Auf der Gamescom 2023 lernte ich Julian kennen. Ich meine, wer kennt sie nicht, die weltgrößte Computer-Spielemesse, auf der man typischerweise Musiker trifft?! Julian – so erfuhr ich dann später – ist neuestes Mitglied von „Rabengott„, einer Köln-Aachener Band, die 2021 von der Bassistin Denise Kylla und dem Gitarristen Dennis Sennekamp gegründet wurde. Nicht überliefert ist allerdings, ob Denise und Dennis die Raben „Hugin“ und „Munin“ sind, die Odin seine Weisheit flüsterten, und wer dann die Rolle des Odin, einnimmt.
Die Band macht Gothic Rock, so würde ich das jedenfalls einordnen, orientiert so ein bisschen am Sound der Sisters oder auch Project Pitchfork und ist auch nicht scheu, Bruce Dickinson, den Sänger der Band „Iron Maiden“ als Vorbild zu nennen. Aktuell schmücken sie sich mit der Resurrector EP, die sich durch Remix-Versionen von Songs anderer Bands auszeichnet. Intensive Einblicke in das „Bandleben“ gibt übrigens die mittlerweile 68 Folgen umfassende „Logbuch-Reihe“, die sich auf dem YouTube-Kanal der Band findet. Die gefällt mir übrigens ausgesprochen gut und verleiht der Band einen Berg an Authentizität, den viele andere nur bewundernd emporblicken können. Tatsächlich ist dieser Kanal dann auch der Grund, warum ich ausgerechnet über Rabengott berichte, natürlich neben der Tatsache, dass wir ein paar Monate nach dem Treffen auf der Gamescom als Umzugshelfer für einen gemeinsamen Freund Seite an Seite geschwitzt haben ;)
Es gibt auch bereits ein Video der Band, allerdings noch in alter Besetzung. Bei Bandcamp kann man allerdings auch dem Album „Love And Order“ lauschen, das weitere Kostproben der Band gibt. Obwohl ich für rockige Klänge und eine gute Portion Pathos in den Stücken der Band keine Antennen habe, so muss ich jedoch anerkennen, dass mir das Schaffen der Köln/Aachener Gothic-Rocker im Strudel der Synthie-Bands und der Flut an aktuellen Post-Punk-Bands fast schon wohltuend auffällt.
„Kinder der Nacht“ ist dann auch eine Hommage an die Sisters of Mercy, während man sich auch nicht scheut, mit „Shadowland“ eine Ballade anzustimmen, während mich „Abyss“ dann wieder an den Eingangs erwähnten Bruce Dickinson erinnert.
Und gerade weil so ein authentisches Youtube-Tagebuch der Band existiert, wirkt der musikalische Pathos sympathisch und nicht wie ein aufgesetztes Image, um sich krampfhaft von anderen Acts abzugrenzen. Ja und gerade das ist dann schon so eine Art Alleinstellungsmerkmal, das mich zum Rabengott-Fan macht.
Rabengott bei Danse Macabre und beim WGT
Die Band ist allerdings außergewöhnlich fleißig und hat bereits einige Auftritte absolviert, wie beispielsweise im Shadow in Leverkusen oder auch auf dem Stella Nomine 2024, was sie natürlich ausführlich dokumentiert haben. So wurde auch Bruno Kramm auf die Band aufmerksam, was letztendlich darin mündete, dass Rabengott in Asgard aufgenommen wurden. Besser gesagt beim Label Danse Macabre, was sie auch gleich in einem ihrer Tagebuch-Einträge gefeiert haben:
Ob nun daher ein Auftritt beim WGT 2025 ist nicht bekannt, allerdings hat man den Platz auf Leipzigs Bühnen fleißig erspielt – möglicherweise hat aber auch Odin seine Finger im Spiel?
Die ARD Dokumentation „Die Vice-Story – Gosse. Gonzo. Größenwahn“ handelt vom Aufstieg und Fall eines der kontroversesten Magazine der letzten Jahre. Bei dem als „Gonzo-Journalismus“ bezeichneten Format ging es darum, „nach den vergessenen Gruppen in der Gesellschaft zu fragen. Nach den abgedrehtesten Geschichten zu suchen und aus den dunkelsten Ecken der Gesellschaft herauszukehren„, wie die ehemalige Autorin Thembi Wolf, die jetzt bei Stern arbeitet, in ihrem Artikel schreibt.
Gonzo-Journalismus wird populär
Neuer und ungeschönter Journalismus. Das Erleben im Vordergrund, radikal subjektives Spiel mit Emotionen und Moralvorstellung. VICE machte Ende der 90er-Jahre dieses Format zum Gewinner. Es geht fast immer um Drogen und Kriminalität, um Sex und Style, um Absurdes, Abseitiges und Ekliges. Thembi Wolf dazu:
Ein Redakteur wirft darin den Saugnapf-Dildo dreimal über die Schulter. Zuerst auf ein Whiteboard, das „arme Länder“ aufführt (Kuba, Syrien), dann auf die „Minderheiten“ (Geflüchtete, Menschen mit Behinderung), zuletzt auf die „Drogen“ (Xanax, LSD). Heraus kommt eine Reportage über: Transgender Ketamin-Dealerinnen in Venezuela.
Als in den 2000er ein deutscher Ableger gegründet wird, sucht man unter jedem noch so abseitigen Stein in Deutschland nach einer Story. Man sprengt moralische Grenzen mit Ansage und radikalisiert den Journalismus in Deutschland für Auflage und später für Klicks und Views. Als die Konkurrenz nachzieht und auch öffentlich-rechtliche damit ihr Zielpublikum erreichen wollen (wie beispielsweise mit „Wild Germany„) geht es nur noch um die Superlative, um ständige Steigerungen der Skandalisierung.
Die ARD-Dokumentation fasst die ganze Story und den Gonzo-Journalismus hinter VICE nochmal in einem Mehrteiler zusammen. In 3 Folgen erzählt man von „Humor & Hedonismus“, „Coups & Cash“ und letztendlich von „Alleingänge & Absturz“. Sehenswertes, das ein klein wenig nachdenklich macht.
Man besucht Diktatoren in Asien, spricht mit IS-Terrorkämpfern, fragt Überlebende des Holocaust, „ob sie in Auschwitz auch gute Momente erlebt hätten“ und zeigt Menschen, die sich absichtlich mit HIV infizieren wollen. Es gibt nichts, was man nicht ins Licht der Öffentlichkeit zerrt. Und während sich die Leute verbal und moralisch darüber empören, schauen sie mit dem anderen Auge hin. Millionenfach.
Allerdings scheint in diesem Jahr alles vorbei. Bereits 2023 ist der amerikanische Muttern-Konzern pleite, der deutsche Ableger schließt im März seine Pforten. Schluss mit Voyeurismus. Schluss mit Spannen, Staunen und Starren?
Aber nicht etwa, weil die Menschen sich jetzt plötzlich an Moral erinnern oder sich über die Empörung empören, sondern weil die Art der Berichterstattung offensichtlich die Schlange von innen zerfressen hat. Toxisches Arbeitsumfeld, Machtmissbrauch, Abhängigkeitsmissbrauch. Die Finanzierungsgrundlagen brechen weg, weil Werbepartner für die kontroversen Inhalte vielleicht kaum noch zu finden sind und Geschäftspartner möglicherweise fürchten, mit der nächsten Skandal-Story selbst auf Gleis der Absurditäten zu geraten.
Dennoch: Ich glaube, der Zeitgeist schreit (leider) nach solchen Formaten. Ich könnte jetzt die moralische Instanz mimen, aber im Grunde genommen gucke ich wohl auch hin, wenn Formate wie VICE die menschlichen Abgründe ans Tageslicht zerren – vielleicht um zu staunen, mich zu empören oder einfach ein bisschen besser zu fühlen als die „Anderen“.
Wie geht es Euch? Erinnert ihr Euch an besonders aufwühlende Artikel und Videos von VICE? Wie sieht mit Eurer Moralverstellung aus? Gibt es Dinge, die nicht ans Licht der Öffentlich gezerrt werden sollten?
In einem fensterlosen, nur spärlich beleuchteten Gewölbe irgendwo in Paris wartet die Fashion Haute Vaulet auf die Präsentation der Herbst-/Winterkollektion 2022/23, als plötzlich ein düsterer Beat aus den Boxen scheppert. Es sind die ersten Takte von „Lights„, einem Frühwerk der Sisters of Mercy. Die Gothic-Rocker liefern den Soundtrack für die apokalyptischen Kreationen des Modedesigners Rick Owens. Zufall ist die Musikauswahl ganz sicher nicht. Es folgt ein Spektakel für Augen und Ohren. Und damit herzlich willkommen in der dunklen Welt der schwarzen Avantgarde.
Schwarze Avantgarde
Dass sich die Modeindustrie immer wieder gerne in der Gothic-Szene bedient, weiß man ja. Die Creepers des in London ansässigen Modelabels All Saints vor einigen Jahren waren aber auch wirklich nicht schlecht kopiert. Und Modeketten wie H&M oder Urban Outfitters drucken regelmäßig die Kultlogos von Bands wie Joy Division auf ihre T-Shirts. Mit der schwarzen Avantgarde hat das alles nichts zu tun.
Diese modische Strömung zieht ihre Inspirationen auch aus dem Underground, aus Punk und Goth. Doch anders als die oben genannten Beispiele geht es ihr nicht um schnelllebige Trends oder um modische Gefälligkeiten. Die Mode von Rick Owens, Ann Demeulemeester und Yohji Yamamoto hat ihre eigenen Gesetze, und sie ist so kompromisslos, dass hier von Anbiederung an Trends oder Geschmäcker eher nicht die Rede sein kann.
Rick Owens: Prinz der Dunkelheit
Rick Owens wurde 1961 in Kalifornien geboren und lebt inzwischen in Paris. Seine Models hüllt er zumeist in Schwarz. Asymmetrische Schnitte, der demonstrative Einsatz von Leder, unifarbene Stoffe und androgyne Looks sind kennzeichnend für seine Kreationen. Elemente aus Goth, Punk und Grunge tauchen in fast jeder seiner Kollektionen auf. Es gibt Modenschauen von Rick Owens, die aussehen, als würden die Models geradewegs aus einem Mad-Max-Film heraus auf den Catwalk gesprungen sein. Dort laufen sie dann zum Beat der Sisters of Mercy (Men FW 2022), Siouxsie & the Banshees (Women SS 2023), oder Peaches (Women FW 2023) am – natürlich – schwarz gewandeten Publikum vorbei.
Dass um Rick Owens inzwischen einen regelrechten Kult existiert, liegt nicht nur an seinem zweifellos qualitativ hochwertigem Oeuvre. Der „Meister der schwarzen Avantgarde“ oder „Prince of Darkness“, wie er gerne genannt wird, beherrscht die Inszenierung seiner Person und seiner Mode wie kaum ein anderer. Dankenswerterweise nimmt er sich dabei selbst nicht zu ernst. In den wenigen auf der Welt zerstreuten Rick-Owens-Boutiquen stehen in den Umkleidekabinen Rick-Owens-Figuren aus Kunststoff, die den Kunden als Hocker dienen. Der Mann hat also zweifellos Humor und kann über sich selbst lachen.
Seine Kollaborationen mit Kultmarken wie Dr. Martens und Converse waren vermutlich auch nicht die schlechtesten Schachzüge, um sich einem breiten Publikum bekannt zu machen. Zu den Bewunderern des Designers gehören der Londoner Goth-It-Boy Parma Ham und die meist kalkbleich gepuderten Performance-Künstler Fecal Matter. Ein ganz schön schräges Volk also.
Ann Demeulemeester: Mode des Trostlosen
Geht es um Avantgarde-Mode, die Bezüge zum Gothic hat, darf der Name Ann Demeulemeester nicht fehlen. Die belgische Designerin gehört zu den Antwerp Six, einer Designer-Gruppe, die in Antwerpen zusammen Modedesign studiert und Anfang der 1980er Jahre der flämischen Mode einen echten Popularitätsschub gegeben hat. Wer einen ersten Eindruck von ihrer Mode gewinnen möchte, sollte sich an dieser Stelle das bekannte Schwarz-weiß-Foto von Patti Smith in Erinnerung rufen, das ihr Album „Horse“ ziert. Es zeigt die „Mother of Punk“ in einem weißen Hemd mit schwarzen Hosenträgern. Über ihre Schulter hat Smith ein schwarzes Jacket geworfen. Ann Demeulemeester hat dieses Foto einmal als Inspirationsquelle genannt. Bis heute lassen sich Bezüge darauf in ihren Kollektionen erkennen, die in der Regel nur zwei Farben kennen: weiß und schwarz.
Eine Journalistin schrieb einmal, Ann Demeulemeester würde mit ihrer Mode des Trostlosen schocken. Nun, das kann man auch als Kompliment verstehen. Wobei die Bohème-inspirierten Kollektionen eher durch elegante Schnitte und eine glamouröse Ästhetik auffallen und weniger durch Schockeffekte. Vielleicht ist man da aus der Goth-Perspektive aber auch einfach schon zu abgestumpft.
Das Modelabel gehört inzwischen zur italienischen Antonioli-Gruppe. Ann Demeulemeester ist nur noch beratend für die Marke tätig. Ob von ihr die Empfehlung kam, für den aktuellen Behind-the-Scenes-Film der Herbst-/Winterkollektion ausgerechnet das düstere „Afterhours“ der Sisters of Mercy zu wählen, ist nicht bekannt. Dass Musiker aus dem dunklen Underground die Marke schätzen, lässt sich hingegen schnell belegen. Robert Alfons von TR/ST, die Band Pol, PJ Harvey, und Ian Astbury von The Cult lieben den Ann-Demeulemeester-Look.
Yohji Yamamoto: Ein 83-jähriger Finsterling
Fließende Stoffe (in Schwarz, na klar), weite Roben und reichlich Totenkopf-Klimbim kennzeichnen die Entwürfe eines weiteren prominenten Übervaters der schwarzen Avantgarde: Yohji Yamamoto. In seinen Kollektionen kombiniert der japanische Modedesigner Traditionsbekleidung seiner Heimat mit Uniformen und Viktorianischer Couture zu einem postmodernen Avantgarde-Look. Populär ist Yamamoto auch mit seiner sportiven Zweitlinie Y-3, einer Kooperation mit dem Sportartikel-Hersteller Adidas. Ähnlich wie bei Rick Owens spielen auch bei Yamamotos Entwürfen asymmetrische Schnitte und dekonstruierte Stoffe eine wichtige Rolle.
Yamamotos Modenschauen sind düster-melancholische Inszenierungen, die gerne unter ausladenden Kronleuchtern und vor an Gotik-Kathedrahlen angelehnte Bühnenbildern stattfinden. Weltuntergangsstimmung de Luxe sozusagen. Mit seinen Kreationen könnte der inzwischen 83-jährige Finsterling unter den Modedesignern mühelos jeden Vampir-Film ausstatten. Zu den Bewunderern des Japaners gehört offenbar auch Warren Ellis. Der Musiker von den Bad Seeds (Nick Cave) gab einen Gastauftritt bei Yamamotos Show für die Herbst-/Winterkollektion 2024/25. Nicht als Musiker, sondern als Model.
Aktuell gibt es eine Schmuckkollektion, die unter dem Label „Gothic Yohji Yamamoto“ vermarktet wird. Darunter Kettenanhänger in Totenkopf- und Gargoyle-Design. Zum Fürchten sind nicht nur die Schmuckstücke, sondern leider auch die Preise, die für das Geschmeide aufgerufen werden. Den Piratenring gibts mal eben für knapp 2.000 Euro.
Ähnlich wie Rick Owens und Ann Demeulemeester genießt auch Yohji Yamamoto unter seinen Fans Kultstatus. Auf Instagram gibt es etliche Accounts, in denen die Looks der entsprechenden Designer gefeiert und zur Schau getragen werden. Auf Insta-Kanälen wie „streetgothfits“ und „iconiaavantgarde“ zeigen User ihre düsteren Outfits. Und hier lässt sich auch beobachten, dass alle drei Modeschöpfer bis heute viele ihrer Kolleginnen und Kollegen überall auf der Welt inspirieren. Was sie noch gemeinsam haben? Erkundigt man sich aus Versehen bei Owens, Demeulemeester und Yamamoto danach, welche Farben denn wohl in der nächsten Saison Trend sein wird, dürfte ihre Antwort wenig überraschend gleich ausfallen.
Es hat sich etabliert, dass Leser (und Hörer) unserer Rubrik „Formel Goth“ ihre persönlichen Entdeckungen in den Kommentaren ergänzen, was sich so gut finde, dass ich es besser fand, dass man gleich neue Artikel daraus macht. So beginnen wir den Dezember mit einem Formel Goth Artikel in der Graveyard-Queen-Edition (GQE), das sich hoffentlich bald wiederholt und auch von anderen Lesern dazu genutzt wird, ihre Entdeckungen besonders spannender Musikvideos und Neuveröffentlichungen einzureichen. Einfach 3-5 Musikvideos heraussuchen und dazu beschreiben, warum man denn nun ausgerechnet diesen Song besonders toll findet, reicht aus. Per E-Mail oder Kontaktformular einreichen und schon machen wir einen Artikel daraus. Jetzt überlasse ich Euch aber in die kundigen Ohren der Königin der Friedhöfe.
Ductape feat. She Past Away – Ölüm Günüm
She Past Away ist eine Band, die inzwischen aus den von YouTube vorgeschlagenen Playlisten, die ich regelmäßig angezeigt bekomme, nicht mehr wegzudenken ist. Und so schaffte auch die Band „Ductape“ und ihr Song „Ölüm Günüm“, bei dem She Past Away mitwirkten, den Weg zu mir. Eine Band, die mir bis Dato unbekannt war und mit ihrer Vielfalt meine Neugier wecken. So wird sowohl der Dark Wave als auch der Post Punk in ihrer Musik vereint und die Texte auf Türkisch und Englisch verfasst.
Einen besseren Termin als November, in dem ich nicht nur einen schmerzlichen Verlust hinnehmen musste, sondern viele am Totensonntag den Verstorbenen gedenken, hätte man für das Lied nicht wählen können, bedeutet Ölüm Günüm übersetzt nichts anderes als Todestag.
Kaelan Mikla – Stjörnuljós
In dieser nasskalten und dunklen Jahreszeit, in der ich mich gerne in meine vier Wände zurückziehe, kommen von Kaelan Mikla genau die richtigen Klänge. Die Räume in gedimmtes Licht gehüllt und mit einer warmen Tasse Tee in der Hand, taucht man ab und lässt sich von den sanften Tönen tragen. Und etwas Wärmendes benötigt man vermutlich auch, denn die Protagonistin nimmt uns im Video mit durch die Wälder.
Peter Murphy & Boy George – Let The Flowers Grow
„Zwei Ikonen der 80er-Jahre treffen aufeinander“, genau das war das Erste, was ich dachte, als ich von dieser Kollaboration las. Und ich finde, wir können dem Zufall dankbar sein, welcher damit begann, dass Boy George eine Demo-Version von „Let The Flowers Grow“ Peter Murphy zukommen ließ. Dieser war nämlich für Aufnahmen im Tonstudio und hörte dort zufällig die Rohfassung. Entstanden ist ein gefühlvolles Lied, was textlich zwar eher nach dem Finden zu sich selbst klingt, dessen zarte Klänge, mich aber in meiner Trauer berühren und gleichzeitig etwas Hoffnungsvolles geben, nach Vorne zu blicken. Und vermutlich fügt sich genau an dem Punkt der Text und mein Empfinden zu einem Ganzen. Zum Leben erwecken, alle Schmerz hinter sich lassen und aufstehen.
Mit der tatkräftigen Hilfe des Sarges hat sich der Fangzahn ein paar hübsche Regale gezimmert, um möglichst viel Platz für seine Devotionalien zu schaffen. Gerade als er das letzte Gebiss einer seiner Opfer liebevoll anrichtet, fallen ihm die vielen Anekdoten ein, die zu jedem dieser Zahnreihen gehören. Er schmunzelt ein wenig als im bewusst wird, wie gleich die Zähne der Menschen sind, wenn man von den unterschiedlichen Verfärbungsgraden mal absieht. Im nächsten Regal kommen gleich die Zähne der dämonischen Wesen an die Reihe, Werwolf-Reißzähne, Wiedergänger-Backenzähne und natürlich die verlängerten Vampir-Zähne, die immer ein ganz besonders seltenes Relikt sind. Seine Freunde finden es makaber, die Kauleisten seiner dämonischen Artgenossen so zur Schau zu stellen, doch der Fangzahn macht da keinen Unterschied. In Regal Nummer drei kommen dann Sargnägel, abgeschnittenen Zöpfe und die goldenen Deckel der Grableuchten – Gerechtigkeit muss sein. Einen ganz besonderen Platz hat er natürlich freigehalten, denn irgendwann werde die Zähne von Alana Abendroth ihm gehören.
Ich hatte ja nie ein Fan-Gen. So nenne ich das, wenn man für eine Band oder einen Künstler so sehr brennt, das man Tränen vergießt, wenn dieser Mensch die Bühne betritt, das man unzählige Konzerte besucht, um zu den immer gleichen Lieder dahinzuschmelzen oder vor Ergriffenheit zu zittern beginnt oder in einem Rausch der Freude explodieren möchte. Ja, noch nicht einmal für Robert Smith, wie es jüngst in dem Interview mit dem Cure-Ultra Alex klang oder auch für Depeche Mode, die ich ebenfalls seit meiner Jugend verfolge. Natürlich bin ich Fan der Bands und liebe ihre Songs mehr als andere. Aber eben nicht so, dass ich der Band hinterherreise, jede Veröffentlichung kaufe oder die Wohnung mit entsprechendem Merchandise geschmückt habe. Nein, ich habe kein Fan-Gen. Manchmal finde ich das schade, weil ich denke, ich könnte nicht genug Leidenschaft für etwas (oder jemanden) aufbringen, dann aber finde ich das auch ganz praktisch, eine Sicht von außen auf die Dinge einzunehmen. Guckt Euch mal die Doku „Being Swiftie: Mein Leben für Taylor Swift“ an und verratet mir, für wen ihr so brennt oder ob es auch nicht möglich ist, Euch „anzuzünden“. Bis dahin entlasse ich Euch in eine längst überfällig Wochenschau:
Robert Smith macht Kunst für wohltätige Zwecke | Rolling Stone
Kann man machen, wie ich finde und steigert nur meine persönliche Wertschätzung für den Fürsten der Dunkelheit. Das Rolling Stone schreibt dazu: „Bereits Anfang November wurde bekannt, dass Robert Smith Kunstwerke zugunsten der Heart Research UK versteigern würde. Insgesamt erschuf er fünf Bilder für das „heArt-Projekt“. Diese basieren auf den folgenden Titeln von „Songs Of A Lost World“: „Drone:Nodrone“, „I Can Never Say Goodbye“, „Warsong“ und „A Fragile Thing“. Das am meisten verkaufte Werk war „I Can Never Say Goodbye“ mit rund 18.527 Euro. Kurz danach folgt „Warsong“ mit einem Gewinn von ungefähr 4.750 Euro.„
Leben mit den Toten – Der Friedhof-Slum von Manila
„Manila – Marilyn Regala steht vor einer alten Waschmaschine und räumt T-Shirts und Handtücher ein. An sich nichts Ungewöhnliches, wären da nicht die vielen pastellfarbenen Gräber. Denn diese „Waschküche“ steht auf einem Friedhof. Beim Blick nach oben auf das Wellblechdach fällt ein löchriger schwarzer Plastiksack ins Auge, aus dem Menschenknochen ragen. Der Manila North Cemetery ist kein Ort für schwache Nerven: Hier – auf einem der größten und ältesten Friedhöfe der philippinischen Hauptstadt – leben rund 6.000 Menschen zwischen einer Million Toten.“ Ein spannender Artikel über einen Friedhof in Manila und seine lebenden Bewohner. Mehr davon findet ihr im Artikel bei web.de (Danke, Caro!)
Der Körper als kulturelles Zeichen | SWR Kultur
„Der Körper ist viel mehr als nur eine biologische Hülle; er dient als Medium, das sowohl persönliche als auch politische Botschaften transportieren kann. Besonders Künstler und Subkulturen nutzen den Körper, um gesellschaftliche Normen zu hinterfragen und Identitäten auszudrücken. In seinem neuen Buch „‚Body Politics! Körperkult, Queerness und Post–Modern Primitivism‘ erforscht der Kulturwissenschaftler Marcus Stiglegger die Entwicklung von Körperbildern in den letzten 40 Jahren.“ Die 8-minütige Sendung gibt es auf der Internetseite des SWR als Podcast zum Nachhören und das Buch für 20 Euro direkt beim Verlag zu bestellen. Körper, soviel ist klar, waren immer auch schon eine persönliche Leinwand, um kulturelle, religiöse oder weltanschauliche Ansichten zu präsentieren, obwohl, so meine bescheidene Meinung, mittlerweile Beliebigkeit regiert und Dinge nach außen getragen werden, die „gut aussehen“.
Current State of British Goth Culture | Dazzed
Die Fotografin Xanthe Hutchinson und die Stylistin Helen McGuckin haben eine Fotoserie inszeniert, um den aktuellen Stand der britischen Gothic-Szene zu dokumentieren. Ganz schön bunter Haufen, diese Briten. Auszug aus dem Artikel bei Dazzed: „Unter den Fotografierten selbst ist der Einfluss des Internets und der sozialen Medien auf die Entwicklung ihrer Subkultur – im Guten wie im Schlechten – ein wiederkehrendes Thema. Einerseits konzentriert sich das Internet oft mehr auf Ästhetik als auf authentische Werte, da Nischenkulturen von Unternehmen aufgefressen und aus Profitgründen wieder ausgespuckt werden. ‚Die Gothic-Kultur hat sich von einer Underground-Subkultur zu einem öffentlichen Spektakel entwickelt‘, sagt Zovi , eine der Personen, die für das Projekt fotografiert wurden. Dies hat Auswirkungen auf das reale Leben: ‚Underground-Räume sind nicht mehr mit wunderschönen Kreaturen und lebender Kunst gefüllt, die Etikette bei Shows ist nicht mehr so gemeinschaftlich und sicher‘„. Absolut, die Gothic-Kultur hat sich zu einem öffentlichen Spektakel entwickelt – abgrenzen müssen wir uns also nicht nur vom Mainstream, sondern auch der schwarzen Oberfläche.
Widerborstig – Buzz Cut, Afro, Schleier, Irokese – was haben Haare mit Protest zu tun?
„Die Haare sind das wichtigste!“ – sagte schon ein junger Protagonist aus einer frühen Kölner Dokumentation über die Subkultur der Gothics und New Romantics. Eine aktuelle Dokumentation aus der Sendereihe „Aspekte“ beschäftigt sich jetzt mit Hintergründen: „Wieso tragen Frauen keine Bärte? Warum sind Glatzen uncool? Was wir auf unserem Körper tragen ist hochpolitisch, ob wir wollen oder nicht. Denn anhand von Körperbehaarung werden gesellschaftliche Debatten ausgetragen.“ In der Tat sind Haare seit den Debatten um „Kulturelle Aneignung“ zum Politikum geworden. Die 45-minütige Dokumentation könnt ihr euch hier anschauen.
TikToks Disorder Fakers | Youtube
Immer wieder wird es Trend eine psychische Störung vorzutäuschen, um sich wichtiger zu machen, Aufmerksamkeit zu erhaschen oder sich besonders zu fühlen. Auch bei TikTok finden sich offenbar zahlreiche Menschen, die sich damit inszenieren und die Menschen, die wirklich unter solchen Störungen leiden, meiner Meinung nach abwerten. „Einen Bärendienst erweisen“, wenn man das so nennen kann. Ein Video von „Of Herbs and Altars“ beschäftigt sich damit:
10 geniale Bands aus dem aktuellen Wave-Goth-Postpunk-Dunkel | Nadel verpflichtet
Noch bevor das aktuelle Album von The Cure das Tageslicht erblickte, clickbaitete Tim Hofmann davon, die Band durch aktuelle Bands aus dem Wave-Goth-Postpunk Umfeld zu ersetzen. In seinem Podcast „Nadel verpflichtet“, dem man ganz nebenbei folgen sollte, stellt er Bands vor, die seiner Meinung nach deutlich unterrepräsentiert sind.
Mit der Doku „Punk Girls“ erzählt ARTE die weibliche Geschichte des britischen Punks. Ende der 70er Jahre brechen langsam veraltete Rollenbilder auf. In Deutschland fällt die „Hausfrauen-Ehe“ und ermöglicht Frauen ohne Einverständnis ihres Ehemanns eine Arbeit aufzunehmen und in Großbritannien werden Frauen und Männer am Arbeitsplatz gleichgestellt.
Das sind allerdings nur winzige Schritte eines Weges, den Frauen bis heute noch gehen müssen. Mit dem entstehenden Musik-Genre „Punk“ wächst damals eine zugängliche Ausdrucksform, die auch viele Frauen in ihren Bann zieht und die darin eine Möglichkeit sehen, ihren Vorstellungen, Sorgen und Nöten ein Ventil zu geben. Eine gelungene Doku auf ARTE erzählt die weibliche Geschichte des britischen Punks.
Punk-Girls im ehemaligen Empire
„Zwischen Wirtschaftskrisen und silbernem Thronjubiläum braut sich in den besetzten Häusern und Kellerclubs von West London etwas zusammen: Punk! Als Musikerinnen wie Poly Styrene (X-Ray Spex), Viv Albertine (The Slits) und Gina Birch (The Raincoats) Mitte der 1970er Jahre Bands gründen, gibt es kaum weibliche Vorbilder. So wurden sie selbst welche. Eine „Herstory“ des Punk.“
Musikvideos kommen in der Zukunft von den Fans, nicht von Künstlern. Der Erfolg der Internet-Plattform TikTok basiert vor allem darauf, dass sie es Menschen ermöglicht, zu ihren Lieblingssongs mit einfachen Mitteln eigene Videos herzustellen. Die Millionen Teenager, die auf TikTok performen, stehen aber nicht nur für eine neue Form der Kreativität, sondern auch für die Demokratisierung des Musikvideos. Sie demonstrieren anschaulich, wie die Geschichte des Mediums mit dem technischen Fortschritt verbunden ist. Wir vom Nostalgie-Club Spontis bleiben allerdings bei den Werken der Künstler, die häufig viel genauer wissen, wie sie ihr Werk visualisieren wollen. Das ist zwar nicht immer Erwartungsgemäß, aber immer unterhaltsam.
Eivør – UPP ÚR ØSKUNI
Die „färöische Björk“ wird sie genannt, die dadurch heraussticht, dass sie wohl die bedeutendste Künstlerin ist, die in färöischer Sprache singt. Die Färöer, zu Erinnerung, sind ein autonomer Inselstaat zwischen Island, Norwegen uns Großbritannien, die sich durch ihre unwirkliche Landschaft und ihr raues Klima besonders unter Gruftis für die Hochzeitsreise anbieten. Aber das nur am Rand. Eivør lässt sich musikalisch nicht wirklich einordnen, hat sich aber durch Auftritte auf verschiedenen Metal- und Gothic-Festivals indirekt ein Färbung gegeben. Musik und Video zum Song UPP ÚR ØSKUNI (Aus der Asche), lassen sich auf jeden Fall gut in die atmosphärische Stimmung der Szene parken.
Rue Oberkampf – Allein
Der tanzbare und eingängige multisprachliche Mix in „Allein“ von Rue Oberkampf aus der am 1. November erscheinenden EP „Essenz“ führt den Sound der Münchener Band konsequent fort. In der heimeligen Kulissen des DDR-Bungalow fühlt sich Sängerin Julia „Allein“, was auch bitter nötig erscheint, denn nach einem Auftrittsstarken Jahr 2024 will man sicherlich auch mal ein bisschen die Stille genießen, die die Sängerin nach eigenen Angaben so schätzt. Mitte November sind sie allerdings erst noch auf dem Cold Hearted Festival in Bochum und Dresden zu sehen und zu hören. Für die Matrix in Bochum gibt es sogar noch Karten!
Daniel Knutz – No Grave Can Hold Us Down
Wer erinnert sich an die brasilianische Gothic-Hoffnung „The Knutz“, die wir bereits 2018 vorgestellt haben? Südamerika lag damals total im Trend und dennoch hat Daniel Knutz (eigentlich Daniel Abud) seine gewohnt Umgebung und seinen Bruder, mit der „The Knutz“ aufgezogen hat, verlassen. In Berlin macht er sich seit geraumer Zeit einen Namen und hat jetzt wieder einen neuen Song herausgebracht. Er ist sich seinem Stil treu geblieben. Trotzdem ein mutiger Schritt der beweist, dass ihn wirklich kein Grab stoppen kann.
Kaput – High Wire
„Vorsicht ist langweilig, wir sind wegen Blut gekommen“ – ganz schön kaput, oder? Ich bin ja auch nur wegen dem Shining-gleichen Blutbad am Ende des Videos gekommen. Kaput kommen aus Chicago und bringen mehr in einem Zitat einer Rezension mehr Bedeutung in ihren Song und das Video, als es ihm gut tut.
Das ist es also: Am 1. November ist „Songs Of A Lost World“ erschienen. Das neue Studioalbum von The Cure. Ein Großereignis – nicht nur für die schwarze Szene. Fast alle Medien berichten über die Veröffentlichung. „Das Album ist so düster und gut geworden, wie es sich viele Fans erhofft haben dürften„, urteilt beispielsweise die Rheinische Post. Stimmt das wirklich?
In einer mit Robert-Smith-Bildern dekorierten Wohnung im szenigen Belgischen Viertel Kölns werden die neuen Songs von The Cure besonders genau unter die Lupe genommen. Hier wohnt Alex, der seit vielen Jahren The Cure-Fan ist. Wobei das natürlich eine totale Untertreibung ist. Denn wer von einem regelrechten Kult spricht, dem er da verfallen ist, hat offenbar eine besonders enge Beziehung zu der Band um Robert Smith.
Am Tag der Album-Veröffentlichung haben wir es natürlich nicht gewagt, Alex zu stören. Etwas später, als sich die Aufregung um das neue Werk gelegt hatte, hat unser Autor Franky Future dann für ein Spontis-Interview vorsichtig beim Hardcore-Fan angeklopft. Und der lässt tief in sein Fan-Herz blicken.
Franky: Alex, was muss ich mir unter einem Cure-Ultra überhaupt vorstellen? Schläfst Du in Robert-Smith-Bettwäsche und schlägst Dich am Wochenende mit Depeche-Mode-Fans?
Alex: Also hier muss ich besänftigen, ich achte das Werk von Depeche Mode wirklich sehr und bin auch mit einigen ihrer Songs in Liebe verfallen. Ich denke, zwischen Depeche Mode und The Cure gibt es einige Parallelen. Sie haben zu einer ähnlichen Zeit die USA erobert, und in der DDR gaben sie Jugendlichen eine Nische und Perspektive. Beide Bands haben eine sehr treu ergebene Fanbase weltweit. Beide Bands singen über Dinge, mit denen Menschen auf der ganzen Welt connecten können. Beide haben einen eigenen modischen Stil kreiert, der viele Menschen inspiriert hat. Für viele bieten sie bis heute eine musikalische Alternative – oftmals in D-Moll. Beide Bands sind Aushängeschilder der Szene, viele kamen durch sie erst mit der Wave-Gothic-Szene in Berührung. Beide Bands leuchten und inspirieren immer noch generationsübergreifend. Beide Bands mögen sich übrigens gegenseitig sehr.
Was macht dann den entscheidenden Unterschied aus?
In meiner alternativ-musikalischen Früherziehung spielten The Cure einfach die größte Rolle. Zuerst kommen The Cure und dann kommt erst einmal lange nichts. Es war oder ist ein leichtes, sich als Fan dieser Bands identifizieren zu lassen. Der Cure-Look sprach zu mir und sagte immer: „Es ist okay anders zu sein“ und „Kultiviere Dein Outsidertum!“ Und ja, das habe ich dann auch so gemacht. The Cure sind der Soundtrack meines Lebens.
Als Cure-Ultra würde ich mich trotzdem nicht bezeichnen; der Begriff ist mir etwas zu Fußball-assoziiert. Ich würde sagen, dass ich vielleicht einem Kult verfallen bin. Früher habe ich den Raum verlassen, wenn jemand etwas Negatives über meine Band gesagt hat. Das ist zum Glück heute nicht mehr so. Ich bin in der Hinsicht etwas verträglicher geworden. Dennoch: in dieser Musik fühle ich mich zu Hause: Es gibt einen Song von The Cure für jede Stimmung in mir. Und ja, ich habe ein The Cure-Sofakissen, mehrere The Cure-Kaffeetassen und einen Robert-Smith-Badvorleger.
Was macht für Dich die Faszination dieser Band aus?
1990 spielte mir die beste Freundin meiner Schwester „Charlotte Sometimes“ vom Live-Album „Concert“ vor. Als Zwölfjähriger dachte ich zum ersten Mal in meinem Leben, es würde etwas wirklich nur zu mir singen. Ich war schon zuvor immer ein musikaffines Kind gewesen, doch es gab zwischen meinen ersten Helden Duran Duran und mir eine Diskrepanz: Sie brachten mich zwar zum Tanzen und Träumen, aber die Musik sprach nicht direkt aus mir. The Cure waren anders, diese Musik schien nur für mich konzipiert zu sein.
Im Rückblick denke ich, wurde ich mit The Cure erwachsen. Ich verließ den Schoß der Kindheit. The Cure waren der Anfang meiner Identitätsfindung. Ich machte mich mit und durch sie auf den Weg, zu erfahren, wer ich eigentlich war und sein wollte.
Welche Rolle hat dabei der Frontman der Band, Robert Smith, gespielt?
Robert Smith stand und steht durch seine Optik für keine kulturell konstruierten Vorstellungen und Gender-Stereotypen. Das war mir damals so nicht bewusst, zog mich aber sehr an. The Cure eröffneten durch ihr Image und ihre Musik für mich einen Heimathafen, einen Safe Space, in dem ich mich endlich ausleben konnte, inspiriert wurde und Orientierung fand im Prozess des Erwachsenwerdens. Die meisten männlich gelesenen Personen, die in der Öffentlichkeit standen, waren als Vorbilder ungeeignet. Robert Smith verkörperte da etwas anderes: weg vom harten Typen, hin zu jemandem, der mit Androgynität spielt und Mode und Mainstream verachtet. Für mich war das als ein junger queerer Mann 1989/1990 eine Ausnahmeerscheinung und Offenbarung.
Spielte dabei nur die typische Robert-Smith-Optik eine Rolle?
Nein. Insgesamt bin ich bis heute froh, dass Robert Smith so ein guter Typ zu sein scheint. Seien es seine politischen Äußerungen in unterschiedlichen Interviews oder der Spruch auf seiner Gitarre: „CITIZENS NOT SUBJECTS“. Smith hatte ebenfalls einen Aufkleber von der (englischen) Antifa auf seiner Gitarre. Robert Smith hat sich auch gegen dynamische Ticketgestaltung von Ticketmaster auf der letzten Amerika-Tour aufgelehnt und dieses kapitalistische System beeinflussen können. Auf Cure-Konzerten gibt es übrigens immer Merchandise, den sich jeder leisten kann. Hier gibt es für mich eine Nuancierung zu Depeche Mode.
Wie viele The-Cure-Konzerte hast Du bisher besucht und welches ist Dir besonders in Erinnerung geblieben?
Ich habe The Cure (leider) erst 48 Mal gesehen. Zu meinen liebsten Erinnerungen gehört mein allererstes Konzert 1992 in Düsseldorf während der Wish-Tour. Weitere besondere Erinnerungen sind alle Konzerte von 2022, insbesondere Basel, Köln, Berlin, München und London mit der besten Reisegruppe! Das schönste Erlebnis war das letzte Konzert in Köln, das ich mit vielen Freunden und Teilen meiner Familie erleben durfte. Unvergessen! Robert Smith und Band geben Konzerte mit knapp 45 Songs. Manchmal spielen sie ganze Alben. Live ist also immer viel zu erwarten.
Welches ist Dein Lieblingsalbum von The Cure und warum?
Oh, das ist wirklich eine komplexe Frage, aber ich denke, dass mich die Disintegration, Faith, Wish, Pornography sehr, sehr begeistern. Grundsätzlich liebe ich auch Live-Alben und Bootlegs. Die „Entreat -Live in Wembley 89“ und die „Paris – Live in Paris 92“ kann ich immer hören. Die Live-Bootlegs von der Bloodflower-Promo-Tour im Jahre 2000 finde ich auch immer sensationell, dieser Sound haut mich um.
Kommen wir zum aktuellen Werk. Dein erster Eindruck?
Ich bin wirklich mehr als zufrieden. Um ehrlich zu sein, bin ich richtig glücklich mit dem Album. Ich kannte ja schon einige der Songs als Live-Versionen, da The Cure einige der Stücke schon auf der letzten Tour gespielt haben. Gespannt war ich also auf die Studio-Aufnahmen, die mich nicht enttäuscht haben. Ich denke, jeder, der die neuen Lieder auf der Tour hörte, war sehr angetan und sofort gefesselt, weil die Songs vom Leben im Hier und Jetzt, vom Tod, dem Verlust eines geliebten Menschen und über den Verlust der Liebe und deren Konsequenzen handeln. Der Satz aus dem neuen Song Alone „And here is to love, so much love“ wirkt bis heute auf mich wie eine Ode an das Leben und die Liebe!
Welche Emotionen ruft das neue Album bei Dir hervor?
Es geht in den neuen Songs nicht um eine distanzierte jugendliche Melancholie, sondern die Songs lassen mich spüren, dass ich in einer sehr persönlichen Art diese Lieder selber singen würde. Das ist hier mehr als Metapher zu verstehen: Niemand möchte, dass ich zu ihm singe, aber ich sehe hier Parallelen zu meinen ersten The Cure-Hörerfahrungen als Heranwachsender. Das Hörerlebnis ist mal wieder sehr intim und nah. Besonders an allen The Cure-Veröffentlichungen ist, dass ich eigentlich zu jedem neuen Album im Rückblick genau sagen kann, wie ich mich zur Veröffentlichung gefühlt habe. Zum jetzigen Zeitpunkt, 16 Jahre nach der letzten Veröffentlichung, ist es das Rad der Zeit, das mich beschäftigt. Ich blicke mehr zurück, die eigene Vergänglichkeit wird konkreter. The Cure als Teil meines Memorials, im Rückblick, aber auch im Ausblick. Grundsätzlich, denke ich, ist das eines von Robert Smiths’ besten Attributen: in jedem Moment unseres Daseins, so nah wie möglich an unser Inneres heranzukommen.
Welcher Song auf dem neuen Album hat das Potenzial ein The Cure-Evergreen zu werden?
Das Potenzial haben meiner Meinung nach gleich mehrere Songs: Alone, And Nothing is Forever, All I Ever Am und Endsong.
Wie gefällt Dir das Artwork für „Songs of a lost World“?
Robert Smith hat eine Skulptur des slowenischen Künstlers Janez Pirnat aus dem Jahr 1975 ausgewählt, um das Cover zu illustrieren. Das Albumcover wurde dann von Andy Vella entworfen. Andy Vella kennt Robert Smith und The Cure seit 1981. Er hat den Großteil des Artworks für die Plattenveröffentlichungen von The Cure entworfen, entweder als eine Hälfte von Parched Art oder als Solokünstler. Er hat die Band außerdem in ihren verschiedenen Inkarnationen fotografiert.
Ich finde das Cover sehr gelungen. Es funktioniert als ein Gesamtes. Dieses Weltall-Asteroiden-Ding hat mich immer schon in den Bann gezogen. Das Layout gekoppelt an diese neuen monumentalen Songs ist eine perfekte Symbiose.
Welche Schulnote gibt der „Cure Ultra“ dem neuen Album?
Seit Beginn des Jahres existiert das Projekt „Ein Kessel Schwarzes“, für welches die Künstler Oswald Henke (Musiker Goethes Erben), Luci Van Org (Musikerin Üebermutter, Lucilectric „Mädchen“ + Autorin) und Christian Von Aster (Autor) gemeinsam auf die Bühne gehen. Gezeigt wird eine bunte Mischung aus Lesung, Gesang und Komödie. Und bei allem Spaß, den die Drei dabei verbreiten, so kommen auch die ernsteren Themen des Lebens nicht zu kurz.
Ein Kessel Schwarzes – Der Name ist Programm
Bereits im Frühjahr gaben sie mit dem Programm „Leichenschmaus“ ihr Debüt. Jetzt kamen sie für drei weitere Shows auf die Bühne zurück und hatten ihr neues Stück „Familiengericht“ im Gepäck. Ein Programmname, den man nicht hätte besser wählen können und der – so sollte es sich herausstellen – allerlei Überraschungen bereithielt. Neben Literatur und Erzählungen aus dem eigenen Leben und zum Thema Familie, gab es auch viel Informatives zu Recht, Rechtsprechung und Gerichtsbarkeit. Aber auch der Humor sollte nicht zu kurz kommen.
Was genau bekam das Leipziger Publikum geboten?
Gleich zu Beginn ging es heiter los. So nahmen die drei Künstler an einem gedeckten Tisch Platz und spielten die Geschichte des Zappel-Philipps nach. In der Rolle des Kindes war Oswald Henke, der die Lacher in dem Moment auf seiner Seite hatte, als Luci Van Org ihm kurz vor der Sturzszene einen Helm aufsetzte. Sicherheit geht vor, immerhin wird er auch noch für einige andere Termine in ganzen Stücken benötigt. Sie war es übrigens auch, die während des Stunts zur Seite stand und beim Fallen in Zeitlupe behilflich war.
Eine weitere Gruppenaufführung des Abends war Falcos Kommissar, wo sich alle Sonnenbrillen aufsetzen und im feinsten Wienerisch den Text zum Besten gaben. Bis auf Herr Von Aster, der probierte es mit Hochdeutsch und gab zum Schluss zu, mit dem Refrain etwas Probleme zu haben. Er machte aus „Dreh dich nicht um“ einfach „Dadilidum“.
Am Tisch der Wahrheit, eine Art Pult mit zwei Sanduhren, verrieten die Künstler die ein oder andere Sache aus ihrem Privatleben. So schmierte der kleine Christian Von Aster zum Beispiel bei einem Schulausflug Zahnpasta an die Türklinke, um dann zu behaupten, es wäre ein Mitschüler gewesen, der die Tube geklaut hätte. Soviel Flunkerei wäre für klein Oswald nichts gewesen. Hatte er doch als kleiner Junge seine Mutter mitten auf dem Parkplatz eines Einkaufsmarktes so lange bearbeitet, bis sie in den Laden zurückging, um einen Lutscher im Wert von etwa 10 Pfennig zu bezahlen, den sein kleiner Bruder einfach so mitgenommen hatte.
Diese lustigen Anekdoten zwischendrin brauchte es aber auch. Berichtete Luci Van Org über eher komplizierte Familienverhältnisse, in denen sie groß wurde. An dieser Stelle ziehe ich meinen Hut über soviel Offenheit. Vielmals schweigen die Menschen, die unangenehmen Dinge des Lebens, lieber tot, aber nicht sie.
Generell hatte Luci sich die härteren Themen rausgesucht. So sprach sie während ihrer Soloparts zum Beispiel über häusliche Gewalt und Mord an Frauen. Passend dazu gab sie ein Lied ihres Projektes Lucina Soteira zum Besten. Aber auch Vergewaltigung und Suizid hatte sie sich zum Thema gemacht. Zu letzteren las sie aus ihrem Buch Wir fünf und ich und die Toten vor. Und ein weiteres Mal war ich von dieser Frau beeindruckt. Gekonnt und ausdrucksstark schlüpfte sie stimmlich in die Rollen der Protagonisten und überrascht im Text mit einer Stimmengewalt, die ich so noch nicht erlebt hatte.
Aber auch Oswald Henke bekam seine Bühnenzeit. Gleich zu Beginn beleuchtete er die Folter im Mittelalter näher und gab den Text Fleischschuld wieder, welchen man auch auf dem Goethes Erben Album „Nichts bleibt wie es war“ finden kann. Ein Highlight seines Auftrittes war der Vortrag von Orangenschiffchen. Eine Art Vers, den er irgendwann mal als Dank für seine Mutter schrieb. Musikalisch wurde das Ganze von Luci untermalt, während Christian Von Aster passenderweise Orangenschiffchen im Publikum verteilte.
Christian Von Aster war vor allem der Literat auf der Bühne. Er gab viele Texte und Reime zum Besten. Unter anderem die Geschichte vom Nichtsnutz. Ein Buch, wofür er damals tatsächlich keinen Verlag fand. Welches ich aber als äußerst wertvoll empfinde, regt es einen doch an, sich selber zu hinterfragen. Inhaltlich geht es darum, ob man wirklich immer alles Materielle benötigt, was einem gerade gefällt. Aber auch ein Weihnachtsreim sollte uns nicht vorenthalten werden. In dem ging es um ein chaotisches Weihnachten zwischen Gänsebraten, Kindern, die Blödsinn machen und einem eifersüchtigen Opa im Weihnachtsmannkostüm.
Den Abschluss machte dann eine weitere musikalische Darbietung der drei. Dem vorausgegangen war das Thema Wahlfamilie, am Tisch der Wahrheit. Und wie Christian Von Aster, sinngemäß, sprach, sind wir alle Teil einer Wahlfamilie und bezog sich damit auf die Gesellschaft, in der wir leben. Und somit wurde im Lied das ganze nochmal textlich damit untermauert, dass egal welcher Religion man angehört oder welche Hautfarbe jemand hat, wir alle Teil der Gesellschaft sind und somit miteinander verbunden.
Ein Besuch der sich lohnt
Weder muss man Kenner von Christian Von Aster seiner Literatur sein, noch Fan der Gruppe Goethes Erben oder Luci Van Orgs Musik, um prächtig unterhalten zu werden. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass es ausreicht offen und neugierig zu sein und über etwas Humor zu verfügen. Ich würde jederzeit wieder eine Vorführung besuchen, wenn es zeitlich und räumlich für mich passt und kann somit wärmstens die ersten Termine für 2025 empfehlen.