Formel Goth: „Gold und Silber“ sagt der Körper und bringt mich um den Verstand

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Da es jüngst zu einigen Verwirrungen gekommen ist, möchte ich „Formel Goth“ und den „Musikperlentaucher“ kurz voneinander unterscheiden. Der Taucher holt aus der Tiefe des Vergessens die möglicherweise verschollenen Perlen, beschäftigt sich also mit Musik, die älter als 20 Jahre ist. Formel Goth, in Anlehnung an „Formel Eins“, beschäftigt sich mit Neuerscheinungen und frischen Flitzern, die an der Konkurrenz vorbei in meinen Gehörgang schießen und nicht älter als 5 Jahre sind.

Curses – Gold & Silber (feat. Perel)

Curses, alias Luca Venezia, hat sich entschieden, den Sound seiner Jugend neu zu interpretieren und hat sich für das Stück „Gold & Silber“ Verstärkung von Perel geholt, die selbst auch auf Solo-Pfaden unterwegs ist. Aber das ist nebensächlich, denn tatsächlich steht hier das Gesamtkunstwerk mit Video im Vordergrund, das zwar ziemlich Gaga ist, aber schon wieder so Gaga, das es wieder cool klingt und aussieht. Soll mir doch mal einer die Bodybuilderin erklären.

Void Vision – Body Says

Ein kleines Tütchen Dunkel-Pop reißen uns die beiden Damen von Void Vision auf, das sie über ihr merkwürdig verstörendes Video zu ihrem neuesten Song „Body Says“ streuen. Der Song knistert auf der Zunge wie knatschbuntes Magic Gum, obwohl man hinter dem Mikro redlich bemüht, dunkel und düster zu klingen. Der Song ist eingängig und tanzbar, bleibt aber langweilig und eintönig zurück. Das Video, mit den vier Morlocks am Tisch der Obszönitäten reißt es auch nicht raus. Wer möchte, erlebt Void Vision am 7. Juni um 17.50 auf dem WGT im Stadtbad.

Konstantin Unwohl – Mein Verstand

Entgegen des prophezeiten Unwohlseins fühle ich mich bei „Mein Verstand“ ganz und gar nicht unwohl, aber ich heiße ja auch nicht Konstantin. Tatsächlich finde ich das Stück sogar äußerst (!) gelungen. Kantige Synthesizer die bisweilen melodisch verspielt über dem Ohr schweben erregen meine Aufmerksamkeit. Die hämmernden und stampfenden Beat sind von der Sorte, die auf der positiven Wortbedeutung von „hämmernd“  und „stampfend“ liegen und nicht unangenehm hämmern und stampfen, wie man es beispielsweise von eintönigen Techno-Platten her kennt. Dazu kommt ein tatsächlich sehr spannender Text, dessen Deutungshoheit dem Zuhörer viel Spielraum lässt. Find gut. Richtig gut.

Bonus: Corners – We’re Changing

Aus der sonnigen Stadt der Engel kommen die Ecken, also „The Corners“ um die Ecke und pflanzen ihr Stück „We’re Changing“ irgendwo in eine Ecke meines Gehörgangs, wo es jetzt schon die ganze Zeit dudelt. So ein bisschen erinnert mich der Typ auf der Bühne ja an den Ian, musikalisch beschreitet man geringfügig andere Wege. Post-Punk passt dazu immer. Mir gefällt es aber richtig gut. Fast so wie der Konstantin. Der hat das andere Ohr in Beschlag genommen. Und nein, ein Mashup wird daraus nicht werden.

Der Tag, an dem die 80er-Jahre wieder einen Sinn bekamen #NieWiederCDU

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Was haben wir uns in den letzten Jahrzehnten aufgeregt, dass der Kampfgeist der Jugend aus den 80er-Jahren in Angepasstheit, Selfies und YouTube-Videos enden musste. Niemand schien mehr wütend genug, um die Welt ändern zu wollen. Kein Kampf für die eigene Zukunft, für den Planeten, gegen die unfassbare Ignoranz und Dummheit der Politiker, die diese Welt zerstören. Waren die ganzen Botschaften und Veränderungen, die wir in den 80er-Jahren auf den Weg gebracht haben, denn wirklich so sinnlos?

Rückblick: In den 80ern sind wir gegen Atomkraft auf die Straße gegangen, hatten eine Scheißangst im Gepäck, dass unsere geliebte Natur durch einen Krieg für immer zerstört und radioaktiv verseucht wird. Und selbst ohne Atomkrieg sah alles danach aus, dass die Menschen durch Umweltverschmutzung und Konsumverhalten den Planeten zugrunde richten. Wir waren verzweifelt.

Damals gab es noch kein Internet und keine Informationen, die man sich mal kurz auf Knopfdruck runterladen konnte. Es gab ein paar Hintergrundberichte, durch die aber klar wurde, dass jeder Einzelne sein Verhalten ändern muss, um Größeres zu bewirken. Unsere Streben war es, diesen Gedanken auch ins Bewusstsein anderer Menschen zu bringen.

Wir haben damals versucht, etwas zu bewegen, indem wir darauf achteten, nicht dieselben Fehler zu machen wie die Generationen vor uns. Orphi ging es beispielsweise besonders nahe, als sie erfuhr, dass auch unser Fleischkonsum zur Ausbeutung des Planeten und zu Elend in den ärmeren Ländern dieser Welt führte. Sie hörte auf, Fleisch zu essen und wurde letztendlich sogar Journalistin, in der Hoffnung, etwas verändern zu können.

Wir wählten entsprechende Parteien, gingen demonstrieren und waren im Grunde genommen unglaublich wütend über das Establishment. Damals waren wir uns übrigens noch sicher, dass Nazis nie wieder eine Chance haben in diesem Land. Ja, wir zählen auch rechtes Gedankengut zur Zerstörung unserer Umwelt!

30 Jahre später – Alles sinnlos oder was?

Schnitt! Die Ozeane versinken im Plastik, die Nationen rüsten wieder auf, die rechten Parteien fangen wieder an zu marschieren und zu grölen. Die Europäische Union, die uns Frieden und Freiheit gebracht hat, wird – nicht nur durch die Brexit-Idioten – von allen Seiten torpediert. Klimaschutzprogramme werden nicht eingehalten, man begegnet fremden Menschen mit Hass und Ablehnung.

Von der Jugend fehlte lange jede Spur des Widerstands. Es sah so aus, als hätten sich die Studien bewahrheitet, die 2002 von einer unideologischen, 2010 von eine leistungsorientieren und 2016 von einer angepassten Jugend sprachen. Die jungen Leuten waren anderweitig beschäftigt – wollten lernen, leisten und leben. Man schaute sich auf YouTube lieber an, wie sich andere schminkten, kleideten oder Spiele spielten. Unsere Wut von damals, nichts bewegen zu können, wurde von dem Gefühl, nichts bewegt zu haben, abgelöst. Unsere Proteste und Appelle schienen nicht zu funktionieren, unsere Gedanken schienen keine jungen Leute mehr zu erreichen.

Seit einigen Wochen und Monaten passiert was Lautes. Die jungen Generationen sind wütend und kämpfen. Sie gehen auf die Straße und wehren sich. Man hat als „alte Generation“ plötzlich nicht mehr das Gefühl, allein mit einem verlorenen Kampf dazustehen. Die nächsten Rebellen ziehen nach und treiben das, was wir in den 80ern auf Kurs bringen wollten und gebracht haben, weiter in die richtige Richtung.

Das Video hat inzwischen rund 8 Millionen Menschen erreicht und bringt die Parteien CDU, CSU und SPD in Erklärungsnot. Wie damals reagieren sie arrogant und überheblich, statt sich ernsthaft mit den Bedürfnissen der Jugendlichen zu beschäftigen.

Danke „Fridays for Future“. Danke Rezo. Danke YouTube-Stars. Danke an alle, die wieder für eine bessere Welt auf die Straße gehen und sich engagieren. Warum auch immer es genau dieses Video war, wissen wir nicht so genau. Aber der Tag, an dem wir uns Rezos Video angesehen haben, war der Tag, an dem die 80er Jahre wieder einen Sinn bekamen. Wir haben Hoffnung für die Zukunft.

Bitte nutzt Eure Stimme, um etwas zu verändern. Nutzt Eure Stimme, um die zu unterstützen, die noch nicht wählen dürfen. Geht (klug) wählen!

Und sorry liebe YouTuber, dass wir Euch so unterschätzt haben.

Wochenschau #4/2019: Jeden Tag wird eine andere Sau durchs Dorf gejagt

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Die sozialen Netzwerke habe unsere Welt verändert. Sie haben uns verändert. Plötzlich ist es möglich, jederzeit vor einer größeren Anzahl von Leuten seine Meinung kundzutun. Direkt. Ohne Filter und doppelten Boden. Wie in einem Schneeballeffekt springen dann Leute auf diese Meinung auf, verbreiten sie weiter im Netz und heften ihre Sicht der Dinge noch unten dran. Natürlich noch krasser, damit sie in der Masse der Meinungen gehört wird. So entsteht ein Shitstorm. Man möchte meinen, jeden Tag wird eine andere Sau durchs Dorf gejagt. „Madonna hat ihre Karriere ruiniert!“ – „Für mich ist Madonna gestorben!“ Ein einziger Auftritt ruiniert ein popkulturelles und musikalisches Lebenswerk? Respektlos, anmaßend, ausufernd, widerlich finde ich das. Meinung mit Emotionen zu verknüpfen ist nie ein gutes Rezept und manchmal hilft es auch, einfach mal, seine Meinung für sich zu behalten und ein paar Tage später nochmal drüber nachzudenken.

Was die Welt so hört | Zeit

Die Jahresbilanz der Musikindustrie offenbart einige Umbrüche in den Gewohnheiten wie wir Musik konsumieren. Streaming besiegt den Plattenverkauf und Festivals sind auf dem Vormarsch. „Ja, nach dem Kollaps der klassischen Musikindustrie und dem Aufstieg der Streamingkultur ist es für die Mehrzahl der Beteiligten so schwierig wie nie, vom Musizieren zu leben und daraus eine dauerhafte Karriere zu entwickeln. Bis die Einnahmen aus dem Streaming jemals in die Nähe der traditionellen Plattenvertragsprofite geraten, wird es noch lange dauern, falls es jemals geschieht.“ Die Globalisierung der Musikindustrie sorgt dann für zusätzliche Konkurrenz aus nahezu allen Ländern dieser Welt. Interessant ist auch, dass Deutschland in Europa eine ganz besondere Stellung einnimmt.

Rückblick auf die „London Edge“, die Fashion-Show für subkulturelle Mode | Altvenger

Das ist völlig an mir vorbeigegangen. Ende Januar fand in London die wohl bekannteste Fashion-Show für subkulturelle Mode statt, die London Edge. Neben vielen Interessanten Accessoires für den modischen Grufti von heute fand sich auch ein (neuer?) Hersteller aus Portugal, der wohl Pikes produziert. „Steelground  focuses on Gothic, Punk, Steampunk, Rockabilly, Pin Up, Mod and Metal fashion styles. The designs are simply breathtaking, however, the pictures on their web site. don’t do them justice; you really need to see the shoes and appreciate not only the style or design, but the quality as well. It’s very difficult to choose among so many different designs; they cover a wide range of styles from Beatnik, Rockabilly, Mod pointed toe shoes, Creepers, Brogue shoes to Gothic pikes, Steel toe cap combat boots, Gothic platform shoes for women and men… the list is almost never ending. Although  models come in two variations, genuine leather and vegan, this brand focuses more on vegan friendly materials.In einem weiteren Artikel auf ihrer Website gibt es noch mehr Informationen dazu.

Goth is not a teenage phase it’s a passion for the dark and beautiful | METRO

Gothic-Porno-Model Zoie Campell erklärt uns, wie sie Gothic wurde und warum sie aus dieser Phase nie wieder rauswachsen wird. Leider erklärt sie uns nicht, warum sie dabei chronisch zu wenig Kleidung trägt und in ihren Instagram-Profil vor dem Spiegel wackelt, wie eine Wackeldackel auf Kopfsteinpflaster. „Finally, one day when I was out shopping with my family, I saw a young, gothic woman for the first time. She was hand in hand with her boyfriend. She was wearing a Tripp brand skirt, combat boots, fishnets, pigtails highlighted with red streaks, a choker and a Type O Negative shirt. My memory of her is so precise because that moment was like an epiphany of self-discovery. It finally understood who I was. She looked over at me very briefly and from then on I couldn’t stop smiling, I knew how I wanted to present myself to the world.“

Das zweitgrößte gotische Kunstwerk nach „Notre-Dame“ | Der Standard

Dieser Artikel huldigt mit spitzer Zungen dem Geburtstag des inzwischen 60-jährigen Robert Smith auf sehr gelungene Weise: „Buben weinen nicht: Smith nahm in den darauffolgenden Jahren etliche Kilos zu und vor allem eine stolze Anzahl unsterblicher Platten auf. Alben wie das in Schwaden von Tränengas eingehüllte „Faith“ oder das vor autoaggressiver Zerstörungslust berstende „Pornography“ festigten „Fatbobs“ Ruf. Pornography begann mit der Zeile: „It doesn’t matter if we all die…“ Gitarrist Smith wurde zum Herrscher der Gothic-Bewegung ausgerufen, von der er selbst nichts wissen wollte.

Skull-Shaped Beer Steins Were Once Popular Graduation Gifts | Gastro Obscura

Manchmal frage ich mich, warum es solche Artikel nicht aus unserem Lande gibt und wir Amerikanern überlassen, in unserer eigenen obskuren Vergangenheit zu forschen: „It’s the late 1800s in Germany, and you’re graduating with a medical degree. You’ve got your robes, your anatomical sketches and, of course, your trusty skull stein. You grab it by the bone-shaped handle and raise it for a toast, as you and your friends sing, “Gaudeamus igitur, juvenes dum sumus.” In other words: “Let us rejoice while we are young,” before our bones are buried in the earth. Yes, the skull stein—a hollowed-out model skull that could hold up to half a liter of beer in place of a brain—was all the rage in late-19th and early-20th century Germany, particularly in the central state of Thuringia.

Avengers Endgame – Der absolute Verschleiß | SPEX

Ein ziemlich großartiger Artikel über den neuesten Marvel-Film, der dann doch tätsächlich zusammenfasst, was schon eine ganze Weile auch in meinem Herzen brodelt: „Eine weitere Hollywood-Regel, die Marvel beherrscht, besagt: Wirf das Geld zum Fenster hinaus, aber auf die Straße, wo die Leute es sehen können. Und sehen kann man in Endgame neben den unvermeidlichen CGI-Schlachten vor allem teure Gesichter. Was Marvel hier an Starpower auffährt, ist natürlich kalkuliertes Eventmanagement. Es gibt Weltstars in diesem Film, die tatsächlich kein einziges Wort sagen. Es ist der absolute Verschleiß.“ Auf der einen Seite lacht das Nerd-Herz, während es auf der anderen Seite über die Verschwendung großariger Charaktere der Comic-Geschichte trauert.

Wave-Gotik-Treffen treibt Hotel-Preise in die Höhe | Check24

Die knallharte Recherche des Investigativ-Portals „Check24“ ergab: „Nach einer Erhebung des Vergleichsportals CHECK24 müssen Übernachtungsgäste während der Veranstaltung vom 7. bis 10. Juni bis zu 59 Prozent mehr für ihre Unterkunft zahlen als üblich. Während eine Übernachtung in Leipzig sonst rund 99 Euro kostet, schlägt sie während des WGT mit etwa 157 Euro zu Buche.“ Ehrlich jetzt. Hätte ich überhaupt nicht gedacht

Das Memento mori der Hipster | Zeit

Unter den Hipstern, so nennt man moderne und trendbewusste Mitläufer des Zeitgeistes, ist es in Mode gekommen, sich mit seinem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Man sitzt in einem Szene-Lokal auf dem Boden und spricht über die Planung der eigenen Beerdigung: „Das ist intensiver als ein Stuhlkreis“, sagt Nandzik, das Reden über den Tod „soll auch ein bisschen Rock ’n‘ Roll und Charme haben, sodass es zu einer Lebensrealität passt, in der ich mich bewege“. […] Sie fühlte sich nicht aufgefangen in der herkömmlichen Trauerkultur, auch die Errungenschaften von Hospiz- und Palliativmedizin reichten ihr nicht. Nandzik gehört zu einer Generation, die normalerweise binnen weniger Sekunden alle Informationen im Internet findet – wenn es um andere Dinge geht.“

TIC Club Mülheim schließt zum 29. Juni 2019 seine Pforten | Facebook

Im Dezember 2011 verkündete ich die Eröffnung eines neuen schwarzen Clubs in Mülheim, jetzt muss ich leider von der geplanten Schließung des Clubs berichten. Die Gründe dafür sind vielfältiger als man denkt, wie das ausführliche Statement bei Facebook verrät. „Durch die Wiederbelebung der Gastronomie an der Sandstraße hat sich […] die Parkplatznot […] nun weiter zugespitzt. Zum Tanz in den Mai musstet ihr mit den Gästen von gleich 3 anderen Veranstaltungen um die Parkplätze am Club und sogar in der Umgebung konkurrieren.“ Solche Veranstaltungen sind aber wichtig, so der Betreiber, um die Grundversorgung des TIC an den nicht so populären Tagen mitzufinanzieren. „…außerdem [wird] unser Bahnanschluss ab Juli wieder für Wochen komplett und weiträumig lahm gelegt, was nach der Erfahrung der letzten Jahre einen deutlichen Besucherrückgang bedingt, der uns allein schon in Bedrängnis bringen würde.“ Neben persönlichen und auch gesundheitlichen Gründen hat dieser Besucherrückgang den Ausschlag gegeben, das TIC zu schließen. Bei Facebook wird derweil heftig über die „wirklichen“ Ursachen der Schließung spekuliert. Viele Kommentatoren machen dort den radikalen Programmwechsel seit 2014 für den dauerhaften Besucherrückgang verantwortlich.

Why Do I Dress Like This? Am I Goth? | Jake Munro

YouTuber Jake Munro assoziiert sich gerne mit dem Hashtag #goth, hat aber mit der Subkultur als solches, nichts zu tun. Ihm ist es offensichtlich egal was andere darüber denken, ich finde, wir brauchen bald einen neuen Begriff für unsere Szene :)

The Mighty Boosh | BBC

War eine großartige Comedy-Sendung, die uns leider vorenthalten wurde. Daher behelfen wir uns mit kleinen Schnipseln und lachen trotzdem.

https://www.facebook.com/bbccomedy/videos/410611012825307/

Noch 17 Tage: Doku Countdown zum WGT – Wave Gotik Treffen 2011

Der Mai will noch nicht so ganz. Es heißt, der Mai ist öfter Mal so. Eigentlich soll der April ja so sein, wie der Mai gerade ist. So kalt und nass und dann auch wieder warm und freundlich, wie man sich Mai vorstellt. Völlig egal, wann das WGT nun konkret stattfindet, spätestens im Mai bekommen ich die Wetterfurcht. Die WGT-Wetterfurcht. Wird es zu heiß? Wird es zu kalt? Wird es in Strömen regnen? Fragen, die ich mir jedes Jahr stelle, aber auf das Wetter kann man sich erst dann einstellen, wenn es so weit und halbwegs klar ist, wie das Wetter denn nun wird. Die Wetterfurcht ist bei mir jedes Jahr die gleiche. Das WGT ist nicht jedes Jahr gleich, auch wenn es von außen betrachtet jedes Jahr das gleiche Festival ist.

Dann versuche ich mich daran zu erinnern, wie das vor meinem ersten WGT war. Es war ein Mysterium, ein magischer Ort an dem sich Menschen treffen und das zelebrieren was sie ausmacht. Alles, jedes Schnipselchen an Information, das ich damals finden konnte, stopfte ich in mich hinein. Faszinierend empfand ich die Aufnahmen, die viele unterschiedliche Stile festhielten und die Ausschnitte aus der Festivalleben zeigen und das Erleben verschiedener Gesprächspartner festhielten. Immer sehr gefragt und häufig mit dabei: Mark Benecke, der Kriminalbiologe und Cornelius Brach, der offizielle Pressesprecher des Treffens.

Die Doku gebe ich euch jetzt einfach so mit, zum einstimmen. Zum gucken und zur Kurzweil. Ist nicht sehr lange. Am Ende ist das, was die Besucher dort erleben sehr unterschiedlich und doch irgendwie gleich, am Ende auf dem selben Nenner. Das WGT 2011 war übrigens eines der größten Treffen der letzten Jahre. Rund 26.000 Besucher genossen 279 Bands an 39 Veranstaltungsorten. In den darauffolgenden Jahren sind die Zahlen wieder auf das ursprüngliche Niveau zurückgefallen.

Walk in Silence – Zum Todestag von Ian Curtis sehe ich Peter Hook auf der Bühne

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Manchester liegt Mitte der 70er Jahre in eine Schockstarre. Alles was die Stadt einst groß machte, befindet sich im Niedergang. Die gesamte mittelenglische Industrie liegt stöhnend in ihren Trümmern. Hoffnungslosigkeit erfüllt Vororte wie Macclesfield, in dem Ian Kevin Curtis als Sohn eines Polizisten aufwächst. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Aussichtslosigkeit noch höher. Curtis kann nicht anders, als diese Stimmung wie ein Schwamm in sich aufzunehmen, es ist sein Fluch. Er bricht die Schule ab und jobbt erst in einem Plattenladen, später im Verteidigungsministerium, dann im örtlichen Arbeitsamt. Curtis ist depressiv, nimmt Valium und Drogen, schreibt Text und liebt die Musik von David Bowie. Als er 1976 Peter Hook und Bernard Sumner kennenlernt, findet auch er ein Ausdrucksmöglichkeit. Joy Division. Er gefällt sich zunächst in der Rolle des intellektuell und düster-aggressiven Poeten, doch die Dämonen seines Wesens wird er nicht los.

Am 18. Mai 1980 verschlucken sie ihn. Ian Curtis erhängt sich in seiner Wohnung.

Für mich bleibt Curtis der Ur-Goth. Er hatte damals keine Lust auf die derbe Bierbüchsen-Rebellion der Punks oder die ignoranten New-Waver mit ihrer gespielten Dekadenz. Sein Umfeld und seine Umwelt ist ein Scherbenhaufen und er kann nicht anders, als sich ständig daran zu verletzen. So sind seine Texte und die Musik von Joy Division Ausdruck einer Verletzlichkeit und Sensibilität, für die damals kein Platz war. Nach seinem Tod wird er zur Ikone, weil quasi jeder Song der beiden Alben die Gefühlswelten vieler Jugendlicher in den 80ern spiegelt. Viele empfinden seine Musik seinerzeit als Lebensveränderer. Manchmal frage ich mich, ob sie auch mich verändert hätte, wenn ich seine Musik früher hätte begreifen können.

Heute Abend sehe ich beim New Waves Day Peter Hook, den ehemaligen Bassisten und Gründungsmitglied von Joy Division live in Oberhausen. Am Todestag von Ian Curtis. Der wird mir zwar nicht die Zeit zurückholen, die ich vermeintlich verpasst habe. Vielleicht aber ein wenig Sehnsucht in einer Welt, die fast alles bietet. Ich hoffe, das rechtfertigt meinen kleinen Anfall von Nostalgie. Mir war einfach danach.

Sam Riley als Ian Curtis
Sam Riley in seiner Rolle als Ian Curtis in dem 2007 erschienen Film „Control“.

Musikperlen – Der Chauffeur fährt wie eine Wildsau durch die Grossstadtnacht (Tauchgang #41)

Ich war schockiert. Konnte die Suchfunktionen einen Fehler gemacht haben? Eilig prüfte ich sämtliche Einstellungen, untersuchte die künstliche Intelligenz auf Fehler in der Selbstdiagnose und nahm tatsächlich auch einen Stift zur Hand, um daran zu kauen. Doch die Suche hat mich nicht getäuscht. Seit Oktober 2018 gab es keinen neuen Musikperlentaucher mehr! Hastig setzte ich die Kopfhörer auf, zog die schwarze Badehose mit den Bleigewichten an, spülte die Taucherbrille und holte tief Luft. Zeit, neue Musikperlen aus der Dunkelheit zu fischen.

Duran Duran – The Chauffeur

Die Pop-Ikonen der 80er hatten nicht nur geleckte Vorzeige-Hymnen für die pulsierende New Wave Ader in den internationalen Charts, sondern auch Stücke die mehr Tiefe zu bieten hatten, als die, die man bei „Wild Boys“ hinter den fantastischen Video im Mad Max vermuten konnte. Daniel Dressler rezensiert das Stück eindrucksvoll leidenschaftlich: „Weder im Refrain, noch in der Strophe findet sich der Titel wieder. Und doch baut sich über ihn die ganze Spannung dieses Liedes auf: Für sich genommen wirkt der Text wie die Innenschau eines Mannes, der mit (s)einer Frau einen Ausflug zum Strand macht. Doch der Titel „The Chauffeur“ ruft sämtliche standes- und gesellschaftspolitischen Konventionen hervor: Das Verhältnis von Chauffeur und Chauffierten ist auch jenes von Diener und Vorgesetzten, von Gehorsam und Machtausübung.

Dreizack – Grossstadtnacht

Die Band aus der Landeshauptstadt Düsseldorf entstand 1982 aus der Gruppe Sinclair und dürfte wohl mit Eintagsfliege am ehesten zu beschreiben sein. Der Song „Großstadt-Nacht“, den sie auf Welt-Rekord herausbrachten, blieb ihre erste und einzige Veröffentlichung. Ulrich Luciano, der den wunderbaren Text zu dem Song beisteuerte, schrieb zwar weitere Titel, die wurden jedoch nie produziert. Er entschied sich stattdessen, Songs für Grönemeyer und Jürgen Drews zu schreiben. Schade eigentlich. „Sie ist tot diese Großstadt, ich fühl‘ ihre eiskalte Stirn; Grelle Blitze aus Neon zerschießen brutal mein Gehirn; Ich ertrinke im Dunst einer Nacht,die mein Hoffen erstickt; Illusionen zertreten pervers mein gepflegtes Gesicht; Und die Straße die stinkt nach Benzin,wie kann das anders sein; Und der Penner im Rinnstein verblutet im billigen Wein…

Maybe – Wildsau

Und dann kommt immer der Song in der Liste, von dem du noch nicht einmal weißt, wo du ihn aufgeschnappt hast und wo das allwissende Internet an seine Grenzen stößt. Maybe, so heißt die Band, ist so ein Fall. Bis auf ein paar Fetzen Informationen, die einige der Musiker als ZDF-Musik-Schreiber identifizieren, ist nichts bekannt. Klassischer NDW Sound mit klassischen und völlig hirnverbranntem Text. „Riesling, Sprießling! Ein Riesling für mein Sprießling!“ Die Engländer würden es lieben.

The Breath of Life – Nasty Cloud

Ihr habt überlebt. Trotz des Fahrstils des Chauffeurs bei tiefster Dunkelheit seid ihr hier gelandet. Zeit durchzuatmen. Nehmt mit mir „The Breath of Life„. Die belgische Dark-Wave Band veröffentlichte 1994 ihr Album „Taste of Sorrow“ und zeigt mit dem Stück „Nasty Cloud“ die ganze Bandbreite von Sängerin Isabelle Dekeyser, die am Mikrofon durch einen eindrucksvollen Eindruck beeindruckt.

 

Armbrustfall: Gothic-Szene und Mittelalter-Sex-Zirkels? Zum Umgang mit Informationen in der offiziellen Berichterstattung

Wir waren uns nicht sicher, ob solche eine Berichterstattung, in denen es nur um Spekulationen geht, noch Platz hier finden sollte. Auf der einen Seite wollten wir möglichst aktuell berichten, auf der anderen Seite aber auch reflektiert und nachdenklich. Im Mai 2019 haben wir uns gegen eine Veröffentlichung entschieden.

Fünf Menschen sind tot. Drei der Menschen starben durch Pfeile einer Armbrust. Vermutet wird Tötung auf Verlangen oder (erweiterter) Suizid. Zwei weitere Leichen werden in der Wohnung einer der Toten gefunden. Die beiden Frauen – davon eine die Ehefrau der einen Armbrust-Toten – und eine junge Frau, die möglicherweise schon einige Zeit als vermisst galt – schon länger tot. Wie die beiden Fälle miteinander verbunden sind ist noch unklar. Klar ist: Das ist tragisch. Das gibt Rätsel auf. Denn bisher weiß man nur wenig. Darum soll es hier auch gar nicht gehen. Die Tat zu klären ist Aufgabe der Ermittler und es obliegt uns nicht mit Halbwissen zu spekulieren, daraus Schlüsse zu ziehen und die Sache weiter künstlich aufzublasen. Mit Vermutungen ist man hier schnell bei der Hand, was diese zur Sache zu tun haben ist mitunter fraglich, hält öffentliche Medien aber nicht davon ab, diese zu bedienen, um… ja, um was eigentlich? Hier geht es folglich um den Umgang der Medien mit Informationen, deren Nutzen zweifelhaft ist.

Nachdem die Toten gefunden wurden berichteten diverse Medien, mitunter stundenaktuell. Der SWR Rheinland-Pfalz sendete dazu am Montag um 19:30 einen kurzen Beitrag in dem der Reporter auf den Fall einging. Seltsam hier, wie auf diese eingegangen wurde:

Man muss davon ausgehen, dass es sich vielleicht um eine Tat im Bereich der Gothic Szene gehandelt hat, denn die Wirtin des Lokals hier in Passau hat mir auch bestätigt, die Personen, waren dunkel gekleidet und hatten sich am Freitag erst relativ spät am Abend angemeldet. Gegen 22 Uhr. Sind dann kurzfristig gekommen und sind zunächst ohne Gepäck in ihre Zimmer gegangen. Das war schon ein bisschen auffällig. Der Mann in einer Tarnfleckkleidung – ähnlich wie die Bundeswehr auch gekleidet ist und Beziehungen in diese Szene lassen sich garantiert nicht von der Hand weisen. Aber genaue Hintergründe, genaue Motivlagen, die Beziehungen der Personen untereinander, da hat die Polizei noch jede Menge Arbeit vor sich.

Die Informationen dürftig, der Zusammenhang und die Aussagekraft fraglich. „Vielleicht eine Tat im Bereich der Gothic-Szene.“ Was soll uns diese Information sagen? Was sollen wir damit machen? Wie trägt das zum besseren Verständnis des Falles bei? Was ist die implizite Message darin? Menschen in „der Gothic-Szene“ sind eh komisch und daher ist das nicht verwunderlich? Kuckt mal, die gehören zu einem komischen Kult, weil sie sich schwarz kleiden und komische Musik hören und da muss ja was nicht stimmen? Wie man darauf gekommen ist? Die Personen kleideten sich dunkel

Screenshot v. Alexander Becker

und kamen erst sehr spät und ohne Gepäck in der Pension an, in der sie schließlich tot aufgefunden wurden. Der tote Man trug eine Hose mit Tarnmustern. Aha! Klar „lässt sich dann die Beziehung in diese Szene“ nicht von der Hand weisen…Wäre der Kommentar „angenommen wird eine Tat im Zusammenhang mit Drogenhandel“ gewesen, hätte das deutlich mehr Aussagekraft gehabt. Das man bei illegalen Geschäften jetzt nicht unbedingt nett zu einander ist, ist ein sehr belegbarer Schluss und kann bei der Aufklärung helfen. Aber das? Nee, ne.

Verwunderlich und diskussionswürdig fanden das auch Mitglieder der Facebook-Gruppe Wave Gotik Treffen (WGT). Ein User fasste sich daher ein Herz und fragte beim SWR nach: „Der Reporter bezieht sich unter anderem auf Aussagen der ehemaligen Nachbarn der Toten. Diese haben das so eingeschätzt“ Ich weiß ja nicht wie gut ihre eure Nachbarn kennt, aber von der Kleidung auf die Einstellung und den Charakter eines Menschen zu schließen machen wir nicht, nee, ist unhöflich und oberflächlich, hab ich gelernt (und meistens auch noch nicht ganz richtig). Und selbst wenn, weiß ich immer noch nicht, wie mich das näher zum Verständnis der Sachlage bringt.

Einer anderen Spur folgt RTL.„Alle 5 Tote sollen gemeinsam in Mittelalter-Sex-Zirkel gewesen sein“. Naaaa, Buzzwörter angekommen? Sex! Oooh. Mittelalter! Uuuuh. Zirkel! Aaaah. Skandal! Verrucht! Und ja kein Wunder, wenn man sowas macht, klingt damit. Also nehmt euch in Acht vor Menschen, die gemeinsamen Sex zelebrieren und sich für das Mittelalter interessieren. Das tut dann was zur Sache, wenn es die Beziehung der Menschen untereinander und die Frage, wie und warum es zur Tat kam aufklären kann. Dazu weiß man aber wohl momentan noch zu wenig. Zu Mal nicht öffentlich bekannt ist, was die zwei Testamente, die in der Pension neben den drei Toten gefunden wurden besagen. RTL versucht trotzdem den Schluss: Der einzige männliche Tote soll nämlich der „Gebieter“ der unbekannten Toten gewesen sein. „Ab diesem Zeitpunkt veränderte sie sich. Sie wurde zurückgezogen, depressiv, färbte sich die Haare schwarz und brach mit ihrer Familie“. Die Aussagen bleiben für sich alleine stehen. Interpretation und Schlussfolgerung offen. Hinweise darauf, dass es sich um manipulative Einflussnahme und ein ungesundes Beziehungsverhältnis gehandelt haben könnte bleiben aus.

Lag aber sicher am Mittelalter-Sex oder am Gothic Ding. Warum werden solche Aspekte in einer solchen Art und Weise thematisiert? Weil Menschen das Bedürfnis haben ihre Welt zu ordnen. Das ist einfacher, wenn wir kategorisieren und Hintergründiges befriedigt unsere Neugier und stärkt das Gefühl, dass wir einen Überblick haben. Das mit dem Urteil macht man sich dabei halt manchmal echt einfach und stützt dieses auf implizite Annahmen, Meinungen und Assoziationen. Schon Mal jemand auf der Straße gesehen und sich gedacht hat „Was ist das denn?“ Hmm, haben wir sicher alle schon.

Ob das jetzt Auswirkungen auf das „Bild der Szene“ hat? Ich denke wenig. Die Schreckensjahre, in denen die Menschen die Straßenseite wechselten, wenn sie einem Gothic begegneten, sind vorbei. Man hat sich dran gewöhnt, die Medien haben zur Aufklärung beigetragen. Das zieht vorüber wie ein Sommergewitter und war am Ende nur eins: wenig aussagekräftig.

Modelabel Gothic – Warum die Subkultur von Designern ausgeschlachtet wird

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Gathering of Shadows„, so nennt die japanische Modedesignerin Rei Kawakubo die aktuelle Design-Linie für ihr Label Commes des Garçons, das sie jüngst in Paris der staunenden Fachpresse präsentierte. Spätestens als Parma Ham in seiner Funktion als DJ die sphärische Musik von einer Kanzel auf die versammelten Experten niederregnen lässt, während die ersten Models einstolzieren, bleiben keine Zweifel offen. Wieder hat sich eine Designerin daran versucht, die Inspiration einer Subkultur in einer Modelinie umzusetzen.

Doch Kawakubo ist nicht allein. Bei Prada tragen die Models Wednesday-Gedächtnis-Zöpfe zu schwarzer Spitze und schweren Kampfstiefel. (Beispiele) Auch ein gewisser Marni, der sonst eher durch seine bunte Verspieltheit auffiel, setzt Akzente mit schwarzem Lippenstift und schweren Ketten. (Beispiele)

Doch warum ist das so? Warum ist die ästhetische Dunkelheit der Gothic-Szene immer wieder Vorlage für Designs bekannter Modedesigner?

Der subkulturelle Puls als ständige Wiederholung

In wiederkehrenden Rhythmen präsentieren Designer ihre düsteren Outfits und jedes Mal spekuliert man in der Presse darüber, ob es vielleicht Reaktionen auf aktuelle Ereignisse, weltpolitische Vorfälle oder gesellschaftliche Veränderungen sein könnten. Vermutlich ist die Erklärung aber viel einfacher.

Schon immer bedienten sich Modemacher den Styles der Subkulturen. Malcom McLaren und Vivienne Westwood bedienten sich zunächst an der Kluft der Teds (Teddy-Boys), die sie in ihrem Laden „Let it Rock“ in der Londoner King’s Road verkauften, bevor sich die beiden Mitte der 70er Jahre in der ästhetischen und inhaltlichen Vermarktung der Punk-Bewegung profilierten.

Designer lieben ästhetisch klar definierte Dresscodes, aus denen sie ihre Inspiration ziehen können. Die Gothics machten es ihnen besonders einfach. Schwarze Kleidung aus Leder, Lack oder Spitze, hier und da ein bisschen S&M und natürlich unkonventionelles Schuhwerk in Form von Kampfstiefeln oder spitzen Schnabelschuhen. Dazu geschlechtsunabhängiges Make-Up, gemischt mit religiösen oder okkulten Symbolen die nur noch durch die außergewöhnlichen Frisuren übertrumpft werden. Ein einfaches Rezept, das immer wieder und immer noch funktioniert. Gothic ist längst das Label für genau diese ästhetischen Grundregeln.

Dabei wird bewusst auf den sinnstiftenden Hintergrund der Szene verzichtet und eher am Rande als atmosphärische Bereicherung garniert. So spielen die musikalischen Wurzeln, die die Jugendlichen eben zu dieser Ästhetik animierten, noch die späteren inhaltlichen Auseinandersetzungen mit Melancholie und Morbidität eine Rolle. Schon in der 80er bedienten sich Designer am mittlerweile etablierten Dresscode der wachsenden Subkultur, um im Laufe der nächsten Jahrzehnte immer mehr davon in den modischen Mainstream zu tragen.

Mit der aufkeimenden Pop-Kultur der späten 90er wurde es letztendlich chic, sich immer wieder an den Stilen der Vergangenheit zu bedienen. Spätestens seit dem Millenium scheint es sowieso nichts mehr schöneres zu geben, als sich mit ästhetischen Wiederholungen zu schmücken oder stilistische Eintöpfe aus dem zu kochen, was man in alten Jugendmagazinen entdecken kann. Andi Harriman fasst das für Style Zeitgeist so zusammen:

At this point, goth has been so bastardized, we have to just accept it; otherwise we would be angry all the time. Publications often call anyone who wears a black dress, or has blood red lipstick, or who dons cat eye makeup as goth. There’s no way around it.

Leichte Beute und der Reiz des Bösen

Für viele Menschen ist unser Style ein Sinnbild für das Böse geworden. Nicht das Böse, was man nach außen hin ablehnt, sondern für das prickelnde, reizende, erotische und aufregende Böse. Wir sind – wenn man so möchte – die hübschen Antagonisten, die jeden gruseligen Film schmücken und zu denen man sich dann doch irgendwie hingezogen fühlt. Spätestens als Brandon Lee in „The Crow“ den leidenschaftlichen Rächer in Gothic-Kluft mimte, verbinden viele den damit verbundenen Look als den Reiz des Bösen. Jeder fühlt ein Stück weit mit Eric Draven als Rächer seiner getöteten Frau, obwohl wir wissen, dass die Ermordung der schrecklichen Bösewichte gerecht, aber unmoralisch ist.

Gothic ist die stilistisch leichte Beute, die in ihrer Ästhetik diese romantisch-exotischen Gefühlswelt verkörpert, ohne sich mit dahinter liegenden „Bösen“ zu identifizieren. Die Mode der Gothics – oder auf diesen Artikel bezogen – die Mode Gothic, ist für viele genau das: Ein vorübergehendes eintauchen in eine andere Welt, in der man sich besonders, irgendwie anders und ein klein bisschen böse fühlt.

Für Designer ist das ein patentes Rezept, ihren Kollektionen eine Richtung zu geben, von der sie meinen, dass sie die Menschen anspricht. Ein bisschen schwarzer Lippenstift, ein paar Kampfstiefel zur Feinstrumpfhose, ein Netzhemd zum braven Sakko und vielleicht hier und da ein Kreuz oder ein Pentagramm? Mit jedem „düsteren“ Merkmal fühlt man sich dann ein bisschen mehr „Gothic“.

Wir sind wohl dazu verdammt, als ästhetischer Freizeitpark für Menschen zu dienen, die auf der Suche nach einem neuen Reiz in ihrem Leben sind, weil sie ihr eigener Alltag befriedigt, aber gleichzeitig langweilt.

Livestream am 30. Mai: The Cure zeigt das Konzert zum Jubiläum des Albums Disintegration weltweit

Cure Fans aufgepasst, am Donnerstag, den 30. Mai 2019 zeigt die Band eines ihrer Konzerte in Sydney, die anlässlich des 30. Jubiläums des Albums „Disintegration“ gespielt werden, weltweit und kostenlos im Livestream. War es zuletzt 2002 den Trilogy-Besuchern in Berlin vorbehalten, das Album in voller Länge zu sehen und zu hören, lässt Robert Smith zusammen mit seiner Band nun die ganze Welt teilhaben. Nicht ganz ohne Hintergedanken, wie sich später herausstellen sollte.

Das Konzert ist das letzte einer ganzen Reihe von Konzerten, die im Sydney Opera House präsentiert werden und allesamt ausverkauft sind. Los geht es um 20:00 australischer Zeit, das heißt der Livestream beginnt bei uns bereits um 12:00 unserer Zeit. Eingefleischte Fans sollten als mit ihren Arbeitgebern sprechen, sich frei nehmen oder die Tagesplanung entsprechend umstellen.

Für Robert Smith war das ideale Möglichkeit, nicht noch mehr Konzerte dieser Art zu geben, wie er in einem telefonischen Interview mit dem Sender Sirius XM am 3. Mai offenbarte:

I don’t really want to dedicate the rest of the year to celebrating something that happened 30 years ago,” Smith said. “I’d much rather celebrate what we’re doing now. So the idea of the global stream of Disintegration was really to give me a bit of an out in case I decided we’re not going to do it again.”

Im gleichen Interview redet Smith auch offen über das neue Album, für das er immer noch keine endgültige Zusammenstellung gefunden hat. Wenn es nach ihm gehen würde, so sagt er weiterhin im Interview, wäre das Album ein 47-minütiger „unerbittlicher Untergang„. Da soll noch einer behaupten, Smith wäre kein Grufti. Denn obwohl er immer abstritt, dazuzugehören oder eine Galeonsfigur der Szene zu sein, läuft den Fans bei diesen kurzen Statements bereits ein gruftiger Schauer über den Rücken. Vermutlich möchte er einfach die „Dunkelheit“ ein wenig auflockern, so wie es auch auf dem Album Disintegration gemacht hat, als er mit „Lovesong“ ein Hochzeitsgeschenk an seine Frau Mary einspielte. Wir sind gespannt.

Interview mit viel Gehalt

Doch es ging nicht nur um den angekündigten Livestream, sondern auch über viele andere Dinge, über die sich Smith ausführlich auslässt. Wie Post-Punk.com niedergeschrieben hat, soll das kommenden Album, das letzte sein, das er veröffentlicht. Wenn es nach ihm gehen würde. Wie das vergangene und laufende Jahr gezeigt haben, ist Robert Smith immer für eine Überraschung gut, was dazu führt, das ich ihm seine Ankündiung nicht so ganz abnehme.

Immerhin hat 60-jährige durchblicken lassen, dass er offenbar Geschmack daran gefunden hat, Festivals zu kuratieren, wie er es zum 40. Bandjubiläum bereits im Londoner Hydepark gemacht hat:

We’ll be announcing another one later this month, which will be a really special one, actually, because we’re curating it,” Smith said. “So it’s going to be on the West Coast. There’s going to be about 10 other acts, all hand-picked. I just wanted to do something a bit like Hyde Park. Something a bit celebratory. […] I can’t wait to announce it, It’s such a great bill.

Ich habe am 30. Mai und so kurz vor dem Wave-Gotik-Treffen jedenfalls noch ein bisschen Zeit, den Livestream ab 12:00 auf Youtube oder Facebook zur verfolgen. Ich bin mir sicher, ich werde einige von Euch dort „treffen“. Wer Lust hat, kann sich das ganze Interview auch gleich hier anhören, es ist wie gesagt sehr interessant:

Video: Ein Kämpfer für die Subkultur – Mutti und Sohn über die Kölner Szene 1996

Ein unter Kennern jetzt schon legendäres Video des Senders RTL zeigt den 1994 1996 noch blutjungen Grufti Kämpfer, der damals mit Mutti gemütlich bei Kaffee und Gebäck am Tisch der elterlichen Wohnung sitzt und mit ihr über die Szene plaudert. Viele kennen Kämpfer schon damals als Besitzer des Kölner Szene-Laden „Art of Dark“, der jüngst sein 25-jähriges Bestehen feierte. Doch der umtriebige Kölner ist schon damals nicht nur Shop-Betreiber, sondern auch als Zeichner von Comics und darüber hinaus längst eine Institution in der Kölner Szene.

Weil mir dann aufgefallen ist, das ich das Video noch gar nicht hier im Blog gezeigt hatte und ich furchtbar neugierig war, wie es überhaupt dazu gekommen ist, habe ich Kämpfer ein paar Fragen geschickt, die ein wenig Licht ins Dunkel bringen sollen. Doch zunächst der Videobeitrag:

Spontis: Kämpfer, wie kam es eigentlich zu dem Beitrag für die Sendung RTL-Explosiv?

Kämpfer: Mein damaliger Kompagnon Eddy traf auf einen Redakteur, der für RTL arbeitete und da es Sommer war fragte er diesen, ob RTL nicht noch etwas fürs sogenannte „Sommerloch“ bräuchte. Eddy hatte sich zu dieser Zeit nämlich als Künstler versucht und zu Hause einige Skulpturen stehen, die er der breiten Masse gerne vorstellen wollte.

Interessiert kam der Redakteur mit dem Team also in sein Haus-Atelier um sich diese Dinge anzuschauen, man machte Aufnahmen, fragte ihn aus und auch ganz nebenbei, ob man von der Kunst leben könne. Als daraufhin Eddy sagte, er würde noch in einem Grufti-Laden arbeiten, horchten die RTL – Mannen auf und man kam auf die Idee, beides zu verbinden. Also einen Bericht über seine Kunst und den Gothic-Shop.

Kämpfer auf dem WGT 1998
(c) ART OF DARK @ Facebook

So traf man sich also im ART OF DARK und während wir da so alle standen, quatschten und gefilmt wurde, kam meine Mutter vorbei (die in der Nähe arbeitete und somit gerne mal „Tach“ sagte). Völlig fasziniert, dass Eltern augenscheinlich keine Probleme mit ihrem Grufti-Kind haben, überredete der Reporter meine Mutter und mich, für ein „paar Fragen“ interviewt zu werden. Natürlich vor Kulisse der elterlichen Wohnung, wahrscheinlich um den Gegensatz Grufti-Laden und typische Elternwohnung zu verdeutlichen.

So traf man sich an einem der Folgetage auf dem Dorfe, in dem meine Mutter wohnte. Es wurden letztendlich ein paar mehr Fragen und man filmte auch, wie wir spazieren waren und eben diese seltsame Szene am Esstisch (während eine gute Freundin, die stets im Hintergrund blieb, sich schlapp lachte, woraufhin ich auch des öfteren leichte Lachanfälle überspielen musste).

Am Tag der Ausstrahlung saßen Eddy, meine Wenigkeit und die besagte Freundin dann gespannt vor dem Fernsehgerät. Und waren völlig verwundert, was der Privatsender da mit all den Aufnahmen angestellt hatte.

Die Kunst von Eddy wurde kein Stück erwähnt, seine Enttäuschung ihm entsprechend anzusehen – und schwer berechtigt, hatte er doch das Ding überhaupt erst ins Rollen gebracht. Vom ART OF DARK wurden ein paar kurze Szenen gezeigt, aber in der Hauptsache hatte man sich auf meine Mutter und ihren Grufti-Sohn konzentriert und daraus eine Story gebastelt.

So war das damals. Im Nachhinein irgendwie lustig, damals schworen wir, niemals mehr bei so einem Kram für diesen Sender mitzumachen.

Spontis: Wie hat sich die Szene für Dich und Dein Laden in der Zwischenzeit geändert?

Kämpfer: Nun, 1994 starteten wir in einer Garage, die wir zu einem kleinen Shop „ausgebaut“ hatten. Es gab so ziemlich kein Internet, die meisten Szenegänger waren reisefreudiger, und so pilgerten viele Schwarze in die kleine Seitenstraße, die Siebachstraße. Eddy hatte zu der Zeit einen Zooladen, die Garage gehörte dazu und war auf der gegenüberliegenden Straßenseite. So saß ich dann bei ihm rum, half aus, und immer wenn ein Grufti angeschlendert kam und Ausschau nach dem Szeneshop hielt, sprang ich auf um ihn ran zuwinken, das Garagentor aufzumachen und ihm zu zeigen, das hier der ART OF DARK sei.

Ich glaube, das wäre heute schwieriger, denn die Leute aus der Szene erwarten doch ein Geschäft, einen Internetauftritt und all sowas. Damals reichte es aus, auf Parties Flyer zu verteilen oder im Copyshop schwarz-weiß-Kopien zu machen – für den ersten Katalog. Darin – und im Garagenladen – fand man sowohl Artikel, die maschinell hergestellt wurden, als auch Dinge, die die kreativen Szenegänger selbst bastelten oder schneiderten. So gab es in dem Sortiment eigens entworfene T-Shirts, geschnitzte Sarg-Taschenuhren, Schneekugeln mit Friedhofsmotiv oder Zahnputzbecher mit angeklebten Fledermäusen… die Phantasie der Gruftis war riesig – und die Nachfrage da. Nebenbei rasierte man der Kundschaft auch mal den Iro.

Das Ganze ist nun 25 Jahre her und der Erfolg, bzw. warum das Alles so lange funktioniert hat, liegt sicher in erster Linie an der treuen Kundschaft, dem Spaß, den man zusammen hat, und dass es wohl auch ein Sortiment gibt, das nicht langweilig wird und nicht an jeder Ecke zu finden ist – wie zum Beispiel auch nach wie vor immer noch das selbstgemachte cooles Zeug dieser kreativen Subkultur.

Ich danke Kämpfer für das Interview!

Seit 25 Jahren ein Kämpfer für die Subkultur

Leidenschaft, Aufopferung und Kreativität zeichnen Kämpfer für mich aus und lassen ihn neben dem erdrückenden Internet-Versandhandel mit seinem Laden ART OF DARK zu überleben. Der Mann aus Köln macht seinem Namen alle Ehre und hat es geschafft, sich die subkulturelle Blase, die er vor mehr als 25 Jahren betreten hat, zu erhalten. Kämpfer organisiert, Kämpfer legt auf, Kämpfer verkauft, Kämpfer zeichnet. Und ganz wichtig: Er nimmt alles mit Humor, denn den besitzt er auch außerhalb seiner lustigen Comics.

Der Laden am Rathenauplatz 4 in Köln ist immer noch ein Anlaufpunkt für Szenegänger aus der Metropole am Rhein, denen es nicht reicht, sich durch die Kataloge zu wischen, sondern für des auch wichtig ist, Dinge anzufassen und mit anderen Gruftis in Kontakt zu treten.

Zum ART OF DARK