Nachdem sich Mitstreiter des Gothic Friday „Svatur Nott“ im Februar-Thema noch zurückgehalten hat, bricht es jetzt – beim großen Musikthema des Gothic Fridays – mit geballter Macht aus ihm heraus. Wir erfahren, wie er vom ersten musikalischen Interesse in Desinteresse verfällt um dann doch noch seinen musikalischen Frühling zu erleben.
Da ich zum Februarthema des Gothic Friday 2016 nichts geschrieben hatte, möchte ich nun einiges davon aufgreifen und mit dem Thema des aktuellen GF zusammenfassen. Denn mein Leben scheint gebunden an Musik… Sie lässt mich nicht los, lässt mich in ihr herabtauchen, verzaubert mich, gibt mir Inspiration und Lebensmut, ist meine Wurzel in dieser Welt, der ich – auch wenn das für manch einen kitschig klingt – mich häufig überdrüssig fühle. Aber gut, dann beginnen wir mal…
Teil 1 – Vom Damals ins Jetzt
Ein kleiner Junge sitzt mit seinen Eltern in einem blass hellblauen Trabbi und fährt durch die Haupteinfallsstraße seiner Geburtsstadt. Das Radio läuft und es spielt ein Lied, welches dieser Knirps sein Lebtag nicht vergessen wird: ‚Enjoy the Silence‚ von Depeche Mode. Wann immer dieses Lied lief, fand ich das toll und sang sogar zuhause, wenn der Vater seine Schallplatten auf den Plattenspieler legte, mit – was für Außenstehende witzig geklungen haben muss, da Englisch zu dieser Zeit noch längst nicht in den Kindergärten der neuen, blühenden Landschaften gelehrt wurde.
Die Zeit verging, es folgten Jahre des totalen Desinteresses, ja Abneigung gegenüber Musik. Auslöser hierfür war mit Sicherheit auch, dass mir das Lernen der Akustikgitarre alles andere als Spaß machte und es mir nach dem Scheitern irgendwie immer wie ein Schandfleck in meinem Leben vorkam, den ich zu vergessen versuchte.
Mit fortschreitender Entwicklung und neu zusammengewürfelter Schulklasse kam nach ein paar harten Jahren wieder positiver Wind auf. Durch Mitschüler kam ich wieder in Kontakt mit Musik, neben Rammstein und den Toten Hosen hatten es vor allem Die Ärzte mir mit ihrem abwechslungsreichen Repertoire an Musik angetan. Neben den Ärzten erhielt ich durch eine LAN-Party weitere Musik, wobei ich beim heimischen Hören öfter bei The Cure hängen blieb, als auch Bekanntschaft mit den Sisters of Mercy machte. Aus dieser Zeit stammt auch meint Lieblingslied von The Cure – A Night Like This. Der Refrain „I want to change it all“ sprach mir in dieser Zeit aus der Seele…
Ich wuchs weiter in der Provinz eines neuen Bundeslandes auf, bis ich vor einigen Jahren in einer Ostseestadt zu studieren begann. Dort wohnte unter anderem auch eine Freundin aus Schulzeiten, zu der ich ab und an Kontakt hatte. Wir besuchten zusammen musikalische Veranstaltungen, v.a. metallische, redeten unter anderem über unsere Musikgeschmäcker und sie erzählte mir das erste mal, dass es so etwas wie eine Gothic-Szene gibt. Sie meinte dann zu mir, ich könne sie ja mal begleiten, da sie ungerne alleine gehen würde.
Eines Abends war es dann soweit. Wir gingen zusammen in die nahe gelegene Lokalität und betraten den Raum mit den großen schwarzen Vorhängen und den Kerzenleuchtern. Ich war beeindruckt, fühlte mich zwar fremd, aber doch irgendwie wohl. Die Musik, die da gerade spielte, kannte ich nicht. Sie war wie Techno, nur härter, wechselte aber später zu metallischen Sachen und dann auch zu Liedern, die ich auch kannte: Neben Hellektro, NDH & Mittelaltermetal/-rock, die für mich komplett Neuland waren, hörte ich seit Jahren wieder The Cure, die Sisters und dann auch noch Depeche Mode. Ich war hin- und weg. Einerseits von dem Harten Elektro, der mir wie ein Ventil für den seinerzeit aufgestauten Frust war. Andererseits war da das Altbekannte, was ich hier von mir aus nie verortet hätte…
Nun begann die längst nicht abgeschlossene Phase des Musikentdeckens – so man denn von einer Phase sprechen will, da dies ja ein Ende impliziert. Einer der Besucher jener ersten Veranstaltung gab mir in der Folgezeit einen Batzen neuer Musik, unter denen sich mehrerlei befand:
Darunter zum einen den 5-CD-Sampler Gothic Rock – The Ultimate Collection, den ich rauf und runter hörte. Diese Gitarren, diese Theatralik, diese Texte erschufen mir Atmosphären, die mich bis heute nicht loslassen… Seien es Bauhaus, The Bolshoi, Gene Loves Jezebel, Siouxsie & The Banshees, Christian Death, Fields Of The Nephilim, Alien Sex Fiend, Play Dead, Corpus Delicti, Xmal Deutschland, Mephisto Waltz, Faith And The Muse oder New Model Army, in Gesellschaft von Cure und Sisters: Gothic Rock & Post Punk sind meine musikalische Heimat geworden, die beständig mit neuen, unbekannten Interpreten bereichert wird.
Zum anderen hörte ich das erste mal ernste Musik mit stark lyrischen deutschen Texten, sehr emotional und gleich einem düst’ren Schauspiel. Das Ich hatte das Interesse an der NDT geweckt und bescherte mir durch Suche in der Folgezeit ähnliche Künstler, wie Relatives Menschsein, Misantrophe, Goethes Erben, Lacrimosa oder Endraum.
Auch durch die Gabe von jenem Unbekannten fand ich großen Gefallen an elektronischer Musik, welche, abgesehen von 80er-Synthi-Sachen wie Depeche Mode oder Visage (deren „Fade To Grey“ mich auch schon lange begleiten) komplettes Neuland für mich war. EBM & Elektro wurden nun erforscht, mit dem Erfolg, dass ich mich nach kurzem Ausflug in den Hellektro-Bereich im DüsterEBM/DarkElektro und Elektro-Industrial wiederfand: YelworC, Frontline Assembly, Mentallo & The Fixer, Abscess, Placebo Effect oder Calva Y Nada stillten meine Gier.
Zu jedem Zeitpunkt war das Internet DAS Hilfsmittel für mich, Neues zu entdecken. Besonders nach Beendigung des Studiums während eines 3/4-jährlichen Interludiums, bei dem ich wieder in der Provinz landete und nur spärlichen Kontakt mit anderen Menschen gleicher Wellenlänge hatte. In der Zeit vertiefte ich meinen neuen, stark erweiterten Musikgeschmack.
Der Pause vom Leben schloss sich dann ein zweites Studium an, nun in einer anderen Ecke Deutschlands. Durch fortwährende Suche (u.a. auch im Spontis-Blog) und auch durch Austausch mit neu in mein Leben getretene Menschen kam ich in den Genuss von Neoklassik (Dead Can Dance, Ataraxia, Der Blaue Reiter), Ethereal (Cocteau Twins, Lycia), Deathrock (Cinema Strange), Minimal Wave (Nachtanalyse), Elektro Wave (The Frozen Autumn, Kirlian Camera, Fortification 55), Neo-Postpunk (She Past Away, Frank The Babtist), NDW (Grauzone, Die Perlen) Neofolk (Death In June), Synth Pop (The Dust Of Basement, Welle:Erdball), Ritual (Coph Nia), Dark Ambient (Nordvargr, Lustmord). Es wären noch zig Vertreter mehr zu nennen gewesen, ich habe versucht, es mal auf die meistgehörten zu beschränken.
Durch den Umzug bekam ich nun die Mittelalter-Ecke auch direkt zu Gesicht, jedoch ist ist bis dato im Groben akustisch uninteressant für mich geblieben (Ich hasse 95% der Dudelsäcke in den Liedern, bah). In den Industrial hatte ich zwischendurch auch reingehört, jedoch gab es eindeutig andere Genres, welche bedeutend lieber in meine Ohren kriechen wollten. Die Spielarten des Metal verloren mit dem Eintauchen in die „schwarze Musik“ rasch immer mehr an Gewicht und sind heute nur noch ab und an mal auf dem digitalen Plattenteller, NDH, sprich Rammstein, gar nicht mehr. Elektro mit Techno-/Trance-Einschlag höre ich privat nach wie vor ziemlich selten, gute Stücke sind in der Schwemme heute nur mit der Lupe und viel Zeit zu finden. Und letztere habe ich dafür nicht.
Teil 2 – Die Tiefe des Klanges
Grundsätzlich muss es bei mir Klick machen. Ich merke eigentlich ziemlich schnell, wann ich ein Lied mag, jedoch ist es schwierig dies an Merkmalen festzumachen. Sagen wir es so: Es gibt Klänge, die bei mir die Wahrscheinlichkeit steigen lassen, ob ich ein Lied mag, oder nicht: Auf der einen Seite stehen die 80s- & 90s-Synthesizer, bspw. als weiche Teppiche im Hintergrund. oder Rythmus gebend und melodieführend. Auf der anderen Seite sind es vor allem effektreiche & unverzerrte Gitarren (Delay, Chorus, Reverb -> Atmosphäre!), welche aufgelöste Akkorde spielen, oder aber auf hektischere Art und Weise (punkig). Gerne kann es auch eine Mischung aus Alldem sein. Und dann gibt es natürlich noch den Gesang, der dazu passen sollte. Ob nun tief, wie bei den Fields, weich und sanft wie bei den Cocteau Twins, schrill wie bei Siouxsie, oder klagend wie bei Sopor Aeternus und Cinema Strange, ich habe keine Präferenzen.
So bleiben noch die Texte. Ich würde lügen, wenn ich behaupte, bei jedem Lied auf den Text zu achten, jedoch ist für mich ein ansprechend formulierter Inhalt das Sahnehäubchen auf einem gelungenen Lied.
Beispiele prägender Texte gäbe es für den geneigten Leser einige. Mir schwirren einige Texte von bspw. Christian Death, Big Electric Cat oder Calva Y Nada im Kopf herum, ich habe mich hier an dieser Stelle auf zwei Favouriten beschränkt, die für auf ihre Art zeitlos berührend sind:
Cinema Strange – Catacomb Kittens
She spent the night alone with body bruised
And skirts asunder. He found his sister in
The morning, soaking in a puddle. “Let’s run
Away”, she said, “he beats us both incessantly.
I know a place beneath the city where we’ll
Stay forever lost. I’ve seen the waifs emerge
From the underground. They roam the
Catacombs and everywhere underneath. We
Could live secretly, away from society!”
Away after sunset, they tumbled through the
Darkened city, searching for cold grates with
Bars agape like twisted teeth and jawbones
Pulled wide and cracking. Wet and talking
Wind forbade them! ”Just shut your ears”, she
Said. “Orphans are surrounded by these
Things. Hold my hand, I’ll lead you below!
We’ll find an alcove and no one will know
About us! We will live secretly, away from society!
They wet their tiny kitten paws on rotting rocks and
Water. They skinned their whiskers digging deep
Where darkness settles into corners and tooth
Marks, sightless eyes and sunken ceilings. Sentient
Depths awake and noticed them; they started
Screaming. “Let’s hurry back”, she said, “before
We are swallowed! Run now, my darling child!
I’ll be sure to follow closely! We must hide
Desperately, away from monstrosities!”
(Den Rest vom Text gibt es bei Cinema Strange)
Eine so wundervoll erzählte kleine Gruselgeschichte, zu der beim Hören immer ein Film in meinem Kopf abgespult wird…
Das Ich – Jericho
War nicht dort dein Lebenspart
War nicht dort der Mann auf der Straße
Jeden Tag auf dem Zeitungspapier
Im Vorübergehen der Hut, der nie gefiel
Fast stolpernd ein Stück aus seinem Beutel wirft
Und gut sein glaubt
Lacht und sagt:
Solches will ich eins noch denken
Und den Kindern meiner Wege
Auf den richtigen Pfad der Tugend werfen
daß sie niederfielen, im Dreck versunken nach
Dem Leben rufen
Ungetrügt sich sicher fühlt
Als wär‘ man ausgefallen
Und sicher seiner Selbst
Weil jeder kann sich eigens strafen
Muß dem anderen aus gefallen danken
Um besucht zu werden von all den röchelnden
formlosen Fragen um Selbstvertrauen
Lacht und sagt:
Halt dich gut so lang du kannst
Dein Vater war und du sollst sein
Wie jeder, den du glaubst nur Feindbild sei
Und dich bekämpft
Umsonst ist angestrengt, um lernen lernen
Nicht verschlafen
Ein schwieriges Thema in viele Metaphern gepackt. Hier muss ich immer an zwei Obdachlose denken, die in meiner Stadt häufig am Bahnhofsgelände sind. Die Blicke der Passanten triefen, wenn sie nicht ignorieren, nur so vor Verachtung und Ekel. Ich finde das widerlich und zugleich traurig und in mir beginnt dann immer wieder von Neuem die Diskussion über das Warum…
Teil 3 – Brotkrumen im Walde…
Welche unterbewerteten und/oder unbekannten Musikprojekte möchte ich euch ans Herz legen? Puh, das ist verdammt schwierig, dennoch will ich es mal mit Gruppen versuchen, die nach wie vor aktiv sind:
- Lycia – Dieses Musikprojekt aus den Vereinigten Staaten macht schon seit 1989, mit Sicherheit inspiriert durch die Cocteau Twins, Ethereal, teils versetzt mit Ambient. Wer ruhige Musik mag, kann da bedenkenlos zugreifen.
- Endraum – Existierend seit Beginn der 90ern und ebenfalls ruhig, besticht durch eine Symbiose aus weichen, atmosphärischen Synthie-Klängen und lyrischen, gesprochenen Texten. Was für die Abendstunden.
- She Past Away – Türkisches Dark Wave-Duo. Auch wenn man den Text nicht versteht, wird man irgendwie mitgerissen. Eine tanzbare Mischung aus Synthie und Gitarre.
- The Frozen Autumn – unbeschreiblich schöne Musik aus Italien, dazu gibt es nichts weiter zu sagen außer: Anhören!
- Autodafeh – Moderner und eingängiger EBM aus Norwegen, könnte sich für Freunde stampfender Musik lohnen.
- Der Prager Handgriff – EBM mit gesellschaftskritischen, deutschen Texten, gibts schon spätestens seit Anfang der 1990er. Nix mit ausschließlich Arbeit, Stahl und Muskelschweiß.
- Der Blaue Reiter – Neoklassik trifft Dark Ambient, hervorragende Musik aus Spanien. Kann gerade zu Abendstunden ziemlich bedrückend werden.
Zu guter Letzt an dieser Stelle: Cinema Strange – Die Texte, die Stimme, das verspielte, schräge/obskure Element in dieser Musik… Deathrock at its best. Aktuell aufgrund Lucas Lanthiers Projekt „The Deadfly Ensemble“ pausiert, spielt CS aber auf dem WGT 2016.
Ich entdecke nach wie vor neue Musikprojekte für mich, könnte noch eine Unmenge weiterer Tips aufzählen, will es aber mal dabei belassen. Und nun, da dem Leser bestimmt schon fast die Augen zufallen, zum Finale die fünf Tops und Flops (wo es verdammt schwer war, sich an die 5 zu halten). Da ich mich ab und an auf musikalischen Veranstaltungen herumtreibe, gibt es einige Songs, die ich echt nicht mehr hören kann – totgespielt eben. Auch wenn ich sie mit Ausnahme des ersten Lieds durchaus schätze. Darunter fallen…
Flop 5 (schon länger):
- Das Ich – Destillat
- The Sisters Of Mercy – Temple Of Love
- Sex Beat – Sex Beat
- The Mao Tse Tung Experience – Irregular Times
- The Eternal Afflict – San Diego (The Tragical)
Top 5 (aktuell)
- Paralisis Permamente – Autosufisiencia
- Hertzinfarkt – Teufel’s Tänzer
- Acid Bats – Posession
- Play Dead – This Side Of Heaven (Extended Version)
- Placebo Effect – Slashed Open
und letztlich die Ewigen Top 5
- Fields Of The Nephilim – Wail Of Sumer
- Christian Death – The Luxury Of Tears
- The Frozen Autumn – Static Cold
- YelworC – Blood In Face
- Das Ich – Gottes Tod