Gothic – Die schweizer Szene in einer Dokumentation von Mitra Devi

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Da sitzen wir nun. Einschläge Experten der Szene. Musikalisch, inhaltlich, ästhetisch. Draußen ist es dunkel, man hat für gruftige Atmosphäre gesorgt und die Tafel ist mit wohlschmeckenden Kleinigkeiten gedeckt. Erwartungsvoll starten wir die Dokumentation „Gothic“ von der Filmemacherin und Schriftstellerin Mitra Devi, um einen Einblick in die – sonst ziemlich unsichtbare – schweizerische Szene zu erlangen. Nachdem Bettina Böttinger in ihrer Reihe „b.sucht“ die Faszination der schwarzen Szene gefunden hat, sind wir neugierig, wie man die Szene der Schweiz zeigt, was die Protagonisten des Films zu erzählen haben und welches ästhetische Empfinden man in der Schweiz pflegt und ob es überhaupt Unterschiede zu unserer Szene gibt. Während man in der Technik noch mit den Eigenheiten der DVD kämpft , lese ich mir die Beschreibung durch: „Ein bildgewaltiger, temporeicher Film über die Schweizer Gothic Szene. Abrgründig und Humorvoll, morbid und herzerwärmend. […] Gothics erzählen über ihren Alltag, über Licht und Dunkelheit, Sinnsuche, Leben und Tod.“ Mit von der Partie sind ein Fotograf der düstere Bilder schießen soll, ein Liebespaar, das zum WGT reist, eine Autorin, die an einem dunklen Roman schreibt, eine Domina (!) die farbenfrohe Bilder malt und auch der Sänger der zur Zeit einzigen bekannten schweizer Gothic-Band „The Beauty of Gemina“ ist mit von der Partie. Wir sind skeptisch. Zu Recht.

Chris – Der Fotograf

Gothic - Mitra Devi
Blutverschmiert, das Herz in der Hand. Gothic-Fotografie?

Von den ersten Schnappschüssen auf einer Safari ist er zu „Gothic-Shootings“ gekommen, die er viel faszinierender findet als 08/15 Studiofotografie. Das beweist er uns gleich mit Model Fräulein Kassandra, die auf die Idee kam sich als Marionette darzustellen, während Chris (der Fotograf) eine etwas blutigere Idee hatte. Die Zutaten sind mittlerweile fester Bestandteil der Szene: Viel nackte Haut, Corsagen, kurze Röcke und Perücken, die mit Schminke im Gothic-Lolita-Stil abgerundet werden. Wahlweise dann auch noch mehr nackte Haut, die mit Kunstblut „verziert“ wird und durch ein Messer und ein künstliches Herz (?) abgerundet wird. „Sado-Maso„, so der Fotograf, „sagt mir nicht so zu„. Wer ist eigentlich schuld daran, dass solche ästhetischen Schrecklichkeiten als „Szenebestandteil“ etabliert sind? Chris, der Fotograf, trägt seinen Teil dazu bei. Seine merkwürdige Vorstellungen von Gothic beruhen offensichtlich darauf, Dinge möglichst böse und verrucht darzustellen und alles mögliche in eine Horror-Film Ästhetik zu tauchen.

Schwarzromantikerin Inahea ist dann schon ein kleiner Lichtblick am Horizont: „Ich gehöre dazu, das ist meine Welt. Es ist jedesmal eine Art Heimkommen. Es ist wirklich etwas tief verbundenes. In der Seele.“ Auch das gruftige Liebespaar Carmilla Noctem (Colette) und Dani, der wegen seiner großen Liebe von Deutschland in die Schweiz gegangen ist, sind dann doch irgenwie herzig und authentisch. Gut ausgesucht. Ich frage mich allerdings, wieso man sich gerade bei den Beiden dafür entschieden hat, ihren Alltag und das Berufsleben so ausführlich darzustellen. Was für eine Bedeutung hat das für die Dokumentation „Gothic“? Ich reime es mir mal zusammen: Man will den äußerlichen Unterschied zwischen Freizeit und Berufsleben zeigen, man will darstellen, wie „normal“ man dann doch eigentlich ist, das man nicht herumlungert und anständigen Berufen nachgeht. Patricia Scheurer, die Autorin die an ihrem Roman „Schwarzes Erbe“ arbeitet, ist naturverbunden, arbeitet in einem Antiquitätengeschäft und stellt in ihrem Werk die Frage: „Wie kann man sich selber treu bleiben, ohne an der Gesellschaft zu scheitern?“  Die ist jedenfalls inhaltlich voll auf der Wellenlänge auch wenn die ästhetische Abteilung in unserer illustren Runde auf die Barrikaden geht.

Die Schweizer

Wie waschen wir uns denn?
Mit welchen Fragen sich manche Schweizer so beschäftigen ist erstaunlich.

Au weia. Der Film ist mit kurzen Einspielern garniert, die Stimmen von Passanten einfangen sollen. Au weia! Das Bild, das hier gemalt wird, ist dann doch schon irgendwie mittelalterlich bis erschreckend. „Ich frage mich, wie die sich mit den ganzen Klammern im Gesicht am Morgen waschen?“ – „Nein, so kann man doch nicht rumlaufen – das ist ja verheerend!“ .  Ich wünsche mir innig, dass der Ausschnitt nicht stellvertretend für alle Schweizer ist, immerhin gibt es ein paar die es „interessant“ finden oder sich auch vorstellen könnten „dabei“ zu sein. Die bemühten Lokal-Politiker hätte man sich an dieser Stelle schenken können, denn eine ehrliche Meinung wird man von denen vor einer Kamera sicherlich nicht zu hören bekommen. So wirkt es jedenfalls auf mich. Die lachende Frage, „Wie man mit so einer Frisur überhaupt schlafen kann“ entlarvt den Voreingenommenen.

Michael Sele – Der Sänger von Beauty of Gemina

Das neue Album „Ghost Prayers“ ist erschienen! Also jedenfalls 2014, als die Doku gedreht wurde. Anschließend erfahren wir, dass er Leidenschaft für seine Musik hat und sich in einem nicht-musikalische Elternhaus durchgesetzt hat und Gitarre lernen durfte und später auch Musik-Lehrer war. Entschuldigung, aber ich überspringe den Teil über seine Musik der Band dann doch. Darüber kann jeder Einzelne empfinden ob „Beauty of Gemina“ Gothic ist oder nicht. Auf jeden Fall behauptet Sele, dass die Szene heute viel kleiner ist als früher und dass man heute mehr auffällt als zu „…gewissen Zeiten, als man überall diese typischen Gothics gesehen hat. Heute sind die viel seltener.“ Nö, Michael. Die Szene ist viel größer geworden. Was du meinst, ist der Style wie er zu Zeiten von „The Cure“, die du als musikalisches Vorbild ansiehst, gelebt wurde. Der ist in der Tat nahezu verschwunden – oder sagen wir: untergegangen. Vielleicht auch, weil musikalische Idole nun eine andere Form von Ästhetik streuen. Hauptsächlich sehen wir aber Bandproben, Konzertmitschnitte, Studioaufnahmen und Michael Sele vor dem Klavier.

Anuschka – Die Domina

Gothic Sado Maso Domina
Szenen aus einer Gothic-Dokumentation. Finden sie die Fehler!

Anuschka ist Domina und strukturistische Mallehrerin. Was auch immer das eine mit dem anderen und überhaupt mit Gothic zu tun hat. Würde sie dabei bleiben und uns davon erzählen, woher ihre Eltern kommen und was sie über die Szene denkt, wäre es ja noch halbwegs interessant gewesen. Stattdessen sehen wir sie in ihrem Berufsalltag und hören krude Erklärungen, wie sie Domina geworden ist. Entschuldigung Mitra Devi, wieso muss ich mir ansehen, wie Anuschka alternde Männer auspeitscht? Wieso muss ich mir Fesselspiele mit Latexmumien anschauen? Wieso bekomme ich das Bild von ungepflegten gefesselten Füßen nicht mehr aus meinem Kopf? Liebe Frau Devi. „Sexuelle Abgründe“ sind kein Bestandteil der Szene. Waren es nie, werden es nie sein. Sexuelle Präferenzen, Fetische und Interessen basieren nicht auf einer Szene-Zugehörigkeit, sondern völlig individuell. Dieser Teil der Dokumentation „Gothic“ suggeriert, dass „Sado-Maso“ ein Teil oder eine Facette von „Gothic“ ist, was meiner Ansicht nach völlig aus der Luft gegriffen ist und einfach nicht stimmt. Es spielt inhaltlich in der selben Liga wie Fotografen, die mit Blut und nackter Haut Aufmerksamkeit generieren wollen und wie Szene-Zeitschriften, die mit „Gothic-Fetisch-Kalendern“ die Verkaufszahlen steigern wollen. Immerhin, selbst Anuschka weiß nicht, ob SM und Gothic zusammengehören. Ich denke, die SM-Szene ist eigenständig und losgelöst und irgendjemand kam auf die Idee, den schwarzen Kleidungsstil der Gothic-Szene zuzuordnen. Peitscht ihn aus!

Dave – Der Typ mit dem irren Blick

Hach Dave! Du bis mein schwarzer Sonnenschein. Nicht nur weil du so ruhig und introvertiert erscheinst, sondern auf wegen dem, was du sagst. „Psychohygiene“ ist ein wirklich interessanter Vergleich, den ich so unterschreiben kann: „Die Faszination findet bei mir auf mehreren Ebenen statt. Es fängt mit der Musik an und in diesem Zusammenhang kommt auch das Tanzen hinzu, das für mich eine Art Instrument zur Psychohygiene geworden ist. Es ist aber auch die Bildästhetik, die mich anspricht und der Kleidungsstil der Leute. Ich finde es auch schön, dass es in dieser Szene Platz für persönliche Entfaltung gibt, die im Alltag nicht so möglich sind, dass man zum Beispiel die Geschlechterrollen überwinden kann.“ Dave mag den inzwischen verstorbenen Giger, hat klare Ansichten über den Tod und die Vergänglichkeit und kennt sich in der Schweizer Clubszene bestens aus. Es muss doch noch mehr „Daves“ in der Schweiz geben!

Fazit

Fazit des Films: Man kann sein, wer man ist, man bringt sich Respekt entgegen, hinterfragt gesellschaftliche Tabus und hat nicht „den Zwang zur kollektiven verordneten Fröhlichkeit“, man ist friedlich und offen. Patricia: „Ich frage mich manchmal: Gibt es wirklich mehr Depressive, oder wird einfach mehr darüber gesprochen?“ Mein Fazit sieht anders aus. Die Szene in der Schweiz unterscheidet sich nicht von der in Deutschland. Bis auf den Dialekt gibt es keine Merkmale, die die dortige Szene kennzeichnen würden. Entweder verzichtet Devi darauf bewusst, oder sie kann keine finden. Ich hätte es persönlich spannend gefunden, die Entwicklung der dortigen Szene zu skizzieren, beginnend mit Bands wie „Grauzone“ und dem aufblühen der Züricher Szene und dem prophezeiten Sterben der selbigen.

Respekt, so der Tenor der Dokumentation, sei ein wichtiger Bestandteil der Szene. Schade nur, dass Mitra Devi diesen Respekt nicht zurückgibt und die Szene, aus der sie nicht kommt, so merkwürdig verantwortungslos darstellt. Genau solche Dokumentationen sind doch der Grund, warum immer mehr Menschen ihre Merkwürdigkeiten in die Szene mischen. Fotografen mit blutverschmierten Models und lolitahaften Marionetten, Dominas, die alte Männer schlagen, und WGT-Einspieler, die das viktorianische Picknick, das Verkleidungshighlight schlechthin, zum Highlight des Festivals erheben. Es werden Dinge gezeigt, die nichts, aber auch rein gar nichts mit der Szene zu tun haben und in so ein selbstverständliches Licht gerückt werden, dass Außenstehende sie als Bestandteil des Ganzen begreifen müssen. Wir lernen darüber hinaus, dass Schweizer Bürger verklemmt sind und dortige Szene-Gänger sich weder die Haare färben oder zurechtmachen und das „Verkleidung“ zum guten Ton gehört. Heute mal viktorianisch gewandet, dann wieder mal als Steam-Punk aus dem Katalog und weil es so schön ist, auch noch als Cyber. Die Doku zeigt meiner Ansicht nach Szene-Mitläufer ohne eigenen Stil, die ihre gelebte Andersartigkeit mit Zugehörigkeit verwechseln.

Die Protagonisten sind oberflächlich ausgewählt. Der Fokus beschäftigt sich mit Dingen, die diese Dokumentation nicht nur aufblähen, sondern auch irgendwie versauen. Minutenlang gucke ich mir an, wie ein Dach gedeckt wird, dann wie man vom „Gothic“ zur Krankenpflegerin wird, wie man Latex-Mumien fesselt und wie man in der freien Natur ein Feuer macht und Kaffee kocht. Und dann noch die Bootsfahrt! WTF? Hatte da jemand Freikarten gewonnen oder ist das wohlmöglich Sponsoring einer Bootsfahrt-Agentur? Ich hätte mir lieber 90 Minuten den Dave angeguckt, der hatte was zu erzählen. Es gab immer wieder gute Porträt-Szene, in denen die Protagonisten erzählen konnten und tatsächlich etwas zu sagen hatten, doch das ging unter in einer Flut aus unpassendem Drumherum, das Stimmung und Inhalt versaute. „Bildgewaltig und temporeich.“ Keine einfühlsame Herangehensweise an eine introvertierte und eher entschleunigte Szene. Bildgewaltig sind die landschaftlichen Zwischenaufnahmen, wir haben uns immer wieder gefreut, wenn wenigstens der Mond die Stimmung kurzzeitig erhellte.

Die Dokumentation bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Nach einigen Lichtblicken in letzter Zeit wieder mal ein Aufreger, der das Niveau deutlich senkt. Ich habe für das, was meiner Ansicht nach auf manchen Privat-Sender besser gemacht wird, rund 30€ bezahlt. 90 Minuten lang entsteht kein Gefühl für die Szene, keine Faszination und keine Neugier. Alles wirkt wie eine Werbebroschüre für Teilzeit-Andersartige. Sammler und Neugierige, die es trotzdem nicht lassen können, bestellen den Film hier, bitte achtet aber darauf, dass die Schweiz NICHT zur EU gehört und somit mit längeren Wartezeiten zu rechnen ist und die Lieferung schon mal ein paar Wochen auf sich warten lässt.

Nachtrag: Am 22. September 2018 starb die Filmemacherin und Krimiautorin Mitra Devi nach langer Krankheit im Alter von nur 54 Jahren. Unser Mitgefühl gilt allen Angehörigen und Freunden. (Quelle: https://www.tagblatt.ch/kultur/autorin-mitra-devi-gestorben-ld.1058044)

Szene selbstgemacht – Rückblick auf das Young&Cold Festival III

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Young & Cold PlakatEin naßkalter Tag im März – ich furchtbar aufgeregt. Die Tickets für das Young&Cold Festival sind im Vorverkauf erhältlich. Die letzten beiden Male hatte ich es nicht bis nach Augsburg geschafft und vor allem im Bezug auf das letzte Jahr bedauere ich diesen Umstand sehr, hätten mich doch einige Bands und die Atmosphäre eines solchen Do-it-yourself Projektes mit nur einer Handvoll Besucher brennend interessiert. So tippte ich bald euphorisch in die Tasten um mir mein Ticket zu bestellen – schon da war mir klar, dass das was anderes ist, als das was man sonst so an Festivals erlebt. Von wegen Ticketshop, man tippe eine freundliche Nachricht an die Veranstalter, formuliert seine Bestellwünsche, erhält die Daten und hat kurz darauf sein Ticket mit einem netten Beibrief im Briefkasten – und ich meines dann am Kühlschrank, wo es neben anderen Tickets und Karten so gut aufgehoben war, dass ich es beinahe dort vergessen hätte.

Mit Ticket fand ich mich also am Donnerstagmorgen auf dem Weg nach Augsburg und nach einigen langen und müden Stunden im Zug bei Mark und Stephi, welche mir Asyl für die Tage gewährten, wieder. Den verbleibenden Nachmittag und Abend nutzen wir um bei schönstem Wetter durch Augsburg zu flanieren und für meine (ostdeutschen) Verhältnisse ziemlich teure, aber unglaublich leckere Cocktails zu trinken um uns dann um zehn einzugestehen, dass wir nicht mehr die jüngsten sind und uns auf gegen Bett machten.

Spontis-Magazin erschienen: Jetzt Rückumschlag schicken!

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Es ist vollbracht! Gestern hielt ich das erste Probeexemplar des seit dem Spontis-Treffens ausstehenden Magazins in den Händen. Die meisten Besucher werden sich erinnern, dass es zum Wave-Gotik-Treffen 2015 nur den Button gegeben hat, weil es zu Problemen mit der Herstellung gekommen war. Ich versprach aber den meisten Anwesenden, mich um die Nachlieferung zu kümmern. Das hat sich blöderweise eine ganze Weile hingezogen und wurde immer wieder von neuen Widrigkeiten torpediert. Die ganze Geschichte könnt ihr aber unten lesen, wenn ihr möchtet. In einer streng limitierten (den Inhalt des Magazins gibt es NUR in gedruckter Ausführung) Auflage von 150 Stück wurde das gute Stück gestern in Auftrag gegeben! Ich freue mich wie Bolle das Magazin, das als Geschenk an ALLE  interessierten Leser und Spontis-Treffen-Besucher geht, bald verschicken zu können! An dieser Stelle noch mal ein ganz dickes Herz an meine frisch gebackene Frau Sabrina, ohne die das ganz nicht möglich gewesen wäre.

Rückumschlag?

Um einen frankierten Rückumschlag zu basteln, braucht ihr nicht viel. Zunächst einmal einen Umschlag im Format “C4”, das sind die Versandtaschen, in die man DIN A4 Format reinschieben kann. Diesem Umschlag  beschriftet ihr dann mit EURER Adresse und klebt eine Briefmarke im Wert von 1,45€ in die rechte obere Ecke. (Großbrief national)  Wenn ich zufrieden seid, müsst ihr euer Werk in einen weiteren Umschlag stecken (ihr könnt ihn dazu falten) und an mich adressieren. Ich empfehle einen Umschlag im C5 Format (DIN A4 einmal gefaltet), den ihr ebenfalls mit 1,45€ frankieren müsst. Natürlich könnt ihr das auch nach eurem Geschmack machen, wichtig ist nur, dass ich den Rückumschlag noch benutzen kann. Den Weg zum nächsten Briefkasten müsst ihr selber herausfinden.

Gut Ding will Weile haben!

Die ganze Geschichte? In den letzten Jahren konnte ich das Magazin immer „kostenlos“ auf einem Farbkopierer drucken und heften lassen, lediglich die Papierkosten gingen zu meinen Lasten. Leider ist es bei den ersten Drucken in der Woche vor Pfingsten zu technischen Problemen gekommen, die letztlich damit endeten, dass das Magazin nicht gedruckt werden konnte und ich mit (fast) leeren Händen nach Leipzig gekommen bin. Auch nach Pfingsten wurde es nicht besser, der Farbkopierer stand nicht mehr zur Verfügung und so musste ich mir Gedanken über neue Möglichkeiten machen. „Ein Magazin drucken zu lassen kann ja nicht so teuer sein!“ Dieser Gedanke traf auf die Realität, denn auch der günstigste Druck der 150 Magazine sollte mich über 300€ kosten. Das war nach Pfingsten nicht mehr zu stemmen, die letzten 160€ vom WGT habe ich einem Abschlepper in den Rachen werfen müssen, der mich am letzten WGT-Tag abgeschleppt hat.

Neue Pläne mussten her und vor allen Dingen Geld für einen kostspieligen Druck. Im Juni dann eine Fügung des Schicksals. Eine Blogger-Agentur bot mir an, einen bezahlten Beitrag für die Expedia-Reiseführer-Reihe „German-Ness“ zu schreiben. Mit den Einnahmen konnte ich die Druckkosten decken! Doch ich stand im Zwiespalt, hatte ich mir doch geschworen, Spontis werbefrei zu betreiben, um mich nicht von irgendwelchen Interessen vereinnahmen zu lassen. Was also tun? Ich versuchte mich zu beruhigen, das zu verbreitende Video war gar nicht mal so schlecht und die Auflagen konnte ich ohne größere Hürden meistern. Dennoch brauchte ich Tage um mich zu einer Entscheidung zu bewegen. Ich gab mir einen Ruck und schrieb den Beitrag. Leider dauerte es Ewigkeiten, bis die Gutschrift bei mir eintrudelte, immer wieder gab es neue Ausreden der Agentur und letztlich dauerte es nahezu 9 Wochen und einen bösen Brief, bis das Problem gelöst war. Ich erneuerte meinen Schwur, nie wieder Werbung! Zum einen fühle ich mich immer noch „schlecht“ und zum zweiten ist es nervenaufreibend, sich mit der Monetisierung herumzuschlagen. Ich habe höchsten Respekt vor Bloggern, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen müssen.

Nun musste noch eine Druckerei gefunden werden, denn das alte Angebot war leider abgelaufen. Glücklicherweise setzte sich Sabrina nochmals sehr intensiv für das Magazin ein, organisierte die Druckvorbereitungen und konnte dann eine Druckerei in Backnang auftun, die nun das Probeexemplar schickte. Mir gefällt es sehr gut und ich bin ganz aus dem Häuschen, endlich mein Versprechen einlösen zu können.

Schickt mir den Rückumschlag und sichert Euch eins der 150 Exemplare! Nur solange der Vorrat reicht, ich werde laufend über die Anzahl der verfügbaren Restbestände informieren ;)

Trailer: Crimson Peak – Alles was Gothic ist?

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Gothic, so wissen auch wir Grufties inzwischen, ist viel älter als Bauhaus. Schon im 18. Jahrhundert benannte man die klassische Schauerliteratur danach. Ein ganze Reihe der sogenannten „Gothic Novels“ sind heute Klassiker, sei es Horace Walpoles „Castle of Otranto“, Matthew Lewis „The Monk“ oder auch „Frankenstein“ von Mary Shelley. Sie schufen eine ganz eigene Atmosphäre mit Dingen, die heute in gewisser Weise in die Ästhetik der Subkultur „Gothic“ eingeflossen sind. Friedhöfe, alte Kirchen in gothischem Baustil, Dunkelheit, Fledermäuse, Nebel – die Liste ließe sich beliebig lange fortsetzen. Kurzgesagt: Das unheimliche und gruselige entwickelte sich von der Abschreckung zu einem Reiz, dem man sich bis heute gerne hingibt. So wundert es also nicht, dass Guillermo del Toros neuester Kino-Film „Crimson-Peak“ genau diese Synapsen reizt. Grufties, so erzählt man sich, stehen auf diesen Grusel der alten Schule, der ganz ohne den neuzeitlich blutrünstigen Wahn a la „Saw“ daherkommt und sich an die klassichen Regel der Schauerromane hält, in der Vampire nicht in der Sonne funkeln. Atmosphäre steht an erster Stelle. Wen wundert es, das die Neo-Romantischen Strömungen innerhalb der Szene zunehmen oder dass sich Steampunk zur ernsthaften Subkultur entwickelt?

Crimson-Peak-Tom-Hiddleston

Die Story klingt solide, wenn auch ein wenig ausgetreten: „Seit ihrer frühesten Kindheit weiß Edith Cushing, dass Geister existieren. Damals war ihr ihre tote Mutter erschienen, die ihr eindringlich zuflüsterte: „Hüte dich vor Crimson Peak.“ Erst Jahre später erschließt sich Edith allmählich die ganze Bedeutung dieser Worte, als sie sich in den ebenso charmanten wie geheimnisvollen Baronett Sir Thomas Sharpe verliebt. Trotz der Einwände ihres Vaters und ihres Kindheitsfreundes Dr. Alan McMichael heiratet die angehende Autorin den adretten Fremden und bricht mit ihm zusammen zu seinem großen, düsteren Anwesen auf, in dem er bislang mit seiner unnahbaren Schwester Lucille gelebt hatte. Verstörende Geistererscheinungen und die Anweisung, bestimmte Teile von Allerdale Hall zu meiden, lassen Edith bald an den wahren Absichten ihres neuen Gatten zweifeln und vermuten, dass in dem Haus ein schreckliches Geheimnis schlummert.“ Blöd, dass der Trailer die konditionierten Synapsen anspricht und jegliche Bedenken sofort im Winde verwehrt. Sofort nach dem angucken will ich Grablichter, heißen Tee, eine Decke, Katzen zu meinen Füßen und den Film auf meiner Mattscheibe. Doppelt Blöd, dass er erst übermorgen in die Kinos kommt.

Sucht es euch aus. Beteiligt euch an einer Diskussion über „Gothic“  und „Gothic“, oder geht ins Kino, schaut euch den Film an und schreibt mir, wie ihr ihn fandet. Keine Angst, ich lasse mich nicht von Eurer Meinung auf gar keinen Fall beeinflussen und gucke ihn mir zur gegebenen Zeit selber an. Idealerweise in oben erwähnter Atmosphäre. Eure Meinungen dienen lediglich zur Steigerung der Vorfreude und die ist meistens die schönste Freude.

Update: Shan Dark vom schwarzen Planeten hat 10 Gründe zusammengetragen, warum man den Film unbedingt sehen muss.

Mein schaurig schönes Tagebuch – Episode 8: London hat alles!

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Herbst 1992. Wir sind gerade in London angekommen. Horst, unser Busfahrer, entlädt entnervt unsere Koffer. Es ist sein erstes mal in London. Der Verkehr der Metropole, das fahren auf der anderen Straßenseite und nicht zuletzt ein übermütige und lautstarke Berufsschulklasse Halbstarker haben an seinem Nervenkostüm gezerrt. Ich bin einer der Berufsschüler und es ist auch mein erstes Mal. Seit ich als Jugendlicher die Musik und die schwarze Szene für mich entdeckt hatte, wusste ich: Alles, was cool ist, kommt aus London. Ich bin entsprechend aufgeregt, als ich endlich den Bus verlassen kann, mein Herz klopft wild und entschlossen gegen die Innenseite meiner Brust, die Hände sind feucht und zittrig.

London 1992 - Ankunft
London 1992 – Aus dem Reisebus erhaschen wir den ersten Blick auf ein Wahrzeichen der Stadt: Die Tower Bridge

Das Beziehen des Hotelzimmers, das gemeinsame Abendessen im Hotelrestaurant und die mahnenden Worte der Lehrkörper nehme ich nicht wirklich wahr. Ich will raus! Zusammen mit Jochen und Marco machen wir uns auf dem Weg zur U-Bahn und stoppen an einem Kiosk, den bereits einige Mitschüler für sich entdeckt haben. Sie warnen uns, alles sei sehr teuer, vor allem der Alkohol. Wermut von Cinzano kosten hingegen nur 5 Pfund die Flasche, offenbar weil das in Großbritannien niemand trinkt. Ein paar Schlucke später wissen wir auch warum. Entgegen der Warnungen meiner Geschmacksknospen leere ich zusammen mit den anderen Beiden die Flasche auf dem Weg zur U-Bahn Station Barbican. Die Tube empfängt uns mit der typischen Mischung aus Gestank, Duft und einer strammen Brise, die uns durch die Schächte entgegen weht. Alle haben es eilig und ich frage mich, ob sie es eilig haben ins pulsierende Zentrum zu fahren oder der Metropole zu entfliehen. Ich habe nicht viel Zeit zum Nachdenken, denn als die Bahn sich in Gang setzt, fliege ich fast durch das gesamte Abteil. Hätte ich doch für einen Augenblick die Coolness vergessen und mich an einem der zahlreichen Griffe und Halteschlaufen festgehalten. In London hat es alles eiliger, auch die U-Bahn. Camden empfängt uns britisch, es ist regnerisch und trüb und dennoch kommt es mir vor, als würde die Sonne aufgehen. London hat alles, was das Leben bieten kann.

„Ich sehne mich danach, durch die bevölkerten Straßen ihres mächtigen London zu streifen, mitten durch den Sturm der Menschheit, ihr Leben zu teilen, ihre Veränderungen, ihren Tod – alles, was sie ausmacht.“ (Aus „Dracula“ von Bram Stoker)

Inzwischen habe ich London zum achten mal besucht. Immer noch klopft mein Herz, wenn ich mit dem Bus ankomme, das Flugzeug verlasse oder aus dem Zug aussteige. Und mit jedem Besuch wachsen Liebe und Hass, Zuneigung und Ablehnung sowie Sehnsucht und Heimweh. Dieses Jahr, liebes Tagebuch, war London ganz besonders intensiv. Die Tatsache, dass wir 5 Nächte bei Freunden übernachten konnten, versetzte uns in die Lage, fast 11 Tage in London zu versinken. Wir sind mit dem Eurostar gefahren, das ist dieser Zug, der durch den Tunnel zwischen Frankreich und England brettert. Ich fand die Reise großartig. Mit dem ICE von Aachen nach Brüssel und dann innerhalb von 2,5 Stunden nach London. Sehr bequem und unproblematisch und auch preislich auf dem gleichen Niveau wie die Fliegerei.

2015 empfängt uns London sehr unbritisch, die Sonne scheint, als wir den Bahnhof St. Pancras erreichen und ich setze galant die Sonnenbrille auf die Nase. Ist ja auch cooler irgendwie. Am Geldautomaten muss ich noch britische Pfund ziehen, denn inzwischen ist es ja als Kunde einer Direktbank nicht mehr möglich, Devisen bei einer lokalen Bank zu bekommen. Die tauschen nämlichen nur noch für Kunden des eigenen Instituts. Den Dialog mit dem Bankangestellten erspare ich mir an dieser Stelle.

Ich will Dir auch eigentlich etwas ganz anderes erzählen, liebes Tagebuch, nämlich von dem Wunsch, nach London zu ziehen. Für immer. Im Laufe der Jahre bin ich zum Liebhaber der britischen Insel geworden, vor allem der Moloch London kitzelt mit seinen Tentakeln fast jährlich die Synapsen der Sehnsucht. Mehr als einmal habe ich darüber nachgedacht, nach England zu gehen. Ganz so wie es Heinz gemacht hat, der einst Österreich verließ, um nach London zu gehen, oder Carmen, die aus dem beschaulichen Bayern in die pulsierende Metropole zog oder vielleicht auch wie Daniel, der quirlige Belgier, der London immer noch so zu lieben scheint, wie am ersten Tag. Erinnert ihr euch noch an „Ratte“ aus der Bravo? Auch wenn es nur ein Artikel aus einer Jugendzeitschrift ist. Für mich war er die Initialzündung meiner Leidenschaft.

Doch ich habe auch die schlechten Seiten der Stadt kennengelernt. Die horrenden Preise für qualitativ schlechten Wohnraum, die nicht existenten Rechte für Mieter, die hohen Lebenshaltungskosten, die Hektik und nicht zuletzt die fehlenden beruflichen Perspektiven, in London für meinen Leben aufzukommen. Für rund 50 qm Wohnraum bezahlst du gut und gerne 1400€ Kaltmiete im Monat, während du nicht mal ein Bild aufhängen darfst. Wenn es aus der Toilette auf den Fußboden tropft, musst du dir die Frage gefallen lassen, ob das „zu viel“ sei. Mit der Tatsache, dass Aufzüge im Haus wochenlang nicht funktionieren oder es schlicht und einfach kein Wasser gibt, weil irgendwelche Pumpen im Haus tagelang nicht repariert werden, musst du Dich einfach abfinden. Sowieso scheinen Londoner einen erstaunlichen Pragmatismus an den Tag zu legen. London steht nicht still. So hart wie in der Woche gearbeitet wird, so intensiv wird am Wochenende gefeiert.

Ist es das Wert?

Ich glaube, ich habe diese Frage jedem gestellt, den wir besucht haben. Eine eindeutige Antwort gab es darauf nicht. Die meisten sehen die Stadt realistisch und distanziert. Dem pulsierenden Leben der Stadt versuchen viele der langjährigen Auswanderer zu entfliehen. Sei es in Parks, in einsame Dachwohnungen oder liebende Zweisamkeit. Und obwohl jeden die hohen Lebenshaltungskosten nerven und die Schwierigkeiten des Alltags aufzufressen scheinen, bleiben sie. Keiner verschwendet einen ernsthaften Gedanken daran, zurückzugehen. Möglicherweise sind sie vor etwas viel Schwerwiegenderem geflohen als vor einer schnelllebigen und teuren Stadt. Für die Suchenden ist London die ideale Stadt, es gibt nichts, was du hier nicht findest. Für den Rest brauchst du einfach ein wenig Stärke und Mut.

Ich weiß nicht liebes Tagebuch, aber ich glaube, ich bin ein Feigling oder wahlweise auch zu alt. So sehr mich London reizt, so viel hält mich auch hier zurück. Es bleibt ein Stück Bewunderung für Heinz, Carmen oder Daniel zurück, die alle schon Jahre in der Stadt leben und nicht an ihr zerbrochen sind und ein wenig Neid, so viel gesehen zu haben und noch so viel erleben zu können. Für Sabrina und mich, da sind wir uns einig, ist London keine Stadt zum Leben. Sehr wohl aber zum Verreisen und Erleben. Dieses Jahr haben wir mehr gesehen, mehr interessante Menschen kennengelernt und mehr über uns selbst erfahren als jemals zuvor. London ist die Stadt der Suchenden, wer Ordnung hält, wird schneller fündig. Bis jetzt bin ich immer fündig geworden. Ich habe Inspiration mitgenommen, bin mutiger geworden, habe mich gebildet oder einfach ein paar Tage so intensiv gelebt, wie hier in Deutschland in Monaten.  Dennoch bin nicht nur ich froh, wieder zu Hause zu sein und endlich Ruhe zu finden, über alles nachzudenken.

Wir wissen jetzt schon, dass wir London 2016 wieder besuchen werden und ich weiß jetzt schon, dass ich wieder Tage brauchen werde, um bei Rot über die Ampel zu gehen. Ich liebe die kleine Provinz, in der ich lebe, mag zuweilen die Kleinbürgerlichkeit und auch der Alltag kommt mir jedesmal, wenn ich wieder nach Hause komme, nicht mehr so schlimm vor.  Ein paar Erinnerungen möchte ich noch mit Euch teilen, fühlt euch frei, zu kommentieren und eure Erfahrung mit London oder euren Sehnsüchten zu erzählen.

 

Interview: Young&Cold Festival III – alternative Nische. 100% Handmade.

Das Young&Cold Festival in Augsburg hat in diesem Jahr zum dritten mal stattgefunden. Für mich Anlass genug, für ein längeres Pläuschchen mit drei der Veranstalter über das Event, die Bands, das Selbermachen, „die Szene“ und über ihr eigenes Plattenlabel „Young&Cold Records“ zu halten.

Das ist dieses Jahr das dritte Young & Cold – seid ihr zufrieden mit der Entwicklung, die das Festival gemacht hat?

Marcel: Ja, auf jeden Fall.

Manuel: Daniel und Barbara machen schon seit mehreren Jahren Partys und als sie nach Augsburg gezogen sind, haben sie ihr Event hier in Augsburg aufgebaut und die Location, die Ballonfabrik gefunden. Jetzt mit den Jahren ist Marcel dazu gekommen, dann bin ich dazu gekommen und man hat es jetzt wirklich geschafft in Augsburg. Es ist auch wirklich schwierig hier überhaupt was zu machen und es gibt hier auch keine große Kernszene von Leuten, die sich dafür begeistern und jetzt hat man es auch wirklich geschafft über die Jahre die Party hier am Leben zu halten und auch neue Leute zu begeistern, teilweise auch Leute – ganz normales Partyvolk – die in eine normale schwarze Szenedisco gehen. Ja, wir sind schon zufrieden, dass die Partys auch laufen und dass man einmal im Jahr ein größeres Event hat, bei dem man ein paar mehr Bands einlädt.

Marcel: Für uns auch sehr schön, die Erkenntnis aus dem letzten Jahr: dieses familiäre in der Ballonfabrik zu haben. Letztes Jahr war’s uns zu groß. Dieses Jahr mit 150 Leuten, ist einfach sehr familiär und für uns auch absolut sicher.

Daniel: Das ist richtig. Die Stimmung ist angenehmer, als wenn du hast eine Location hast, die für irgendwas anderes auch ausgelegt ist, für größere Bands und du kleinere Bands spielen lässt. Es spielen hier ja keine, ich sag mal Szenegrößen, oder irgendwelche riesigen Bands, wo man sagt, da braucht man jetzt ein Stadium dafür. Sondern das sind alles kleine Bands, die selbst dort wo sie herkommen ihre lokale Szene haben und da ist genau das hier, das Richtige. Da hat man dann gewisse Möglichkeiten, hier in einem kleinen Rahmen, für gewisse Leute die Musik zu präsentieren. Das ist schon ganz cool.

Was ihr gerade angesprochen hattet, mit dem Familiären, war das auch der Grund warum ihr das Festival wieder auf eine Location konzentriert habt?

Manuel, Daniel und Marcel aus der Gruppe der Young & Cold Veranstalter
Manuel, Daniel und Marcel aus der Gruppe der Young & Cold Veranstalter

Marcel: Es war einer der Gründe für uns, aber auch die finanzieller Sicht. Wir haben letztes Jahr zwei Locations bezahlen müssen, natürlich auch viel mehr Personal dafür gebraucht und wir haben nicht so viele Tickets verkauft, wie wir gerne verkaufen wollten. Wir hätten sechshundert verkaufen müssen, haben aber nur vierhundert verkauft und für uns ist es einfach besser zu kalkulieren mit 150, weil wir einfach wissen, die Leute kommen.

Manuel: Das ist natürlich schade für die Leute, die sagen: ‚okay, wir würde gerne komme‘, aber dass die Tickets limitiert sind, liegt dran, dass die Location eine Auflage vom Ordnungsamt hat, dass maximal 150 Leute reindürfen, deswegen können wir auch nicht mehr Tickets anbieten. Das ist immer blöd. Diese Jahr war es auch so, dass viele ihr Ticket am Schluss dann noch verkauft haben, weil sie dann doch beruflich nicht konnten oder sowas, also wenn man sich wirklich interessiert für das Festival, oder die Bands, dann kriegt man auch ein Ticket. Die, die sich wirklich interessieren, die sind auch das Wochenende alle da.

Sechs Tage Vorverkauf, das ging auch echt schnell.

Marcel: Genau, wir hatten ja noch nicht mal das Line-Up gepostet. Es war nur eine Band online und innerhalb von 169 Stunden waren alle Tickets weg, also das war echt ein riesengroßes Kompliment an uns.

Daniel: Ja, letztes Jahr haben wir einfach mal probiert das Festival auf zwei Locations und Floors zu verteilen – den einen Floor eher elektronisch und den anderen mit Gitarrenmusik und älteren Bands – um wirklich ein breites Spektrum an Musik anzubieten. Wir haben Leute wie den Oppenheimer hergebracht haben, der mit seinem neuen Projekt als Oppenheimer MKII gespielt hat. Das war wirklich so ein Versuch, wo man sagt, du kannst hier mit nicht groß rauskommen, das Spektrum von Leuten ist einfach klein und das kann keine Festivaldimension erreichen. Wenn es größer werden würde, würde es lächerlich werden und vollkommen verwässern, aber wir haben letztes Jahr wirklich probiert, dass wir irgendwie so einen Spagat in der Mitte schaffen, das wir mal wirklich ein ganz breites Spektrum abdecken. Und im Endeffekt, wir haben auch daraus gelernt, dass es familiär da in festen Locations, die auch kleiner sind, wir besser dekorieren können, dass es schöner ist, wenn man da sich auch mehr Mühe geben kann für Dekoration, Merchandise und so weiter.

Vor dem Eingang war die Möglichkeit zum gemütlichen Beisammensitzen geboten und auch für das leibliche Wohl wurde gesorgt.
Gemütliches Reden quatschen, essen und trinken vor dem Eingang.

Manuel: Wir haben uns auch schon angefreundet mit der Location hier, wir machen hier regelmäßig unsere Partys. Wir wissen wie man mit den Leuten hier zusammen arbeitet und so was, das klappt eigentlich ganz gut. Und die Location hier ist auch eigentlich die einzige in Augsburg, die viel Punk anbietet und so. Hier ist eigentlich durchgehend Punk, Metal und Independent. In so einen Schickimicki-Club könntest du sowas gar nicht machen, das passt nicht. Hier draussen hast du den großen Hof, wo man rumsitzen kann an der Feuertonne draußen und sowas. Das ist viel schöner als ein Club, wo du nur reingehen kannst und draußen hast du dann irgendwelchen blöden Securities, die dich beobachten, wenn du rausgehst, das passt nicht. Das muss schon so sein.

Marcel: Für uns auch gut, dadurch das wir ein kleines Festival sind, sind wir nicht auf Sponsoren angewiesen und müssen nicht irgendwelche Bands buchen, die überall spielen und die mit Druck von Labels und Sponsoren. Das heißt wir sind wirklich unabhängig und konnten wie dieses Jahr auch teilweise das Publikum im Vorfeld entscheiden lassen wer spielt.

Daniel: Wir hatten extrem viele Bewerbungen und haben uns entschieden, dass wir dieses Jahr, keine Gitarrenband reinnehmen, also kein Post-Punk oder Deathrock oder sowas. Weil es haben sich extrem viele elektronische Bands beworben. Wir wollen dann demnächst ein eigenes kleines Festival nochmal machen für Gitarren und Post-Punk-Bands, um für die Leute, die sowas gerne hören auch was anzubieten. Das ist dann das Tape-Kontroll-Festival von der DekaDenz aus. Da wollen wir dann extra noch mal gucken, dass wir ausschließlich Gitarrenbands holen. Es gibt viele die sagen, das dieses Wave oder Minimal Zeug ein Trend ist, denn du immer wieder auf Festivals hörst und der auf Partys gespielt wird.

War das der Antrieb das Tape-Control ins Leben zu rufen?

Marcel: Genau.

Manuel: Oder auch allgemein. Das wir uns eben reduziert haben, da war auch der Grundgedanke, dass wir dann das Young&Cold in der kleinen Location wirklich für 150 Leue anbieten, da mehr Energie in Merchandise und Atmosphäre stecken und dann auch finanziell andere Möglichkeiten haben. Mit dem Erlös kann man dann ein zweites Festival aufbauen, ein zweites Event für Gitarrenmusik. Oder das man zwischen durch im Jahr auch mal eine bisschen teurere Band einkauft. Das man das Jahr zwischendrin ein bisschen auffüllen kann. Das ist eigentlich schöner, dass man das mehr am Leben erhält, als wenn man ein Mal im Jahr dann in einer riesen Location was macht, die dann auch atmosphärisch total abflacht und sich von dem eigentlichem Gedanken und alles was mit der Szene eigentlich zu tun hat schon nicht mehr vereinbar ist.

Durch den kleinen Rahmen konnte mehr Energie in Merchandise und Atmosphäre investiert werden.
Durch den kleinen Rahmen konnte mehr Energie in Merchandise und Atmosphäre investiert werden.

Marcel: Und im nächstes Jahr im April feiern wir fünf Jahre von unserer Party Dekadenz und da machen wir auch einen Tag komplett Gitarrenpostpunk-Geschichten am Freitag und am Samstag wieder Minimal, also der Sound der auch auf der Dekadenz läuft und höchst wahrscheinlich auch im Sommer das Tape-Control-Festival. Aber da ist noch nicht ganz klar wo wir das machen, in welcher Location. Wird wahrscheinlich eher in München stattfinden.

Wir haben gerade über die Bands gesprochen und dass ihr viele Bewerbungen hattet. Nach welchen Kriterien wählt ihr die Bands aus, wie werdet ihr euch einig, wen ihr einladet?

Daniel: Die meisten Bands, die wir genommen haben sind eigentlich alte Bekannte. Matthias Schuster zum Beispiel, mit dem habe ich schon ganz oft über Facebook und Whatsapp und damals schon auf MySpace geschrieben – weil mich seine Musik begeistert hat und da habe ich ihn motiviert und gesagt, er könnte doch mit Bal Paré mal wieder spielen. Das ist jetzt am Samstag sein erstes Konzert nach zwanzig Jahren. Er hat damals mit jemand anderem Musik gemacht und hat dann angefangen auf YouTube immer wieder Videos zu posten und neue Musik zu veröffentlichen und hat dann diese zwei Alben rausgebracht und das ist jetzt sein erstes Konzert und das finde ich grandios, wenn jetzt jemand sagt: ja okay, er hat jetzt ewig lange nicht gespielt und hat damals in den 80ern Mukke gemacht und hat jetzt wieder Lust bekommen, da live zu spielen. Das finde ich super und die anderen Bands zu Beispiel Charles Lindbergh n.e.V. die habe ich kennengerlernt vor, ich sag auch mal so fünf Jahren oder sechs hab ich die mal in Frankfurt gesehen und habe denen auch versprochen mal in Augsburg zu spielen, wenn sie Lust haben und jetzt hat sich das dann ergeben. Die anderen Bands zum Beispiel Avon Rim, das sind Freunde aus München. Die haben auch schon mal gespielt auf einer Dekadenz mit einem anderen Projekt, mit Masseneffekt.

Manuel: Und die Elvira und das Projekt Elvira and the Bats, kennen wir eben jetzt auch schon länger oder sind persönlich da verbunden, weil man die auf Festivals trifft, da hat man eh nen persönlichen Kontakt und als der Daniel, die dann gesehen hat, hat sich halt wie so ein familiärer Kreis geschlossen. Wo man sagt, da redet man über eine persönliche Ader und nicht über einen Booking-Manager oder so. Es ist wirklich stark familiär und freundschaftlich wie man sich dann die Leute aussucht, also wir suchen dann nicht irgendwie, die Google-Liste ab nach irgendwelchen Wave-Bands.

Daniel: Zum Beispiel die Solitude fx, die heute spielen, die sind auch eigentlich so ganz bekannte Leute, wo man sagt die kennt man. Marc Schaffer ist eben einer der Leute, die kennt man so aus der Szene und da haben wir die dann einfach gefragt, ob die Bock haben zu spielen und die meisten haben sofort zugesagt. Ohne Bedingungen und es hat dann auch meistens terminlich auch gepasst.

Marcel: Für uns auch noch ganz wichtig, dass die Bands von unserem Label spielen. Das auch die Augsburger Szene präsentiert wird. Es sind jedes Jahr mindestens ein bis zwei Bands von uns vertreten aus dem Label Young&Cold Records und in den ersten zwei Jahren haben wir immer noch im Team entscheiden wer, welche Band spielen sollen, da haben wir noch demokratisch abgestimmt. Dieses Jahr haben wir es eher ein bisschen offen gelassen, da haben wir dann auch drei Bands von den Leute entscheiden lassen. Sind jetzt natürlich auch fast alle die Bands geworden, die wir auch wollten.

Manuel: Aber ich finde das ganz gut, dass man die Leute selber entscheiden lässt. Wir haben das zur Abstimmung gemacht im Internet und hatten dann ein paar Bands vorgeschlagen, wer spielen kann und dann sieht man auch für was die Leute sich interessieren.

Marcel: Wir hatten im vergangenen Jahr 120 Bewerbungen von Bands, das war dann auch ziemlich heftig für uns erst mal rauszufiltern was einigermaßen passt und für dieses Jahr waren es ungefähr 80 Bands. Klar war viel dabei was nicht passt oder auch zu teuer ist.

Ihr hattet es eben bereits angesprochen mit diesem Familiären, oder wenn man es jetzt diesem „Szenegedanke“ nennen würde. Findet ihr das dieser Do-it-yourself Gedanke heutzutage so ein bisschen fehlt?

Marcel: Jein. Es ist schon wieder zu beobachten, in Deutschland vor allen Dingen, dass die kleinen Szenenfestivals wieder im Kommen sind. Minicave, Gotham Sound Festival oder GPP. Es ist schon viel was wieder geboten wird von vielen Leuten, die wir auch kennen, die wirklich viel machen.

Manuel: Eigentlich kommt es ja daher, du wohnst in irgendeiner Stadt und da läuft halt einfach deine Mukke nicht. Da kamen halt viele auf die Idee eine Party für Freunde zu machen oder so was und wenn sich das dann halt länger entwickelt… Das war bei uns auch so. Ich bin hier nach Augsburg gezogen und hier gab’s halt nichts in der Richtung. Das nächste war München, wo in die Richtung was lief und da hat man einfach was gemacht und das hat sich halt so weiterentwickelt mit den Partys, mit den Festivals und ich glaube das ist Deutschlandweit auch so vertreten. Ich denke, wenn irgendjemand unzufrieden ist mit Mukke, dann macht er irgendwie was selber.

Marcel: Wir haben vor fünf Jahren ja angefangen mit der Dekadenz, da waren glaube ich dreißig Leute da. Mittlerweile machen wir vier bis fünf Partys im Jahr und es kommen 120-150 Leute zu jeder Party und die kommen echt von überall her. Von Berlin, Hamburg, Schweiz, Österreich kommen die Leute zur Party gefahren.

Daniel: Vor allem das hört sich jetzt wenig an 150, da hast du normalerweise in anderen Clubs viel mehr Leute. Aber wir legen auch sehr viel Wert auf die spezielle Musik. Bei uns laufen nicht die ganze Nacht irgendwelche Tanzflächenfüller oder diese typische 80er Playliste mit den ganzen Klassikern durch. Sondern wir bereden uns als DJs was wir spielen können, was die Leute interessiert. Wo man sagt: ‚Okay, ich kann die ganze Nacht tanzen und ich kenn halt auch nicht jedes Lied‘. Wo was Neues entdeckt.

Von überall kamen sie um gemeinsam das Festival zu zelebrieren
Auch die Gäste haben sich bei der „Dekoration ihrer Selbst“ Mühe gegeben

Manuel: Wir sind alle drei privat Musikliebhaber, die alle eine leicht andere Richtung einschlagen. Deswegen haben wir uns darauf geeinigt, dass wir zu dritt auflegen. Daniel zum Beispiel, der sammelt seit Urzeiten die ganz alten Dachboden Kassetten und digitalisiert die teilweise ganz aufwändig, dass man die auch mal abspielen kann auf einer Party. Da ist der Daniel wirklich ziemlich tief eingetaucht und der Marcel auch, der ist mit Punk ziemlich breit. Mit Gitarrenmusik und Punk kennt der sich auch weitaus besser aus als ich und ich interessiere mich für aktuelle Projekte. Da schau ich dann, dass auch das alte Zeug bedient wird, aber auch aktuelle Projekte. Es ist ja genau wie in den 80ern, es gibt heute auch Leute, die aus dem Boden sprießen und schöne Musik machen und da schau ich, dass das dann auch bedient wird und dann machen wir zu dritt immer einen guten Mix draus und sammeln das Zeug. Der Sound der ist nicht aufgesetzt, sondern das ergibt sich aus dem persönlichem Geschmack von jedem einzelnen hier, was dann für Musik läuft. Das ist nicht irgendwie vorgedacht und hier scheibt auch keiner irgendwelche Playlists, damit es irgendwie kracht den ganzen Abend. Das ist immer intuitiv.

Marcel: Da steht immer ein riesen Vermögen auf der Bühne bei den Partys.

Daniel: Ja, wir nehmen immer extrem viel Zeug mit, wir finden das auch schön. Für mich als DJ, und für die anderen beiden auch, ist es natürlich wunderschön, wenn du mit Vinyl auflegen kannst, weil das hat eine ganz andere Ästhetik aufzulegen. Du hast die Platte gekauft, dann ist es was Handfestes und das dann aufzulegen auf so einen Plattenteller und den Leuten zu präsentieren das finde ich wirklich schön. Ich finde es schade, wenn die Leute die Mukke sammeln – ist auch super – aber wenn man als DJ die Platten zu Hause hat, dann finde ich das eigentlich ganz gut, wenn man die auch mitnimmt auf Partys und dann auflegt.

Jetzt ein bisschen eine übergreifende Frage: Was macht die Subkultur eigentlich für euch aus? Was ist das für euch eigentlich?

Marcel: Ich finde in Augsburg ist die Subkultur ein kreativer Künstlerkreis aus, dreißig Leuten vom harten Kern würde ich mal sagen und es sind alle sehr kreativ musiktechnisch, fotographisch, im Kunsthandwerk tätig, neben ihren Berufen vor allen Dingen auch.

Manuel: Da vereint sich wirklich viel. Daniel, Barbara und ich haben ein Tonstudio hier, wo wir auch selbst Musik machen. Auch Freunde, die selbst keine Instrumente spielen können ihre Stimme dazugeben und zusammen komponieren. Andere aus unserem Freundeskreis und aus dem festen Kern sind auch sehr kreativ. Manche nähen ausgefallene Sachen, manche zeichnen oder machen andere Dinge. Das ist so wie ein ganzes kreatives Kollektiv. In den 80er hat man das als wohl als New-Wave bezeichnet, dieses ganze Zusammenfassende beschrieben und ja, das ist so das Besondere oder der Geist von dem Ganzen. Es gibt Leute hier, die machen wirklich nach dem Berufsleben, einen harten Cut und dann startet ein zweites Leben, was dem Leben wirklich Inhalt gibt und dann ist man nach dem Arbeitstag zehn Stunden noch mit irgendetwas anderem beschäftigt und schaut, dass man da wirklich abschalten kann.

Daniel: Hier in Augsburg sind auch nicht so viele Leute, die sich für diese spezielle Musik, für diesen 80er Wave und die ganzen älteren Bands aus den 80er interessieren, die halt so in die Richtung gehen. Das hat sich dann so ergeben, dass man sich so einen kleinen Freundeskreis hier aufgebaut hat und die meisten, die in unserem Freundeskreis sind, die hören wirklich die Musik und die interessieren sich dafür, oder zumindest auch für ähnliche Musikrichtungen, ob das jetzt Elektro, Rockabilly oder sonst irgendwas ist. Die meisten von dem Freundeskreis hier in Augsburg helfen auch bei der Party mit, die machen die Bar, die machen Kasse, helfen Auf- und Abbauen und das ist eigentlich so eine lebendige Szene hier.

Manuel: Anders würde es auch gar nicht funktionieren, würde es die Party auch nicht geben, wenn hier vier Leute, versuchen das aufzubauen, das würde nicht funktionieren. Das funktioniert wirklich nur durch den lebendigen Freundeskreis, wo jeder ungefragt ineinander greift.

Also für euch ist das quasi dieser familiäre Gedanke?

Daniel: Genau und das heißt, dass auch das Publikum Teil daran hat, dass es sieht, das alles selbst gemacht ist, das alles nicht perfekt läuft, dass die Leute das nicht beruflich machen, irgendwie hinter der Bar oder Türsteher sind, sondern das sind einfach Leute aus der Szene und die haben dann das Einfühlungsvermögen und auch die akkurate Haltung dem Publikum gegenüber. Die Szene, oder das was dieser Wave- und Gothic- Gedanke in sich hat, die Leute auch so leben zu lassen, wenn die auf der Party sind. Man sieht auch, dass die Leute sich gerne unterhalten, gerne tanzen und da ist keiner der irgendwie meckert, der irgendwie anders denkt. Deswegen ist das super.

Manuel: Hier sind jetzt auch wieder viele Leute aus München und der Umgebung da, die auch Partys veranstalten in Nürnberg mit dem Bunker Syndikat. Das ist das Gleiche. Genauso wie die bei uns heute als Gäste sind, sind wir nächste Woche zum Beispiel irgendwo in Nürnberg. Ganz normal als Gäste und sagen denen Hallo und kaufe da das Bier und tauschen uns aus, reden mit denen und mich freut das jedes Mal, wenn ich die Leute dann sehe und ich stoße nicht nur mit dem Bier an und sag so jetzt betrinkt man sich, sondern ich rede mit den Leuten wirklich sehr lange und tausche mich aus, weil mir das Zwischenmenschliche wichtig ist.

Daniel: Ja, auf jeden Fall. Dieses Wave Zeug, das hat ganz viel miteinander reden, sich austauschen und so was. Das ist nicht nur auf Party gehen, sich irgendwelche Mukke anhören, die langweilig ist, bisschen tanzen und sich betrinken, sondern es hat etwas ganz familiäres. So wie Wohnzimmer, wo man sich bei Freunden trifft oder so was. Es ist ein Treffen im Endeffekt. So kann man es beschreiben und da gehört halt Musik dazu, Bands, Merchandise und so Zeug, wo man sagt, man kann dann auch was kaufen von den Bands. Also, das finde ich echt den perfekten Gedanken.

Ihr habt jetzt quasi euer eigenes Umfeld beschrieben oder eure Nische, die ihr euch geschaffen habt. Wenn man jetzt an die ganzen groben Festivals denkt, wo eine Kommerzialisierung oder Ausschlachtung der ganzen Thematik stattgefunden hat. Was würdet ihr euch wünschen, was die Zukunft angeht? Oder was vermisst ihr, wenn ihr auf das große Ganze schaut?

Marcel: Also ich finde, es gibt sehr, sehr gibt viele große Festivals. Zu viele und die machen sich gegenseitig Konkurrenz. Konkurrenz auch in dem Sinne, weil jedes Jahr die gleichen Bands spielen. Das ist jedes Jahr das gleiche Line-Up, die gleichen „Headliner-Bands“. Finde ich sehr unkreativ und langweilig und auch die extrem überteuerten Ticketpreise. Wenn ich mir die Preise anschaue, das ist einfach nicht normal, weil die Bands tatsächlich eigentlich nicht so viel kosten.

Daniel: Oder weil die Bands gar nicht das bekommen, was dann für den Veranstalter rausspringt. Wie gesagt, man schaut sich die großen Festivals an, die verdienen meistens richtig gut dabei und dann werden teilweise Bands auch nicht entsprechend entlohnt.

Marcel: Oder Bands zahlen dafür, dass sie auch einem großen Festival spielen dürfen.

Manuel: Zusätzlich ist es natürlich auch uninteressant für mich auf Festivals zu gehen, wo ich mir eine Band anschaue und in einer riesigen Halle stehe, die so laut ist, dass ich gar keine Ruhe finde, mich mit irgendjemand zu unterhalten. Das finde ich langweilig und dann so riesige Stages mit Bands, die dann irgendwie spielen und du stehst vierzig Meter davon entfernt. Das finde ich unattraktiv. Ich mag am liebsten Festivals, wo die Band spielt und danach ist die Band auf der Tanzfläche oder am Merchandise Stand und du kannst denen hallo sagen. Du kannst mit denen draussen ein Bierchen trinken oder so was. Dich vor der Türe mit den Leuten unterhalten, das finde ich viel schöner, als wenn du irgendwie eine Bands ankuckst, die danach in den Back-Stage-Bereich verschwindet und in den Flieger einsteigt.

Marcel: Genau, bei uns feiern die Bands immer mit auf dem Festival oder auf den Partys, das ist immer richtig schön. Auch für die Gäste, so nahe am Künstler zu sein.

Gibt es noch etwas, was ihr jetzt unbedingt noch los werden wollt?

Manuel: Abseits von dem Festival und den Parties hat jeder einen festen Beruf und eine feste Berufslaufbahn eingeschlagen, wir versuchen da dran zu bleiben und noch nebenbei was zu machen, da sind wir wirklich stark dran, dass man das beibehält. Die Musik hat einen hohen Stellenwert bei uns. Wir haben ein Tonstudio, das wir versuchen aufzubauen, weil wir auch Leute im Freundeskreis haben, die sehr kreativ sind, aber vielleicht nicht selbst komponieren können. Wir haben hier unter dem Namen Young&Cold Records dieses Tonstudio seit gut zwei Jahren und da sollen Bands aus Augsburg gefördert werden. Das sind mittlerweile sechs oder sieben Kleinprojekte, wo man mit Freunden wirklich vollkommen unterschiedliche Musik-Richtungen macht . Was dunkles melancholisches.

Daniel: Ja, ich und der Manu wir bekommen auch oft Anfragen oder Fragen von Freunden, die jetzt auch anfangen Musik machen zu wollen, weil wir beide kennen uns super aus mit diesen Synthesizern aus den 80ern. Wir haben da ganz viel so alte Geräte, auf denen die ganzen Bands früher, die Musik gemacht haben und den Sound den hört man raus. Wir sammeln die Sachen und machen mit denen Musik und wir haben immer wieder auch Fragen von Freunde: ‚Hey ich hab Bock Mukke zu machen und so was‘ und dann sind wir auch meistens dafür: ‚kommt’s vorbei oder so was ins Studio machen wir ein bisschen Mukke zusammen‘ und meistens ergibt sich dann auch was ganz nettes und so was. Irgendwie wie Jam-Sessions oder irgendwelche Solo-Projekte und ich finde das super.

Manuel: In absehbarer Zeit, wollen wir auch, wenn man dann mal dann genug fertiges Material da ist, exklusiv einen ganze Sampler rausbringen. Mit reinen Projekte und kreative Dinge drauf kommen, die in unserem Tonstudio entstanden sind. Das wäre dann mal ein Schritt in die Richtung, dass an so hier was musikalisch, was labelartiges vorantreibt.

Marcel: Einfach mal um die Bands bekannter zu machen und auch dann in ferner Zukunft die Alben zu promoten von den Bands von uns.

Musikperlen – Warum man den Sonntag auch mal im Bett verbringen sollte (Tauchgang #33)

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Black Spider Clan – Keiner Kommt Hier Lebend Raus

Die schwarze Witwe hat viele Namen: Flying Bodies, Radikale Analog Fraktion, Black Spider Clan, Beta Evers oder einfach Brigitte Enzler. Seit den späten 80ern ist sie in der musikalischen Underground-Szene aktiv, begann mit einer Mädchen-Combo und gründete nahezu im selbem Atemzug ihr erstes Platten-Label. Nach dem auflösen ihrer Projekte und einer kurzen Pause zu Beginn der 90er begann sie wieder damit Parties in Augsburg und Umgebung zu organisieren. 2000 gründet sich das Kollektiv Kommando 6, das ein Jahr später auch zu einem Platten-Label mutiert. Als Beta Evers bringt sie noch im selben Jahr einige Stücke heraus, ohne die Hilfe irgendwelcher Produzenten. In der Folge ist sie auch in unzähligen Nebenprojekten aktiv, unter anderem im Black Spider Clan, der mir mit seinem Stück „Keiner kommt hier lebend raus“ (2005) in Erinnerung geblieben ist.

El Deux – Computer-Mädchen

Gibt es eigentliche eine Neue Schweizer Welle? Während sich in Deutschland die musikalische Welle auftürmt und immer neue kuriose Gebilde formt, bleibt es in der Schweiz auch nicht still, aber deutlicher leiser. Mit Grauzone schafft es dann erstmals eine Schweizer Band in die deutschen Charts, 1981 schafft es „Eisbär“ auf Platz 12. Ein Jahr später wagt auch die Formation „El Deux“ den Schritt einer ersten Veröffentlichung und bringen ihre LP „Nur für Mädchen“ heraus, auf der auch der Song „Computer-Mädchen“ erscheint. El Deux, das sind Martin Kraft, Steno Onetz und Kurt Gautschi. Die Welle erfunden haben sie aber nicht, die Schweizer – gut sind sie trotzdem.

Soft Cell – Bedsitter

Auch wenn man nach Marc Almond nicht tauchen muss, so möchte ich doch anlässlich seiner aktuellen Tour auf ihn aufmerksam machen. Ist ja auch mal irgendwie ein populärer Gegenpol zu den beiden völlig unbekannten Perlen die diese Ausgabe des Musikperlentauchers zieren.  Marc ist ein alter Gruftie, so viel steht mal fest, nicht nur weil in der „Church of Satan“ aktiv war und von Anton Szandor LaVeys Bücher fasziniert war, sondern auch wegen seiner musikalischen Ausrichtung. Mit David Ball gründete er Softcell, das Stück „Bedsitter“ wurde 1981 veröffentlicht und erzählt von dem Gefühl, nach einem durchfeierten Samstag den Sonntag im Bett zu verbringen „My only Home!“ – Glücklicherweise sprang der 2004 dem Tod von der Klinge und kann jetzt die Ohren auserwählter mit seinen Songs beglücken. Marc, der stramm auf die 60 zugeht, hat nichts von seinem Charme verloren, auch wenn unter musikalischer Geschmackssache läuft und deutlich poppiger ist, als es seine vermeintliche Szene-Zugehörigkeit vermuten lassen würde.

Pfingstgeflüster 2015 – Treffen der Generationen

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Nein, ich glaube das wird keine Rezension, vielleicht ein Appell. Ich muss nämlich zugeben, dass ich voreingenommen bin, habe ich doch mittlerweile zum fünften mal einen Artikel zum Pfingstgeflüster beigesteuert und einige meiner Freunde sind ebenfalls als Autoren vertreten. Darüber hinaus bewundere Marcus Rietzsch, den Verleger und Erfinder des Pfingstgeflüsters, für seine Leidenschaft und die unermüdliche Arbeit, die er seit 2005 in jede Ausgabe des Pfingstgeflüsters steckt, ohne dabei einen einzigen Cent zu verdienen. Die jährlich erscheinende Zeitschrift ist ein Hommage an das Wave-Gotik-Treffen, eine Würdigung der Stadt Leipzig und ein Geschenk an die Menschen die sich jährlich dort treffen. Artikel, die nicht von wirtschaftlichen Interessen beeinflusst werden, keine langweiligen und unkritischen Interviews mit Bands und Künstler die in anderen Magazinen auch schon zu lesen sind, kein Werbeblättchen für die Veranstalter des WGT und auch kein Reiseführer für die Stadt Leipzig. Soll mir mal jemand erklären, wie man objektiv über eine solche Herzensangelegenheit schreibt. Nein, das kann keine Rezension mehr werden – es ist bereits ein Appell.

Vielleicht kennt ihr das enttäuschte Gefühl, eine Szene-Zeitschrift mit WGT-Special in den Händen zu halten, die euch mit winzigen Bilderstrecken und einer Aufzählung der auftretenden Bands zum Kauf anmiert hat und sich letztendlich doch als Mogelpackung entpuppt. Ein Kaufimpuls der von dem Gefühl des Festhaltens ausgelöst wird, dem Wunsch, etwas Schönes für immer zu konservieren. Genau aus dem Grund entstand das Pfingstgeflüster, wie mir Marcus in einem Interview bereits verraten hat. Auch 2015 konnte der wieder viele Autoren ins schwarze Boot holen und sie dazu animieren, einen Artikel beizusteuern. Ich freue mich immer wie Bolle, wenn ich die druckfrische Ausgabe in den Händen halten kann und lese, was andere beizusteuern hatten und wie die Besucher aussehen, über die ich geschrieben habe. Denn tatsächlich bekomme ich die meisten der „Besucher“ nur als geschriebenes Wort zu Gesicht.

Pfingstgefluester - Die BesucherDas Pfingstgeflüster wandert durch meinen gesamten Alltag und ist eine Zeit lang ein ständiger Begleiter. Auf dem Schreibtisch, neben der Badewanne, auf dem Nachttisch, in der Küche oder neben dem Sofa. Überall wo ich mir in der Regel ein wenig Ruhe gönne, um dann 1 oder 2 Artikel zu lesen. Anders als im Blog gibt es keine Kommentarfunktion, ich kann mich also nicht mit anderen austauschen, wie ihnen das Magazin gefallen hat, was sie gut und was sie schlecht fanden, worüber sie geschmunzelt haben und was sie nachdenklich gemacht hat, deshalb suche ich bei alle möglichen Gelegenheiten nach dem persönlichen Gespräch. „Hast du das Pfingstgeflüster schon gelesen?

Alle meine Bekannten und Freunde kennen es, keine Frage.  Doch die wenigsten haben es sich bereits bestellt. Dabei schwelgen die meisten in ihren WGT-Erinnerungen, liken und kommentieren immer und immer neue Alben und einzelne Bilder in den sozialen Netzwerken. Die meisten können es kaum erwarten, so die einhellige Meinung, die Reise nach Leipzig wieder anzutreten. Woran liegt es also, dass so wenige Menschen das Magazin bestellen? Ist es zu teuer? Das Pfingstgeflüster kostet 8,9€  plus 1,6€ Versandkosten, nur einen Hauch teurer als eines der einschlägigen Szene-Magazine. 92 Seiten, kaum Werbung, Hochglanzpapier. Nicht wirklich zu teuer. Ich habe neulich rund 17€ für den Versand von ein paar Pikes aus England bezahlt. DAS ist teuer! Ist es vielleicht zu tiefsinnig? Vielleicht schlage ich Marcus für die nächsten Ausgabe eine Top 10 der schlechtesten WGT-Outfits vor. Das zieht bestimmt.

Ich glaube, man hat den Bezug zum Haptischen verloren. Magazine sind nichts mehr wert, die meisten Informationen findet man, so glauben die meisten, sowieso im Internet und Bilder kann man eigenen Rechner viel besser betrachten. Ich habe den Eindruck, dass niemand mehr gedruckte Erinnerung zu schätzen weiß, klicken verdrängt blättern. Möglicherweise schmunzelt ihr beim lesen deiser Zeilen, weil ich schreibe, was sowieso schon jeder weiß. Das WGT ist auch ein Kommerzfest, vielleicht betrachten die meisten das Pfingstgeflüster als Teil davon. Wenn ihr micht fragt, ein fataler Trugschluss. Fatal, weil so jede Form von Kreativität und Schaffensdrang daran scheitert, dass niemand dafür bezahlen will. Ein Trugschluss, weil das Magazin von Marcus Rietzsch aus dem schwarzen Herzen kommt  und niemand damit Geld verdienen möchte. Sowas soll es geben.  Das Magazin feiert mit dieser Ausgabe sein 10. Jubiläum, helft dabei, dass es so bleibt. Kauft. Es lohnt sich. Im folgenden die Themen des Heftes, mehr Szene geht nicht.

  • Kampf der Nach-WGT-Melancholie (Edith Oxenbauer und Marcus Rietzsch)
  • Leipzig – Die schwarze Metropole? (Shan Dark)
  • Schicksalsbilder – Nichts ist so wie es scheint (Edith Oxenbauer mit Bildern von Partricia Zschuckelt)
  • Frank the Baptist – Ich bin ein glücklicher Mann (Frank Vollmann)
  • Alltagsmärchen – Gehörnte Unschuld (WGT-Lesungsbeitrag von André Ziegenmeyer)
  • Die Besucher – Treffen der Generationen (von mir)
  • Die Kammer – Karneval der Eigentümlichkeiten (Matthias Ambré)
  • Geliebter Schmerz – Sommerromanze (WGT-Lesungsbeitrag von David Wonschewski)
  • Vinsterwân – Des Dunkels Hoffnung (von Marcus Rietzsch mit Bildern von Lisa Schubert)
  • Hexen – Ein Phänomen zwischen Aberglaube und Abwehr (Auszug aus dem Vortrag von Miriam Blümel)
  • Gespräche mit Goth – Smalltown Boy (WGT-Lesungsbeitrag von Thomas Manegold)
  • Wahre Märchen – Grimm 2.0 (Edith Oxenbauer mit Fotografien von Annie Bertram)
  • 1000 Jahre Leipzig – Im Laufe der Zeit (von Guldhan)
  • Konzertimpressionen (mit Bildern von Andreas Liem, Michael Küper und Marcus Rietzsch)
  • Stille Orte – Jüdische Friedhöfe in Leipzig (von Marcus Rietzsch)
  • Die schwarze Romantik – Melancholie und Todessehnsucht (von Mirja Dahlmann)
  • Grufti Glosse – Das Bessergoth-Dilemma (von Christian von Aster)
  • Museum der bildenden Künste – Mittelalterlicher Totentanz und Erlösungsversprechen (von Sebastian Hainsch)
  • Doppelgänger – Das erste mal (von Black CaT)

 

1990: Robert Smith, der depressivste Mann der DDR

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Am 21. April 1990 wurde Robert Smith, Leadsänger der englischen Band „The Cure“, stolze 31 Jahre alt. Etwa zur gleichen Zeit sind Dokumentarfilmer auf der Suche nach der Stimmung des Umbruchs im wiedervereinigten Deutschland. Die Grenzen der DDR sind offen, die trennende Mauer ist im November 1989 gefallen. Es ist eine Zeit der Freude, der Unsicherheit, der Verwirrung und der Orientierungslosigkeit – denn wirklich daran geglaubt hatte niemand. Doch über Nacht ändert sich die Geschichte. Die DDR zerbricht, die sogenannte „Allianz für Deutschland“ treibt die Wiedervereinigung voran, Neuwahlen stehen bevor, die alte Währung abgeschafft. Irgendwo in diesem Chaos trifft die besagte Filmcrew unter einer Brücke auf eine Gruppe Jugendlicher, die zu den Klängen ihrer Musik und im Nebel des Alkohols den Geburtstag ihres Idols feiern: „Was feiert ihr hier eigentlich? – Robert Smiths Geburtstag!

Theatralisch bewegen sich die Kids zu „Lullaby“, wiegen sich selbst in einen Schlaf. Möglicherweise liegt es aber auch am russischen Wodka, dass man sich so ausgelassen vor der Kamera präsentiert. Robert Smith, so sagen sie, sei der depressivste Mann der DDR! Natürlich korrigiert man sich, denn schließlich weiß man ja, das der aus England kommt. Depression ist für sie das Wissen, dass das Leben irgendwann ein Ende hat und das man selbst nicht mehr wiederkommt. „Wir haben ’ne Band gegründet, die heißt „Die Greifer und die Simulanten“. In den Lieder beschreiben wir, dass man schon tot ist bevor man lebt und dass es absolut scheiße ist wenn man lebt, weil man dann genau weiß, dass man irgendwann stirbt und nicht mehr da ist.

Jugendliche, die nicht wissen, wohin die Reise geht. Der eingegrenzte Lebensweg und die vom Sozialismus vorgegebene Lebensweise sind nicht mehr existent. Alles scheint möglich und doch scheint nichts erreichbar. So treffen sie sich unter einer Brücke, trinken russischen Wodka und lauschen den Klängen ihres Idols. Man fragt sich, was hinter dem Schleier des Alkohols in den Köpfen der Jugendlichen vorgeht, welchen Weg sie gegangen sind und wie ihr Leben nun aussieht.

Vor der Wende haben wir eigentlich gar nicht so schlecht gelebt“ wirft einer der Jugendlichen ein, lediglich die Bonzen der Führung seien das Problem gewesen. Allen voran Erich Honecker, der sich seine Taschen vollgemacht habe und nach Russland geflohen sei: „Ein ehrlicher Honecker wäre astrein gewesen!“ Also lieber doch keine Wende? Kein Zurück mehr. Die Jugendlichen von damals dürften heute etwa 40 Jahre alt sein, ich wäre neugierig, wie es ihnen heute geht.

Die vollständige Dokumentation, die das Leben einiger Bürger während des Umbruchs porträtiert, ist ebenfalls sehr interessant. Gibt es doch einen genaueren Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt derjenigen, für die sich damals alles änderte. Der MDR hat sie im Zuge seiner Sonderreihe „25 Jahre Einheit“ veröffentlicht.

Cholo Goth – Wie die PRAYERS eine neue Subkultur erschaffen

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Grundsätzlich bin ich ja skeptisch, wenn neue schwarze Trends oder Musikrichtungen aus dem Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten zu uns schwappen. Das amerikanische Verständnis von „Gothic“ entspricht nicht im Entferntesten meiner Auffassung dieser Subkultur, Gothic Kreuzfahrten oder Gothic-Treffen in Disneyland sind nur die gefühlten Spitzen des Eisbergs.

So ähnlich ging es mir auch, als ich mich mit der aus San Diego stammenden Band PRAYERS beschäftigte, dessen Sänger Leafar Seyer (ein Anagramm seiner bürgerlichen Namens Rafael Reyes) von sich behauptet, der erste „Cholo Goth“ zu sein. Musikalisch wirkt die Band wie eine Kreuzung aus Depeche Mode und Snoop Dogg, die sich in ihren Texten mit dem Leben zwischen Gang-Alltag und der innerlichen Qual des Sängers und Autors Seyer auseinandersetzt. Ihr ahnt es bereits, die Neugier gewann das Duell gegen die Skepsis und je mehr ich mich mit der Band und ihrer Musik beschäftige, umso interessanter scheint es zu werden.

Die Videos der Band runden die Sache dann nur noch ab und verwirren zunächst, denn die Mixturen aus Friedhof, Gang-Gehabe, Grufties und tiefergelegten Pick-Ups zusammen mit der visuellen Erscheinung der Band sorgen für die üblichen Schubladen. Ich bin gespannt, ob die Band mit ihrem Gang-Gehabe und der eigenwilligen musikalischen Mischung bei uns auf neugierige Ohren stößt und was unsere Leser von der neuen Subkultur „Cholo Goth“ halten.

Cholo Goth: Kriminelle lateinamerikanische Grufties?

Cholos, so informierte ich mich, nennt man in den Vereinigten Staaten Kriminelle oder Gangster lateinamerikanischer Abstammung. Und Sänger Leafar passt wahrlich meisterlich in diesen Stereotypen. Der inzwischen 40-Jährige ist wegen Überfalls mehrfach vorbestraft und gilt in den USA als sogenannter „2-Striker“, jede weitere Straftat führt unweigerlich zu einem längeren Aufenthalt hinter Gittern. Als Teenager wird er Mitglied einer Gang und eröffnet 1994 zusammen mit seinem Vater San Diegos erstes vegetarische mexikanische Restaurant. Als sein Vater stirbt, übergibt es das Lokal an seinen jüngeren Bruder. Leafar verkraftet den Tod seines Vaters nicht und stürzt sich nach längerer Abstinenz wieder in die Sucht und wird straffällig. Als er 2010 für ein halbes Jahr einsitzt, beginnt er nachzudenken. Er schreibt den Roman „Living Dangerously“ und wird 2010 auch musikalisch aktiv und gründet dann 2013 zusammen mit Dave Parley, der die gleichen mexikanischen Wurzeln wie Leafar hat, die Band PRAYERS.

2014 wird Ian Astbury, Lead-Sänger der Band „The Cult„, auf die Musik der PRAYERS aufmerksam und nimmt sie als Vorband mit auf ihre Tournee. „Cholo Goth“ ist für Astbury die „Speerspitze einer musikalischen Revolution“, wie Leafar in einem Interview mit The Fix verrät:

Ian Astbury (lead vocalist for The Cult) said that it’s „the forefront of the music revolution.“ Cholo goth breaks stereotypes and it’s also my salvation. It’s music for outcasts, like myself. It’s rebellious and forgiving. We are here to shatter societal preconceptions!

Inzwischen scheint Leafar geläutert, hat Drogen und Alkohol abgeschworen und erscheint den meisten, die ihn schon länger kennen, wie ein Wirbelwind der Kreativität. Das spiegelt sich auch in den Werken der Band, denn hier tobt er sich nicht nur musikalisch aus, sondern ist auch für Design verantwortlich. Von Bauhaus, Christian Death, New Order und Joy Division kommt die Musik, die ihn in seiner Jugend beeinflusst. Er wächst mit ihr auf, ohne die Möglichkeit zu erhalten, selber welche zu kreieren, denn Cholos tragen Waffen, keine Instrumente. Er ist ein durch und durch sperriger Charakter, liebt seine eigene Isolation auch innerhalb der Gang-Gemeinschaft: „My homies still like to crack jokes when they get drunk. But that’s okay—I clown them on their weight or whatever the fuck I feel fit to clown them on. I’m a grown man and I know that what I represent is a lot bigger than what other people have lived or will even get to experience in their fucking life. Perfect example: I’ve only been doing music for three years. I’ve only been doing Prayers for 14 months. And a lot of people that didn’t wanna fuck with me in this city, who thought I was a poser, who thought I was fuckin’ joke—not only do they try to be like me now, they try to belittle me by saying, “Oh, hard work pays off.” I say, “No, motherfucker. It’s not hard work. It’s because I’m fuckin’ special.

Für die meisten von uns bleibt das wohl eine schwer zu verdauende Mischung, wenn ein 40-jähriger Gangster-Goth mit mexikanischen Wurzeln das verkörpern möchte, was wir uns im Laufe der Jahre als „Gothic“ zurechtgelegt haben. Was mir zunächst als Cocktail erschien, bei dem sich die Bestandteil partout nicht mischen lassen wollen, ergibt auf eine bizarre Art und Weise Sinn. Gothic ist das, was wir daraus machen und so sind die Musik und die Ästhetik Katalysatoren für die eigenen Emotionen und Empfindung. Die sind natürlich geprägt vom Umfeld, in dem man aufwächst und das war bei den PRAYERS sicher kein leichtes. Und dennoch findet Leafar Ausdruck in seiner Musik und seinem Style und verarbeitet sein Leben in der Gang, seinen Selbstmordversuch oder auch den Tod des Vaters auf seine eigene Art, ohne die eigenen Wurzeln zu leugnen. In der Tat, auf seine ganz eigene Weise fasziniert mich das.

Ob die PRAYERS in der Lage sind, „Cholo Goth“ als Subkultur zu platzieren, halte ich für fraglich, das scheint aber auch nicht das Ziel zu sein. In der Welt aus Schubladen haben sie sich ihre eigene Schublade beschriftet, biedern sich keinem existierenden Stil an und machen ihr eigenes Ding.

Noisey, dem musikalischen Ableger von VICE erzählt Leafar: „This life has many faces. I’m like a diamond. There’s different cuts to me—gang life, music, art—all the things that make Leafar Seyer, without having to be disloyal to one or the other. The cholos have a hard time accepting me because of the part of me that’s gothic. The death-rockers and the goth kids have a hard time accepting me because I’m a cholo. So I have to find my own reality.“ In einer kleinen Dokumentation nehmen die sich dann der Band und dem „Cholo Goth Movement“ an.