Die Rechtsanwältin Silvia ist Witwe, ihre Frau Patricia beging 2012 Selbstmord und stürzte sich aus dem siebten Stock eines Hauses. Zusammen mit ihren Freundinnen feiert Silvia am ersten November eine ganz besondere Totenehrung. Die Asche der Verstorbenen wird in Wodka aufgelöst und wie ein Kelch herumgereicht. „Wir wissen nicht genau, warum wir Particias Asche trinken, weil du die Freiheit empfindest es zu tun. Tot sein heißt, überall und nirgens zu sein und der symbolische Akt, die Asche der Toten zu nehmen und zu verteilen, in einer Demo, ins Meer oder eben diese zu trinken, das vergegenwärtigt überall Leben und Tod.“ Nur Silvia, die Ehefrau der Toten, bringt es nicht über sich, vom Cannibal Cocktail zu trinken. In der Spontis-Reihe „Leben mit dem Tod“ geht es diesmal in das vermeintlich konservative Spanien.
Es ist Allerheiligen. Mit den Freundinnen der Toten Helen, Lucia und Marianna besucht Silvia den Friedhof Poblenou in Barcelona, einen der Lieblingsplätze der Toten. Die imposante Skulptur (siehe Bild), die auch der „Kuss des Todes“ (El Beso de la Muerte) genannt wird, faszinierte die verstorbene Patricia ganz besonders. Die nachdenkliche Frau schrieb Gedichte über das Sterben und „sie stand dem Tod näher als dem Leben„, so ihre Frau Silvia. Es mag bizarr klingen, dass gerade im konservativen Spanien derart merkwürdige Rituale abgehalten werden. Übrigens, in Deutschland, dem offensichtlich noch konservativerem Land, darf man die Asche seines nächsten noch nicht mal mit nach Hause nehmen, die hier leidet die Individualität unter dem Friedhofszwang. Was man hier mit den sterblichen Überresten macht, steht folglich gar nicht zur Debatte.
In einem weiteren Bericht des Magazins „Yourope“, dass auf ARTE ausgestrahlt wird, zeigt man die Gruppe der jungen Spanierinnen, die den Tod ihrer Freundin Patricia feiern. Zwischen Performance-Kunst, Selbstdarstellung und Nervenkitzel den Verstorbenen gedenken? Die Argumente wirken vorgeschoben, die Kunst wirkt aufgesetzt und die Anteilnahme wird zur Nebensache. Vermutlich hat es mehr als einen Grund, warum Silvia nicht vom Cocktail nascht. Rebellion der Totenverehrung in einem konservativen Staat? Die Beweggründe bleiben ein Rätsel, die Wertung ebenso. Dem Autor bleibt nichts anderes übrig, als Gedankenanstöße zu liefern. Denn jeder, der sich in Gedanken über dieses Ritual echauffiert, dem sei gesagt, dass viele Lebensmittel die sterblichen Überresten von Tieren enthalten. Der Unterschied findet wohl nur im Kopf statt, jedem sei seine Art der Trauerbewältigung gestattet. Kleidung der Toten tragen? Warum nicht. Der Gruppe von Spaniern unterstelle ich derweil eine gewisse Form des Geltungsdrangs. Was ein gemaltes Herz aus Menstruationsblut für die Tote ausdrücken soll, bleibt mir wohl auf ewig schleierhaft.
Wizard of Goth – sanft, diplomatisch, optimistisch! Der perfekte Moderator. Außerdem großer “Depeche Mode”-Fan und überzeugter Pikes-Träger. Beschäftigt sich eigentlich mit allen Facetten der schwarzen Szene, mögen sie auch noch so absurd erscheinen. Er interessiert sich für allen Formen von Jugend- und Subkultur. Heiße Eisen sind seine Leidenschaft und als Ideen-Finder hat er immer neue Sachen im Kopf.
„Denn jedem , der sich in Gedanken über dieses Ritual echauffiert, dem sei gesagt, dass viele Lebensmittel die sterblichen Überreste von Tieren enthalten. “
Die meisten Menschen essen Fleisch, aber es ist ein Unterschied ob man ein Schwein ,das man nie zu Gesicht bekommen hat, oder seine eigene Katze isst (auch ,wenn sie auf natürlichem Weg gestorben ist). Und es ist wieder ein Unterschied ob man ein Tier oder einen Menschen isst / trinkt, auch wenn es „nur“ seine Asche ist
Interessanter Umgang mit der Asche. Wenn auch in meinen Augen etwas zu melodramatisch. Und wie schon geschrieben wurde, zu künstlich und aufgesetzt. Doch letzten Endes haben das ohnehin nur zwei Personen zu entscheiden. Der oder die Verstorbene und dessen Vertrauensperson aka erste Hinterbliebene. Ansonsten wüsste ich nicht, wer sich das Recht herausnehmen dürfte, um darüber zu entscheiden. Auch wenn Kirche wie Staat allzu gerne dazwischen fahren.
Mit Kannibalismus hat das für mich allerdings nichts zu tun. Ich definiere den Begriff enger, so dass man sich schon komplexes Gewebe, wie Fleisch oder Organe einverleiben sollte, um als Kannibale gelten zu können. Aber das trinken der Asche… Würde man das schlucken sämtlicher direkter wie indirekter Produkte des menschlichen Körpers gleich in den Katalog des Kannibalismus aufnehmen, so dürften sich ganze Hundertschaften der Bevölkerung recht ungeniert zu Kannibalen bekennen können. Sei es aus esoterischer, pseudomedizinischer oder sexuelle Intention. Ohne dass diese jemals auf den Gedanken kämen, das zu praktizieren, was der Volksmund unter Kannibalismus versteht.
Und es ist wirklich nur Geisteshaltung, da stimme ich zu. Denn was beispielsweise auf, oder unter, den Friedhöfen liegt, will doch der Mensch gar nicht wissen. Es ekelt ihn an. Macht ihm Angst. Es verbreitet Krankheiten und sieht schon nach wenigen Monaten nicht mehr danach aus, als ob man es liebhaben könnte. Romantisch wirkt nur der blanke Schädel, jedoch nicht die Zersetzungsstadien davor. Deshalb wird der Körper verbrannt oder verscharrt und sorgt allerhöchsten dafür, dass die Friedhofsböden allzu verwesungsmüde geworden sind und nach 30 Jahren aus dem Grabmal Bauschutt für den Straßenbau wird; es sei denn, man verlängert die Pacht.
Den Toten als physische Gestalt nimmt der Mensch nicht wahr. Will ihn nicht wahrhaben, wenn er dem Toten gedenkt. Stattdessen gilt das Gedenken einzig den eigenen Gedanken. Der persönlichen Erinnerung. Und dafür braucht es das Grab ebenso wenig wie die Kirche für die Andacht. Mit anderen Worten, die Überreste sind nur Mittel zum Zweck. Wodurch man diese dann eben auch nicht zweckentfremden kann.
Somit kann mit dem Körper geschehen was will, der Mensch hat ohnehin aufgehört zu existieren. Alles was ihn ausmachte ist mitgestorben. Vom Geist zur bloßen Materie. Ergo: Was soll´s. Sollen sie in Spanien die Asche in Wodka rühren. In den Niederlanden pressen sie daraus Schmuck, in Japan gedenken sie der Toten als schillerndes Fest. In Indien kippt man sie in den Ganges und in China werden sie im Zuge des Minghun verheiratet. So besitzt jedes Völkchen, egal wie konservativ es daherkommt, seinen Spleen. Doch letztendlich ist es nur Angelegenheit der Hinterbliebenen.
Das ist reine Willkür. Tier ist Tier. Die einen besitzen ein Hauschwein, die anderen sind auf Katzen stark allergisch. Doch Fakt ist, Fleisch ist Fleisch. Und dahingehend wird der Deutsche ohnehin allmählich zum Allesfresser. Er (fr)isst Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Tauben, Hühner, Gänse, sämtliches Geflügel oder Geflosse. Frisst sogar Kröten und Schnecken, Kängurus, Pferde, Insekten und Geziefer.
Letztens grinste mich in der Fleischabteilung ein eingeschweißter längsgeteilter Schweinskopf an und solche Perversität wie Hühnerherzen und Rinderzungen. Sachen, bei denen ich mich frage, ob man in Sachen Essästhetik nicht allmählich auch mal im 21ten Jahrhundert ankommen kann. Will man aber nicht. Der Mensch ist noch immer so verfressen wie vor 600 Jahren. Nur wenn es an den treublickenden Sofafussler oder den sabbernden Panzenfresser geht, dann wird er plötzlich moralisch. Gesichtslose Schweine, wenn interessiert es, täglich zu tausenden, sind doch Nutztiere, also sollen sie gefälligst nutzen. Aber wer Hunde grillt, der ist krank. Warum? Das entbehrt jeglicher Logik.
Ebenso der Kannibalismus. Wir haben keine Hemmungen Hundertschaften in den Tod zu schicken. In Konflikte und Kriege, die nicht einmal mehr aus einer erfassbaren Bedrohung heraus entstanden. Einfach so, weil wir es können. Weil es ja kein Restrisiko gibt und Mann unter seinem Helm ja unsterblich ist…
Ich las vor einiger Zeit von einer Anekdote. Keine Ahnung, ob in ihr ein wahrer Kern liegt oder diese als rein fiktives Gleichnis existierte. In dieser versuchte ein Missionar einen Häuptling von einem Kannibalenstamm davon zu überzeugen, dass dessen Tun im Höchstmaß unmoralisch und verwerflich sei. Worauf der Häuptling sinngemäß antwortet, dass die Unmoral doch eher auf Seiten des Volkes des Missionars liege. Da in dessen Schlachten so viele Krieger fallen, so viele könne man niemals essen. Sie werden demnach sinnlos in den Tod geschickt. Moral ist Prägung und Ethik definiert das Umfeld.
Ich würde ja gerne auch mal was Längeres schreiben, aber Guldhan ist immer schneller. Ich kann nur noch in allen Punkten unterschreiben. Mal abgesehen davon finde ich die Sache mit dem „Asche trinken“ ziemlich theatralisch und der Rest gehört wohl auch eher in die Kategorie: Ich mach mal was Grenzüberschreitendes, zieh eine Geschichte an den Haaren herbei, nenne es Kunst und befriedige mit der Resonanz mein Aufmerksamkeitsdefizit.
Orphi, nicht traurig sein. Unterschreib ich halt Deinen Beitrag. ;-)