Spontis-Family-Treffen 2024 auf dem 31. Wave-Gotik-Treffen in Leipzig

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Es ist wieder so weit! Die Bandankündigungen sind vollständig und der Ablaufplan, den man sich aktuell bei monkeypress.de anschauen kann, offenbart vermutlich die ersten Überschneidungen des eigenen Geschmacks. Ganz wichtig ist allerdings ein Termin, dem ich bereits mit einiger Vorfreude entgegensehe, das Spontis-Family-Treffen auf der Wiese hinter der Moritzbastei! Ich mache es kurz: Hiermit lade ich alle Menschen, die Spontis lesen, die im Blog schreiben und kommentieren, die mit uns sympathisieren, neugierig auf uns sind oder einfach mal gucken wollen, am Pfingstmontag, den 20. Mai 2024 ab 14:00 zum mittlerweile 11. Spontis-Family-Treffen im Rahmen des 31. Wave-Gotik-Treffens in Leipzig ein. Damit ihr es schonmal wisst. In den nächsten Tagen mache ich dazu auch noch eine Veranstaltung bei Facebook auf.

Nach den beiden Jubiläen im letzten Jahr (das WGT fand zum 30. mal und das Spontis-Treffen zum 10. mal statt) kehrt ein wenig wohlverdiente Normalität ein. Wer noch einen Augenblick in Erinnerungen schwelgen möchte, findet in unserem Rückblick umfangreiches Bildmaterial.

Der Montag ist immer noch ein guter Tag für das Treffen, denn die meisten von uns sind ohnehin schon so abgekämpft, dass ein Nachmittag auf einer Wiese eine gute Idee sind. Wir werden wieder so lange wie möglich und nötig vor Ort bleiben, in der Vergangenheit waren das meistens 3-4 Stunden, sodass ihr nicht pünktlich sein müsst und selber entscheidet, wann ihr kommt und wie lange ihr bleiben möchtet.

Was wird geboten?

Das Spontis-Magazin gibt es ja jetzt seit 4 Jahren zum Jahresende, was eigentlich sehr gut angenommen wurde, daher gibt es dieses Mal kein wirkliches „Mitbringsel“. Das nächste Magazin soll Ende 2024 erscheinen. Natürlich habe ich noch alte Magazine dabei, die sich jeder kostenlos mitnehmen kann, der noch keins hat und auch ein Restvorrat an Buttons wird verteilt. In diesem Jahr sind sogar noch eine Menge kostenloser (!) Taschen zum Mitnehmen vorhanden, die von der Falschlieferung stammen. Einige Leser erinnern sich vielleicht.

Leserin Fabienne Elea mit Spontis-Tasche

Ich hatte zum Spontis-Magazin 2023 wieder Taschen mit einem neuen Spruch drucken lassen, leider hat die Leipziger Druckerei zunächst den falschen Spruch auf die Taschen gedruckt, weil man die Vorlage aus dem Jahr 2022 verwendet hatte. Das merkte ich aber erst, als die Taschen in einem großen Karton bei mir zu Hause angekommen waren. Ich einigte mich mit der Druckerei darauf, die Taschen zum halben Preis zu behalten und nochmal neue Taschen zu drucken, die man dann in Windeseile anfertigte.

Davon könnt ihr also dieses Jahr profitieren, denn die Spontis-Tasche ist bereits jetzt ein ikonisches „Must-Have“ für jeden ambitionierten Leser. Was gibt es sonst noch?

  • Leser und Leute aus ganz Europa auf einer Wiese, verbunden durch die gleiche Wellenlänge des „Goth-Seins“.
  • Die unbezahlbare Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und Leute hinter den virtuellen Kulissen und Profilen kennenzulernen.
  • Kekse. Weil man auf der dunklen Seite des Lebens immer Kekse haben sollte.

Was musst Du mitbringen?

  • Eine Decke oder Sitzunterlage, je nach Witterung auch einen Regenschirm.
  • Eigene Verpflegung in Form von Getränken, vielleicht auch Knabbereien.
  • Unvoreingenommenheit, Neugier und ein wenig Mut.
  • Freund und Bekannte, die sich möglicherweise zur dunklen Seite der Spontis-Leser bekennen würden.
  • Wenn vorhanden: Deine Foto- oder Videokamera und die Lust, das Geschehen und die Menschen zu dokumentieren.

In der Nähe!

Auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz, auf der anderen Seite der Hauptstraße wird dieses Jahr wieder die „Dark Affair“ so eine Art schwarze Einkaufsmeile mit Open-Air-Bühne veranstaltet, die hat am Pfingstmontag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Ich war 2023 nicht so begeistert davon, könnte aber immer noch interessant sein, um sich möglicherweise mit Getränken oder Nahrung zu versorgen. Es darüber hinaus auch noch ein Verkaufszelt, das 7€ Eintritt kostet, die man allerdings ab einem bestimmten Mindestkaufwert wieder erstattet bekommt.

Wegbeschreibung für Erstbesucher

Das Treffen findet im kleinen Park hinter der Moritzbastei (siehe Karte) statt, also direkt im Zentrum von Leipzig. Von der Innenstadt kommend lasst ihr die Moritzbastei links liegen, bis ihr an der Kreuzung Schillerstraße/Universitätsstraße steht, hier könnt ihr den Park bereits sehen. Ihr geht ein Stück links und folgt dem ersten Weg durch den Park (die Moritzbastei liegt in Eurem Rücken). Habt ihr die Gabelung erreicht, solltet ihr einen großen Baum sehen, unter dem ein paar Menschen rumstehen oder rumsitzen. Das sollten wir sein. Von der Haltestelle der Tram (auf dem Bild der linke Startpunkt) ist es ebenso leicht. Nehmt einfach die Linie 11 von der Agra oder vom Hauptbahnhof aus und merkt Euch die Haltestelle “Wilhelm-Leuschner-Platz”. Ihr überquert die Ampel am Ende der Haltestelle (bei Grün) und folgt dem kleinen Weg in den Park, um dann gleich rechts über die Wiese zu laufen und unter dem großen Baum die netten Menschen zu treffen. Die unmittelbare Nähe zum HBF und auch im Umfeld befindliche Parkplätze machen es sogar möglich, das Treffen kurz vor der Abreise mit dem Auto oder dem Zug zu besuchen.

Hinweise

Das Treffen findet bei jeder Witterung statt, obwohl wir natürlich hoffen, dass es so schön wird und bleibt. Sollte sich aufgrund eines akuten Ereignisses etwas ändern, werden wir Euch informieren. Uns ist bewusst, dass wir nicht jedem gerecht werden können und garantiert mit der Terminplanung (wenn der Programmplan des WGT erscheint) des ein oder anderen kollidieren. Daran kann man leider nichts ändern, egal an welchem Tag man das Treffen veranstalten würde. Jeder ist willkommen, egal ob man nur 10 Minuten bleibt oder länger verweilt, was ich persönlich natürlich hoffe.

Da dies ein öffentlicher Park ist, bitte ich um Rücksicht auf Mitmenschen, die sogenannten Stinos, Umwelt und Natur :-) Nehmt Euren Müll wieder mit, zelebriert mögliche Opfergaben nur in jugendfreier Form und verwendet ausschließlich Haarspray, dass die Ozon-Schicht nicht schädigt.

Interview: Klez.e – Als ob man Robert Smith auf dem Schulhof trifft

Als die Band Klez.e 2002 aus der Taufe gehoben wird, scheint die Berliner Formation im Becken des elektronischen Indie-Pop unterzugehen. 2017 entschließen sie sich nicht etwa, nach Luft ringend aufzutauchen, sondern weiter in die bis dahin angedeutete düstere Tiefe abzutauchen. Mit dem Album „Desintegration“, das nicht nur genauso heißt wie ein Album von „The Cure“, sondern auch irgendwie so klingt, verfeinert die Band ihre innewohnende Melancholie.

Dabei handelt es sich nicht um ein lapidares Cover-Album, sondern eher eine eigenständige Hommage an das, was die britischen Goth-Ikonen seinerzeit geprägt haben. Sänger und Gitarrist Tobias Siebert ändert dafür nicht nur seinen Gesang, sondern sorgt zusammen mit der Band auch für den neblig-düsteren Sound, für den „The Cure“ bekannt sind. Als wäre das noch nicht genug Huldigung, ändert Siebert auch seine Frisur, die augenzwinkernd vorwegnimmt, was die Band von nun an darstellen soll.

Jetzt, 2024, erreicht das Stück „Erregung“ vom gleichnamigen neuen Album meine Gehörgänge. Nicht durch stundenlanges forschen in den tiefen des Netzes, sondern durch die Bandankündigung des Wave-Gotik-Treffens 2024, auf dem die Band auch auftreten wird.

Klez.e als deutsche Version musikalischer Melancholie

Es dauert nur einige wenige Takte des aktuellen Stückes „Erregung“ bist man beginnt, tief einzuatmen, um die vermeintliche Kopie von Robert Smith in Grund und Boden zu kritisieren. Doch spätestens mit dem einsetzenden Gesang und dem Text des Stückes verstummt die innere Aufgebrachtheit und verwandelt sich in neugieriges Zuhören. Kann es denn sein? Der 7-minütige Titelsong arbeitet Schulhoferinnerungen auf und fasst das damals empfundene Lebensgefühl in passende Worte.

Und das Schubsen war nicht nur eine Phase; das war eine ganz klare Haltung Gegenüber der Liebe Und Einsamkeit

Ich höre mich durch den Katalog der Band und bin beeindruckt. Nicht etwa, weil man Robert Smith und den Sound von „The Cure“ präzise nachahmt, sondern weil die Band etwas erschaffen hat, was trotz eines stilisitsichen Plagiats etwas Unverwechselbares verströmt.

Die Songtexte von Klez.E machen aus den typischen Grufti-Gefühlen, der empfunden Traurigkeit, der latenten Depression und dem Weltschmerz eine Textcollage, die ohne übertriebenen Pathos die deutsche Sprache eindrucksvoll einsetzt und scheinbar mühelos das eigene Weltbild beschreibt. Es scheint so, als würde man ein lyrisches Grundkonstrukt erschaffen, wo jeder nachdenkliche Schwarzkittel potente Anknüpfungspunkte findet.

Ich habe ein Interview mit Tobias Siebert auf dem virtuellen Schulhof gequatsch, um den Typen kennenzulernen, der das alles zu verantworten hat.

Interview mit Klez.e Sänger Tobias Siebert

Spontis: Ihr seid nach einem Computervirus benannt, der Anfang 2000 sein Unwesen trieb. Auch zu Eurer Bandgründung 2002 triebe der Wurm noch sein Unwesen. Was habt ihr als Band mit dem Virus gemein?

Tobias Siebert: Um ganz ehrlich zu sein, sucht wahrscheinlich jede Band sein Publikum, denn sie will vorspielen, was sie im Probenkeller ausdenkt. So Ego-behaftet das am Ende auch ist, hat der Virus eine ganz ähnliche Motivation. Damit er sich weiter von Wirt zu Wirt hangeln kann, verändert er von Zeit zu Zeit sein Aussehen. Auch das haben wir gemacht.

Wir sind uns tatsächlich ähnlicher, als wir damals dachten. Es stellt sich auch die Frage, ob manche Zerstörung, die so ein Wurm verursacht hat, nicht auch etwas Gutes hatte. Gelöschte Festplatten mussten neu bespielt werden. Mit, bei der Reproduktion, eventuell noch mal neu durchdachten Inhalten. Ich zerstöre textlich auch gern mal mein eigenes Weltbild, um das ein oder andere Thema neu aufzustellen.

Auf den erst Sound habe ich Euch für eine Cure-Coverband gehalten, doch schnell wurde klar, dass ich nicht nur ähnlich gut klingt, sondern darüber hinaus auch in Deutsch singt. Das fand ich mutig. Die emotionale Tiefe Eurer Texte, die ohne einen übertriebenen Pathos auszukommen scheinen, ist beeindruckend. Woher nimmst Du die Inspiration?

Aus dem, was sich Tag für Tag am Rand meines Weges bewegt. Ich vergleiche das gern mit einem Schwamm. Ich glaube sogar, dass wir alle Schwämme sind, die sich gegenseitig aufsaugen und an entsprechenden anderen Stellen wieder Teile daraus abgeben, gemischt mit Selbsterfahrungen und Stimmungsschwankungen entstehen neue Bilder, die aber auch bis zu einem gewissen Punkt Gegenwart spiegeln.

Ich habe gelesen, dass du mit deiner Popstar-Frisur Aufmerksamkeit erregen willst und hoffst, dass Robert Smith anruft. Leider mangelt es an Lippenstift und Kajal, wie ich konstatieren muss. Was verbindet Dich sonst mit dem Gott der Melancholie?

Wenn Melancholie Gott ist, bin ich wohl der bestgelaunteste Typ auf der Welt. Nein Quatsch. Ich habe schon sehr früh bemerkt, dass ich mich in Traurigkeit einschliessen und sogar wohlfühlen kann.

Ich bin in einem Dorf aufgewachsen. Eher noch eine kleine Kolonie zwischen zwei Seen. Traumhaft schön da. Und an den Wochenenden kamen Kinder aus der Stadt auf die nachbarlichen Wochenend-Datschen und fuhren am Sonntag Abend wieder ab. Wir wurden natürlich Freunde. Und es kam mehr als einmal vor, dass ich Sonntag Abend im Bett meines Zimmers lag und so traurig darüber war, dass meine Freunde für 5!!! Tage weg sind, dass ich …. bitterlich weinen musste.

Da wusste ich, dass solche Fühligkeiten wohl Teil meiner Verfassung sind. Und das war nur das mit den Freunden…

Später verhalf mir Musik dazu, mit dieser Art von Feinfühligkeit umzugehen und diese Musik war alles andere als fröhlich. Ich erinnere mich an Nachmittage nach der Schule im Dachzimmer eines Freundes. Mit dunklen Tüchern behangene Wände in Räucherstabzigarettengemischrauch und Dead can Dance. Wir hockten da stundenlang oft ohne auch nur ein Wort zu wechseln. Wir hatten alles, was wir brauchten.

Das Stück „Erregung“ ist mit über 7 Minuten Laufzeit ein Fest für Traurigkeitsgenießer wie mich. Es spiegelt die Gefühlswelt auf einem Planeten, der von Krisen geschüttelt wird. Es benennt konkrete, nachvollziehbare Gedankengänge oder sich in Worthülsen zu verlieren. Ich erfreue mich an der musikalischen Empathie, die der Song ausstrahlt, ohne in Parolen oder Schlagzeilen zu versinken. Was soll der Song aus deiner Sicht beim Hörer anregen?

Ich glaube deshalb haben wir das Lied „Erregung“ genannt. Und das Gute ist, dass es keinen Fingerzeig dazu gibt. Keine Anleitung worüber sich denn jetzt bitte erregt werden soll. Für mich ist das ein Roadmovie. Ein bisschen Biographie. Eine Abschnittsbeschreibung. Ich habe inzwischen dann doch schon einige Jahre gesehen. Sogar einen Systemwechsel erlebt. Daraus lässt sich viel erzählen. Ich denke dieses Lied ist wie ein Pergament. Abgepaust am Fenster durchs Sonnenlicht. Das Original ist irgendwie so die Mitte aller zu erlebenden Geschichten meiner Zeit bis hier hin. Und wenn man alle Pergamente übereinander legt, hat jeder darin seine Geschichte mit einem ähnlichen Leitfaden aber Ausfransungen der Linien nach rechts und links.

Wir können die vielen verschiedenen Meinungen nicht wirklich übereinbringen. Wir können die verschiedensten Fakten zu einem Fakt zur Zeit nicht mehr diskutieren. Ich habe mal einen schlauen Satz gelesen. Der ging ungefähr so: „Wenn unsere Waschmaschine kaputt geht, rufen wir einen Techniker an. Aber in viel komplexeren Weltpolitischen Themen, wissen wir ganz genau bescheid.“ Hmmm…

klez.e | (c) Andreas Hornoff

2017 ist euer Album „Desintegration“ erschienen, das bereits deutlich düsterer, nachdenklicher und kritischer klang. Ein Eindruck, der sich mit „Erregung“ noch vertiefte. Auch wenn ihr Musiker Schubladen nicht mögt, so dürfte doch Post-Punk die richtige Bezeichnung sein. Ein sehr angesagte und zeitgemäßes Genre, wenn man die Flut von Veröffentlichungen aus diesem Bereich anschaut. Wie viel Punk steckt deiner Ansicht nach noch in Klez.E?

Das ist ein bisschen lustig. Die zur Zeit wieder angesagte Post-Punk Dekade hat uns schon mindestens 2 mal überholt, solange wie wir Musik machen. Ich denke das ist, wie sich auch Geschichte wiederholt. Die aktuellen Weltpolitischen aber auch nationalen Themen lassen nicht nur Worte finden, sondern auch Musik sprechen, die wir zu früheren vergleichbaren Zeiten schon hatten. Das ist wie meine Schwammtheorie…

Nun um auf Deine Frage zu antworten, ich würde sagen, dass da noch jede Menge Punk in uns ist, denn letztlich ist das schon über Dekaden hinaus unser Lebensgefühl.

In ein paar Wochen tretet ihr beim WGT in Leipzig auf, was ich sehr begrüße. Auf den ersten Blick wirkst du auf mich wie ein Grufti, wären da nicht die braunen Schuhe im Video zu „Erregung“. Nein, ernsthaft. Wie steht ihr zur Gothic-Szene?

Die Frage ist lustig und toll beobachtet. Ich hätte die Schuhe tatsächlich lieber in schwarz genommen, aber auch auf tiefste wiederholte Nachfrage wurde mir versichert, dass es die nicht in schwarz gibt. Sie passten aber einfach so gut und ich musste mich ja unbedingt in sie verlieben. Ich sage mal so… in meiner Schulzeit wäre das mit den nichtschwarzen Schuhen nicht passiert.

Da hatte ich sogar so Spitzschuhe mit Glöckchen dran aus dem Zillo Kleinanzeigenmarkt.
Ich fühle mich der Szene noch immer verbunden und freue mich auch dieses Jahr wieder auf das WGT. Wir haben mit „KLEZ.E“ bereits 2017 zum Desintegration Album gespielt und ich hatte 2019 ein wundervolles Konzert mit meinem Soloprojekt „And The Golden Choir“ auf dem WGT.

Die beiden letzten Klez.E Alben sind, wenn man den vielen positiven Kritiken Glauben schenkt, so eine Art Höhepunkt eures Schaffens. Für viele Bands eine Art Wendepunkt. Da stellt sich mir die Frage, bevor ich mich unsterblich in eure Musik verliebe, wann kommen die fröhlichen Songs für ein breiteres Publikum, wann wird aus dem Protest gegen „Worte, die wie Faustschläge spalten“ Resignation? Wo geht die Reise hin?

Ich hoffe nicht, dass das schon der Höhepunkt unseres Schaffens ist, denn wir wissen, wie Du es ja auch schreibst, wie viele Künstler nach ihrem Höhepunkt eben nach ihrem Höhepunkt sind. Ich glaube das unser Anspruch an uns selbst musikalisch und textlich sehr hoch ist. Wir bekommen regelmässig schlechte Laune, wenn wir Songs für ein breites Publikum von Kollegen hören.

Ich glaube, dass sich „Gutes“ durchsetzt. Was heisst überhaupt durchsetzt? Was ist gut? Ich finde es total schwierig zu bewerten wann etwas wie „erfolgreich“ ist. Ich finde uns auf unsere Art erfolgreich und bin glücklich wie es ist. Wir kommen gerade von einer sehr sehr emotionalen Tour zurück. Die Clubs waren zumeist voll und die Gäste wie auch wir höchst glücklich. Wir lieben es zu spielen und spielen lange Sets für einen schmalen Taler. Wir schreiben jeden Abend vor der Show die Setliste nach Gefühl des Tages und zum Ort des Abends. Das allein wäre mit einer fetten durchgestylten Show für die Massen gar nicht mehr möglich. Und das ist nur ein Aspekt!

Und natürlich geht es für mich nicht ohne die persönliche Playliste. Deine Top 5 Songs, deren Melancholie dich Dein Leben fühlen lassen?

01 The Cure – all cats are grey
02 Dead Can Dance – the host of seraphim
03 Talk Talk – eden
04 Love Is Colder Than Death – very lll
05 Depeche Mode – pipeline

Gruft-Orakel Mai 2024: Ich mag überhaupt keine Austern!

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Traurig sitzt die Grableuchte am Essenstisch. Fast schon angewidert stochert sie in den Austern herum, die auf ihrem Teller drapiert sind. „Ich mag überhaupt keine Austern!“ denkt sie sich empört. Allerdings ist es nicht so, als hätte ihr jemand den Teller hingestellt, nein, die Grableuchte hat sich ihr Dilemma selbst eingebrockt. Immerhin hat auch gleich eine Schuldige im Sinn: „Diese gemeine Alana Abendroth mit ihrem doofen Orakel…“ Die Grableuchte ist eben schon seit Jahren Fan dieses Format und hängt an den monatlichen Zeilen aus dem Äther wie damals an ihrer liebsten Schnüffeldecke, auf der sie als Kerze zum ersten Mal flackerte. Und jetzt? Austern. Eklige, glibbrige Austern.

Gruft-Orakel Mai 2024

 

 

Moonchild Tanznacht – Interview mit Sandro Standhaft

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Die Moonchild Tanznacht, die unter dem Motto „Remember the 1st Wave-Gotik-Treffen“ auch in diesem Jahr zum WGT 2024 im „Tanzcafé Ilses Erika“ stattfindet, vereint mit Sandro Standhaft und Arne Gräfrath zwei Protagonisten der Geburtsstunde des Treffens hinter den Plattentellern. Wir haben ein Interview mit Sandro Standhaft geführt, um zu erfahren, wie es zu der Party gekommen ist und wie er zur Szene und seinem „Baby“ heute steht.

Moonchild Tanznacht – Der Anfang von Allem

Die Geschichte in Kurzform. Sandro Standhaft und Michael Brunner gründen 1990 die Agentur „Moonchild“, mit der sie erste Partys veranstalten. 1991 findet im Eiskeller in Connewitz das „Moonchild-Festival“ statt, sozusagen ein Vorläufer des Wave-Gotik-Treffens, dass sie dann an selber Stelle im Mai 1992 veranstalten. Nach zwei Treffen ist für Sandro allerdings Schluss, doch die Wehmut an das, was er losgetreten hat, bleibt noch eine ganze Weile. In einem Interview mit dem MDR erzählt er mehr vom ersten WGT.

Sandro StandhaftMittlerweile ist Sandro wieder als Veranstalter in Leipzig tätig und sorgt im Stadtteilzentrum „Westkreuz“ für den kulturellen Rahmen. Für Samstag, den 18. Mai 2024 ist er allerdings zusammen mit Arne Gräfrath und Sascha Lange (Autor des Buchs „Our Darkness – Gruftis und Waver in der DDR„) im Keller des „Tanzcafé Ilses Erika“ hinter den Plattentellern und versucht zusammen mit seinen Kollegen, auf der Welle der musikalischen Nostalgie in Erinnerungen zu schwelgen.

Spontis: Du veranstaltest zusammen mit Arne Gräfrath die „Moonchild Tanznacht“ in Erinnerung an die ersten WGTs, bei denen du noch als Veranstalter dabei gewesen bist. Wie kam es überhaupt dazu, im Rahmen des Treffens etwas Eigenes zu machen?

Sandro Standhaft: Die Ilse veranstaltete bereits in den letzten Jahren in der Zeit des WGTs Parties in der Richtung und da legte Arne schon mit auf. Unter anderem mit Stefan Kopielski (The Galan Pixs) und Donis (Love Is Colder Than Death) und einigen mehr.

Ich traf Arne zum 25. WGT-Jubiläum im Belantis Freizeitpark, er war Gast und ich legte im großen Zirkuszelt auf. Wir hielten Kontakt und 2019 fragte er mich, ob ich Lust hätte mit ihm zu Pfingsten alte Platten aufzulegen und die hatte ich. Wir gaben dem ganzen einen Namen und seither findet jedes Jahr zeitgleich mit dem WGT die „Moonchild Tanznacht“ statt. Damals traten nach langer Zeit das erste Mal „Love Is Colder Than Death“ wieder live auf. Das war ein guter Start und seitdem läuft die Party immer fantastisch.

Nachdem du lange aus Leipzig „geflohen“ bist, um dem WGT-Trubel zu entgehen, hast du schon seit einer Weile deinen „Frieden damit gemacht“ , wie du dem MDR in einem Interview erzählt hast. Wie hast du im Laufe der Jahre die Entwicklung des Treffens empfunden und beobachtet?

Hauptsächlich positiv, es ist weiterhin sehr individuell, wie zum Beispiel das Line-up, es ist kein „Headliner“-Festival, man definiert sich nicht über große Bands, kleine Bands bekommen weiterhin eine Chance. Außerdem ist es eine große Spielwiese für alle möglichen Facetten der Szene. Sehr schade finde ich, dass man sich bis heute nicht klar von rechts abgrenzt und das kommuniziert.

Fühlst du dich immer noch als Teil der Szene?

Sandro 1991

Nein und wäre gelogen, da bin ich zu lange raus. Ich höre natürlich immer noch viel Musik aus der Zeit und freue mich daher auch jedes Jahr riesig darauf, diese zur „Moonchild Tanznacht“ aufzulegen. Ansonsten bin ich seit Anfang der 2000er als Indie DJ mit der „Rialto Lounge“ in den Clubs unterwegs.

Nicht nur du und das Treffen haben sich weiterentwickelt, sondern auch die Stadt Leipzig. Aus alten, fast schon baufälligen Veranstaltungsorten sind oftmals Hochglanz-Veranstaltungsorte geworden. Allein die AGRA kämpft seit Jahren um den Erhalt des „alten Charmes“. Mangelt es bald an Veranstaltungsorten?

Ich weiß um die Probleme. Das Agra-Gelände ist das Herz des Festivals und ich hoffe, dass das auch noch lange so sein wird. Was die anderen Veranstaltungsorte angeht, glaube ich nicht an einen zukünftigen Mangel. Es gibt in Leipzig genügend tolle Locations von „bling bling“ bis schön rumpelig, für jede Szene und Ausrichtung, Geschmack und Anspruch. Ich denke, das wird auch noch eine Weile so bleiben. Leipzig ist zum Glück noch nicht fertig…

Die Mieten explodieren, die Hotelpreise auch. Wird Leipzig möglicherweise zum Standortproblem für das WGT?

Nein, weil die Miet- und Hotelpreise an einem anderen attraktiven Standort ein ähnliches Niveau hätten.

Hand aufs Herz: Wie würde das Treffen auch in einer anderen Stadt oder in einem anderen Rahmen funktionieren oder ist – wie viele unserer Lesen denken – das WGT fest mit der Stadt verbunden?

Am Standort Leipzig über Jahrzehnte gewachsen und mit allem, was dieses Festival ausmacht, wird es das nur so in dieser Stadt geben.

Zurück zur Nostalgie und vor allem zur Musik. Wie kann ich mir das musikalische Programm einer „Moonchild Tanznacht“ vorstellen?

Auf dem Flyer steht „80s Underground, New Wave, Gothic Rock, Dark Pop, Neo 80s, Electronics“, ja das und noch eine Menge mehr an Genres. Wir werden hauptsächlich alles das auflegen, was es von 1990 bis 1992 bei den „Moonchild“ Parties und Konzerten in „Die Villa“, im „Eiskeller“ (jetzt „Conne Island“) und dem „Werk 2“ zu hören gab und angesagt war. Dazu wird es zeitgemäße Deko, VHS Szene Clips, natürlich eine Menge Nebel und eine kleine Überraschung für die ersten 70 Gäste geben!

Wo wir gerade bei Musik sind, erscheint die folgende Frage fast schon obligatorisch: Deine Top 5 von „damals“ und deinen aktuellen Top 5 von „heute“?

Das ist sehr, sehr schwer, hinter jeder Platzierung stehen wenigstens 20 weitere Songs :-D

Damals:

Heute:

Cholo-Goth: Exklusives PRAYERS Konzert auf dem WGT 2024

Das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig lädt seine Besucher ein, sich dem „Cholo-Goth“ musikalisch zu nähern. Die aus den Vereinigten Staaten stammende Band PRAYERS, die sich dieses musikalische Genre ausgedacht haben, spiele überraschend ein Konzert am Pfingstsonntag und treten an, mit ihrer eigenständigen Mischung aus Electro-Wave, Hip-Hop und Rap das Publikum zu beeindrucken. Ob es ihnen gelingt?

Die Szene hat sich die musikalischen Genres, denen sie ihre düstere und melancholische Stimmung entlockt, noch nie vorschreiben lassen. Neben den etablierten Ablegern, die es schon seit den 80er-Jahren gibt, gesellen sich immer wieder Musikrichtungen dazu, die antreten, das Sound-Portfolio der Subkultur zu erweitern. Immer wieder wird Musik innerhalb der Szene populär, die fremd und ungewöhnlich klingen.

Als ich die Band vor ein paar Jahren hier im Blog vorgestellt habe, stieß sie auf ein sehr geteiltes Echo. Nenia schrieb damals:

Es erschließt sich mir aber nicht wirklich, wie aggressives Gang-Gehabe und melancholisch-verträumtes Gruftitum unter einen Hut zu kriegen sind

Inzwischen sind 8 Jahre vergangen, die PRAYERS haben 4 Alben herausgebracht und vor allem in den USA eine begeisterte Fan-Gemeinde um sich versammelt. Der Vorwurf, es würde sich um eine kurzfristige Randerscheinung handeln, hat sich damit zerschlagen. Auch innerhalb der europäischen Szene haben sich in dieser Zeit neue und „anders“ klingende Bands etabliert, während der Post-Punk wieder einmal eine Renaissance feiert.

Ich bin ehrlich. Jeder Grufti hat einen anderen musikalischen Zugang zu „seiner Szene“ und fühlt sich durch andere Impulse melancholisch berührt. Für mich persönlich bleibt Robert Smith oder Ian Curtis der Garant für gefühlte Traurigkeit. Doch ich akzeptiere es völlig, wenn junge Menschen einen völlig anderen Einstieg in ihre Atmosphäre bekommen, in der sie sich ihren Emotionen hingeben können. Am Ende bleibt doch der gemeinsame Nenner, der „dunklen Seite“ des Lebens den Platz im Dasein einzuräumen, die es nun mal hat – ohne sich in übertünchender Ausgelassenheit zu ertränken.

Ich bin mir sicher, die PRAYERS bewirken genau das für andere Menschen. Spannend finde ich es allemal, dass das Wave-Gotik-Treffen „Cholo-Goth“ exklusiv in Europa präsentiert und auch Bands eine Plattform bietet, die nicht in ausgetretenen Pfaden wandern. Ich glaube, das ist auch genau einer von den Punkten, die das Treffen einzigartig machen. Die musikalischen Genres der Szene sind ebenso vielfältig wie die Menschen, die sich darin aufhalten.

80s80s WGT – Das offizielle Festivalradio zum Wave-Gotik-Treffen 2024

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Seit vergangenen Montag ist bei 80s80s Radio das offizielle Festivalradio zum Wave-Gotik-Treffen 2024 online gegangen. In einem extra dafür angelegten Stream sendet man eigens dafür zusammengestellte Playlisten bei denen auch Bands dabei sind, die in Leipzig auftreten werden und bereichert das ganze noch mit Wetter und Verkehrsnachrichten mit dem Schwerpunkt Leipzig und sendet auch Infobeiträge zum Treffen. Wie schon einige durch meine Stimme im Live-Radio gehört haben, hatte auch Spontis wieder seiner Finger im Spiel.

80s80s Radio in Zusammenarbeit mit Spontis und dem Wave-Gotik-Treffen

Bereits vor ein paar Monaten erhielt ich die Information, dass das 80s80s Radio zum kommenden Wave-Gotik-Treffen einen Radio-Stream ins Rennen schicken wollte. Ich wurde gefragt, ob ich nicht dazu beitragen könnte, den Stream mit Inhalt zu füllen. Natürlich reagiere ich immer skeptisch, wenn jemand von außen in „unsere“ Szene eindringen will, sah aber in einer Mitarbeit die bessere Chance, die Szene und ihre Musik in einem besseren Licht erscheinen lassen. Wie ich erfuhr, war auch Cornelius Brach, der Pressesprecher des Wave-Gotik-Treffens dabei, um notwendige Informationen, O-Töne und den „offiziellen Charakter“ zu liefern. Ich entschloss mich, auch zu helfen.

Also habe ich die Bands des kommenden WGTs durchgehört, um 80s80s relevante Musik zu finden, Playlisten zusammengestellt, O-Töne eingesprochen und bei der Musikauswahl geholfen. Und ohne mich selbst zu beweihräuchern, ich habe euch – wenn ihr denn das Stream-Angebot nutzt – vor so einigen musikalischen Verbrechen bewahrt und bin auch guter Dinge, einige Perlen platziert zu haben. Dafür habe ich mich sogar ins Abenteuer der „Teams-Meetings“ begeben, in der ich mit ganz fremden Leuten reden musste. Genau mein Ding… Nicht!

Wenn das Wave-Gotik-Treffen in die „heiße Phase“ kurz vor dem Pfingstwochenende startet, will 80s80s das Programm auch durch Wetteraussichten und Verkehrsinfos, die Leipzig betreffen, mit ins Programm nehmen und auch weitere Informationen bereitstellen.

Bevor es jemand kommentieren sollte, er habe eine Band gehört, die nicht auf dem WGT auftritt, will ich direkt aufklären. Es gibt verschiedene Playlisten, die wechselnd gespielt werden. Das heißt, es ist nicht weiter verwunderlich, wenn ihr im Stream eine Band hört, die nicht auf dem WGT spielt. Leider ist die Auswahl an Bands, die in das Portfolio von 80s80s passen, dieses Jahr recht dürftig, daher wurde die meisten Playlisten entsprechend abwechslungsreich aufgestockt. Es gibt aber auch weitere Playlisten mit dem typischen 80s80s Dark-Wave Sound und auch eine Playlist, auf der aktuellere Bands vertreten sind, die man unter „80s80s NEO“ einsortieren könnte.

Auch Cornelius Brach hat für das Radio einige tolle Programmpunkte des Treffens vorgestellt, die zu Pfingsten in Leipzig stattfinden, wie zum Beispiel die Fledermausführungen auf dem Friedhof oder einen Vortrag der Universität Leipzig zum Theme Vampire, zu dem die Stadt ja eine ganz besondere Beziehung hat.

Vielleicht kommt ja auch folgender Song, den ich euch vorstellen möchte, im Sendeplan. Es ist einer der vielen Bands, die ihr euch auf dem WGT anhören könnt. (Video wechselt gelegentlich)

Queer Goth: Gedanken über Queerness und Goth von Jan Noll

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It’s as simple as that: Ohne queere Menschen würde es die sogenannte Gothic-Szene nicht geben. Wie in so vielen anderen (sub)kulturellen Strömungen waren Menschen aus marginalisierten Communitys auch hier die glitzernden Funken, die das Feuer entfachten. Menschen, deren Gefühl des Nicht-dazu-Gehörens so existenziell und schmerzhaft war, dass es nur in der Überbetonung der eigenen Andersartigkeit Linderung erfahren konnte.

„Transex, transform, transexy baby“ (Sigue Sigue Sputnik)

Der Urknall des Goth lässt sich ziemlich genau datieren – auch wenn andere an dieser Stelle vielleicht widersprechen mögen. Wir reden vom 6. Juli 1972. Der Tag, an dem David Bowie „Starman“ bei Top of the Pops performte und damit einen kulturellen Erdrutsch auslöste. Kaum ein*e Protagonist*in des britischen Post-Punks, New Wave, Synth Wave und Goth, die diesen Fernsehauftritt nicht Jahre später als die Initialzündung des eigenen kreativen Outputs bezeichnete.

Queer Goth - Memphis Zuza

Queer Goth: Bowie als Initialzündung einer Subkultur

Doch was machte diesen Auftritt so aufregend und prägend für eine ganze Generation? Die Antwort ist einfach: Seine offensichtliche Queerness. Die Androgynität Bowies, seine in dieser Zeit propagierte, später revidierte Bisexualität und die kleine, aus heutiger Sicht unscheinbare aber damals unerhörte Geste, beim gemeinsam gesungenen Refrain den Arm um seinen Gitarristen Mick Ronson zu legen – all das sorgte für die queere Magie, die die Bildsprache des Pop für immer verändern sollte. Unzählige Teenager vor den Fernsehern im spießigen England der frühen 70er-Jahre sahen zum ersten Mal etwas, dass ihr grundlegendes Gefühl des Nicht-dazu-Gehörens nicht nur reflektierte, sondern zu einer schillernden Superkraft erhob. „I had to call someone, so I picked on you!

Dennoch dauerte es noch knapp zehn Jahre, bis die Saat aufging, die Bowie an diesem Juliabend im Jahr 1972 sähte. Aus Ziggys Jünger*innen wurden im weiteren Verlauf der 70er-Jahre erst Punks, dann New Romantics und schließlich Goths – oder welchen Begriff man hier auch immer verwenden möchte. Von Robert Smith über Marc Almond und Siouxsie Sioux bis hin zu eher poppigen Epigonen wie Steve Strange, Boy George, Martin Degville oder Pete Burns – sie waren es, die den Look der Goth-Szene gewollt oder ungewollt entscheidend prägten und noch heute als Referenzpunkte dienen, wenn es darum geht, das eigene Äußere zu gestalten.

Ohne Zweifel nicht alle homosexuell – allen voran Robert Smith – aber durch die Bank in ihrer Geschlechterperformance so weit vom heteronormativen Mainstream entfernt, dass sie von der breiten Masse wohl fraglos als queer gelesen wurden. Übrigens ein Phänomen, dass vor allem viele heterosexuelle Goth-cis-Männer kennen, denn bis heute wird deren Äußeres im öffentlichen Raum gerne mal mit Worten wie „Schwuchtel“ bedacht. Auch Weiblichkeiten im Post-Punk und New Wave gaben sich betont queer: Bands wie Malaria!, Künstlerinnen wie Grace Jones, Ronny, Anja Huwe oder Angie Mörth boten ein alternatives Bild von Weiblichkeit: manchmal betont butch, manchmal femme – aber immer selbstbestimmt sexuell, gefährlich, hart, scheinbar unverwundbar.

 

Queer Goth: Im Batcave waren Netzstrumpfhosen obligatorisch

Im weiteren Verlauf der ersten Hälfte der 80er-Jahre waren es dann schwule Männer wie Rozz Williams, die ganz selbstverständlich im Brautkleid auftraten, oder die Bands aus dem Umfeld des legendären Batcave-Clubs wie Virgin Prunes und Specimen, die in Anlehnung an die New York Dolls mit Netzstrumpfhosen und Marlene-Dietrich-Augenbrauen die queeren Looks der Gothic-Szene auf die Spitze trieben. Legendär in diesem Kontext: Das Cover-Foto der Debüt-EP von Haa Lacka Binttii aka Princess Tinymeat von 1984, das in seiner Nacktheit alle Vorstellungen von Geschlecht über den Haufen warf. Dem gegenüber standen Bands wie DAF, die mit ihrer extrem schwulen Ästhetik den Proto-EBM-Look bestimmten. Selbst betont maskuline Macho-Bands wie die Sisters of Mercy spielten mit sexueller Ambiguität, indem sie Stücke wie „Jolene“ von Dolly Parton oder „Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)“ von ABBA coverten.

So enterte die „schwarze Szene“ schließlich die 90er-Jahre in wogenden Gewändern aus Samt und Seide und die Geschlechtergrenzen verflogen endgültig im vor und zurück schreitenden Standardtanz der Grufti-Discos jener Zeit. Ungefähr in diesen Jahren machte sich eine neue Gothic-Ikone auf, queere Looks, queere Themen, aber auch ihre queere Identität in den Mainstream der schwarzen Szene zu transportieren: Anna-Varney Cantodea und ihr Projekt Sopor Aeternus and the Ensemle of Shadows. Keine thematisierte so unerschrocken und kompromisslos ihre eigene trans Geschlechtlichkeit, ihr Ringen mit der Gesellschaft als queere Person und ihr nonkonformes Begehren wie sie.

Ab der Jahrtausendwende bildete sich außerdem eine von Synth, Cold und Minimal Wave geprägte, oft politisierte linke Gegenkultur zur klassischen Goth-Bewegung heraus, die vor allem für queere Menschen zum neuen Anknüpfungspunkt wurde. Beides wichtige Kontraste zum immer machomäßiger daherkommenden Style einer bestimmten Seite der Szene, die auf Massen-Festivals wie dem „M’era Luna“ Cock-Rock-Mackern mit Gitarren zujubelt und auch bei Weiblichkeit ein eher heteronormatives Geschlechterbild transportiert. Ausnahmen bestätigen hier natürlich die Regel. No hard feelings.

Die schwarze Szene als Durchlauferhitzer für LGBTIQ*

Aber nicht nur wegen dieses Rollbacks ab den 00er- oder 10er-Jahren, der vor allem durch die zunehmende Vermischung mit Metal und Techno seinen Anfang nahm, ist die sogenannte „schwarze Szene“ oft eine Art Durchlauferhitzer für LGBTIQ*. Für viele queere Menschen ist sie der erste Berührungspunkt mit einer Art von Safer Space. Meist noch vor dem eigentlichen Coming-out ermöglicht sie etlichen jungen Queers, in einem geschützten Rahmen mit der eigenen Geschlechtsidentität zu spielen – vom butchigen EBM- oder Post-Punk-Style über androgyne New-Wave-Looks bis hin zum high femme und dem Drag verwandten klassischen Goth-Look mit wallenden Gewändern und pompösem Make-up. Egal wie man in dieser Szene auftritt, man stößt selten auf Irritation, wenn man nicht den gängigen Geschlechterklischees entspricht.

So ist es kein Zufall, dass man in queeren Szenen oft auf Menschen trifft, die sich in ihrer Jugend der Gothic-Bewegung zurechneten. Und auch, wenn viele LGBTIQ* die klassische Grufti-Szene nach der Festigung der eigenen queeren Identität wieder verlassen, so bleiben sie ihr doch für den Rest ihres Lebens musikalisch und emotional verbunden.

Jan Noll - Queer GothDies ist ein Gastartikel von Jan Noll, der so bereits im Spontis-Magazin 2023 erschienen ist. Dort haben wir allerdings eine Version abgedruckt, die er später noch einmal überarbeitet hat. Dies ist die aktuelle und richtige Version. Jan Noll ist Journalist, Musiker, DJ und Veranstalter. Er schreibt für das queere Berliner Stadt-Magazin „Siegessäule“ und baut mit seinem Alter Ego „Paura Diamante“ musikalische Brücken zwischen Glamour und der Gothic-Szene.

Die Bilder in diesem Beitrag stammen von „Memphis Zuza“ der die queere Goth-Partyreihe „Dance to the Underground“ in Dublin mit der Kamera begleitet und uns diese Aufnahmen freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

21. April – Der musikalische Fürst der Traurigkeit wird geboren

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Wild toupierte Haare, verschmierter roter Lippenstift und ein kreidebleiches Gesicht. So kam Robert Smith freilich nicht zur Welt, als er am 21. April 1959 in der britischen Küstenstadt Blackpool geboren wird. Heute hat der Fürst der Traurigkeit, der ungewollte König der Gothic-Szene und der Imperator der Melancholie Geburtstag. Und obwohl sein neues Album immer noch nicht erschienen ist, gratulieren wir.

Als drittes von vier Kindern wächst er ausgesprochen musikalisch auf. Sein Vater singt gerne, seine Mutter spielt Piano. Sowohl Robert als auch seine jüngere Schwester bekommen Klavierstunden. Janet ist richtig gut am Klavier und weil er nicht gerne von seiner Schwester übertrumpft wurde, greift er zur Gitarre. Janets Hände sind nämlich viel kleiner als seine und können den Gitarrenhals nicht richtig greifen. Die ersten Akkorde lernt er von seiner Bruder Richard, mit neun Jahren nimmt er Unterricht bei dem in London lebenden Australier John Williams. „Ich habe eine Menge von ihm gelernt, aber irgendwann ging mir der Spaß an der Sache verloren„, gesteht er 1992 in einem Interview mit dem Guitar Player. „Heute wünschte ich, ich hätte weitere Stunden genommen.“

(Das Video zeigt Jugendliche in der DDR, die den Geburtstag ihres Idols – Robert Smith – feiern. Zum Video gibt es mehr Informationen in diesem Artikel)

Robert hat nämlich gar keine Lust auf Noten, übt Lieder nach Gehör und spielt die Plattensammlung seiner Geschwister nach. Weihnachten 1972 bekommt er dann endlich seine eigene Gitarre von seinem Bruder geschenkt, denn der will seine Gitarre auch endlich mal wiederbekommen. „Ich hatte das Ding sowieso völlig in Beschlag genommen„, erinnert er sich später. „Es war also egal, ob er mir die Gitarre schenkt oder nicht. Ich hätte sie so oder so bekommen!

Seine erste Band gründet Smith im Alter von 14 Jahren. Sein Bruder Richard, einige Freunde und seine Schwester Janet nennen sich nun: „Crawley Goat Band“. Bereits in den Monaten davor spielt er mit einigen Schulfreunden, darunter Gitarrist Michael Dempsey und Schlagzeuger Laurence „Lol“ Tolhurst, mit denen er ein paar Jahre später eine ganz andere Band gründet: „The Cure“. In der zweiten Hälfte des Jahres 1972 wechseln die Musiker gemeinsam die Schule und finden weiter Gefallen daran, gemeinsam Musik zu machen. Damals nennt man sie noch „The Group“, weil es an der Schule sowieso keine andere Band gibt, von der man sich hätte abgrenzen müssen. Danach wird es wild. Die Bandnamen wechseln regelmäßig. Irgendwann stößt Paul „Porl“ Stephen Thompson als Gitarrist ein. Ab 1977 nennen die Jungs dann „Easy Cure“, 1978 wird daraus schlicht „The Cure“.

13 Alben erschaffen die Briten von 1979 bis 2008, angefangen mit „Three Imaginary Boys“. Schon in ihrem ersten Jahr landen sie mit der Single „Boys Don’t Cry“ ihren größten Hit, den sie auch noch 40 Jahre später spielen müssen. Allerdings landet erst das 1992 erschienen Album „Wish“ an der Spitze der britischen Album-Charts, nicht zuletzt, weil darauf der Song „Friday I’m in Love“ zu finden ist, ihr bisher größter Hit.

It doesnt’t matter if we all die

1982 erscheint „Pornography“, das depressive Meisterwerk der Band. „Eine musikalische Talfahrt in immer dunkler werdende Schatten“ schreibt ein Musik-Magazin über das Album. Spätestens jetzt wird er zur Ikone der noch jungen Gothic-Szene, mit der er allerdings Zeit seines Lebens nichts anfangen kann. „Es ist bedauerlich, dass wir immer noch mit dem Wort ‚Goth‘ in Verbindung gebracht werden„, stellt er 2006 in einem Interview mit Stereogum fest.

Den Fans ist es egal. Rot geschminkte Lippen, seine schwarzen und wild toupierte Haare und die schlichte, schwarze Kleidung werden zum Dresscode der Szene. Dass er den Lippenstift stets verschmiert trägt, ist ein Tribut an seine Nähe zu Mikrophon. Eigentlich wollte er den Lippenstift nämlich ganz normal tragen. Weil er aber häufig mit geschlossenen Augen ganz nah am Mikrofon seinen Hymnen haucht, verschmierte die Schminke. Diesen Umstand erhob er dann irgendwann zum Erkennungszeichen.

Als das mit dem Goth angefangen hat, bin ich bei dem Look hängen geblieben„, erzählt er dem Magazin Time Out, „als ich Gitarre bei Siouxsie And The Banshees spielte, gehörte es dazu. Goth war für mich immer Pantomime, das ganze subkulturelle Ding habe ich nie wirklich ernst genommen. […] Mein Aussehen ist eine theatralische Sache. Es ist Teil eines Rituals, wenn ich auf die Bühne gehe.

Allerdings hat Smith mittlerweile seinen Frieden mit der Gothic-Szene gemacht und räumt ein: „Aber war ich für Gothic verantwortlich? Nein. Und wenn ich es wäre, wäre ich sehr glücklich. Aber das war ich nicht.“ Im Gespräch mit dem Rolling Stone Magazine fährt er fort: „Ich denke, es hatte zwangsläufig irgendeinen Einfluss. „Cold“ aus „ Pornography “ klingt meiner Meinung nach Gothic, soweit man sagen kann, dass es diesen besonderen Sound hat. Ich bin mir bewusst, dass wir dabei eine Rolle gespielt haben, und ich denke, dass wir Teil der Geschichte des Gothic sind, ohne Frage, aber wie eine Fußnote.“

Wir wissen zwar nicht, wie Robert Smith seinen Geburtstag feiert, aber wir wünschen uns sehr, dass wir noch sehr viele solcher Tage mit ihm feiern können.

Zeitgeschichten: 2001 blickt Nico auf 11 Jahre in der schwarzen Szene zurück

Wer kennt das nicht? Die eigene Vergangenheit verschwimmt im Nebel der Zeit und was bleibt, sind vage Erinnerungen. Um dieser Gefahr vorzubeugen, hat sich Leser Nico 2001, elf Jahre nachdem er sich entschlossen hat ein Grufti zu werden, hingesetzt und seine Erinnerung aufgeschrieben. Jetzt ist er beim Ausmisten darüber gestolpert und teilt diese Geschichte mit uns. Großartig!

Nico wurde 1976 im thüringischen Suhl geboren und hat kurz nach der Wende entschieden, nur noch schwarze Klamotten zu tragen. Im Oktober 1996 ist er dann in die Nähe von Stuttgart gezogen, nicht wegen Robert Smith, dessen Konzert er drei Wochen später besuchte, sondern wegen mangelnder Zukunftsaussichten. Und trotzdem hat mit dem Sänger von „The Cure“ alles angefangen.

Alles begann mit Robert Smith

Ich kann mich noch ziemlich genau an diesen Tag in der letzten Sommerferienwoche 1990 erinnern. Irgendwie war ich mies gelaunt, keine Ahnung warum, vermutlich war es wohl der bevorstehende Schulanfang. Ich saß vor meinem Bett, im Kassettenrecorder lief das damals aktuelle Album „Disintegration“ von The Cure. Passte absolut zu meiner niedergeschlagenen Stimmung. Die düstere Schwerfälligkeit, die aus den Lautsprechern zu kommen schien, zog mich ziemlich schnell in ihren Bann.

Für mich stand kurz darauf fest, ein Grufti zu werden. Zufälligerweise hing an der Flurgarderobe von irgendjemandem ein schwarzes Jackett. Angezogen, vorm Spiegel angeschaut, sah irgendwie geil aus!

Es mussten also mehr schwarze Klamotten her! Nun war aber gerade das ein Problem, wenn du in einer Provinzstadt mitten im Thüringer Wald wohnst, und mit Klamottenläden m wie ich sie nach meinem Umzug in Stuttgart hatte, war es Anfang der 90er auch noch nicht so doll.

So musste ich mich halt erstmal mit normalen dunklen Klamotten begnügen, bis es dann zu Weihnachten den ersten schwarzen Strickpullover gab. Wow, endlich! Naja, mein alter Herr fand den ganzen Trubel um die schwarzen Klamotten nicht so klasse und die Poster in meinem Zimmer, von dem Kerl mit den toupierten Haaren, hätte er wohl auch gerne eigenhändig entfernt.

Zu dieser Zeit lernte ich auch M.G., der damals der Loser der Parallelklasse war, kennen. Er hatte so ziemlich den gleichen Musikgeschmack, aber noch mehr Ärger mit seinen Eltern. Gute Voraussetzungen für eine Freundschaft. Von da an verliefen unsere Wege den größten Teil gemeinsam und führten uns im Oktober 1996 letztendlich sogar bis nach Stuttgart. Im Frühjahr 1991 konnte jedenfalls erstmal von einer Mitschülerin meine erste weite „Schlabberhose“ ergattern, supergeiles Teil. Später ließ ich mir dann das eine oder andere Teil von meiner Oma nähen. Das ist echt was wert, wenn die Oma mal in einer Änderungsschneiderei gearbeitet hat!

Das ist etwas, was mir ein bisschen verloren gegangen zu sein scheint, das Bedürfnis nach individuellen, selbst gemachten Klamotten. „Dank“ Geschäften wie dem Gemini in Stuttgart oder X-TraX, kleidet man sich im schwarzen Einheitslook.

Die folgenden Monate des Jahres 1991 verbrachten wir eigentlich hauptsächlich damit, uns Gedanken zu machen, wie wir noch gruftiger aussehen könnten, wie wir an Musik und noch mehr Klamotten kommen konnten. Natürlich leiden unter solch einem Einsatz die schulischen Leistungen und es gab wieder Stress zu Hause. Wenigstens schien der Beweis erbracht, dass die schwarze Szene letztendlich doch nicht förderlich für die Entwicklung eines Teenagers ist. An unserer Schule waren noch zwei in schwarz gekleidete Gestalten, die mir an dieser Stelle herzlichst gegrüßt sein sollen. Grufti-Susi aus S. und D.S., wohnt jetzt in München.

Im Zeichen der Neuen Deutschen Todeskunst

Unsere musikalische Vielfältigkeit beschränkte sich damals zwangsläufig auf die bekanntesten Bands der Szene: The Cure, The Sisters of Mercy, Anne Clark, New Model Army oder auch Phillip Boa. Um so erstaunter und faszinierter waren wir, als wir zufälligerweise beim ehemaligen DDR-Jugendradio DT64 die Band „Das Ich“ mit ihrem Song „Kain und Abel“ hörten. Schnell verbreiteten sich dann auch noch Bands wie „Goethes Erben“, „Relatives Menschsein“ und „Lacrimosa“ in der Suhler schwarzen Szene. Es war die Zeit der „Neuen Deutschen Todeskünstler“.

Was für Texte, was für ’ne Musik, unsere Faszination damals war fast grenzenlos!

Bei unseren Klamotten hatte sich zwischenzeitlich auch einiges getan, sodass wir nun schon in der Öffentlichkeit des Öfteren dumm angemacht wurden. Dass es besonders im Hochsommer zu entsprechenden Sprüchen kam, bedarf sicher keiner besonderen Erwähnung, aber als harter Junggrufti steht man drüber. Meine ersten Pikes wurden übrigens von meinem Vater mit lautem Gelächter und der Frage, ob ich zum Zirkus wolle, begutachtet.

Mit der Zeit und dem verändertem Musikgeschmack entwickelt sich ja auch bei den meisten der Tanzstil. So kann ich mich noch gut daran erinnern, dass wir damals noch häufig gebückt (kennt das noch jemand?) tanzten und später dann mit Kippe in der Rechten und mit Bierflasche in der Linken das Gesamtbild abrundeten. Wenn ich doch mal die linke Hand frei hatte, steckte ich gerne mal einen Finger in ein Knopfloch meines Mantels, um das Schwingen und Wehen noch etwas zu verstärken und ihn dann beim nächsten Lied mit Schwung irgendwo in die Ecke zu werfen. Oooh, wie gruftig das damals alles war!

Irgendwann kamen dann noch die typischen Klischees dazu, wie der geplante Suizid mit 21 und das Trinken von Cola, die mit Asche vermischt war. Im Nachhinein betrachtet war doch einiges albern, aber damals hatte all das für uns eine elementare Bedeutung. Nachgedacht über einen standesgemäßen „Gruftiabgang“ durch Öffnung der Pulsadern habe ich im Zuge dieser Klischees schon, aber es ist dann glücklicherweise bei Gedankenspielen geblieben.

Toupieren wie der Teufel

Die ersten Schminkexperimente und der Versuch, die Haare zu toupieren, waren recht frustrierend. Irgendwann fruchten die Bemühungen allerdings und bei mir war das an einem Schultag in der 9. Klasse. Ich hatte die erste Stunde frei und meine Eltern waren schon auf Arbeit. Also habe ich erst die Haare gewaschen, dann geföhnt, bevor ich mit gesenktem Kopf, und unter dem Einsatz von großen Mengen Haarspray toupierte wie der leibhaftige Teufel. Gib ihm! In Spitzenzeiten verbrauchte ich so eine Dose pro Woche. In der Schule gab es dann die üblichen Sprüche, ob ich beispielsweise die „Finger in der Steckdose“ gesteckt hätte, aber ganz ehrlich? Ich fühlte mich verdammt gut dabei!

Der Sommer 1993 stand bei uns ganz im Zeichen des „Nuth“. Dabei handelt es sich um einen sehr flüchtigen Fleckenentferner aus DDR-Zeiten, den wir aus lauter Langeweile und Neugier über Stofftaschentücher geschnüffelt haben. Die so hervorgerufenen Bewusstseinsveränderungen kann man am besten mit absolut veränderter Wahrnehmung der Geräusche und auftretenden Halluzinationen beschreiben. Die Nebenwirkungen waren durch Beeinträchtigung des Sprechens und der Tatsache, dass wir aus dem Mund wie eine Tube Klebstoff rochen, gekennzeichnet.

Okay, das konnte auf Dauer nicht gesund sein und so haben wir den Konsum aus lauter Vernunft dann irgendwann wieder eingestellt. Aber die Halluzinationen waren echt witzig und eine Alternative zu anderen illegalen Drogen war das Nuth damals allemal!

Mit Beginn der Lehre kam dann auch die Erfahrung, dass ich mich auch in einigen Situationen anpassen musste, was mir doch ziemlich schwerfiel und ein Unbehagen auslöste, allein durch die Tatsache, dass ich andere Klamotten anziehen musste. Ich schämte mich und kam mir stellenweise vor wie der letzte Trottel mit meinen Halbschuhen, einem schnittigen Seidenblouson und dem Aktenkoffer in der Hand. Mich kannten ja alle jahrelang nur im Gruftilook.

Aber inzwischen kann ich damit umgehen, man gewinnt Abstand zum eigenen Ich und sieht einiges differenzierter und nicht mehr so engstirnig.

Abschließend kann ich sagen, dass ich einige Leute in der Szene kommen und gehen sah, dass es schöne und weniger angenehme Erlebnisse gab und dass nicht alles, was „schwarz“ aussieht, auch wirklich „schwarz“ ist. Dennoch habe ich den Entschluss, den ich in den Sommerferien 1990 vor meinem Bett fasste, nie bereut.

Robert Smith unterschreibt offenen Brief gegen KI

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Über 200 Künstlerinnen und Künstler haben in einem offenen Brief vor dem „räuberischen“ Einsatz künstlicher Intelligenz in der Musik gewarnt. Neben Robert Smith gehören auch Pearl Jam, Billie Eilish und R.E.M. zu den Unterzeichnenden. Berechtigte Ängste oder übertriebene Vorbehalte gegen den unvermeidlichen technologischen Fortschritt?

200 Künstler gegen den Einsatz von generativer KI

Die Artist Rights Alliance (ARA), eine gemeinnützige Organisation hat einen von mehr als 200 Künstlern unterstützten, offenen Brief veröffentlicht, in dem man „KI-Entwickler, Technologieunternehmen, Plattformen und digitale Musikdienste auffordert, den Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Verletzung und Entwertung der Rechte menschlicher Künstler einzustellen.“

Stop Devaluing Music

Neben den aktuellen Themen, wie Deepfakes und das Klonen von Stimmen, geht es in dem Schreiben aber auch um konkretere Gefahren. So besteht durch die ungenehmigte Verwendung von Musikwerken die Gefahr, KI-Klone zu erschaffen und zu produzieren, sowie durch die massenhafte Verwendung solcher Vorlagen, um Lizenzgebühren zu „verwässern“.

Gegenüber medium.com äußerte sich Jen Jacobsen, Executive Director der ARA: „Berufstätige Musiker haben bereits damit zu kämpfen, in der Streaming-Welt über die Runden zu kommen, und nun kommt noch die Belastung hinzu, mit einer Flut von KI-generiertem Lärm konkurrieren zu müssen.“ Man befürchtet, dass der unreglementierte und unmoralische Einsatz von generativer KI das Potenzial hat, menschliche Künstler zu ersetzen und so das gesamte Musik-Ökosystem zu entwerten, für Künstler und Fans gleichermaßen.

Wir sind davon überzeugt, dass KI, wenn sie verantwortungsvoll eingesetzt wird, ein enormes Potenzial hat, die menschliche Kreativität zu fördern und die Entwicklung und das Wachstum neuer und aufregender Erfahrungen für Musikfans überall zu ermöglichen.
Leider setzen einige Plattformen und Entwickler KI ein, um die Kreativität zu sabotieren […]

 

Wenn KI unverantwortlich eingesetzt wird, stellt sie eine enorme Bedrohung für den Schutz unserer Privatsphäre, unserer Identitäten, unserer Musik und unseres Lebensunterhalts dar. Einige der größten und mächtigsten Unternehmen nutzen unsere Arbeit unerlaubt, um KI-Modelle zu trainieren […]

 

Wir müssen uns gegen den räuberischen Einsatz von KI wehren, der die Stimmen und Abbilder professioneller Künstler/innen stiehlt, die Rechte der Urheber/innen verletzt und das Ökosystem der Musik zerstört.

Mit zunehmender Geschwindigkeit erscheinen immer neue Sprachmodelle und Versionen generativer KI, Unternehmen paddeln aufgeregt im Meer der Möglichkeiten und Gefahren und wissen nicht so recht, wo die Reise hingeht. Sicherheit gegen Nutzen, Kreativität gegen Innovation.

Obwohl auf man sich auf europäischer Ebene bereits auf Regeln für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz verständigt hat, bleiben viele Bereiche wenig konkretisiert und die Regeln hinterlassen mehr Fragen, als Klarheit. Ob ein offener Brief namhafter Künstler, Unternehmen oder Regierungen zum Handeln animiert, während die meisten Industrien und Ländern Angst davor haben, die nächste große Entwicklung zu verpassen?

Hörerfragen: Ist KI in der Musik eine Gefahr?

Fakt ist, die Gefahr ist real. Erst jüngst tauchte ein Song eines Künstlers bei Youtube auf, der offenbar von einer KI generiert wurde.  Da es sich um einen Song eines populären Künstlers handelte, flog der Schwindel sehr schnell auf. Die Plattenfirma Universal ließ den Song umgehend löschen.

Wer muss wen schützen? Müssen die Plattenfirmen ihre Künstlerinnen und Künstler schützen oder müssen sie die Künstlerinnen und Künstler selbst schützen? Muss man den Hörer schützen?

Meiner Meinung nach wird die Leistungsfähigkeit von Sprachmodellen oder sogenannter „KI“ massiv überschätzt, denn echte Kreativität ist hier nicht zu erwarten. Allerdings ist für vieles, was sich im Musikmarkt tummelt, auch keine Kreativität nötig. Würde es der Hörer überhaupt wahrnehmen können, wenn eine KI-Stimme von Robert Smith einen neuen Song singt, der uns möglicherweise zu Tränen rührt?