sich, das „stinknormale“ Urinal auszustellen, sie sagten ihm es sei keine Kunst. Duchamps hatte, was er wollte, einen Aufreger über die damalige Diskussion des Kunstbegriffes.
„Ist das Kunst, oder kann das weg?“ 1986 dachte ein Hausmeister nicht lange nach, als er die fünf Kilogramm Butter wegwischte, die Joseph Beuys zuvor „gestaltet“ hatte. Kunst braucht zwei wichtige Dinge: Einen Künstler, der selbstbewusst genug ist, etwas als Kunst zu deklarieren und einen, der ihm das ganze abnimmt und ihn dafür bezahlt. „Auch Dummheit kann ja zur Kunst werden“, sagte ein gewisser Kippenberger einmal, dessen Kunst einer eifrigen Putzfrau zum Opfer gefallen war, die Wasserflecken auf dem Objekt für eine Unreinheit hielt.
Kunst ist das, was ich dafür halte. Ich verlasse mich nicht auf die Einschätzung anderer, sondern auf mein eigenes Empfinden. Die digitale Kunst zum Beispiel ist für mich ein weites und stark unterrepräsentiertes Feld voller Möglichkeiten, die den Kunstbegriff dehnen. Frei nach dem Motto: Nimm etwas Vorhandenes und gestalte daraus etwas völlig Neues. Filme und Musik werden in einem völlig neuen Kontext zusammengeschnitten und sprengen die Grenzen zwischen Remix-Kultur und Kunst. Eine Dokumentation aus Tausenden Videoschnipsel zusammenzuschneiden und es unter dem Label „Das Leben an einem Tag“ in eine Geschichte zu verwandeln ist für mich Kunst, vor allem wenn es so gut gemacht ist, wie „Life in A Day“.
Life in A Day ist eine Dokumentation, für die Youtube seine Benutzer aufrief, Teile ihres Lebens am 24. Juli 2010 mit der Kamera festzuhalten um daraus einen Film zu machen. Geschnitten wurde er aus rund 80000 Videoclips, die insgesamt 4500 Stunden Rohmaterial ergaben, aus denen man einen 90-minütigen Film machte, der von Ridley Scott produziert wurde. Untertitel in 20 Sprachen machen das Ganze in vielen Ländern der Welt verständlich.
Warum der Artikel für ein Video? Ich finde es künstlerischer einen solchen Film zu kreieren, als Butter in eine Ecke zu schmieren 1 und es Kunst zu nennen. Halte man mich für einen Banausen der unfähig ist, einen tieferen Sinn hinter der Installation zu erkennen. Kunst muss mich faszinieren, in ihren Bann ziehen. So wie dieser Film. Butter habe ich Kühlschrank, nicht unter der Decke.
Einzelnachweise
- Die Fettecke war ein Kunstwerk des deutschen Künstlers Joseph Beuys. Beuys brachte am 28. April 1982, zwecks eines für den kommenden Tag vorgesehenen Empfangs von Lama Sogyal Rinpoche, dem Bevollmächtigten des Dalai Lamas in Europa, bei dem im Anschluss ein Seminar der FIU stattfand, in einer Ecke seines Ateliers Raum 3 in der Düsseldorfer Kunstakademie, ca. zwei Meter unterhalb der Raumdecke, fünf Kilogramm Butter an. Quelle: Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Fettecke[↩]
Interessantes Thema (unabhängig vom Video, das ich mir in Ruhe sicher anschauen werde)… Ich denke, Kunst ist, was Emotionen transportiert … das kann auch die Butter unter Deiner Decke sein, jedenfalls wenn Du Dich darauf einlässt. Oder eben auch ein Klo, welches kontroverse Diskussionen hervorruft. Das sind Oberflächlichkeiten… Kunst muss nicht schön sein, nichtmal nachvollziehbar. Nur fühlbar. Leidenschaft, Überzeugung… und ein Gegenüber, dass empfänglich ist dafür. Das muss nicht verkaufbar sein. Nichtmal nachvollziehbar für die Masse (was vermutlich der Regel entspricht). :-)
Wow! Ich bin berührt, betroffen, amüsiert, erstaunt und vieles mehr … ein großartiges Dokument Zeitgeschichte zeigt das Video … ganz grosses Kino.