Wochenschau #6/2018: Zwischen Verschwendung und Knappheit – Wer hat an der Uhr gedreht?

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Der Jahreswechsel steht vor der Tür und die Zeit der Besinnlichkeit weicht der Zeit des individuellen Jahresgefühls. Wie ist es gewesen, das 2018? Die Wahrnehmung des Einzelnen hängt wohl an unzähligen Erinnerung und Emotionen, die manchmal von globalen Einflüssen, aber auch häufig genug von eigenen Befindlichkeiten geprägt und gefühlt werden. Benennen wir lieber, was ich 2018 am meisten vermisst habe: Zeit. Die grauen Männer waren gierig und haben sich – völlig subjektiv versteht sich – all meiner Freizeit bemächtigt. Eigentlich waren es aber die Zeitfresser, die sich willentlich oder unwillentlich in das Leben geschlichen haben. Womit wir beim Thema wären. Zeitfresser sind nämlich nicht wirklich schlimm, im Gegenteil. Einen Tag mit seinen Lieblingsfilmen verbringen? Was anderen wie Luxus vorkommt und mir – geschnürt aus diesen Vorwürfen – wie Zeitverschwendung, ist doch im Grunde das, was ein tolles 2018 erst ermöglich hat. Machen wir uns nichts vor: Trotz aller Melancholie und Weltschmerz im Hinblick auf jüngste globale Entwicklungen, ging es uns doch prima. Die explodierende Nutzungsdauer der Mediatheken, von Netflix, YouTube oder Twitch sprechen da eine ganz deutliche Sprache. Vielleicht habt ihr ja noch ein bisschen Zeit, euch durch die Wochenschau zu klicken. Es lohnt sich.

Schläfst du eigentlich im Sarg? Vom aufregenden Leben als Grufti | Osnabrücker Zeitung

Autorin Melanie Heike Schmidt bezeichnet sich selbst als Grufti, obwohl sie – wie sie selbst sagt – Messdienerin war und auch keinen Sarg zu Hause stehen hat. Für einen Artikel der Osnabrücker Zeitung gibt sie ein wenig Einblick in „ihre“ Szene und Leben als Grufti, ihre Sichtweise und ihre Sorgen: „Allerdings ist die Subkultur in Gefahr. Sie wird unterwandert, fasert aus. Immer mehr Nicht-Szene-Leute entdecken die schwarzen Festivals für sich, wo es viel zu erleben und noch mehr zu gucken gibt. Die Schau-Werte auf den Szene-Treffs sind enorm, was Medien und Hobbyfotografen anzieht wie Motten das Licht. Hier tummeln sich auch Mode-Gruftis, die mit Musik nichts mehr am Hut haben, sowie Gothic-Blogger, die auf YouTube teils Hundertausende Abonnenten zählen und sich dort als Über-Gruftis inszenieren. Doch es gibt eine Gegenbewegung: Solche, die sich auflehnen, die kleinere Festivals, Konzerte, Partys oder Lesungen organisieren und so dem Gothic-Mainstream ein schwarzes Schnippchen schlagen. Es ist unklar, wohin diese Entwicklung führt.

Searching for the True Meaning of Goth in 2018 | Noisey

Ziemlich klarer Blick auf das, was wir so als Szene auserkoren haben. Denn schon wieder wurden wir totgesagt oder als Modeerscheinung gebrandmarkt. Punk sei angeblich die letzte der „echten „Subkulturen. Der Autor und meine Wenigkeit sehen das anders: „I felt unexpectedly sad on the journey home, already mourning my return to the dullness of non-goths and their light-wash jeans. But overall, my perspective of goth after three days of full immersion confirmed what I knew deep down already: that Goth in 2018 is the same as it’s always been. It’s not really about how many skulls you wear on a daily basis – although obviously the more the better – but about celebrating creativity and self-expression in whatever form that takes. And because of this general openness and elasticity, goth essentially has the potential to be immortal.

Gothic-PTA: Endlich Mama mit 40 | Apotheke Adhoc

Die deutschen Apotheken haben ihre Vorzeige-Gothic-PTA verloren. Doch nicht etwa an ein anderes Unternehmen, sondern eine andere Szene. Claudia Knaus, die Pharmazeutisch-technische Assistentin aus dem Baden-Württembergischen Angelbachtal, ist mit 40 Mutter und Reggae Girl geworden. Berichtete Spontis 2015 noch von der Gothic-PTA mit der schwarze Seele, so hat sie nun eben diese an die jüngst zum Weltkulturerbe erklärte Reggae-Musik verloren. „Doch wie so oft, ändert ein Kind so einiges. Das war auch bei Knaus so. Die PTA hat jetzt mit 40 Jahren ein Kind bekommen. „Ich falle immer noch auf, aber eher durch meine ruhige, freundliche und offene Art“, sagt sie. Zwar habe sie immer noch ihren eigenen Stil, doch der wird heute von den Menschen positiv bewertet. Wie ein Grufti sieht sie heute aber auch nicht mehr aus: „Mittlerweile bin ich ein Reggae-Girl. Das hat sich durch meinen Freund ergeben, der diese Musik Richtung hört.““ Durch ihr Kind, so Knaus, hat sich die Leere in ihrem Leben mit Inhalt gefüllt. Wir sind gespannt, mit welcher Verkleidung uns die Selbstinszenierung-PTA in einer der nächsten Wochenschauen beglückt.  (Danke an Mone vom Rabenhorst)

Vampir-Bestattung gegen Malaria | Schemenkabinett

In der italienische Region Umbrien entdeckten Archäologen ein Kinderskelett mit einem Stein im Mund auf einem Friedhof, auf dem vor Hunderten Jahren Malaria-Opfer begraben wurden. Das Schemenkabinett nimmt sich der Sache an und berichtet: „In dem nun entdeckten Grab stießen die Archäologen hingegen auf das Skelett eines rund zehn Jahre alten Kindes. Es ist somit das mit Abstand älteste Kind, das bislang auf dem Friedhof gefunden wurde. Doch das ist beileibe nicht das einzig Ungewöhnliche an dem Fund: In dem weit aufgesperrten Kiefer des Kinderskelettes befand sich nämlich ein großer Stein. Die Forscher vermuten, dass der Stein gezielt im Mund des verstorbenen Kindes platziert wurde, um es davon abzuhalten, von den Toten zurückzukehren.

The Beauty Of Gemina im Interview: Michael Sele über die Dramaturgie der Stille | Gruftbote

Der Gruftbote hat sich in Berlin mit Michael Sele getroffen, um sich mit ihm über die Band, ihre Musik, die Schweiz und auch (Un)-Berechenbarkeit in ihrer Musik zu unterhalten. „Gruftbote: In einem Schweizer Blog haben wir über Eure neue Platte gelesen: ‚The Beauty of Gemina sind endlich wieder unberechenbar.‘ Michael: Ja, das habe ich auch gelesen. Das finde ich spannend. Es suggeriert natürlich, dass man vorher quasi berechenbar gewesen wäre. Diese Meinung teile ich aber nicht. Ich denke, wir haben unseren Fans immer wieder einiges zugemutet. Da kam zum Beispiel unser Song „Dark Rain“ mit den Country-Einflüssen und alle sagten: Das kannst Du nicht machen. Wir haben es dann damals beim Amphi Festival ausprobiert, weil wir uns gesagt haben, wo, wenn nicht hier? Und alle waren begeistert. Das neue Album hat auch wieder besondere Stücke, etwa „Suicide Day“, mit einer fast apokalyptischen Stimmung. Das Album wird insgesamt als ziemlich düster eingestuft.

Norwegian Crash Course | Caroline Sometimes

Die quirlige Caroline ist nicht nur Grufti, sondern auch mit Herz und Seele Norwegerin und möchte uns im düsteren Alltag ihre Blogs einen kleinen Einblick in die norwegische Kultur und den dortigen Sprachgebrauch geben: „We celebrate on the 24th, and we eat “ribbe“ (pork ribs) and / or “pinnekjøtt“ (literally “stick meat“, salted and dried ribs of sheep). Other foods we eat is julepølse (sausages), medisterkaker (fatty meatballs), and, yes; lutefisk. Earlier in the day we often eat rice pudding, and it’s tradition to put an almond into it, and the person who gets it wins a prize (usually a marzipan pig). In the evening some people go around the tree and sing songs, and children might have “santa“ visit. We call santa claus “julenissen“, and we also have “nisser“, which I guess are mischievous elves? They sell tons of creepy little dolls here. Anyway, then we open presents. This is very much a family day, you usually don’t celebrate with friends.“ Neben Erklärungen zu Weihnachten gibt es auch eine ausführlicher Erklärung des norwegischen Wortschatzes abseits der gedruckten Übersetzungen.

Ad Vitam – Wenn Selbstmord zur Rebellion wird | ARTE

Im Augenblick ist diese In einer neuen 6-teiligen Science-Fiction-Serie des Senders ARTE ist die Menschheit unsterblich geworden. „Die Wahrheit ist doch, dass wir keine Kinder mehr brauchen.“ Ein Gruppe von Jugendlichen begeht kollektiven Selbstmord und ein Kommissar ermittelt in den Kreisen der Sterblichkeitsfanatiker. Verkehrte Welt? Ein spannende Kurz-Serie, die die Frage aufzuwerfen scheint, was das Leben wert ist, wenn wir alle unsterblich sind? Anmerkung: Zum Zeitpunkt des Sammelns von Links für diese Wochenschau war die Serie online verfügbar, im Moment ist sie aber auf alle Kanäle verschwunden. Ich hoffe es handelt sich um ein kurzfristiges Phänomen.

https://www.youtube.com/watch?v=D9bW49F0SZ4&list=PLDaIgKHTp4nA1vvHjx7Hi3WnO4xh_lEwF

An animated History of Siouxsie and the Banshees | Post-Punk

https://youtu.be/IuOu8rdCaww

Gegen den Weihnachtskitsch auf den Flimmerkästen – Dokumentationen rund um die Szene

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Grelle Lichterketten zerschneiden das trübe Licht des Tages. In einem Vorgarten blinken die Lichter eines rosa Weihnachtsmannes und eines grünes Rentieres hektisch um die Wette und blenden den Betrachter. Ein angeheiterter Weihnachtsmann im schlecht sitzenden Kostüm stampft eilig mit einem Christkind, das gerade im Begriff ist Flügel und Perücke zu verlieren, durch die Gassen. Last Christmas zerreist die seltsame Stille. Hinter den Wohnzimmerfenstern geben sich die ersten Nostalgischen mit „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ oder „Der kleine Lord“ ganz dem visuellen Weihnachtstraditionskitsch hin. Irgendwie so gar nicht gruftig die ganze Angelegenheit. Wer aber auf den dunklen Aspekt des Lebens auch an Weihnachten nicht verzichten und sich visuell etwas Schwärze oder Synthesizerklänge zuführen möchte, dem legen wir hier eine Reihe von durchaus diskussionswürdigen Dokumentationen und Einblicken rund um „die Szene“ ans schwarzschlagende Herz.

Welcome to the 80’s: Gothic, Industrial und Black Metal

Die viel gelobten 80er sind und bleiben ein Dauerbrenner in der schwarzen Szene. Zum Zeitvertreib um die Feiertage haben wir eine zugegebenermaßen schon etwas ältere Dokumentation über diese verheißungsvolle Zeit ausgegraben. In ihr kommen bekannte Figuren der damaligen Zeit zur Sprache und versuchen ihre ganz eigenen Erlebnisse und Ansichten in Worte zu fassen. Alle weiteren Teile finden sich hier: Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6.

Es gibt übrigens aus dieser Reihe noch weitere Dokus, die bereits auf Spontis verewigt wurden: Post-Punk und Neue Deutsche Welle, Synthpop und New-Romantics und für alle die über den Tellerrand schauen wollen: Rap, Breakdance und Graffiti

Synth Britanna

Wir bleiben in den in der Vergangenheit und wenden uns Großbritannien und dem Vormarsch der Synthesizern zu. Elektronische Klänge auf dem Weg in die Zukunft. Auch hier berichten Zeitzeugen von ihrer Wahrnehmung. Gespickt ist das ganze mit einer Reihe von Hintergrundinformationen. Kleines Manko: die Doku ist auf Englisch.

Regensburger Gothic Treffen 2011

Das Wave Gotik Treffen ist wohl allen ein Begriff, aber was ist eigentlich mit dem Regensburger Gothic Treffen, das schon wieder von dern Bildfläche verschwunden ist? Nur Namensklau und Kopie? Warum es das RGT nicht mehr gibt erfahren wir in der Doku nicht, allerdings sollen sowohl Musiker und Vermieter von den Veranstalter geprellt worden sein. Hinterlassen wurden Chaos und ein schlechter Ruf. Im Video sieht man natürlich nur die Veranstaltung garniert mit Eindrücken und Stimmen aus der schwarzen Szene.

A Light in the Darkness

https://www.youtube.com/watch?v=1S8r6azhNLM

„Gothmom“ Donna Sheehy spricht über ihre Gothic Glaubensgemeinschaft Graverobbery Ministry in der sich christliche Gothics zusammenfinden um ihren Glauben zu teilen und das Treffen, dass sie in Ohio, USA auf die Beine gestellt hat. Was bedeutet Gothic für die Teilnehmenden? Wie integrieren sie Gott in ihre Weltbild? Welche Erfahrungen haben sie in christlichen Stino-Glaubensgemeinschaften gesammelt? Goth und Gott, geht das überhaupt zuammen? Auch hier: leider nur auf English verfügbar.

Gothics in den 1990ern

Zugegeben sehr alt und von sehr schlechter Qualität, aber auch sehr kurzweilig. Hier sind drei Beiträge zusammen geschnitten worden. Zuerst begleiten wir Michael Kämpfer (Inhaber des Art of Dark und Mitautor von Anektötchen und anderen Zwischenfällen). Mit Robert Smith – tönt die Stimme aus dem Off – fing alles an. Na, das Senderlogo am oberen Rand lässt mich doch gleich mal an der gründlichen Recherche zweifeln. Wobei, fing es bei euch mit Robert Smith an?
Im Folgenden sehen wir einen Beitrag der Schwarzkittel in Wien 1996 begleitet. Deutschland ist für die Befragten damals das gelobte Land, in dem für Gruftis alles besser ist. Die „Szenestars Rammstein“ haben sie trotzdem in Österreich besucht…
Der letzte Beitrag befasst sich wohl mit einem der Liebslingsthemen der 90er Jahre: Satanismus. Konnte damals wohl nicht genug beschrien werden. Grabschändung, Tiertötung, Menschenopfer und sicher tragen die Täter auch alle schwarz…Leider endet der Beitrag dann unvermittelt und ist von der Aufnahmequalität sehr schlecht. Aber, ist das Satanistenklischee heute noch so präsent wie damals?

Formel Goth – Premiere für ein frisches Beitragsformat für Musikvideos!

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Video Killed The Radio Star“ machte die Buggles 1979 berühmt und entwickelte sich im Laufe der nächsten Jahre zum Sinnbild für den stetigen Wandel der Musikindustrie. Als MTV dann begann, Musikvideos am laufenden Band durch den Äther zu schicken, schien die Prophezeiung der britischen Band in Erfüllung zu gehen. Von den düsteren Prophezeiungen ist nicht viel geblieben, denn die meisten Medien haben gelernt, miteinander zu koexistieren. Heute sind Musikvideos der Bands, die hauptsächlich über YouTube Verbreitung finden, eine großartige Möglichkeit, sich selbst und seine Musik mit einer visuellen Attitüde zu präsentieren. In der Flut der visuellen Reize versucht das neue Format „Formel Goth“, euch alle paar Wochen ein paar Reize in Form von eben solchen Videos mit auf den Weg zu geben. Dabei steht nicht ausschließlich die Musik im Fokus, sondern vor allem auch die visuellen Umsetzung.

VV & The Void – Idol Worship

Inspiriert vom Film „Der Golem“ von Paul Wegener, hat Valentina Veil, die australische Frontfrau der Darkwave-Formation, ihre Interpretation des Films und den Song „Idol Worship“ zaubern lassen.

Sofia Portanet – Wanderratte

Eigentlich hätte das Video und der Song der Band „Sofia Portanet“ einen Ehrenplatz verdient. Frech und ungehemmt wird da die Kanüle in die Vene der 80er gerammt, während im Hintergrund Zimmermänner auf der Walz einen kultischen Tanz vollführen. Knaller.

Boy Harsher – Fate

Die Band sagt: „Fate is your own trouble, a magnetic force that’s stuck on you forever.“ Der Trick ist – so sagt Spontis – die Polarität umzukehren um sein vermeintliches Schicksal von sich zu stoßen. Was jedoch besser ist, müsst ihr selbst herausfinden.

Feedback erwünscht! Zu viele Videos? Zu wenig Videos? Falsches Format? Top 5, Top 3, Top egal? Uninteressant? Wie wäre es mit einer „Worst/Best“ Sammlung von Videos? Vielleicht auch eine Ecke für „Bizarres“? Wie wäre es mit einer monatlichen Umfrage? Gestaltet Formel Goth nach Euren Wünschen. Wir sind gespannt auf Eure Ideen.

Bücher im Szene-Check: „Der schwarze Teufel“ von Pia Lüddecke

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In der Vergangenheit bekamen wir immer wieder Anfragen von Autoren und Verlagen, ihre geschriebenen oder verlegten Werke zu rezensieren. Ausnahmslos alle Anfrage schwingen in einem freundlichen Tenor der es mir fast unmöglich machte, abzulehnen. Weil ich es absolut nicht hinbekomme, soviel zu lesen wie ich möchte, musste ich mir Hilfe suchen. Das hat leider eine ganze Weile gedauert, doch das alles zu erzählen, würde den Rahmen sprengen. Glücklicherweise hat sich Regin Leif, die einige von Euch bereits vom Spontis-Treffen her kennen oder durch ihre Expertisen als Archäologin von ihr gelesen haben (sie schrieb einige Artikel für den Dark Spy), bereit erklärt für Spontis zu schmökern und dem Werk von Pia Lüddecke auf den Zahn zu fühlen. Auch der Frage, ob „Der schwarze Teufel“ mit der Szene zu tun hat, ist sie nachgegangen, schließlich muss es ja einen Grund haben, warum man Spontis solche Werke anbietet.

Zur Autorin (aus der Biografie kopiert): Pia Lüddecke wurde 1981 in Recklinghausen geboren und brachte ihre ersten fantastischen Geschichten schon als Kind zu Papier. Nach dem Abi studierte sie Germanistik und Anglistik an der Ruhr-Universität Bochum und der University of Newcastle upon Tyne und verfasste ihre Magisterarbeit über Goethes ›Faust‹. Seit 2009 ist sie als Redakteurin für die Stadtmagazine Witten, Castrop-Rauxel, Lünen und Hagen tätig.

Regin Leif liest

Bei dem Buch „Der schwarze Teufel“ handelt es sich um ein modernes Märchen für Erwachsene in drei Abschnitten – nein, es ist tatsächlich kein Kinderbuch. An einigen Stellen wird die Geschichte mit feinem schwarzen, tiefgründigen Humor gespickt und an sich handelt es sich eben nicht um ein klassisches Märchen. Denn der Ort, an dem das Märchen spielt ist der sogenannte Schultenhof im westfälischen Nirgendwo, der im 19. Jahrhundert als Psychiatrie diente. Zeitlich lässt sich die Handlung ins 20. Jahrhundert stellen. Die Hauptprotagonistin ist Claudia, die mit ihren Eltern Luise und Heinrich, mehr schlecht als recht den Hof als Einsiedler bewirtschaften. Claudia kam in der Walpurgisnacht zur Welt, könnte somit ein Wechselbalg sein. Um dann noch mehr dem Klischee einer Hexe zu entsprechen, hat sie auch noch rotes Haar und natürlich magische Kräfte – naja nicht immer und vielleicht auch nicht immer die passenden.

Das Buch ist in drei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil erfahren wir Claudias ersten sieben Lebensjahre und wie sie mit dem Teufel ein Bund schließt. Wobei man dabei schon einmal anmerken sollte, dass sich der Teufel als Hase in das Leben von Claudia „schleicht“. Im zweiten Teil ist sie bereits 12 Jahre alt und erfüllt die Wünsche eines Gespenstes, was ihr zum Nachteil kommt. Und im dritten Teil verliebt sie sich in einen Piratenprinzen, dem sie in seine Zauberwelt folgt. Nach dem Kampf mit einer Vampirfee bleibt diese Liebe jedoch unerfüllt. Der Epilog führt den Leser wieder zurück ins 19. Jahrhundert, wo Claudia in der Psychiatrie als Patientin behandelt wird – dem Leser bleibt also offen, ob es sich dabei wieder um einen Zeitsprung handelt oder ob das gesamte Märchen nur ein Gespinst einer verrückten Person war.

Die Frage, ob nun solche  Literatur tatsächlich eine Art thematische Verbundenheit zur Szene aufweist. Tja, da stellt sich mir doch eher die Gegenfrage: was macht den Szene-Literatur überhaupt aus? Gibt es gar Literatur, die nur für die Szene ist? Ich denke es ist eben so ähnlich wie mit der Musik. Schubladen funktioniert auch mit Literatur nicht und so konnte mich ein hasenartiger Teufel genauso wenig überzeugen wie eine vampireske Fee. Aber wären dann ein echter Fantasy-Schinken à la „Der Herr der Ringe“ oder ein Thriller à la Stieg Larssons Verblendung eher der Szene zuzuordnen? – Weil nicht real und blutrünstig – Ich weiß es letztendlich nicht. Klischees funktionieren einfach nicht immer und schon gar nicht mit Lesern, die durchaus anspruchsvoller Kost mögen und eher in eine echte Fantasy-Welt abtauchen möchten. Aber Geschmäcker sind glücklicherweise verschieden, wobei das nun nichts mit der Szenezugehörigkeit zu tun hat.

Persönliches Fazit: Mich hat das Buch nicht so wirklich gefesselt. Dazu waren mir die Sprünge vom klassischen Märchen zu recht abstrusen Übertragungen von märchenhaften Begebenheiten in die Gegenwart doch etwas zu viel. Nichtsdestotrotz es ist kurzweilig und durch die Unterteilung in drei Abschnitte lässt es sich gut und schnell lesen. Ich vergebe 3 von maximal 5 Sternen.

InformationenPia Lüddecke (mit Illustrationen von Vera Möhring)  – Der schwarze Teufel, Ventura Verlag 2017 (2. Auflage), ISBN: 978-3-940853-43-1, Preis: 11 €.

Die Autorin Pia Lüddecke mit ihrem Werk „Der schwarze Teufel“, das bereits 2016 erschienen ist und 2017 in zweiter Auflage an mich herangetragen wurde. Endlich haben wir es geschafft eine Rezension auf die Beine zu stellen.

Wie Kinder den Tod begreifen und verstehen sollen – Pädagogischer Tabubruch in der KITA?

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Ich arbeite in einer Kindertagesstätte (Kita) und entdeckte dort vor eine Weile das Buch „Tod – Projekte mit Kita-Kindern„, dass mein Verständnis vom vermeintlichen Tabu-Thema Tod gehörig durcheinandergewirbelt hat. Offensichtlich ist die Verdrängungskultur, mit der auch ich aufgewachsen bin, einem eher alternativen Ansatz gewichen, der auf das Verstehen und Begreifen setzt. Wächst damit eine neue Generation heran, die sich mit den Schattenseiten des Lebens von einer ganz anderen Seite nähert? 

(c) Wamiki-Verlag – Erika Berthold und Gerlinde Lill: Tod – Projekte mit Kita-Kindern

Doch eins nach dem anderen. Seit ich im Spätsommer dieses Jahres das Buch entdeckte, spukte das Thema in meinem Kopf herum. Nach einem Schriftwechsel mit Robert über das Buch und seinen Inhalt, habe ich mich dann dazu entschlossen, meine Gedanken dazu in einen Artikel zu schreiben. Jetzt im Dezember, wo es wieder dunkler und trüber draußen wird und man auch wieder mehr Muße zum Sinnieren und für Melancholie entwickelt, erscheint es mir passender als in der langen, heißen und sonnigen Zeit, die wir hinter uns haben.

Mehr durch Zufall entdeckte ich also ein Sonderheft zum Umgang in meiner Kindertagesstätte mit dem Thema „Tod“, welches mich sehr erstaunt hat. Ich hatte schon von der Wanderausstellung „Erzähl mir was vom Tod“ gehört, die das Thema Tod für Kinder sehr anschaulich und spielerisch erklärt, Probeliegen im Sarg inklusive:

„Omas und Opas kommen mit ihren Enkeln und tauschen sich bei uns mit ihnen über Leben und Tod aus“, weiß Museumsleiterin Claudia Lorenz zu berichten. Besucher können im Labor einen nicht ganz ernst zu nehmenden Ewigkeitstrank mixen oder den ägyptischen Totengott Osiris in einer nachgebauten Pyramide besuchen. Zu sehen ist auch, dass der Tod schon lange in die Spielzeugwelt Einzug gehalten hat. Ob in Form eines Leichenwagen als historisches Blechspielzeug oder der Teufel als Handpuppe für eigene Geschichten.

Allein das fand ich schon sehr erstaunlich, da hier ein echtes und auch nicht ganz einfaches Tabu-Thema angesprochen wird, doch das Kita-Projekt-Heft war dann noch etwas ungewöhnlicher. Es wurde unter anderem von zwei Kitas berichtet, in denen das Thema behandelt wurde, auf zum Teil sehr verblüffende und krasse Weise.

Es begann, dass die Kinder der ersten Kita im Park ein totes Kaninchen fanden, mitnehmen durften und dann ein paar Tage (!) in der Kita in einem Aquarium lagerten, um zu sehen, ob es wieder aufwacht. Als es dann zu übel roch, kam es erst in eine Garage, wo es weitere Tage blieb. Allein das fand ich schon ziemlich grenzwertig, es ist ja sicher nicht ganz ungefährlich in Sachen Bakterien, sowas in einer Kita zu machen. Und dann wollten die Kinder unbedingt erleben, wie das Tier verwest, haben es in einer offenen Kiste unter einer Glasscheibe begraben, später sogar mal exhumiert. Also ehrlich gesagt, das hat mich richtig schockiert, weil das doch wirklich kein schöner Anblick ist. Sicher gehört der Tod zum Leben dazu, aber auf solch unmittelbare Weise das mitzubekommen, kann doch ganz schön nach hinten losgehen, wie ich finde. Da kam dann auch die Frage auf, was mit Menschen passiert, es wurde gezielt nach immer mehr toten Tieren gesucht, ein richtiger „Totenkult“ wurde betrieben.

In der zweiten Kita durften die Kinder tote Tiere waschen, föhnen und ihnen die Zähne putzen, bevor sie begraben wurden – auch aus gesundheitlicher Sicht etwas riskant. Auf der anderen Seite finde ich es toll, dass ihnen solch eine Erfahrung ermöglicht wird und auch alle Fragen der Kinder ernst genommen wurden. Wie die Kinder auf gemeinsame Friedhofsbesuche mit der Kita-Gruppe (sogar den Besuch einer Beerdigung), Tode und Unfälle im näheren Umfeld und eben auch auf das Erleben eines Verwesungsprozessen reagiert haben, ist zum Teil wirklich erstaunlich. Und sowohl ihre Fragen als auch eigenen Auslegungen hierzu waren teils schonungslos, manchmal offen und häufig sehr fantasievoll.

Ihr könnt Euch vorstellen, dass nicht alle Eltern damit einverstanden waren – es gab jedoch einige, die das Projekt unterstützten! Das finde ich schon recht erstaunlich, weil der Tod aus unserem Alltag doch ziemlich verdrängt wurde.

Auch ich verdränge das Thema gerne und das Lesen dieses Hefts hat einiges in mir aufgewühlt. Leider gibt es keine echten Antworten auf die Frage nach dem „Danach“, vor allem, wenn man nicht religiös ist. Meine Überzeugung ist, dass unsere Existenz und unsere Wahrnehmungsfähigkeit mit dem Tod vollends erlischt, da mit dem Vergehen des Körpers und der Sinnesorgane nichts mehr übrig bleibt, was noch Wahrnehmungen, Empfindungen oder gar Gedanken haben könnte. Ich habe daher große Angst vor dem Tod, möchte nicht einfach „komplett und für immer weg“ sein, keine schönen Dinge mehr erleben – und mir schon gar nicht vorstellen, was mit meinem Körper nach dem Tod passiert.

Für mich gibt es keine Frage, ich bin in meinem Fall für eine Einäscherung, und ich finde die Idee eines Friedwaldes sehr schön.

Meine erste Begegnung mit dem Thema Tod war eine überfahrene Katze im Straßengraben, an der wir öfter vorbeiliefen, als ich noch klein war (Kindergarten- oder Vorschulalter). Da guckten wir mit meiner Mutter immer wieder nach, was sich inzwischen verändert hat. Das fand ich als Kind sowohl spannend als auch gruselig und es hat mich leider auch nach dem Begräbnis meines ersten Katers immer wieder bis in meine Träume verfolgt.

Eine der schlimmsten Erfahrungen für mich, die im Laufe ihres Lebens schon viele Haustiere gehabt und verloren hat, war der Tod dieses ersten Katers vor gut 7 Jahren. Hier habe ich den Tod zum ersten Mal miterlebt – ich musste ihn erlösen lassen – und hatte auch noch ein bisschen Zeit zum Abschiednehmen. Die Trauer hat sehr lange gedauert und auch heute noch kann ich mir kaum Fotos von ihm anschauen, ohne dass mir Tränen kommen.

Die ersten und einzigen toten Menschen, die ich sah, waren meine Oma und mein Vater. Meine Oma sah ich wenige Minuten nach ihrem Tod, und da wirkte sie schon ganz fremd, so ohne vertraute Mimik. Meinen Vater hatte ich jahrelang nicht mehr gesehen und er war schon einige Zeit im Kühlhaus gewesen, erst zur Beerdigung sah ich ihn wieder. Da war das Befremden natürlich noch größer, verbunden mit sehr gemischten Gefühlen, da unser Verhältnis seit Jahren extrem schwierig war bis hin zum totalen Kontaktabbruch aufgrund seiner üblen Psychosen. Trotzdem ging mir sein Tod sehr nahe, es war jetzt eben alles endgültig.

Was mich sehr schockiert hat, war der plötzliche, viel zu frühe Tod eines lieben Freundes mit gerade mal 49 Jahren aufgrund eines mysteriösen „Unfalls“. Wenn jemand, der noch nicht viele Jahre gelebt hat, auf einmal aus dem Leben gerissen wird und verschwindet, reißt eine plötzliche, klaffende Lücke auf, ganz anders als wenn jemand lange krank oder schon sehr alt war und man sich langsam darauf vorbereiten konnte. Da sind die Ränder der Lücke fließend und weich, der Verstorbene ist langsam entglitten und nicht entrissen worden.

Der Umgang mit dem Thema Tod – Reif für eine Revolution?

Wie geht Ihr und Euer Umfeld mit den Thema um? Ist es ein Tabu, oder gibt es bestimmte Vorstellungen, die vertreten werden, die tröstlich sein können oder aber Kopfzerbrechen bereiten? Habt Ihr schon Erfahrungen mit dem Ableben nahestehender Menschen oder Lebewesen erlebt und wie seid Ihr damit umgegangen?

Findet Ihr es angemessen, schon mit kleinen Kindern das Thema zu besprechen? Hättet Ihr es Euch gewünscht, dass man Euch in jungen Jahren schon so etwas erklärt hättet – oder hattet Ihr sogar im Kindesalter jemanden, der sich mit Euch des Themas angenommen hat? Nimmt es Kindern ein Stück der Unbeschwertheit oder hilft es, sie auf mögliche Verlusterfahrungen vorzubereiten?

Es heißt ja häufig, dass Gruftis/Gothics eher bereit sind als „Normalos“, sich mit dem Tabu-Thema Tod zu befassen und hier sogar der Gesellschaft durch ihr zum Teil morbides Äußere vor Augen führen, was gerne verdrängt wird. Sollte sich das in Zukunft erübrigen? Werden Kinder, die man so in das Thema Tod und Vergänglichkeit einführt überhaupt noch etwas zu verdrängen haben?

Dragol – Eine Band auf der Suche nach der musikalischen Heimat

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Bereits vor einer Weile erreichte mich eine Nachricht der Band „Dragol“, die anders war als die Nachrichten von den Labels, die mir scheiben, um ihre Bands und Künstler zu promoten. Ohne blumige Worte der Beschreibung ihres künstlerischen Schaffens und vor allem ohne eine wirkliche Zuordnung in eines der üblichen Genre, suchten Dragol eine musikalische Heimat und baten mich um Insider-Wissen und Möglichkeiten, sich mit ihrer Musik zu bewerben. Man hatte ihnen bei ihnen Auftritten gesagt, so schrieb mir Runa in der Nachricht, sie würden eindeutig in die Dark-Szene gehören.

Um Vergleichbarkeit und Maßstäbe beraubt, hörte ich die mitgelieferten musikalischen Eindrücke „Fluch mich“ und „Die Zeitschaft“ und blieb ebenso ratlos zurück. Trotzdem versprach ich, Dragol vorzustellen und erkundigte mich nach den Beweggründen. Runa und Vandill, wie sich die Beiden nennen, lieben die Musik – soviel scheint für mich festzustehen. Es geht Ihnen offenbar nicht darum, sich einer bestimmten Musik anzubiedern, sondern um an der gelebten Kreativität und dem Transport von Gedanken und Themen, die sie beschäftigen. Runa schreibt mir:
Wir haben schon mal damit begonnen, uns Gedanken über unseren Kern zu machen und kamen zu dem Punkt, dass wir uns vom Thema: „Tod“ wahnsinnig angezogen fühlen! Es kommt fast in jedem Song vor. Allerdings nutzen wir es, um damit den Wert eines erfüllten Lebens zu zeigen. Erst durch die Bewusstheit des Vergänglichen wird uns der Wert des Lebens klar! Wir wollen für uns für ein lohnenswertes, erfülltes Leben kämpfen! Wir wollen kein weichgespültes Dasein auf diesem Planeten! Und um eben das zu fühlen, konfrontieren wir uns und die Zuhörer mit dem Tod, mit Dunkelheit und Grausamkeit!

Mich hat das irgendwie tief beeindruckt, mit welcher Einstellung und Weltanschauung die beiden auf der Bildfläche erscheinen und diagnostiziere definitiv schwarze und vor allem „gruftige“ Gedanken und musikalische Motivationen. Sind die Beiden damit schon eine Goth-Band?

Ich schiebe die Beantwortung dieser Frage vor mir her und kommen nicht wirklich zu einem Ergebnis.Ich scheue mich ein wenig vor der imaginären Verantwortung der Einordnung, die die Band womöglich in ein Korsett zwängt, aus dem sie nicht mehr herauskommt.

Als mich Runa nach dem Autumn Moon Festival anschreibt, dass sie dort einen kleinen Auftritt präsentiert haben, muss ich einfach reagieren Ich entscheide mich zu diesem Artikel, der ohne musikalische Einordnung versucht, Euch eine Band näher zu bringen, die für ihre Musik lebt und deren Beweggründe gruftiger sind als gefühlte 90% der sonstigen, sich unter dem diesem Genre tummelnden Bands.

Mittlerweile hat sich Dragol laut ihrem Youtube-Kanal selbst als „Endzeit-Band“ eingeordnet, wohl eher ein hilfloser Versuch den entsprechender Felder diverser Social-Media und Video-Plattformen gerecht zu werden, als eine ernsthafte Einordnung.

Ähnlich wie Svartur Nott, dem ich Dragol auch unter die Nase gerieben habe, finde ich „Atme“ als deutlich gelungenere Vorstellung des musikalischen Schaffens der Band, die aber sicherlich auf dem Weg zu ihrer Bestimmung noch einige Veränderungen durchlaufen wird. Warum sie sich jedoch so gierig in die schwarze Szene stürzen, liegt für Runa auf der Hand:

Wir glauben, wenn es Menschen gibt, die was mit unserer Musik anfangen können, dann sind es tiefsinnige Persönlichkeiten, die von Dunkelheit und Tod fasziniert sind – die aber letztlich das Leben und das Licht lieben!

Eifriges nicken vermischt sich mit dem Wunsch, dass Dragol ihren Weg finden und eine Hörerschaft für sich begeistern können, ohne den ihnen innewohnende Motor ihrer Leidenschaft durch einen fremdgesteuerten Antrieb eines möglicherweise unpassenden Genre zu ersetzen. Ich bin gespannt wie die Leser (also ihr) Dragol wahrnehmt und welche Einordnung ihr vornehmen würdet :)

Internet:

Dragol@Facebook
Dragol@Youtube
Dragol Homepage

Musikalisches aus dem Grufti-Briefkasten #4: Der Tod seiner dritten Frau

Nach einem kleinen Hilfegesuch haben sich einige Mitglieder aus der total coolen und undergroundigen Spontis-Geheim-Gruppe bereit erklärt, ihre Ohren und ihren Geschmack zur Verfügung zu stellen, um einige Neuerscheinungen der Labels, die ihre Musiker immer so fleißig bei Spontis promoten, vorzustellen. Svartur Nott hat sich im November durch die Einsendungen gehört und stellt uns diesmal eine ganz eigene Auswahl vor. Es würde uns freuen, wenn ihr Euch in den Kommentaren beteiligt. Gruftig oder Ungruftig? Geil oder Öde? (Sagt man das heute noch so?) Anyway. (Neudeutsch für „Wie auch immer.“) Svartur beginnt mit ruhigen Klängen aus Dänemark:

Blackie Blue Bird – Ghost River

Das Netlabel afmusic ist aktuell wieder dabei, einige Sachen zu veröffentlichen, darunter auch das aktuelle Album des dänischen Duos Blackie Blue Bird. Diese kommen aus dem beschaulichen Kopenhagen und spielen sehr sanften Dream Pop. In den 12 Songs wird man von der verträumten Stimme der Sängerin Heidi Lindahl hinfortgetragen, welche ihrerseits häufig mit einer Echo- und Reverb-getränkten Gitarre, sowie weiteren Instrumenten – gespielt durch Nils Lassen – begleitet wird.

Von dem auf mein Dachfenster prasselnden Regen begleitet, hörte sich das ganze Album für mich in sich stimmig an. Großartige Abwechslung darf man hier jedoch nicht erwarten, da die Stücke durchgängig sehr ruhig gehalten sind. Allerdings muss man das meiner Meinung nach auch nicht, denn die Musik von Blackie Blue Bird lädt einfach zum Abschalten und runterkommen ein. Und wer will schon nach 5 Minuten wieder aus seinen Gedanken gerissen werden?

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Kurz und bündig: Ob nun an einem verregneten Tag, oder zu ruhiger Stund‘ am Abend, wer auf Ethereal/Shoegaze/DreamPop bzw. generell ruhige Musik steht, kann hier jedenfalls bedenkenlos zugreifen.

VA – Join the dark side, we have the music! (10​-​Year Anniversary Compilation)

afmusic - join the dark sideWenn wir schon bei afmusic sind, so haben diese zu ihrem 10-jährigen Jubiläum eine Compilation mit aktuellen Musikprojekten zusammengestellt, auf denen sich bekanntere Acts wie die letztens erwähnten „The Knutz , „The Search„, „Principe Valente„, oder den „Golden Apes“ neben (noch) unbekannten Acts tummeln. Stilistisch werden grob die Bereiche Post Punk/Gothic Rock bzw. Gitarrenwave im Allgemeinen abgedeckt.

Der Opener „Buried“ von den Dänen The Foreign Resort macht als zackige Nummer schon mal Laune. Ihnen folgt aus gleichen Landen ) mit dem ebenfalls rockig-treibenden Track „House“. Song Nr. 3, „The Cave“ wird von The Knutz gestellt und erinnert anfangs sofort an ein Joy-Division Rip-Off und geht – etwas ruhiger im Vergleich – ebenso gut ins Ohr.

Die bereits seit 2002 aktiven Rhombus aus Großbritannien nehmen dann wieder Fahrt auf und präsentieren mit „Timeless And Elegant“ soliden Gothic Rock in Tradition der zweiten Welle. Ob der Titel da Zufall war? Ich finde den kombinierten Gesang von Sängerin & Sänger jedenfalls durchaus ansprechend. Im Midtempo geht es dann weiter mit „Voykova“ der Golden Apes, deren Track ich ebenfalls nicht schlecht finde.

Die Kanadier von The Silence Industry betreten nun mit „(I) Believe“ die Bühne und zeigen uns, dass Gitarrenwave auch etwas uneingängiger sein kann. Im Vergleich zu den Bands ist das Schlagzeug hier definitiv abwechslungsreicher, was den ganzen Track bis dato aus der Compilation herausstechen lässt und ihnen definitiv ein Alleinstellungsmerkmal gibt. Gut so, wie ich finde. An siebter Stelle kommen nun The Transisters ins Spiel und geben ihren Song „Electromagnetic (New)Wave“ zum Besten. Der klingt in meinen Ohren deutlich punkiger als manches vorige Stück. nicht schlecht. Dem folgen dann Shearer mit dem eindeutig energetisch-punkigen „Rapsol’s Dirty Dreams!“. geht ebenfalls gut rein.

Etwas ruhiger und nun auch mit Synthie folgen Supreme Soul mit „House Of Pleasures“: Ganz nett, haut mich allerdings nicht um. Gleiches Spiel mit Smoke Fish und ihrem Titel „We’re gonna have a good time“. Der Remix des Songs „For tomorrow“ von Emerald Park klingt etwas poppiger und erinnert mich irgendwie an gewisse populäre Bands ala Mando-Diao. Keine schlechte Ergänzung, auch wenn ich von der Stimmung her sowas hier nicht unbedingt erwartet hätte.

Mit „Adora“ von The Search wird es nun wieder melancholischer und entsprechend ruhiger. Mir fällt hier auf, dass bei dieser Compilation die Verantwortlichen wirklich auf Stimmungen geachtet haben und dies entsprechend in die Zusammenstellung einfließen ließen. Daumen hoch dafür! Das folgende Live-Piano-Stück „When I Learned To Crawl“ von Principe Valente passt an sich daher nun gut ins Bild, spricht mich wiederum jetzt nicht so an. Dafür macht nun der ruhige, synthetisch-elektronische Instrumentaltrack „Time & Eternity“ von Art Noir einen würdigen Abschluss und hinterlässt  eine beklemmende Stimmung, welche mich sehr an so manches Werk aus dem düster-ambienten Musikbereich erinnert.

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Insgesamt eine empfehlenswerte Compilation für geneigte Hörer. In diesem Sinne geht es nun weiter mit…

Days Of Sorrow – Whatever Happens

Das spanische Indie-Label Dead Wax Records, bei denen unter anderem auch bekanntere Acts, wie Remain in Silence, This Cold Night oder auch Farblos tummel(te)n, hat just die Reformierung der Dortmunder Wave-Kapelle Days Of Sorrow genutzt, um mit ihnen die beiden EPs von ‘84 und ‘86 als Compilation auf Bandcamp bzw. als LP wiederzuveröffentlichen.

Dem Einen oder Anderen könnte der Track „Wild World“ bekannt sein, welcher auf diversen Post Punk/Wave-Playlists eines großen Medienportals rumgeistert. Ein gefälliger Song, welchen ich hier gerade für mich wiederentdeckt habe – und es gibt ihn sogar in zwei leicht abweichenden Versionen.

Generell macht das Album einen konsistenten Eindruck, die Sounds und Stimmungen sind abwechslungsreich und je nach Bedarf steht mal der weiche Synthie oder die Wave-Gitarre im Vordergrund. Anspieltipps meinerseits wären neben dem anfangs erwähnten „Wild World“ noch die Tracks „It’s About Time“ & „Youth“.

Beim Track „Don’t Leave Me Drowning“ wurde ich die ganze Zeit an die Briten der Sad Lovers & Giants erinnert, beim Anfang von  „A Thousand Faces“ musste ich dagegen an „A Day“ von den frühen Clan Of Xymox denken. Zufall? Damalige Inspiration? Keine Ahnung, aber vielleicht hört ihr das auch so raus?

Fazit: Wer sowohl die genannten Gruppen, als auch generell Post Punk/Wave mag, kann hier jedenfalls bedenkenlos zuschlagen.

The Soft Moon – Criminal (Remixed)

Soft Moon - CriminalDie Amis von The Soft Moon dürften dem geneigten Hörer schon länger ein Begriff sein. Ihr vor kurzem auf dem aktuellen Longplayer veröffentlichter Track „Like A Father“  machte mich neulich wieder darauf aufmerksam, dass die Jungs in der Masse an Künstlern meiner Meinung nach ziemlich eigenständig geblieben sind und weiterhin fleißig an ihren nicht immer eingängien Soundcollagen arbeiten. Herausgekommen ist nun eine remixte Alternative des aktuellen Albums „Criminal“, welche Spontis vom Label Aufnahme & Wiedergabe nahegelegt wurde.

Der Opener ist gleich ein mit nach und nach einsetzenden, pumpenden Bässen unterlegt- und entsprechend tanzbarer und durchaus gelungener „Imperial Black Unit-Remix von „Like A Father„, welcher zwei eher schwächere Neuinterpretationen folgen. „Young (Lokier Remix)“ kann dann schon eher wieder überzeugen, ebenso „Choke (Craow Remix)“ und „It Kills (Rendered Remix)„. Die restlichen Tracks fanden meine Ohren eher so lala, muss man wahrscheinlich einfach mögen.

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Alles in Allem ist das Remix-Album gewöhnungsbedürftig (zumindest für mich), doch hört selbst einfach via BC rein und bildet euch eure Meinung.

Poison Point – Bestiensäule

Ebenfalls von Aufnahme & Wiedergabe veröffentlicht, klingt Poison Point ziemlich monoton (fast schon langweilig), trocken & tanzbar. Das ist das, was von dem Track zunächst bleibt. Ich weiß nicht recht, was ich von der 5-Track EP halten soll, erst Recht, da nur ein Titel via Bandcamp freigegeben ist – hätte ich doch gerne geschaut, was das Projekt noch so zu bieten hat. Jedoch kommt in mir eher der Eindruck auf, dass es stilistisch so wie bei dem Stück „Resigned Commander“ bleibt. Und das haut micht nun echt nicht um, auch wenn ich die Synthie-Sounds durchaus mag. Ein paar andere Tonlagen mehr vom Sänger hätten durchaus mehr Abwechslung und Leben in das Stück gebracht, siehe Boy Harsher mit ihrem (Mittlerweile-)Klassiker „Pain“. Nunja, vielleicht höre ich beizeiten nochmal rein. Bis dahin gibt es andere Projekte, die meine Aufmerksamkeit haben möchten.

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Dreadpan – The Death Of My Third Wife

Dreadpan wollten Spontis ihr aktuelles Video zu Gemüte führen, also reingeschaut, zugehört und Meinung gebildet. Ruhigerer, dennoch tanzbarer Elektro, der zumindest mir zusagt. Was mir beim Hören auffällt: Ohne Video wirkt der Track überzeugender als mit – vielleicht, weil Video und Song irgendwie etwas in Kontrast zueinander stehen. Nichtsdestotrotz: Ein guter (akustischer) Eindruck wurde hinterlassen und ich hätte nichts dagegen, sowas mal auf einer Veranstaltung zu hören. Eine angenehme Abwechslung zu den doch eher bescheidenen Elektro-Projekten, welche in den letzten Monaten auf Spontis Aufmerksamkeit wollten.

Reisebericht aus Bayern: Im magischen Reich des Kolkraben

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Bevor es losgeht, möchte ich Euch kurz Stefan Kubon, den Autor dieses Artikels, vorstellen. Stefan ist 49 Jahre alt und lebt in Augsburg. Schon früh fühlte er sich musikalisch und ästhetisch von der schwarze Szene angezogen, besucht seit Jahren regelmäßig das WGT in Leipzig und beschäftigt sich auch in seiner Rolle als Politikwissenschaftler und Soziologe mit der Szene. Nicht zuletzt durch seine Texte zur Einflussnahme rechte Ideologien auf die Szene bin ich auf ihn aufmerksam geworden. (Die werden im Übrigen auch bald in der Sponits-Grufithek erscheinen, um dort für die Nachwelt erhalten zu werden). Umso mehr habe ich mich natürlich gefreut, als er mir diesen feinsinnigen Reisebericht zu Veröffentlichung anbot, der einen ganz guten Einblick in die Gedankenwelt von Stefan erlaubt. Wir freuen uns auf Eure Kommentare!

Dunkle Rockmusik ist etwas Wundervolles. Es gibt nur wenige Dinge, die mich ähnlich stark begeistern. Die Natur gehört sicher dazu. Ihre Stimmungen, Farben, Klänge, Tiere, Pflanzen und Landschaftsformen haben mich schon immer magisch angezogen. Besonders gut kann man die Schönheit der Natur im Gebirge erleben. Die Schattenseiten der Zivilisation sind hier oft nicht so stark ausgeprägt wie in anderen Gegenden. Im günstigsten Fall bilden die Berge eine Art Schutzraum, in dem die Natur noch wild und ursprünglich sein kann. Dass ich mich für die Wildnis der Berge und düstere Rockmusik begeistern kann, liegt sicher daran, dass in beiden Welten kein Mangel an bezaubernden und dramatischen Stimmungsbildern herrscht.

Zumeist stille ich meine Sehnsucht nach wilder Natur, indem ich die Berge der Ammergauer Alpen besuche. Diese Alpenregion wird auch als Ammergebirge bezeichnet. Es handelt sich um ein relativ kleines Gebirge mit nicht sehr hohen Gipfeln. Trotzdem hat dieses Gebirge ein echtes Superlativ zu bieten, denn ein großer Teil davon steht unter Naturschutz. Das Naturschutzgebiet ist laut Wikipedia sogar das größte in Bayern. Beste Voraussetzungen also, um die Natur in all ihrer Pracht erleben zu können.

Ein abgeschiedener Berg

Ein relativ leicht zu besteigender Berg der Ammergauer Alpen ist die Niederbleick. Der Berg ist knapp 1600m hoch und fast bis zum Gipfel bewaldet. Am Gipfelkreuz hat man bei gutem Wetter einen grandiosen Blick auf das besagte Naturschutzgebiet. Die Grenze des Schutzgebiets verläuft direkt über den Gipfel. Keine Straße führt auf diesen Berg. Keine Bahn fährt hinauf. Kein Restaurant lockt die Massen an. Meist kann man hier oben die Schönheit der Natur ohne den Lärm und den Rummel der Zivilisation erleben.

Auf diesem Berg hatte ich ein ganz besonderes Naturerlebnis: Während ich im Gras lag und mich vom Aufstieg erholte, ließ sich auf dem Gipfelkreuz ein Kolkrabenpaar nieder. Einige Minuten konnte ich die zwei wunderschönen Vögel aus der Nähe beobachten. Zum Glück habe ich diese faszinierende Begegnung fotographisch festgehalten. Kürzlich, beim Stöbern in meinem Fotoarchiv, ist mir dies wieder bewusst geworden. Der Rabe ist bekanntlich ein Vogel, dem sich viele Anhänger der Schwarzen Musikszene besonders verbunden fühlen. Höchste Zeit also, den Leserinnen und Lesern von Spontis einen Eindruck von meiner Rabensichtung und der dazugehörigen Wanderung zu vermitteln.

Ich erinnere mich noch gut an den damaligen Tag: Es ist Anfang November. Als ich am Parkplatz aus dem Auto steige, kann ich es kaum glauben, dass das Wetter zu dieser Jahreszeit noch so schön ist: wenig Wind, angenehme Temperaturen und am Himmel eine herrlich kontrastreiche Collage aus blauen Flächen und weißen Wolken.

Ein einsamer Weg

Zunächst wandere ich auf einer geschotterten Straße beschaulich dahin: Der fast ebene Weg führt durch eine idyllische und abwechslungsreiche Tallandschaft. Die Hänge des Tals sind bewaldet. Doch im Tal, wo der sanft geschwungene Weg verläuft, dominieren Wiesen das Landschaftsbild. Es ist ruhig in dieser Gegend. Menschliche Siedlungen gibt es keine. Nur gelegentlich dringen Naturgeräusche an mein Ohr: der Ruf eines Vogels, das Murmeln eines Bachs oder das Rauschen des nahen Waldes.

Talstrasse

Nach knapp einer Stunde ist die beschauliche Talwanderung zu Ende. Ich verlasse den breiten Weg. Auf einem Pfad steige ich durch Wald zu einem Bergrücken hinauf. Auf dem Bergrücken wandere ich für längere Zeit dahin. Es geht stetig bergauf. Der von vielen Wurzeln übersäte Pfad führt mich durch ein wundervolles, urtümlich anmutendes Waldgebiet. Die verschiedenen Baumarten (Ahorn, Buche, Fichte, Tanne) verleihen dem Wald ein abwechslungsreiches Erscheinungsbild. Zweige, Äste und Stämme sind oft von Moospolstern überzogen. Manche Baumgestalten weisen skurrile Formen auf. Ich spaziere durch einen Zauberwald wie aus dem Märchenbuch.

Die Streckenführung nimmt mitunter den Charakter einer Gratwanderung an. So kann man trotz der Bäume gelegentlich in die Ferne blicken. Dabei zeigt sich, dass auch die weitere Umgebung sehr waldreich ist. Zudem scheint die Gegend sehr wasserreich zu sein. Aus der Tiefe der umliegenden Wälder hört man die Klänge des Wassers in allen möglichen Formen. Es rauscht, gurgelt und plätschert, dass es eine wahre Freude ist.

Licht und Schatten

Nach einer weiteren knappen Stunde erreiche ich den mächtigen Bergrücken, der die Niederbleick mit dem Hochwildfeuerberg verbindet. Der Pfad folgt dem Bergrücken in westliche Richtung. Zunächst geht es weiterhin steil bergauf. Dann gibt es eine Verschnaufpause, denn man passiert eine sumpfige Hochebene. Hier gibt es kleine Lichtungen im Fichtenwald. Es ist zauberhaft, wie die Sonne den lichten Wald mit ihren Strahlen durchflutet. Der Boden ist von Moosen und Heidelbeersträuchern bedeckt. Gelegentlich rauscht ein sanfter Windstoß durch die Bäume – ansonsten ist es hier oben vollkommen still. Kein Zweifel: Ich befinde mich an einem besonders magischen Ort.

Stefan Kubon - Waldlichtung

Nach dieser kurzen Verschnaufpause geht es nochmal steil hinauf. Ich durchquere ein feinmaschig gewobenes Waldstück. Das Dickicht des Waldes besteht zum Teil aus stark verwitterten Baumleichen. Der gewundene Pfad ist beidseitig eng von diesem unheilvollen Dickicht umschlossen. Die hier herrschende Lichtarmut wirkt bedrückend. Man hat das Gefühl, dass in diesem tunnelartigen Wegabschnitt eine dunkle Macht ihr Unwesen treibt. Es entsteht eine gespenstische Stimmung, der man sich nicht entziehen kann.

Plötzlich hat der dunkle Spuk ein Ende: Der Pfad führt mich hinaus aus dem Fichtenwirrwarr auf eine Waldschneise – es wird heller, die Sonne blinzelt wieder freundlich durch die Bäume. Ich folge der waldfreien Fläche aufwärts. Der Pfad führt im Zickzack steil nach oben. Ständig wird es heller. Während ich emporsteige, sehe ich immer wieder durch die Schneise nach oben – und irgendwann ist es soweit: Beim Blick nach oben erspähe ich erstmals die waldfreie Kuppe der Niederbleick. Wenige Sekunden später sehe ich das Gipfelkreuz. Kurz darauf erreiche ich das Ende der Schneise und trete ein ins vollkommen frei strahlende Licht der Sonne. Ich laufe die letzten Meter hinauf zum Kreuz. Und dann – nach 2 ½ Stunden und 800 Höhenmetern – habe ich endlich mein Ziel erreicht: den Gipfel der Niederbleick.

Auf dem Gipfel

Die Aussicht ist großartig. Beim Blick nach Osten sieht man einen großen Teil der waldreichen und weitgehend naturbelassenen Ammergauer Alpen. Dahinter ragen die Berge des Ester- und des Karwendelgebirges empor. Rechts davon beherrscht das majestätische Wettersteingebirge mitsamt der Zugspitze die Szenerie. Nach Westen hat man einen herrlichen Blick auf die gewaltige Bergwelt der Allgäuer Alpen. Nach Süden ist die Sicht leider eingeschränkt, denn dort erhebt sich in unmittelbarer Nähe die bewaldete Kuppe der Hohen Bleick. Dafür hat man nordwärts einen gänzlich unverstellten Blick auf das Alpenvorland.

Stefan Kubon - Niederbleick

Nachdem ich einige Fotos von der famosen Aussicht gemacht habe, lege ich mich unweit des Gipfelkreuzes ins Gras, um mich vom Aufstieg zu erholen. Nach wenigen Minuten höre ich über mir ein kräftiges Flügelflattern – und dann höre ich den Laut, den ich für einen der faszinierendsten im Tierreich halte: das Krächzen eines Kolkraben. Beim Blick nach oben sehe ich, dass zwei Raben über mir in der Luft kreisen. Und es kommt noch besser: Beide Vögel lassen sich auf dem Gipfelkreuz nieder. Ich zücke erneut die Kamera – und es gelingen mir einige Fotos, mit denen ich zufrieden bin.

Kunstvolles Treiben

Nachdem ich meine beiden Stars auf ihrer Gipfelkreuz-Bühne fotografiert habe, lege ich die Kamera schnell beiseite. Es ist mir wichtig, dass ich beide Vögel noch eine Zeit lang bewundern kann, ohne vom Fotografieren abgelenkt zu sein. Und ich habe Glück: Ich kann die Raben noch eine Weile in Ruhe beobachten. Die Tiere erweisen sich als sehr lebhafte Zeitgenossen. Das Paar absolviert viele wunderschöne Flugmanöver. Manche davon muten herrlich tollkühn an. Ja, Fliegen sollte man können, das wäre ein Traum!

Gelegentlich gönnen sich die Vögel eine kurze Flugpause auf dem Gipfelkreuz. Doch egal, ob die beiden Raben fliegen oder sitzen: Immer wieder hallen ihre klangvollen Rufe über den Berg. Dass es jedes Mal aufs Neue fasziniert, den Klangdarbietungen zu lauschen, liegt sicher auch daran, dass die Vögel ein sehr vielfältiges Lautrepertoire beherrschen. Keine Frage: Die Anwesenheit der beiden Flug- und Klangkünstler setzt der magischen Stimmung auf diesem Berg die Krone auf!

Stefan Kubon - Gipfelkreuz

Nach etwa 10 Minuten verlassen die beiden Vögel die Niederbleick. Das Paar entschwindet in die weite Gebirgswelt des Umlandes. Ich bleibe noch ein Weilchen auf dem einsamen Gipfel und genieße die zauberhafte Atmosphäre. Auch ohne die beiden beeindruckenden Vögel herrscht hier die reinste Magie. Irgendwann kann ich mich von der herrlichen Stille, den faszinierenden Fernblicken und den wundervollen Lichtverhältnissen losreißen. Ich steige auf dem gleichen Weg, den ich aufgestiegen bin, ins Tal hinab. Als ich am Auto ankomme, ist es bereits dunkel.

Der Kolkrabe und die Schwarze Szene

Auf der Rückfahrt höre ich Düsterrock in allen Variationen. Ob ich damals ein Lied gehört habe, bei dem ein Rabe eine Rolle spielt, weiß ich nicht mehr. Es wäre aber gut möglich, denn die Schwarze Szene verwendet das symbolträchtige Tier sehr gerne, um ihre düsteren Themen darzustellen.

Im Allgemeinen bietet die Figur des Raben eine vielgestaltige Projektionsfläche. So zeigt sich beim Blick auf die Kulturgeschichte, dass der Rabe als Symbol vielfältige Assoziationen erzeugen kann. Es gibt Verknüpfungen positiver wie negativer Art. Beispielsweise steht der Rabe für Freundschaft, Hilfsbereitschaft und Weisheit, aber auch für Hochmut, Geschwätzigkeit und Unglück. Trotz dieser Mannigfaltigkeit gebrauchen die Künstler der Schwarzen Szene das Rabensymbol vor allem zur Verdichtung unheilvoller Stimmungen. So fungiert der Rabe in der Szene zumeist als ein Symbol, das für Tod und Verderben steht. Aber die Schwarze Szene wäre nicht die Schwarze Szene, wenn dieser Metapher nicht auch etwas Ambivalentes innewohnen würde. So kann der Rabe als Todessymbol letztlich auch als ein Zeichen des Übergangs, des Wandels und der Erlösung gedeutet werden.

Tatsächlich wird der Rabe in unzähligen Veröffentlichungen der Szene als dunkle Allegorie verwendet. Sogar wenn ich den Kreis eng ziehe und mich nur auf Werke meiner Lieblingskünstler beschränke, entdecke ich einige Beispiele:

New Model Army - Winter

Bildliche Darstellung: Auf dem Cover des Albums “Winter“ von NEW MODEL ARMY ist der Kopf eines rabenartigen Vogels abgebildet. Rabenköpfe befinden sich auf dem Cover und dem Booklet des Albums “Alpha Noir“ von MOONSPEEL. Gleiches gilt für das Album “A Rose For The Apocalypse“ von DRACONIAN. Zudem wird die CD von einem Rabenkopf verziert.

Songtitel: Auf dem Album “Irreligious“ von MOONSPELL befindet sich der Titel “Raven Claws“. Das Album “Laguz Within The Lake“ von NEBELHEXE beinhaltet den Titel “Raven Night“.

Rabenlaute: Der Track “The Longest Winter“ des Albums “Medusa“ von PARADISE LOST startet mit dem Krächzen eines Raben (oder einer Krähe). Das Lied “Le Morte D’Arthur“ des Albums “Radio Cornwall“ von THE HOUSE OF USHER beginnt und endet mit besonders schönen Rabenrufen.

(Im Übrigen sei erwähnt, dass die Krähe, also quasi die kleine Schwester des Raben, von der Schwarzen Szene ebenfalls häufig als düsteres Symbol verwendet wird.)

Der Kolkrabe – noch mehr Wissenswertes

Der Kolkrabe ist der größte Raben- und Singvogel Europas. Er wird 54 bis 67 cm groß. Seine Spannbreite beträgt 115 bis 130 cm. Die Männchen sind zumeist etwas größer als die Weibchen. Davon abgesehen besteht zwischen beiden Geschlechtern kein sichtbarer Unterschied. Raben wiegen 1070 bis 1370 g. In freier Wildbahn kann der Vogel ungefähr 20 Jahre alt werden. Der Rabe gibt häufig tiefe, klangvolle Rufe von sich, die oft wie “kork-kork“ oder “kolk-kolk“ klingen. Diese Rufe haben wahrscheinlich zur Namensgebung beigetragen. Mit seiner Stimme kann der Rabe auch Tiere imitieren.

Corvus Corax - Der Kolkrabe
© Frank Schulenburg / CC BY-SA 4.0, Corvus corax sinuatus, Point Reyes National Seashore, CC BY-SA 4.0

Da der Mensch den Raben massenhaft tötete, war er im Jahr 1940 in Mitteleuropa fast ausgerottet. Seitdem hat sich der Bestand erholt. Trotzdem ist der Rabe in unseren Breiten noch immer nicht häufig. Im Vergleich zu anderen Rabenvögeln ist er sogar selten. Folgerichtig steht der Rabe in Deutschland ganzjährig unter Schutz. Seine bevorzugten Lebensräume sind Wälder und Gebirge. Er gilt als ein eher menschenscheues Tier. (Meine Angaben stammen zum Teil aus Wikipedia. Dort kann man noch mehr über diesen faszinierenden Vogel erfahren.)

Sehr interessant ist auch, was Peter Wohlleben in seinem BuchDas Seelenleben der Tiere. Liebe, Trauer, Mitgefühl – erstaunliche Einblicke in eine verborgene Welt“ (Ludwig Verlag, München 2016) über den Kolkraben berichtet. Dank Wohllebens Ausführungen wird deutlich, dass der Vogel ein besonderer Klang- und Sprachkünstler ist: “Die schwarzen Vögel beherrschen mehr als achtzig verschiedene Rufe, also Rabenvokabeln. Darunter ist auch ein persönlicher Erkennungsruf, mit dem sie sich bei Artgenossen ankündigen. Ist das bereits ein echter Name? Echt im Sinne des menschlichen Gebrauchs ist er nur, wenn andere Raben den Adressaten ebenfalls mit dessen Erkennungsruf ‘ansprechen‘, und genau das machen Raben. Dabei merken sie sich die Namen von Artgenossen auch über Jahre hinweg, selbst wenn der Kontakt abreißt.

Kolkrabenpaare – Treue über den Tod hinaus

Wohlleben weist auch darauf hin, dass Kolkrabenpaare eine sehr enge Beziehung eingehen. Im Kapitel “Über den Tod hinaus“ heißt es: “Kolkraben hingegen sind treue Seelen und bleiben ein Leben lang bei ihrem Partner. Insofern ist es tatsächlich gerechtfertigt, von einer echten Tierehe zu sprechen. Während des Ausrottungsfeldzugs wurde diese Tatsache den Vögeln zum Verhängnis. Wurde einer der beiden geschossen oder vergiftet, so suchte sich der andere oft keinen neuen Partner mehr, sondern drehte fortan einsam seine Runden am Himmel. Die vielen Singles trugen also nichts mehr zur Reproduktion bei, was die Vernichtung der Art deutlich beschleunigte.“

Bemerkenswert ist auch, dass der Vogel eine Art Gerechtigkeitssinn besitzt: Raben, die übertrieben egoistisch handeln, werden von anderen Raben gemieden. Zudem scheint sich der Rabe seiner selbst bewusst zu sein, denn er erkennt sein eigenes Spiegelbild. Faszinierend ist auch, dass Raben offenbar Spaß empfinden können. Wenn sie bisweilen ohne ersichtlichen Grund Hänge hinabrutschen, lässt sich das nämlich nur so erklären: Sie tun es, um Spaß zu haben!

Apropos Spaß: Es haben schon einige Spaßvögel die Niederbleick besucht. Nicht nur Raben, nein, auch die Aktivisten der löblichen Gemeinschaft Gipfelmoshen.de waren bereits auf dem Berg. Das Beweisbild gibt es hier zu sehen.

Stylesüchtig: Der Goth, der mit einer quietschbunten Lolita-Doll zusammenlebt

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Das Webformat „Hooked On The Look“, was man wohl mit Stylesüchtig übersetzten könnte, beschäftigt sich mit Menschen, die außergewöhnlich viel Wert auf ihr Äußeres legen. Im skurrilen, extremen und bizarren Sinne. Die meisten Protagonisten der Sendung scheuen selbst chirurgische Eingriffe nicht, um ihrer Idealvorstellung eines perfekten Äußeren gerecht zu werden. Nehmen wir beispielsweise Vinny Ohh (23), der plant, seine primären Geschlechtsorgane entfernen zu lassen, um als „geschlechtsloser Alien“ wahrgenommen zu werden oder Rodrigo Alves (34), der sich bereits 4 Rippen entfernen ließ, um seine Corsagen noch enger schnüren zu können.

Jude und Rosie, die ebenfalls bei „Hooked On The Look“ vorgestellt wurden, nehmen es nicht ganz so extrem wie die meisten anderen, bestechen dafür aber durch eine ziemlich skurrile Liaison. Jude, äußerlicher Vollblut-Goth, deren Einrichtung NUR aus schwarz-weißen Dingen besteht und Rosie, die sich selbst als 80s Space Baby bezeichnet und in einer quietschbunten Einhorn-Regenbogenwelt lebt, haben sich einer kontrastreichen Wohngemeinschaft zusammengeschlossen. Ihr Umkleidezimmer teilt sich -im wörtlichen Sinne- in zwei Hälften, der die Sinne eines normal-sterblichen kommentarlos in die Reizüberflutung werfen.

Zwischen Selbstverwirklichung und Provokation

Rosie und Jude leben ihren Style aus und sind ihrem ästhetischen Idealbild offenbar ziemlich nahe. Eine der häufigsten Fragen, so verraten sie uns im Interview, sei die Frage nach dem „Warum?“, die sie stets damit beantworten, „so zu sein, wie sie eben sind“. Mit Anfang 20 schon am Ende der Selbstverwirklichung?

Schnell wird klar, das es sich weniger um eine Verwirklichung sondern vielmehr um eine Flucht handelt, der realen Welt zu entfliehen. Natürlich leben beide in scheinbar idealen Verhältnissen, denn als blutjunge Studenten sind sie von der realen Welt noch relativ gut abgeschirmt. Immerhin haben sie hier zwei Seelenverwandte getroffen, die sich in ihrer Andersartigkeit unterstützen und verstehen, was diese WG schon irgendwie spannend macht.

Wie viel Provokation dahinter steckt, lässt sich nicht erkennen. In wie weit sich Jude beispielsweise mit „Goth“ als Subkultur identifiziert, bleibt ebenfalls offen. Getragen wird ihr penibler Wunsch nach Andersartigkeit von einem ausgeprägten Fluchtverhalten. Ehrlicherweise muss man zugeben, dass „Gothic“ schon immer genau das war: Eine Realitätsflucht. Provokation, so finde ich, steckt und steckte fast nie dahinter.

So bleibt, gerade wenn man die andere Videos von „Barcroft TV“ anschaut, die Frage, wohin uns das Rennen um die Andersartigkeit noch führt. Nachdem 2018 Piercings und Tattoos längst zum guten Ton gehören und selbst die sprichwörtliche Kassiererin im Supermarkt jeden Grufti aus den 80er locker übertrumpft, wird es immer schwieriger „anders“ zu sein. Mit schwarzen Klamotten, Pikes, Kajal und toupierten Haaren bist du allenfalls ein Urgestein, aber schon lange nicht mehr das, was die nachwachsende Generation unter „Goth“ versteht. Um als äußerlich „Extrem“ gesehen zu werden und seine Andersartigkeit zu unterstreichen, muss man heutzutage schon tiefer in die Trickkiste der Body-Modification greifen. Ohne ausrasierte Haare, Tattoos, Piercings, gespaltener Zungen und Elfenohren ein Gothic sein? Ist das überhaupt noch möglich?

(Danke an Simone für den Hinweis!)

Interview mit Parma Ham: Die modernisierte Form von rund 40 Jahren Gothic-Szene

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Für die einen sind es Poser, für die anderen die Speerspitze einer neuen Generation Gruftis. Menschen wie Parma Ham inszenieren sich in immer neuen Variationen und bedienen sich vermeintlich schamlos an knapp 40 Jahren Gothic-Styling Geschichte. Der Umgang mit sozialen Medien wie YouTube, Instagram oder Facebook gehört zum Selbstverständnis des täglichen Lebens, wie für andere die Luft zum atmen. Auf dem letzten Wave-Gotik-Treffen ist der 25-jährigen Londoner einigen Besuchern durch die wohl höchste Frisur des Treffens in Erinnerung geblieben, auf seinen Accounts bei Facebook und Instagram werden die Videos und Bilder millionenfach angeschaut. Ist das die modernisierte Form einer rund 40 Jahre alten Subkultur?

Genug Gründe Parma Ham vorübergehend aus den Fesseln der sozialen Netzwerke zu befreien und ihn für Spontis ein paar Fragen zu stellen, um zu sehen, was unter den ganzen Haaren zu finden ist. Ich habe es zweisprachig zusammengefasst und biete es hier in der deutschen Übersetzung und im englischen Original an, das man sich durch Wechsel der Tabs aufrufen kann.

DeutschEnglish

Spontis: Vor ein paar Jahren bist Du aus dem scheinbaren Nichts aufgetaucht und hast vor allem durch deine Frisur beeindruckt. Wie kam es dazu?

Parma Ham: In meinem ersten Jahr auf Instagram sind 3 Videos von mir viral gegangen, das beliebteste Video wurde auf Facebook rund 80 Millionen mal angeschaut. Man könnte sagen, ich hab den Laden über Nacht gerockt! :-)

Spontis: Warum nennst Du dich überhaupt „Parma Schinken“, hast du eine Vorliebe für italienische Fleischerzeugnisse?

Parma Ham: Eigentlich bin ich Veganer und habe noch nie Parma-Schinken gegessen. Ich habe den Namen gewählt, weil er gleichzeitig süß, eklig und lustig ist, aber auch für eine Art Statement gegen den Konsum und die Behandlung von Menschen als Vieh steht.

Spontis: Ist Dein Style reine Selbstdarstellung oder ein Art von Kunst? Geht es nur um die Frisur?

Parma HamIch finde es einfach schön, wie ich mich kleide und in welcher Art und Weise ich die Haare und mein Make-Up style. Es gibt kein Motiv dahinter. Ich versuche nicht, irgendetwas auszudrücken und würde es sicher nicht Kunst nennen. Ich denke, die meisten Leute stylen und kleiden sich für eine Party so, wie sie sich gefallen. Ich bin genau so. Der einzige Unterschied ist wohl, dass mein Geschmack extremer ist. Diese Extreme haben sich in den letzten 10 Jahren meiner Entwicklung langsam entwickelt und ich wurde immer besser, was das angeht. Mit allem was ich tue, suche ich Wege mich zu verbessern und Dinge auszuschneiden, die unnötig geworden sind und so entwickelt sich meine Erscheinung immer weiter.

Parma Ham - Posing on Knees

Spontis: Du spielst in deinem Style mit deiner geschlechtlichen und subkulturellen Identität, gibt es dafür einen Grund? Wie würdest du die Schublade bezeichnen, in die du passt?

Parma Ham: Gothic hat eine lange Geschichte des „Gender-Bendings“ und das war auch eines der Dinge, die mich angezogen haben. Wir dürfen nicht vergessen, das Gothic vor rund 40 Jahren begonnen hat und sich seitdem vieles verändert hat. Ich will die Vergangenheit nicht einfach nur imitieren, sondern meine eigene, modernisierte Version davon ausleben, die im Vergleich zu Vergangenheit natürlich viel extremer ist. Das liegt natürlich auch daran, das ich vielmehr Style-Vorbilder hatte, auf die ich aufbauen konnte. Meine geschlechtliche und subkulturelle Identität sind sehr miteinander verflochten. Es geht beiden um Rebellion, das infrage stellen von Autoritäten und darum, sich nie der gesellschaftlichen Konformität zu beugen.

Spontis: Wie das eigentlich alles angefangen? Wen würdest du also Vorbild bezeichnen?

Parma Ham: Marilyn Manson weckte in der Mitter der 2000er mein Interesse an alternativer Musik und Mode. Später entdeckte ich dann Bands wie Alien Sex Fiend, Specimen und Bauhaus. Mode, Musik und Clubkultur gehen für mich Hand in Hand und sind gleich wichtig.

Spontis: Die Szene hat sich, wie du bereits erwähnt hast, kontinuierlich durch die Jahrzehnte entwickelt. Wir würdest du „Gothic 2018“ beschreiben?

Parma Ham: Immer noch lebendig! Ich weiß, dass die Puristen sich darüber ärgern, dass Gothic 2018 nicht mehr dasselbe ist wie 1984, aber ich finde es wichtig, das „Gothic“ sich stetig ändert. Ich liebe die neuen Sachen in der Goth-Musik, die wieder durch Techno & EBM beeinflusst sind. Gothic gibt es jetzt auch in anderen Bereichen wie Social Media mit YouTube, SoundCloud und Instagram, und das allein hilft, ältere Szenen wie London und New York mit aufkeimenden Szenen in Mexico City und Sao Paulo zu verbinden. Wo sich Wege schließen, öffnen sich definitiv wieder neue.

Spontis: Du lebst und arbeitest in London. Wie geht es der Szene in der britischen Hauptstadt?

Parma Ham: Noch haben wir es gut, die meisten angesagten Bands spielen hier und wir haben immer noch viele Clubs. In den letzten Jahren ist es jedoch immer schwieriger geworden. Die Immobilienpreise in London sind absurd hoch und für unabhängige Unternehmen, wie Club- und Konzertstätten ist es zunehmend schwieriger geworden, offen zu bleiben. Auch die Kommunen und die Regierung ersticken durch immer neue und strenge Regel das Nachtleben, sei es durch die Einschränkung der Öffnungszeiten, die Begrenzung des Lärmpegels oder den hässlichen Krieg gegen die Drogen.

Spontis: Wo soll deine Reise hingehen, was hast du in nächster Zeit geplant?

Parma Ham: Ich kuratiere eine Ausstellung in der Lethal Amounts Gallery in Los Angeles, die im Februar 2019 gezeigt wird. Thema ist Zensur in sozialen Medien und wie sie die Kreativität von Künstlern beeinflusst, die ihr Publikum über Plattformen wie Instagram, Facebook und YouTube gefunden haben. Guckt es Euch an :-)

Spontis: Irgendwelche Empfehlungen für einen Besuch in London? Was sollte man gesehen haben?

Parma Ham: Einen Besuch im Slimelight, das mittlerweile seit 30 Jahren geöffnet hat und jeden Samstag von 23:00 bis 07.30 der wichtigste Treffpunkt ist. Ich liebe auch die brutale Architektur von „The Barbican„, die komplett aus Beton gegossen wurde.

Spontis: A few years ago, you just turned up and talked through the biggest hairstyle right away. You could not be overlooked in the social networks, but who is under the hairstyle, was previously hidden. What happened?
Parma Ham: In my first year on Instagram 3 of my videos went viral, with the most popular video receiving 80 million views on Facebook, so yes I did just turn the fuck up over night! :-)

Spontis: Why did you call yourself Parma Ham? Do you love the Italian Ham?
Parma Ham: I’m actually vegan, and have never had Parma Ham. I chose the name because it’s cute, disgusting and funny; but also a comment on consumerism and how people are treated as meat.

Spontis: Self-Expression or a kind of Art? Is it all about Hair?
Parma Ham: The clothes I wear, and the way in which I do my hair and makeup, is done because that’s what I find beautiful. There is no motive behind it; I’m not trying to express anything and I’m not going to call it art. I think most people going to an event put on an outfit and do their makeup in a way that they think looks good; I am exactly the same. The only difference being that my taste is more extreme. That extremity has slowly evolved over the last 10 years of me dressing up; and where I’ve got better at doing hair and makeup through practice. With everything I do, I always look for ways to improve, and to also cut out the things that are unnecessary, and in this instance my image is always evolving.

Spontis: You’re playing with your Gender and Subcultural Identity. Is there a reason for that? How would you name the drawer that suits you?
Parma Ham: Goth has a history of gender bending, and that was one of the first things that attracted me to it. We have to remember: Goth began 40 years ago, and a lot of things have changed since then. I don’t want to simply imitate the past, so my version of it is going to be different, modernised, and more extreme in comparison – but thats because I have had a lot of things to build upon. My gender and subcultural identity are very entwined, they are both about rebellion, they question authority, and they will never bow to societal conformity.

Spontis: How did it all start? Who inspired you?
Parma Ham: Marilyn Manson in the mid 2000’s ignited my interested in alternative music and fashion, and from there I discovered bands like Alien Sex Fiend, Specimen and Bauhaus. The fashion, music, and club culture all go hand-in-hand for me, and are all equally important.

Spontis: The scene has been steadily evolving in recent decades. How would you describe „Gothic 2018 „?
Parma Ham: Still here! I know purists are upset that goth in 2018 is not the same as it was in 1984, but it’s important Goth changes. I love some of the new music coming through which has stripped back Techno & EBM influences. Goth now also exists in other realms such as social media with the likes of YouTube, SoundCloud and Instagram, and that in itself helps connect older scenes such as London and New York to burgeoning scenes in Mexico City and Sao Paulo. So where some avenues closes, others definitely open.

Spontis: You live and work in London. What about the scene in the British capital?
Parma Ham: We have it good, bands always tour here, and there are plenty of clubs. However in recent years it’s been particularly difficult, as property prices in London are utterly absurd and it makes it increasingly more difficult for independent businesses such as club and gig venues to stay open. Second to that, government and local councils are creating more and more rules that suffocate nightlife including restricting opening times, limiting noise levels, and the ugly war on drugs.

Spontis: Where should your journey lead, what have you planned to do in the near future?
Parma Ham: I’m curating an exhibition at Lethal Amounts gallery in LA, which opens in February 2019. The theme is censorship on social media, and how it affects the creativity of artists who have found their audience via platforms such as Instagram, Facebook and YouTube. Check it out next year.

Spontis: Your recommendations for a visit to London? What we have to see?
Parma Ham: A visit to club Slimelight, which has been open for 30 years, and is open every single Saturday 11pm-730am. I also love the Brutalist estate The Barbican, which is entirely made of poured concrete.

Natürlich wollte ich auch wissen, welche 10 Songs Parma Ham zur Zeit besonders gut gefallen und habe nach der obligatorischen Top-Liste gefragt. Ein wenig Zeit, die Gedanken kreisen zu lassen.

Seit je her existieren Grabenkämpfe in der Gothic-Szene, was dazu gehört und was nicht, doch im Gegensatz zum berühmten „früher“ gibt es Unterschiede. Was zunächst bei der neuen Generation ins Auge sticht, ist die dauerhafte Präsenz in sozialen Medien in allen Lebenslagen. Während man sich damals vielleicht an einem Samstag in der Woche über den Weg gelaufen ist, kann man nun täglich Lebenszeit darauf verwenden, Bilder zu bewundern und ungefilterte Gedanken aufzuschnappen. Das wird unterschiedlich aufgefasst. Während die einen daraus einen Wettbewerb machen, wer wohl die meisten Klicks bekommt, ist das für andere die Konfrontation mit den eigenen Unzulänglichkeiten. Das polarisiert und bietet Reibungspotential.

Ich finde, Gothic ist 2018 lebendiger denn je, weil wir unzählige Möglichkeiten haben, an der Szene zu teilzuhaben. Was meint ihr? Alles nur inhaltsloses Posing oder die reizvolle Entwicklung der Szene?

Parma Hams Top 10

Qual – Above Thee Below Thee
Sextile – Disco
S.A.D. – She’s Gone
Sumerian Fleet – Seven Sins
Soft Moon – Like A Father (Imperial Black Unit Remix)
Valis – Black Carbon
She Past Away – Katarsis (Ash Code Remix)
Detachments – Chain of Secrets
Kaelan Milka – Kalt
The Horrorist – Programmed (Silent Servant Remix)