Die nun folgende YouTube-Seifenoper, die auf den ersten Blick wirkt wie eine multimediale Schlammschlacht zwischen englischsprachigen Grufti-Vloggern, hat auf den zweiten Blick eine durchaus ernst zu nehmenden Hintergrund. Der Vorwurf: Die „Unboxing“ Videos, in denen YouTube Sternchen wie Black Friday riesige Pakete hochpreisiger Markenklamotten auspacken, würden einen völlig überteuerten Dresscode bei den Zuschauern hinterlassen, den sich gerade junge Zuschauer nicht leisten können.
Auslöser ist der YouTuber Ruadhán, der sich einem Video über Gothic-Youtube-Sternchen Black Friday ziemlich rüde echauffiert. Im Video „I’m so sorry“, in dem sich BF für ihre lange Abstinenz entschuldigt spricht sie auch die vielen Nachrichten an, die sie von jungen Leuten bekommt, die „gerne Goth sein wollen, es sich aber nicht leisten können“ (5:20) Für Ruadhán ist die Sache klar, denn in seinem Video „Aging Goth Thinks That ItsBlackFriday Needs to Quit Her Crap“ meint er, dass Black Friday selbst das Problem ist, (3:51) Denn sie mache ja eben diese „fucking sponsored Videos“ von den Marken Killstar und Punkrave, die den Kids suggerieren würde, nur in diesen Marken-Klamotten ein „richtiger Goth“ zu sein. Grund sind Videos wie „Biggest Killstar Unboxing Ever!“ und andere Videos dieser Machart, die für Ruadhán nicht als Werbung sind, „die sie noch nicht einmal kennzeichnet!“
Fadenscheinig würde sie sich dann geben, wenn sie erzählt, wie sie in einem Second-Hand-Laden in Neuseeland für kleines Geld ein Gothic-Outfit zusammenkaufen könnte. Und wo Ruadhán gerade mal dabei ist, kriegt auch die Geschichte von Black Fridays Scheidung vom deutschen Grufti Matthias ihr Fett weg. (12:24) „Sie zieht nach Deutschland, heiratet um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, dann wird sie geschieden und hat dann die Nerven zu erklären, sie sei darüber verärgert, dass ihre Genehmigung widerrufen wurde!“ Ja, da wird er sauer, der Ruadhán.
Argumentative Unterstützung zur Klamottenfrage erhält er von YouTuberin „frightsummers„, die sich im Januar mal hingesetzt hat, um auszurechnen, wieviel Gegenwert Black Friday und Toxic Tears in einem Jahr von den Firmen in Klamotten erhalten. In ihrem Video „The goth life style is too expensive“ rechnet – oder besser schätzt sie – vor, dass Black Friday rund 6800€ und Toxic Tears etwa 5000€ an Klamotten, Schuhen und Accessoires im letzten Jahr bekommen haben. Sie stellt sich zurecht die Frage, ob sich die beiden dieses Arsenal an Dingen überhaupt leisten könnten, wenn sie diese nicht von den Firmen zur Verfügung gestellt bekämen.
Black Friday bleibt jedoch auch nicht allein mit den Vorwürfen der beiden Goths zurück, sondern erhält moralische Unterstützung von anderen YouTubern. Dorian von „Of Herbs and Altars“ beispielsweise fragt in seinem Video „Re: Black Friday Needs to Quit Her Crap!“ ganz direkt: „Was soll sie denn machen mit den ganzen kostenlosen Klamotten machen, die sie bekommt? Sie in die Ecke stellen und nicht beachten, weil sie damit die Augenhöhe zu ihren Fans einbüßt?“ (16:41) Nein, so Dorian weiter, das ist schließlich ihr Job, ihre Lebensgrundlage und Teil ihres recht erfolgreichen Kanals. Immerhin schießt er gleich noch ein Video hinterher das erzählt, wie man günstiger an die begehrten Klamotten kommt.
Avelina De Moray springt in ihrem Video für Black Friday ebenfalls in die Bresche und wirft dem „Angry Man“, so wie Ruadhán inzwischen genannt wird, vor, dass er „Goths in Verruf bringe„, wenn er so ein hasserfülltes Video über jemanden mache, den er nicht mal richtig kennt. Für sie handele er eifersüchtig und würde es BF nicht gönnen so erfolgreich zu sein. „Solle er doch seine Lebenssituation verändern, wenn er sich das alles nicht leisten könne, oder sich weiterbilden gehen„, sagt sie. Dabei sitzt sie am Fußende ihres pompösen Bettes und zieht wahnwitzige Vergleiche, YouTube hätte den Verdienst seiner Content-Creator beschnitten und so wäre es absolut nicht verwerflich, sich auf diese Art bereichern zu lassen.
Gothic – Ein Kleidungsstil für Besserverdiener?
Wir wissen es alle. Gothic war eine Subkultur, die sich ihre Ästhetik selbst gemacht hat. In den 80ern gab es weder Internet noch rein alternative Labels mit Gothic-Garantie. Zweckentfremdung, Second-Hand und Do-It-Yourself waren die Devise. Knappe 40 Jahre später haben sich ein paar Dinge geändert. Gothic ist nicht nur eine Subkultur, sondern auch ein Bekleidungsstil. Das Internet sorgt für eine garantierte Dauerversorgung und mittlerweile existieren zahlreiche Marken, die sich auf „Gothic-Kleidung“ spezialisiert haben.
Killstar und Punkrave sind zwei Beispiele, die vor allem mit ihren hochpreisigen und wertigen Klamotten einen Namen gemacht haben. Massive Werbung durch Influencer (so nennen sie zum Beispiel YouTuber wie Black Friday) in nahezu allen aktuellen Medien können suggerieren: „SO SIEHT GOTH AUS!“ Gruftis, die ihre erste subkulturellen Gehversuche in selbst zerschnittenen T-Shirts und schwarze Hosen von C&A oder Primark machen, werden da schnell belächelt. Ein richtiger Grufti zu sein, das kann teuer werden! Gerade dann, wenn die Hände links herum funktionieren.
Unrecht hat er also nicht, dieser „Angry Man“, jedenfalls inhaltlich, auch wenn die Wahl seiner Worte tatsächlich etwas beleidigend ist. Viel besser macht es Avelina aber auch nicht, wenn sie Ruadhán indirekt mangelnde Bildung vorwirft.
Fakt ist: Gothic ist auch (oder vor allem) ein Modetrend, den man sich mit entsprechendem Geldbeutel schnell zusammenklicken kann. Gothic ist aber auch eine Subkultur, die es nicht erfordern sollte, sich nur mit schwarzer Kleidung bestimmter Marken einen Ausdruck zu verleihen.
Seifenoper Youtube – Ein multimediales Schlachtfeld zwischen Authentizität und Geltungsdrang

Hat man früher mit Daniela auf den ausgelutschten Sofas seines Gothics-Clubs über Michael und Sabine gelästert, so werfen sich Youtuber heutzutage in ihrem virtuellen Wohnzimmer sogenannte „Reaction“ Videos an den Kopf. Zuschauer können sich dann an der Meinung und den damit verbundenen Emotionen laben und ihrem angeborenen Voyeurismus nachgehen.
Zwischen denen, die mit Werbung, Produktplatzierungen und Shoplinks mit YouTube Geld zu verdienen, tummeln sich Selbstdarsteller mit einem gewissen Geltungsdrang zu einer klumpigen schwarzen Masse aus Videos. Für den Zuschauer ist das manchmal kaum zu unterscheiden – soll es auch gar nicht. Denn nur wenn YouTuber authentisch, also lebensecht und mit allen emotionalen Höhen und Tiefen, rüberkommen, versammeln sie viele Fans um ihre Person.
Es ist manchmal erschreckend befremdlich, wie „Influencer“ ihr Privatleben in Bild und Ton teilen, nur um die Zuschauer zufrieden zu stellen, um dann gleich im nächsten Atemzug mit einem „Haul“ oder einer „Review“ ihre anderen Geldgeber, die Sponsoren und Firmen, zufrieden zu stellen. Natürlich kann man auch mal neidisch sein, wenn Black Friday einen ganzen Killstar-Einkauf umsonst nach Hause geliefert bekommt, man darf aber nie vergessen, welchen Preis sie dafür bezahlt. Sich von Zuschauern sein Leben kommentieren zu lassen erfordert ein hohes Maß an Selbstbewusstsein. Wer das nicht hat, zerbricht daran. Manchmal sogar wie in einer Seifenoper – hochdramatisch und voller Tränen.