Der Ghoul wandert seit Tagen ziellos durch die Innenstädte, auf der Suche nach der Einen, die ihm winkt. Der Ghoul ist bereit, sich unsterblich zu verlieben, so wie es ihm Alana Abendroth im aktuellen Gruft-Orakel vorausgesagt hat. Dass das Unsterbliche bei dieser Sache sehr einseitig ausfällt, verdrängt er. Für das Gefühl von Fledermäusen im Bauch würde er in diesem Jahr alles tun. Doch niemand scheint zu winken. Sukkubus hat sich kaputt gelacht, als der Ghoul ihr von seinem Plan erzählte. „Heutzutage winkt doch keiner mehr!„, entgegnete sie ihm spöttisch, nur alte Menschen, auf die Tod sowieso lauert, würden noch winken. Nein, redet sich der Ghoul ein, es wird sie geben. Die EINE, die winkt. Aus lauter Verzweiflung hätte er bald die Fensterputzerin angequatscht, doch die Bewegung mit dem Fensterleder war nun wirklich kein willentliches winken. Freundinnen winken oft, würdigen ihn aber meisten keines Blickes. Bahnhof! Am Bahnhof winken alle den Reisenden, wenn sie abfahren. Er läuft zum Bahnhof. Fernzug nach ganze Weit weg. Da wird bestimmt gewunken! Er eilt zum Bahnsteig, er wird es schaffen, der Zug hat glücklicherweise 45 min Verspätung. Als er den Bahnsteig erreicht, kommt die Durchsage, dass der Zug ausfällt. Völlig außer Atem blickt er in traurig-wütende Gesichter. Hier winkt heute bestimmt niemand mehr!
Der digitale Flüchtlingsstrom vom einstigen Twitter nimmt dramatische Ausmaße an: Immer mehr Stars, Bands und Musiker fliehen regelrecht von Elon Musks Plattform X. Inmitten dieses digitalen Umbruchs erweist sich Bluesky als der strahlende Gewinner und Hauptprofiteur der Fluchtbewegung. Auch Robert Smith ist ausgestiegen, verliert aber über seine Entscheidung wenig erhellende Worte. Dass seine Verabschiedung mit der Amtsübernahme von Donald Trump zusammenfällt, dürfte aber kein Zufall sein.
Zu viel Dunkelheit für Robert Smith?
X / Twitter ist selbst dem Fürsten der Finsternis offenbar zu dunkel, zu düster und zu zerstörerisch geworden. Wir haben alle in der Presse mitbekommen, wie sich der einst wichtigste Kurznachrichtendienst der Welt nach der Übernahme durch Elon Musk entwickelt hat. Unter dem Deckmantel der „freien Meinungsäußerung“ verbreiten sich Hass, Hetze, Falschinformationen und Verschwörungstheorien im ehemaligen Twitter wieder unkontrolliert. Trotzdem fällt es vielen Benutzern, die sich über Jahre eine gewisse Reichweite und Relevanz aufgebaut haben, schwer, die Plattform zu verlassen. Wenn man dann, wie im Fall von Robert Smith, Reichweite für seine Überzeugung und Weltanschauung aufgibt, ist das ist ein gutes Zeichen, wenngleich auch ein bitterer Nachgeschmack bleibt.
Auch immer mehr Organisation, Institutionen und Medienhäuser verlassen den Kurznachrichtendienst X / Twitter, Musiker und Stars verabschieden sich teilweise mit klaren Statements aus dem sozialen Netzwerk. Ein internationales Phänomen, das der Alternative Bluesky zugutekommt, die sich über ein großes Wachstum erfreut.
Robert Smith hat sich vor allem in den letzten Jahren zu einem Charakter in den sozialen Netzwerken entwickelt, dem man gerne folgt. Seinen Kampf für günstigere Tickets, seine Maßnahmen gegen Viagogo und auch seine Statements für faire Preise auf dem Comeback-Konzert im Londoner Troxy verschafften dem introvertierten Star zumindest bei mir einen ordentlichen Authentizitätsschub und einiges an Bewunderung.
Bitterer Nachgeschmack
Auch meine Wenigkeit ist vor einer Weile zu Bluesky gewechselt, wenngleich sich meine sozialen Aktivitäten bei X / Twitter auch sehr auf das Posten von Beiträgen reduzierte, war ich eifriger Follower einiger Menschen, dessen Ansichten mir immer wichtig waren. Ich habe allerdings den Eindruck, dass zurzeit viele Menschen den Schritt mitgehen und zu einer Alternative wechseln. Auch wenn Bluesky nicht das gelobte Land ist und dort ebenfalls monetäre Interessen mitspielen, scheint es mir im Augenblick wichtiger, X / Twitter schnellstmöglich zu verlassen.
Ein fader Beigeschmack bleibt aber, denn X / Twitter der offenen Dekonstruktion auszusetzen und es kampflos an alle die zu überlassen, die unter dem Mantel der Meinungsfreiheit Hass und Hetze, Falschinformationen und Verschwörungsideologien verbreiten, erscheint mir dann doch irgendwie fahrlässig und feige. Fraglich ist auch, wie Bluesky in Zukunft mit dem gleichen Phänomen umgeht, das zwangsläufig jedes soziale Netzwerk in den Schwitzkasten moralischer Standpunkte zwingt. Moderation scheint unausweichlich, die Grenzen zur Zensur sind fast fließend.
Welche sozialen Netzwerke gehören zur eurer digitalen Identität? Welcher Plattform räumt ihr die größte Bedeutung bei?
Im musikalischen Briefkasten hat sich etwas angesammelt und bevor ich mich darin verliere, weiter zu überlegen, wie ich das anfange, zusammenfasse oder beschreibe, schiebe ich die ersten Bands ins Rampenlicht unserer Öffentlichkeit. Der musikalische Briefkasten, für die, die es nicht mehr wissen, wird mit hauptsächlich mit Künstlerinnen und Künstlern gefüllt, die uns direkt oder über ihre Agentur anschreiben, ob wir sie nicht mal vorstellen würden, ihr neues Album präsentieren oder ihren aktuellen Song posten. Der Autor – in dem Fall meine Wenigkeit – sucht sich dann das heraus, worüber er schreiben möchte, sei es nun positiv oder negativ. Authentizität und Subjektivität gehen bei mir vor.
Kompromat – PLДYING / PRДYING
Am 24. Januar 2025 erscheint das neue Album „PLДYING / PRДYING“ von der Band französischen Band Kompromat, die zumindest mich mit ihrem Debütalbum „Traum und Existenz“ begeistern konnten. Während der Singleauskopplung „I Let Myself Go Blind“ noch gefällig über die Lautsprecher plätschert und durchaus Phasen hat, die eine gewisse Intensität ausstrahlen, wird es mir mit den beiden nachfolgenden Stücken des Albums deutlich zu gefällig und zu poppig, erst mit dem Namensgebenden Stück „PLДYING / PRДYING“ wird es wieder spannender und deutlich technoider. Wieder folgen 2 Stücke auf dem Album, die diese Stimmung fortführen. Mit „Only In Your Arms“ bricht diese Stimmung wieder ein bisschen auf und es wird deutlich „Kompromatischer“, was dann eher meiner Erwartungshaltung entspricht, auch der Ausklang des Albums ist dann spannend, weil man deutlich mehr experimentiert. „Die göttliche Anrufung durch Musik„, wie die Pressemitteilung vollmundig verspricht, wird erst durch die Inhalte deutlicher – das Album wirkt konzeptioneller und scheint für jeden (elektronischen) Geschmack etwas zu bieten. Auf die deutsche Sprache wird diesmal größtenteils verzichtet, mit Englisch/Französisch möchte man sich vielleicht einem größeren Publikum öffnen. Ich fand das Vorgängeralbum einen Tick besser, trotzdem mein Favorit in der Liste der Einsendungen.
The Chameleons – Live at The Camden Palace
Vier Jahrzehnte nach ihrer Gründung und mehrere Jahre, nachdem die Gründungsmitglieder Mark Burgess und Reg Smithies die Band neu zusammengesetzt haben, absolvierten The Chameleons ein arbeitsreiches Jahr 2024 mit der Veröffentlichung der EPs „Where Are You?“ und der „Tomorrow Remember Yesterday“ sowie einer Tournee unter dem Motto „Strange Times“. Um ihr Vermächtnis zu feiern, hat das britische Label Moochin‘ About Records zwei Auftritte von The Chameleons auf dem neuen Album „Live at The Camden Palace“ zusammengefasst. Da ist jetzt nichts Spannendes dabei, die Aufnahmen sind aber anständig aufbereitet und das Album könnte für Sammler und ausgewachsene Fans interessant sein. Das Album könnt ihr euch bei Bandcamp auch digital besorgen. Der Brüller ist das jetzt nicht.
Obe Dia – Geheimnis
Musik aus Hannover, so kündigt man Obe Dia bei Radio Hannover an, während Lukas Böhnke, der Mann hinter dem Bandnamen, seine Musik als Kombination aus Neue Neue Deutsche Welle, Cyberpop und Discogoth beschreibt, was dem Sound – der hier aus den Lautsprechern strömt, schon ziemlich nahekommt. Lauschen wir seinen Ausführungen weiter, erfahren wir, dass Corey Hart zu seinen musikalischen Vorbildern gehört. Allerdings weicht er musikalisch davon ab, wenn wir uns seine jüngste Veröffentlichung „Verpasst“ bei Bandcamp anhören. Seine markante Stimme hilft dem Sound und Inhalt zu seiner gewünschten Wirkung, am besten funktioniert das meiner Meinung nach bei „Geheimnis“ und „Kontrast“ – auch wenn sich der Effekt im Laufe der weiteren Veröffentlichungen ein wenig erschöpft. Für ein mögliches Album könnte ich mir ein wenig Abwechslung sehr gut vorstellen.
Tyske Ludder – Weimarer Trilogie
Es muss mir ja nicht alles gefallen, was da in unseren Briefkasten flattert und so ging es mir auch mit „Tyske Ludder“ und ihrer „Weimarer Trilogie“, die noch vor dem Album „Weltbühne“ erschienen ist. „Exklusives Hörerlebnis, limitiert […] Ein Muss für alle Fans, die die Musik von Tyske Ludder in ihrer reinsten Form erleben möchten.“ landet als Beschreibung dazu in meinem Briefkasten. Die Hörprobe (+ Anschauungsmaterial) klingt für mich weniger erfolgreich. Obwohl man sich inhaltlich auf Kurt Tucholskys Werke „Wahre Liebe“, „Rosen auf den Weg gestreut“ und „Der Graben“ stützt, erscheint mir die Form der musikalischen Darbietung unpassend und deplatziert. Überhaupt nicht meins. Das dazu erschienene Video macht es für mich nur schlimmer, denn Uniformästhetik in einem „KI“-generierten Muiskvideo, wirken dann auf mich doch einfach nur gewollt provozierend, als Text- und vor allem Sinnbegleitend. Ich finde es in seiner Gesamtheit schrecklich, sorry.
Corde Oblique – Cries and Whispers
Post von Riccardo Prencipe aus Italien. Die Band Corde Oblique, die bereits seit 2005 unterwegs ist und bereits auf 4 WGTs dabei war, bringen im Februar ihr neues Album „Cries and Whispers“ heraus. Ihre Musikrichtungen musste ich erstmal ausschneiden und hier einkleben, denn „Ethereal Neofolk“ und „Mediterranean progressive“, gehören nicht zu meinen üblichen Hörgewohnheiten. Aber was solls, reingehört habe ich, denn die Auskopplung „The Nightingale and the Rose“ basiert auf einem Text von Oscar Wilde – und da kann man schon mal ein Ohr dranlegen. Das traurige Märchen haben bereits Saltatio Mortis auf ihrem Album „Sturm aufs Paradies“ verewigt und nun eben die italienische Band. Und tatsächlich hält der Song, ebenso wie das Märchen, einigen Wendungen und Überraschungen bereit, die ihn durchaus spannend machen, wenngleich ich mehr „Gothic-Metal“ fühle, als „Ethereal Neofolk“. Durchaus spannend, wie ich finde
Gruselikone und Regisseur Robert Eggers hat sich an die klassische Vorlage von Nosferatu gewagt und seine visuelle Interpretation ist aktuell in den Kinos zu sehen. Ich habe mir den Film angesehen und euch meine Eindrücke aufgeschrieben.
Brauchen wir noch einen Vampirfilm?
Es gibt unzählige Vampirfilme, mal gut, mal mittelmäßig, mal grottenschlecht und in Anbetracht dieser Tatsache fragt man sich eventuell, braucht es einen weiteren? Die Antwort wird womöglich „nein“ sein, aber mit der Aufarbeitung des Nosferatu-Klassikers, mit Max Schreck oder Klaus Kinski in der Hauptrolle, ist ein – soviel möchte ich vorwegnehmen – wirklich gelungenes Werk entstanden. Mag es auch nicht in erster Reihe mit den großen Kultfilmen wie Interview mit einem Vampir oder The Lost Boys stehen, so kommt „Nosferatu – Der Untote“ neben Only Lovers Left Alive für mich gleich dahinter.
Der Autor und Regisseur Robert Eggers war es, der mit namhaften Schauspielern, wie Willem Dafoe, welcher jüngst in Beetlejuice Beetlejuice zu sehen war, Bill Skarsgård, den man aus der Neuverfilmung von The Crow kennt oder Lily-Rose Depp, die in Sachen schauspielerisches Können ihrem Vater Johnny Depp in Nichts nachsteht, an das Remake heranwagt.
Wie passen die Schauspieler zu den Figuren?
Bereits als Kind kam Eggers mit Nosferatu in Berührung. Seine Vision einen eigenen Film zur Thematik zu drehen, verwirklichte er sich erstmals beim Schultheater, wo er Nosferatu als Aufführung auf die Bühne brachte.
Bill Skarsgård übernimmt im Film die Rolle des Graf Orlok, der anders als gewohnt nicht als alte dürre, gebrechliche Figur dargestellt wird, sondern eher als große hässliche Kreatur. In 6-stündiger Arbeit haben Kostüm und Maskenbildner ihm ein grandioses Erscheinungsbild verpasst.
Lily Rose Depp gibt, mit Ihrer Figur der Ellen Hutter, ebenfalls eine der Hauptfiguren im Film. Sie ist es, die einst das Unheil herauf beschwor und nur sie kann es beenden. Für sie brennt Graf Orlok seine Leidenschaft und Begierde. In jeder Minute des Films spielt Lily Rose ihre Rolle überzeugend. Mal verzweifelt und schwach, dann wieder stark und kämpferisch. Auch ihre Darstellung, einer Besessenen, ist mehr als überragend.
Willem Dafoe spielt den Professor Albin Eberhart von Franz, dessen Gebiete Alchemie und Okkultismus sind. Er ist es auch, der den Hutters mit Wissen und Rat und Tat, im Kampf gegen Graf Orlok, zur Seite steht. Für Dafoe ist der Film bereits die dritte Zusammenarbeit mit Robert Eggers.
Nicholas Hoult, den man nicht nur in Deadpool 2 oder Tolkien bereits gesehen hat, verkörpert den Charakter des Thomas Hutter, Ehemann von Ellen. Er ist vom Wunsch nach Erfolg getrieben, damit es Ellen und ihm finanziell gut geht. Sein großer Auftritt findet gleich zu Beginn des Filmes statt, danach nimmt er eher die Rolle einer Randfigur ein.
Worum geht es in Nosferatu?
Auch wenn die Geschichte um Nosferta vorhersehbar ist, weil der Stoff ja schon einige Male verarbeitet und verfilmt wurde, möchte ich Neugierigen trotzdem ersparen, gleich die Handlung zu präsentieren, deswegen habe ich meine Zusammenfassung hinter diesem Spoiler versteckt.
Worum geht es bei Nosferatu?
In ihrer Not und Verzweiflung sprach Ellen Hutter, als junges Mädchen, ein Gebet aus, womit sie den bis dahin ruhenden Graf Orlok zum Leben erweckte. In dieser verhängnisvollen Nacht ging sie einen Bund mit ihm ein und wurde seither regelmäßig von ihm in dunklen Träumen heimgesucht. Erst durch die Eheschließung mit Thomas Hutter wurde ihr Leiden besser. Thomas, der als Makler tätig ist, wird eines Tages von seinem Vorgesetzten Herr Knock beauftragt in die Kaparten zu reisen, um dort den Umzug von Graf Orlok, nach Wisborg, abzuwickeln.
Seine Frau Ellen ahnt böses und bittet ihn nicht zu reisen. Er nimmt ihre Bedenken aber nicht ernst und gibt sie für die Zeit seiner Abwesenheit, in die Obhut des befreundeten Ehepaares Harding. Bereits auf seiner Reise zum Schloss wird Hutter von seltsamen Träumen heimgesucht. Im Schloss angekommen trifft er auf den unheimlichen Grafen, dessen Ziel nur Ellen ist. Thomas erkennt nach Vertragsschluss die Gefahr und findet Orlok in seinem Sarg. Beim Versuch ihn zu töten, kommt es zum Überlebenskampf und Thomas kann sich retten. Während dieser in die Obhut von Nonnen gelangt, macht der Graf sich auf den Weg nach Wisborg, wo er den Bund mit Ellen erneuern möchte.
Dieser geht es im Hause Harding zunehmend schlechter. Immer mehr nimmt der Dämon sie ein. Der herbeigerufene Arzt, Dr. Sievers, kann ihr Leiden nicht lindern und konsultiert in seiner Ratlosigkeit Professor Von Franz, der aktuell im Ort ist. Dieser nimmt sich dem Fall an und schon bald erkennt er, dass Ellen besessen ist. Ihre Prophezeiung, dass Unheil kommen wird, nimmt er ernst und alsbald kann er die Gefahr beim Namen nennen. Auch Thomas wird bewusst, welch Gefahr für Ellen besteht und so macht er sich auf den Heimweg, wo er geschwächt ankommt. Graf Orlok hat inzwischen ebenfalls Wisborg erreicht und sucht nachts Ellen auf. Als diese sich ihm verweigert, entfacht sein Zorn.
Er gibt ihr zwei weitere Nächte Zeit, sich ihm hinzugeben, ansonsten würde er Unheil über alle bringen. Den Anfang macht er mit der befreundeten Anna Harding und deren zwei Töchter, welche er tötet. Sowohl Von Franz als auch den Hutters wird klar, dass sie handeln müssen. Thomas ist voller Überzeugung, dass er das Unheil beenden muss und macht sich mit Von Franz auf zum Anwesen von Orlok. Allerdings weiß er nicht, dass dies ein Ablenkungsmanöver ist, damit Ellen sich Orlok gegenüber stellen kann. Diese ist bereit, sich zu opfern, damit Tod und Schrecken ein Ende findet. Sie gibt Orloks Begierde nach und schafft es so, ihn bis zum Morgengrauen bei sich zu halten, wo beide dann zu Tod kommen. Thomas, der inzwischen realisiert hatte, dass Orlok zu Ellen unterwegs ist, kommt zu spät.
Fazit: Ist „Nosferatu – Der Untote“ nun ein Remake?
Ich finde, auch wenn er sich in Sachen Handlung einiges bei den anderen Streifen zusammengeholt hat, so ist es dennoch ein sehr guter Film geworden, der für sich steht und über eine eigene Interpretation verfügt. Die 130 Minuten Spielzeit benötigt er definitiv, damit die Geschichte von Vorne bis Hinten erzählt werden kann. Würde man noch einzelne Hintergründe innerhalb der Story näher beleuchten, wäre er vermutlich deutlich länger geworden. Während Filme mit langer Spielzeit oft langatmig wirken, fällt mir hier die Laufzeit gar nicht auf. Der Film wurde so spannend und interessant gedreht, dass man gebannt vor der Leinwand sitzt.
Wert legte Eggers unter anderem darauf, dass die Figuren der Epoche entsprechend, so originalgetreu wie möglich dargestellt werden. Immerhin schreiben wir das Jahr 1838. Als Schauplatz für Orloks Schloss, wurde sowohl eine Burg in Siebenbürgen als auch eine in Mähren ausgewählt. Auch die Stadt Prag diente als Drehort. Für die fiktive Stadt Wisborg, in der der Film spielt, nahm man Hansestädte wie Wismar und Lübeck als Inspiration.
Wer glaubt, man würde sich vor lauter Horror regelrecht fürchten, den kann ich beruhigen. Dieser ist nicht stark vertreten, was auch sehr zu meiner Freude war. Aber bei dem ganzen Blut, was spritzt und erbrochen wird, mag sich bei manch Zuschauer der Magen umdrehen. Sehr geprägt ist der Film auch durch das Spiel mit der Sexuellen Lust.
Auch Marc hat sich entschlossen, die Spontis-Family als Autor zu vergrößern und dazu einen Rückblick auf das Cold Hearted Festival in Bochum mitgebracht, das bereits im November des vergangenen Jahres stattfand. Leider hat es etwas gedauert, die passenden Bilder zu organisieren, aber dank Michael Gamon von monkeypress.de hat es dann noch geklappt. Ich hoffe sehr, dass Marc noch viele weitere Rückblicke mitbringt.
Sechs Jahre keine Konzerte, dann fast zwei Gruftis überfahren
Das letzte Konzert, das ich besuchen durfte, wurde Anfang 2017 in Stuttgart gespielt. Kurz vorher hatte ich um die Hand meiner damaligen Lebensgefährtin und jetzigen Ehefrau angehalten. Die folgenden sechs Jahre war Musik kein großes Thema mehr für mich. Sieben Jahre später mache ich mich allein auf den Weg nach Bochum. Mein Ziel: Das Cold Hearted Festival. Fünf Bands. Beginn 19.30 Uhr. Nach dreieinhalb Stunden Fahrzeit im Hotel angekommen, noch ein wenig ausgeruht und im Anschluss auf den Weg in die Matrix gemacht.
Bei der Parkplatzsuche beinahe zwei von links kommende Gruftis überfahren – es war schon dunkel und deren Outfit war zumindest an dieser Stelle auch besonders auffällig. Also entschuldigt, geparkt und angestellt. Bisschen mulmig war mir schon – so mit Mitte 40 das erste Mal im Leben allein auf einem Festival. Aber Augen zu und durch. Die Treppe runter, schnell noch was zu trinken organisiert und dann Richtung Bühne begeben.
Cold Hearted Festival 2024 – Soft Vein
Schon bei Betreten des Tunnels haben mich die düsteren, wavigen Klänge von Soft Vein empfangen. Besser hätte ich an diesem Abend wahrlich nicht willkommen geheißen werden können. Ich fühlte mich sofort abgeholt und alle vorherigen Bedenken, die sich primär in der Magengegend breit gemacht haben, waren im Nu verflogen. Der Gesang von Herrn Chaimberlain war allerdings fast gar nicht zu verstehen. Mich persönlich hat es nicht gestört. Die Stimme hatte dadurch eine eher atmosphärische Funktion und passte perfekt zur ansonsten transportierten Stimmung.
An dieser Stelle noch der fast schon obligatorische Kommentar zum viel gescholtenen Sound in der Matrix. Ursprünglich wollte ich mich weiter vorne in Richtung Bühne positionieren, habe dann bemerkt, dass der Sound tendenziell schlechter wird und auch letztendlich weniger Druck hat. Schlussendlich habe ich mich direkt hinter dem Mischpult aufgestellt. Dort habe ich dann meinen persönlichen Sweet Spot gefunden – quasi im Stereodreieck der aufgehängten Line Arrays. Über den Abend verteilt kam es gelegentlich zu Aussetzern und Übersteuerungen. Die waren aber zu verkraften. Vielleicht bin ich nach sieben Jahren Konzertabstinenz auch keine ernstzunehmende Referenz mehr.
Soft Vein haben die Twin Tribes bei ihrer diesjährigen Tour unterstützt und wurden wohl beim krankheitsbedingten Ausfall der ursprünglich vorgesehenen Band Nürnberg kurzerhand als Ersatz gebucht. Als Liveband haben sie mir sehr gut gefallen. Und für Leute, die wie ich gerne tanzen, war es ein erstklassiger Auftritt. Der letzte Track “Give up the Ghost” hatte es mir in dieser Hinsicht am meisten angetan, muss aber abschließend auch gestehen, dass Soft Vein live weit besser rüberkommen als aus der Konserve.
(K)ein Rendez-vous auf dem Cold Hearted Festival
Da die Rüstzeiten für den nächsten Act mit 20 Minuten angenehm kurz waren, habe ich einfach geduldig an meinen Platz gewartet. Der nach der kurzen Umbauphase folgende Auftritt von Rendez-vouz war leider viel zu hart für mich. Daher habe ich den Tunnel nach zwei Songs fluchtartig verlassen. Daher kann ich zu der Performance nicht viel sagen.
Rue Oberkampf erfüllte alle Erwartungen
Auf den Auftritt der Münchener Rue Oberkampf habe ich mich am meisten gefreut. Waren diese doch hauptsächlich dafür verantwortlich, dass ich die Reise nach Bochum angetreten war. Und tatsächlich wurden meine Erwartungen erfüllt. Die Kompositionen scheinen, wie bei vielen elektronischen Projekten üblich, von der Maschine zu kommen. Gemeinsam mit der präsenten Stimme von Julia de Jouy wurde so ein dichtes Soundgewebe erzeugt, das zum Tanzen und darin Versinken einlädt.
Neben „Hope and Fear“, „Control“ oder „Deine Augen“ schafften es auch einige Tracks des neuen Albums ins Programm. Darunter „Solitude“, „I won’t surrender“ und „Allein“. Nur 89 Degrees, mein persönlicher Favorit vom neuen Album, hat leider gefehlt. Ein anderweitig strukturiertes Set-Up wäre sicher eine spannende Alternative für künftige Liveauftritte.
Einzig das Einfrieren der Lichtanlage hat für eine kurze unfreiwillige Pause gesorgt. Auffällig war auch, dass es auf mich den Eindruck gemacht hat, dass doch recht viele die Halle während der Performance verlassen haben. Könnte es sein, dass der von Rue Oberkampf zelebrierte Style vielleicht die Grenze zwischen schwarzer Musik und anderen Genres doch manchmal zu sehr verzerrt? Zumindest von mir aus hätte der Auftritt gerne länger andauern können und war sicher mein Highlight des Abends. Am 02.05.2025 sehen wir uns dann im Rind in Rüsselsheim. Dann bestimmt auch mit 89 Degrees im Gepäck.
Twin Tribes lieferten eine tolle Atmosphäre
Twin Tribes wurden 2017 von Luis Navarro und Joel Niño, Jr. in Brownsville, Texas gegründet und bringen es inzwischen auf vier Longplayer. Bis zu diesem Abend hatte ich mich, abgesehen vom kurzen Reinhören bei meinen regelmäßigen Bandcamp-Surf-Orgien, nie wirklich mit der Band auseinandergesetzt. Aber manchmal entgeht mir dann beim Anspielen die Qualität des vorliegenden Materials. Zum 2024 veröffentlichten vierten Album Pendulum betourten die beiden im Zeitraum August bis November gefühlt halb Europa. Und hätte ich auch nur eine Ahnung gehabt, wie viel Spaß die Band live macht, ich hätte am Abend vorher das Konzert, welches bei mir um die Ecke stattfand, ebenfalls besucht.
Hat mir super gut gefallen. Schön atmosphärisch und ebenfalls toll zum Tanzen. Zu Hause angekommen, habe ich mir direkt das aktuelle Album gekauft, welches seitdem in meiner Playlist ein gerne gesehener Stammgast ist. Wie bei Rue Oberkampf fiebere ich auch hier einem vollumfänglichen Liveauftritt entgegen.
Linea Aspera runden ein gelungenes Festival ab
Alison Lewis, die auch unter ihrem Pseudonym Zoè Zanias bzw. durch das recht kurzlebige Projekt Keluar bekannt ist, bildet gemeinsam mit Ryan Ambridge das Duo Linea Aspera. Bedingt durch das nahezu gleiche Live-Set-Up lassen sich hier die gleichen Punkte wie bereits bei Rue Oberkampf positiv hervorheben. Mein Highlight war Solar Flare. Gehört zu meinen absoluten Lieblingen. Waren wie geplant um 00.15 fertig und durften so 55 Minuten spielen.
Zum Abschluss gab es noch ein politisches Statement der Sängerin bezüglich der humanitären Krise im Gazastreifen sowie weiterer Themen. Die Gelegenheit habe ich genutzt und bin fluchtartig aus dem Gebäude gestürmt, um so dem folgenden Exodus auf dem direkt anliegenden Parkplatz zuvorzukommen. Der Plan ging auf und ich lag pünktlich im Bett.
Cold Hearted Festival 2024 – Mein Fazit
Fünf Bands wurden von 19.30 Uhr bis 00.15 Uhr durchgepeitscht. Ich selbst bin ein großer Fan von durchorganisierten Veranstaltungen. Andere hätte sich vielleicht mehr Rahmenprogramm gewünscht. Die Rüstzeiten waren mit 20 Minuten angenehm kurz, die Auftritte festivaltypisch leider auch. Gerade bei Rue Oberkampf und den Twin Tribes hätte ich mir eine längere Laufzeit gewünscht. Bei der geringen Anzahl an Bands wäre ein früherer Beginn mit einer angepassten Spielzeit vielleicht möglich gewesen. Aber die Spielzeiten sind von Anfang an bekannt, daher handelt es sich hier nicht um einen wirklichen Kritikpunkt, sondern eher um Wunschdenken.
Preislich sind die zu veranschlagenden 50 Euro vollkommen in Ordnung. Nur das Ticket in Höhe von 150 Euro und den Punkt in Flensburg hätte ich mir auf der Rückfahrt gerne erspart.
Die Matrix als Veranstaltungsort mit Industriecharme fand ich an sich recht stimmungsvoll. Vielleicht war es teilweise, gerade im Bereich der Laufwege, etwas eng. Bedauerlicherweise hat sich im oberen Barbereich aufgrund einer Tür zu dem gemeinsam mit der Herrentoilette Flur ein recht übler Uringeruch bemerkbar gemacht. Hier sollte im nächsten Jahr Abhilfe geschaffen werden.
Die Bandauswahl war wie für mich gemacht. Einziger Wermutstropfen ist, dass Kite nur in Dresden gespielt haben. Allerdings waren die Tickets für 2024 schon Wochen vor Veranstaltungsbeginn bereits ausverkauft. Daher hängt sicherheitshalber das Hard Ticket für Dresden 2025 schon am imaginären Kühlschrank. Diesmal mit vollständig erneuerter Bandauswahl. Ich freue mich darauf.
Die Dokumentation „Disintegration“ handelt, wie könnte es anders sein, von „The Cure“ und schlägt aktuell hohen Wellen im Meer der Dunkelheit. Noch nie gab es so viele freundliche Nachrichten über eben diese Doku bei ARTE, wie in diesem Fall. Es scheint also, als hätte sich die Band mit ihrem Album eine neue Relevanz erspielt, denn es begeistert nicht nur neue Fans, sondern auch ältere Fans, die ähnliche Verbundenheitsgefühle mit dem Album „Disintegration“ herstellen. Und eben das scheint die knapp einstündige Dokumentation auf den Punkt zu bringen. Ich habe also meine Bedenken hinsichtlich „irgendwann muss doch mal gut sein mit Cure-Inhalten“ schamlos über Bord geworfen.
Klar, dass mich die Doku gleich musikalisch packt, so erscheint mir aber auch die Auswahl der Leute, die etwas über die Band erzählen, inhaltlich nostalgisch und gleichzeitig frisch. Die Herangehensweise ist engagiert und präzise, neben historischen Einspielern glänzt die Dokumentation aber auch mit frischen und neuen Aufnahmen, beispielsweise aus Crawley, der englischen Provinzstadt, in der die Band sich in den späten 70ern gründet oder auch aus Leipzig, wo nicht nur Sandro Standhaft zu Wort kommt, sondern auch das Konzert im August 1990, das The Cure dort vor ekstatischen Fans spielten.
Im Text zu Doku heißt es:
„The Cure sind die großen Außenseiter des Pop, ihr Sänger Robert Smith wahrscheinlich der einzige Rockstar, den man an der Silhouette erkennt. Mit seiner Band hat er eine unverwechselbare Klangwelt erschaffen. Doch wie konnten sie damit die Charts stürmen, zu stilprägenden Weltstars werden – dies ist eines der erstaunlichsten Phänomene der Musikgeschichte. Die Dokumentation zeigt ein Bild einer unpolitischen Band in hochpolitischen Zeiten, die ihr wichtigstes Werk schafft, Krisen meistert und wie Pop manchmal exakt den Nerv der Zeit trifft.“
Der Band gelingt es, auch 2025 noch Relevanz für die Menschen zu erzeugen, die Musik suchen, die sie in traurigen und schwierigen Zeiten begleitet. In der Dokumentation „Disintegration“ kann man sich auch als junger Fan in diesen Zeiten wiederfinden und etwas über die Band erfahren, die Generationen von Gruftis schon seit 40 Jahren beeinflussen. Auf gewisse Weise der Realität völlig entrückt, aber gleichzeitig aktuell und einflussreich wie es gebraucht wird.
Die Band, die für Dich da ist, wenn Du traurig bist, wirst Du immer lieben.
Übrigens: Vielen Dank an die zahlreichen Hinweise auf diese Dokumentation. Ich habe versucht, jedem zu antworten und bitte höflichst darum, nicht damit aufzuhören! Ich bin gespannt, was der Fürst der Dunkelheit noch in Zukunft auf dem Kasten hat und bin neugierig, wer von Euch hat die Doku gesehen?
Ein eiskalter Dezembertag – Stuttgart präsentiert sich bei meiner Ankunft am Hauptbahnhof, einer gigantischen Großbaustelle, von seiner ganz besonders grässlichen Seite. In der Fußgängerzone herrscht vorweihnachtliches Massenschubsen, das sich dann auf einem gnadenlos überfüllten Weihnachtsmarkt zu einem vollends undurchdringlichen Knäuel verdichtet. Dazu von überall her rührseliges Gedudel, das ich mich weigere, als Musik wahrzunehmen. Endlich habe ich seitlich in einer Passage ein Café gefunden, in dem ich auf Diana warten kann, die ebenfalls auf dem Weg in diese Stadt ist. Wir haben uns verabredet, um auf der Eisheiligen Nacht zu feiern, einem Indoor Festival, das Subway to Sally jährlich zusammen mit befreundeten Bands in mehreren Städten veranstalten. Irish Folk Punk. Mittelalter, Metal: Ist das nicht Szene-Fremdgehen?
Gemeinsamer musikalischer Nenner in der Hexenküche
Für Diana und mich ist das unwichtig, denn Subway to Sally, um derentwillen wir in erster Linie zur „Eisheiligen Nacht“ gekommen sind, verbanden uns zu Ausbildungs- und Studienzeiten musikalisch, und sie schaffen es heute wieder.
Kennengelernt haben wir uns in einer Wohnheimküche. Damals war noch ein Dritter im Bunde, der inzwischen verschollen ist. In unserer mit zahlreichen schwarzen Kerzen ausgestatteten und auch ansonsten mit dunkler Kunst dekorierten Küche teilten wir alles: Essen, Straßenbahnmonatskarten (bis das mal bei einer Kontrolle aufflog), Gedanken und Gefühle, Zukunftsängste, unseren Schmerz und was am schwierigsten war: auch unsere Musik, denn obwohl unsere Dunkelheit gemeinsam war, verfügten wir doch völlig verschiedene musikalische Verstärker dafür: Von Dimmu Borgir, Ulver über Goethes Erben, Lacrimosa bis hin zu den Doors und the Cure, die für die Hörgewohnheiten des anderen bisweilen durchaus eine Herausforderung darstellten.
Dennoch schafften wir es immer bei unseren gemeinsamen Küchenabenden musikalisch einen fairen Ausgleich zwischen Geknüppel und Gekrächze und Geheule und Gejammer zu finden. Bei Subway to Sally waren wir uns dagegen sofort einig. Durch Flyer mit einer kurzen Beschreibung der Band und ihrer Musik neugierig gemacht, ließen wir uns in einer stürmischen Novembernacht dem Regen trotzend auf Fahrrädern zu einem kleinen Club in Freiburg locken. Mit ihrem stimmungsvollen Einzug auf der Bühne und „Mephisto“ als krachendem Opener hatte die Band uns sofort gewonnen. Wir waren bereit für einen Pakt mit denen von ihnen beschworenen Kräften der Finsternis.
Jahre, ja Jahrzehnte sind seitdem ins Land gezogen. Diana und ich hatten uns nie aus den Augen verloren, waren aber zeitweise zu Subway to Sally auf Distanz gegangen. Eine düstere Zeichnung eines Freundes erinnerte dann vor zwei Jahren an einen ihrer Songs: „Für immer“. Ich rief Diana an, ob sie Lust auf ein Konzert hätte. Seitdem sind Subway to Sally wieder ein integraler Bestandteil unserer Freundschaft. Sie haben sich weiterentwickelt – so wie wir auch – und passen längst nicht mehr in die Schublade Mittelalterrock.
Schwimmen im Schwarzen Meer
Jetzt ist es wieder einmal so weit. Diana und ich sind im Stuttgarter Wizemann angekommen und lassen unser Umfeld auf uns wirken. Das von Subway to Sally besungene Schwarze Meer ihrer Fans setzt sich zusammen aus sich durch wilde Mähne und Kutte eindeutig ausweisenden Metalheads, einer deutlich geringeren, aber dennoch präsenten bekennenden Gothic Fraktion, einigen Folk-Anhängern mit schwarzem T-Shirt und Kilt und vielen in schlichtem, nicht eindeutig zuordenbarem Schwarz. Nichts stört, nichts, was sich nicht harmonisch in diese Mischung einfügt. Diese Mischung, die wir bisher immer bei Subway to Sally-Auftritten angetroffen haben, fasziniert uns immer wieder, denn beim Eintauchen in dieses Schwarze Meer spürt man freundliche Solidarität, ganz gleich, welches Schwarz man trägt. So freuen wir uns wieder einmal, ein Teil davon zu sein und genießen diese Atmosphäre.
Die Bands, die vor Subway to Sally auftreten, spielen dabei für Diana und mich eine untergeordnete Rolle, aber auch sie verdienen unsere Anerkennung, schon allein dafür, dass sie Haltung zeigen, mit Regenbogenflagge und deutlichem Anti-Rassismus Statement.
Dann endlich wird es dunkler in der Halle. So sehr Subway to Sally auch betonen mögen, dass die Eisheiligen Nächte eine Kooperation der Bands auf Augenhöhe sind, bleiben sie dennoch für viele der Hauptact dieser Konzerte, und so wird ihr Einzug auf der Bühne auch besonders frenetisch begrüßt. Feierlich lassen sie die für diese winterliche Konzertreihe geschriebenen Hymne „Eisheilige Nacht“ erschallen, ein Stück voller Pathos, das dunkle Solidarität beschwören soll. Wem dies zu pathetisch, eventuell sogar kitschig war, für den erfolgt dann mit gnadenloser Härte und voller Zorn „Falscher Heiland„, eine Abrechnung mit falschen Propheten, die ursprünglich auf George W. Bush und Saddam Hussein gemünzt war.
Eric Fish hat bereits bei anderen Konzerten, betont, dass der Song seither nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat, da nach wie vor religiöse und politische Fanatiker daran arbeiten, die Welt in den Abgrund zu stürzen. Und ja, musikalisch ist das ein Song, der mich an meine Schmerzgrenze bringt, wie alles was zu sehr in Richtung NDH geht. Aber in der Eisheiligen Nacht freue ich mich, dass er gespielt wird. Entspannen kann ich dann bei der Ballade „Eisblumen„, bei der Bodenski sein ganzes lyrisches Talent in eine bildreiche Hommage an die Kinder der Nacht fließen lässt.
Stimmungsmäßig ein wunderschöner Moment. Mit ungebrochener Spielfreude gibt die Band noch zahlreiche weitere Stücke aus ihrem enormen Repertoire zum Besten und zeigen dabei eine unglaubliche Bühnenpräsenz, zu der im besonderen Maße auch Ally Storch mit ihrem Violinspiel beiträgt. Energiegeladen und imstande, mit ihrer E-Geige wahre Herbststürme zu entfesseln, prägt sie seit 2016 die Auftritte von Subway to Sallly entscheidend mit.
Doch jedes Konzert neigt sich einmal dem Ende zu und alle Künstler wollen irgendwann einmal die Bühne verlassen. Eingefleischte Subway to Sally Fans verstehen es allerdings, diesen Moment hinauszuzögern und so ertönt auch aus dem Publikum im Wizemann der Gesang des Publikums: „Blut, Blut, Räuber saufen Blut…“ Auch an diesem Abend verfehlt diese traditionelle Bitte um Zugabe ihre Wirkung nicht. Als dann endgültig der letzte Ton in der Dunkelheit verhallt ist, die Mitglieder der Band sich endgültig vom Publikum verabschiedet haben, ist es auch für uns Zeit, den Ort zu verlassen, der für fünf Stunden eine Zuflucht vor der Welt im Weihnachtswahnsinn in Stuttgarts Innenstadt geboten hat.
Beim Rausgehen kommen wir am Merchstand vorbei. „Nein, ich will nichts kaufen, ich bin ohnehin abgebrannt!“, sage ich, aber das Design des diesjährigen Tourshirts gefällt mir zu gut, und Diana und ich finden den Gedanken einfach schön, dass wir beide es tragen. Wir lassen noch einmal den Blick über das Schwarze Meer gleiten, das langsam Richtung Ausgang strömt. Ganz gleich, wie wild gefeiert wird, man nimmt Rücksicht und passt auf sein Umfeld auf. Und irgendwie habe ich die vage Vermutung, die ich eigentlich nicht wahrhaben möchte, dass diese Szenemischung vielleicht bisweilen besser funktioniert als Szene in ihrer Reinform.
Potenzial zur Verführung
Zu guter Letzt möchte ich noch einen Song aus dem neuen Subway to Sally Album „Post Mortem“ vorstellen, der auf dem Konzert nicht gespielt wurde, aber meiner Meinung nach besonders gut zeigt, warum diese Band wohl zum Szene-Fremdgehen zu verleiten kann:
Es beginnt mittelalterlich, untermalt von Lautenklängen, doch der Song, der zunächst wie eine dunkel-melancholische Ballade über verlorene Liebe daherkommt, nimmt aber mit dem Einsetzen harter Metalriffs sowohl musikalisch als auch inhaltlich eine sinistre Wendung. Für diejenigen, die sich ebenfalls durch Mittelalter- und Metallklänge nicht abschrecken lassen: Hinweise zum aktuellen Album und zu weiteren Auftritten.
Subway to Sally bei der Eisheiligen Nacht 2024 in Stuttgart | (c) Selina Dreher – Paranoyd Rockszene-Magazin
Subway to Sally bei der Eisheiligen Nacht 2024 in Stuttgart | (c) Selina Dreher – Paranoyd Rockszene-Magazin
Subway to Sally bei der Eisheiligen Nacht 2024 in Stuttgart | (c) Selina Dreher – Paranoyd Rockszene-Magazin
Subway to Sally bei der Eisheiligen Nacht 2024 in Stuttgart | (c) Selina Dreher – Paranoyd Rockszene-Magazin
Subway to Sally bei der Eisheiligen Nacht 2024 in Stuttgart | (c) Selina Dreher – Paranoyd Rockszene-Magazin
Subway to Sally bei der Eisheiligen Nacht 2024 in Stuttgart | (c) Selina Dreher – Paranoyd Rockszene-Magazin
Subway to Sally bei der Eisheiligen Nacht 2024 in Stuttgart | (c) Selina Dreher – Paranoyd Rockszene-Magazin
Alle Bilder von Subway to Sally bei der Eisheiligen Nacht in Stuttgart 2024 mit freundlicher Genehmigung vom Paranoyd-Magazin.
Am 15. Januar 1990, also vor ziemlich genau 35 Jahren, stürmten Bürger die Zentrale der Staatssicherheit der DDR im damaligen Ost-Berlin, um die Massenhafte Vernichtung von Stasi-Unterlagen zu verhindern. Unterlagen, die offenlegten, wie rücksichtslos der Staat seine Bürger bespitzelte, die zeigen, wie aus vermeintlichen Freunden Spitzel wurden und wie Menschen systematisch unterdrückt wurden, die nicht ins Bild der damaligen Parteiführung passte. Nach 35 Jahren startete die ARD im November vergangen Jahres die Reihe „DDR in 10 Minuten„, um die schwer verdauliche Geschichte des sozialistischen Staates in „zeitgeistgerechte“ Häppchen zu unterteilen.
Frei nach dem Motto: Der Blick in die Vergangenheit schärft den Blick auf die Gegenwart, blicken wir auf die Jugend der DDR, für die „Anderssein“ eine tägliche Challenge war und nicht eine bloße modische Entscheidung. Die Beschreibung zum Video „Punks, Gruftis, Pioniere – Jugendkultur in der DDR“ erklärt dazu:
„In der DDR war ein Großteil der Jugend in die FDJ eingebunden. Mit ihren charakteristischen Blauhemden prägten sie das Bild bei offiziellen Appellen und Paraden. Doch nicht alle Jugendlichen fügten sich dem strengen Korsett der sozialistischen Erziehung. Viele von ihnen suchten ihren eigenen Weg – zwischen Anpassung und Rebellion. Während die Partei versuchte, den Musikgeschmack und die Lebensweise der jungen Menschen zu kontrollieren, entwickelten sich vielfältige Subkulturen. Punks, Gruftis und andere Gruppen rebellierten mit westlicher Musik, auffälliger Kleidung und eigenem Lebensstil gegen die strengen Vorgaben der Partei. Jeans und bunte Haare wurden zu Symbolen für Freiheit und Protest.“
Auch die Düsterpunks von „Die Art“ kommen zu Wort, waren sie doch eine der ersten „Anderen Bands“, die noch vor der Wende in der DDR aufgetreten sind. Trotz teilweise systemkritischer Texte schaffte es die Band ins Jugendradio DT64, auf die erste Parocktikum-LP, die 1989 erschien und trat auf dem FDJ-Pfingsttreffen 1989 vor rund 10.000 Zuschauern auf.
Jetzt gibt es zur Electronic Body Music (EBM) auch die passende Dokumentation. Der „Electronic Body Movie“ so verkündet man in einer Pressemitteilung, „ist die erste Dokumentation, in der die Geschichte und Wiederentdeckung der Electronic Body Music (EBM) beleuchtet wird, die in Deutschland und Belgien in den frühen 80ern begann.“ Der Film hat allerdings keinen regulären Vertrieb, sondern läuft nur im Rahmen von Events.
Ich glaube, meine ersten Berührungspunkte mit EBM, von dem man damals natürlich noch gar nicht wusste, dass sie so heißt, hatte ich mit „Los niños del parque“ von Liaisons Dangereuses, später dann auch die populären Stücke „Headhunter“ von Front 242 und letztendlich auch DAF (Deutsch Amerikanische Freundschaft), die mit „Tanz den Mussolini“ erstmal Verwirrung in meinem jugendlichen Geist stifteten, denn „Tanz den Adolf Hitler“ darf man durchaus als sperrige Liedzeile interpretieren.
Später wurde dann klarer, dass man nicht das meinte, was ich dachte und am langen Ende habe ich dann im Laufe meiner dunklen Karriere 4 Konzerte der Band besuchen dürfen. EBM war vor allem in den späten 80ern und 90ern eine dominierende Musikrichtung in schwarzen Tanztempeln, die schon damals für ein durchaus gemischtes Publikum sorgten, passten doch die Brikett-Frisuren (Flat Top) zusammen mit der militärischen Ästhetik so gar nicht in mein Weltbild. Die Farbe Schwarz und DAF blieben dann auch meine Schnittmengen mit der Musikrichtung.
Der „weltweit erste Dokumentarfilm über Electronic Body Music“ feierte im vergangenen Jahr im Berliner Club „Berghain“ Premiere, Regisseur Pietro Anton scheint diese Location zu mögen, zeigte er dort bereits die Weltpremiere seines Films „Italo Disco Legacy„. Jetzt geht er mit dem „EBM-Film“ auf Veranstaltungstour, denn im Kino oder auf DVD ist der Film (noch) nicht erhältlich.
Obwohl ich dem Satz „Techno before Techno“ nur eingeschränkt zustimmen kann, schließlich haben Kraftwerk schon lange vor EBM irgendwie „Techno“ gemacht, dürfte der Film für Fans durchaus interessant sein. Ich denke auch, dass sich EBM mit Techno nicht zu vergleichen braucht, war es doch auch die erste Musikrichtung, die eine bewusst physische Komponente in die Musik gebracht hat und elektronische Musik nicht als Spielplatz für synthetische Sounds gesehen hat, sondern als rhythmusbetonte Tanzmusik. Ich würde ihn mir allein wegen des viel zu früh gestorbenen Gabi Delgado-López, dem Frontmann von DAF, nochmal anschauen.
Folgende Termine könnte für Euch interessant sein:
Am 24.01.2025 läuft der Film im „Kino KITT“ in 88069 Tettnang, mit einer kurzen Einleitung von Antonio Bras, der nach eigenen Angaben den EBM nach Süddeutschland brachte. (vielen Dank für die Pressemitteilung)
Am 09.02.2025 läuft die Dokumentation auch in der „Grauzone 2025„, dem Festival im niederländischen Den Haag.
Am 15.02.2025 kommt der Film erneut in die Kantine des Berliner Berghains, wo es im Anschluss auch noch Live-Musik geben wird.
Man kennt es: Da will man an einem freien Nachmittag seinen Abstellraum entrümpeln, schwups hält man das erste Objekt in den Händen, von dem man sich dann doch nicht trennen kann. Gerade genau so geschehen mit einem Umzugskarton, in dem ich meine Zillo-Sammlung archiviert habe. Zillo? Richtig, das Musikmagazin, das zwischen 1989 und 2014 Pflichtlektüre in jedem gut informierten Grufti-Haushalt war.
Als ich irgendwann Anfang der 1990er Jahre mein erstes Magazin in den Händen hielt, war das eine kleine Offenbarung. Denn in meinem Dörfchen war das Zillo mein Draht zu bisher unbekannten Musik-Welten. Ein Schulfreund hatte mich auf das Heft aufmerksam gemacht. Fortan war Zillo neben der Radiosendung FFN-Grenzwellen mit Ecki Stieg und meiner Stamm-Disco PC69 im 25 Kilometer entfernten Bielefeld maßgeblich für meine musikalische Sozialisation.
2 Zillo’s für 1000 Einwohner – Wer hat mein Heft geklaut?
Freundlicherweise orderte der kleine Tante-Emma-Laden in unserem 1.000-Einwohner-Dorf jeden Monat zwei Zillo-Exemplare. Eins für meinen Schulfreund, der eher auf härtere Kost wie Bad Religion und Fugazi stand, und eins für mich, der sich vor allem für Düster-Kapellen wie die Sisters of Mercy interessierte. Die beiden Ausgaben warteten dann im Zeitschriftenregal zwischen Hörzu und Frau im Spiegel auf ihre Erlösung. Es kam allerdings vor, dass die beiden Hefte vergriffen waren, bevor ich meins in Händen halten konnte. Bis heute ist nicht geklärt, wer im Dorf die Unverschämtheit besessen hatte, „mein“ Zillo abzugreifen.
Das Zillo war anders als die Musikmagazin, die es damals bisher gab. Die Spex mit ihren oft in teils absurde kulturtheoretische Diskurse abdriftenden Texten war mir zu anstrengend, in den anderen Magazinen wie etwa Visions wurden Gothic- und Dark-Wave-Bands meist müde belächelt und sich über die „Schwarzkittel“ lustig gemacht. Zillo richtete sich in den ersten Jahren zwar an ein sehr breites Indie-Publikum, nahm Gothic und Dark Wave aber von Beginn an sehr ernst. Mehr noch: Zillo war mit dafür verantwortlich, dass es in den 1990er Jahren einen regelrechten Boom in der deutschen Gothic-Szene gegeben hat.
Denn viele deutsche Bands sind durch das Zillo, das zwischenzeitlich eine Auflage von 70.000 Exemplaren gehabt haben soll, erst groß gemacht worden. Das lag sicherlich auch daran, dass Magazingründer und Chefredakteur Rainer Easy Ettler ein kleines Zillo-Imperium aufbaute. Mit mehreren über die Jahre veröffentlichten Zillo-Samplern, einer Zillo-Disco in Lübeck und einem Zillo-Festival. Auf dem ersten „Zillo Mystik Sound Sampler“ befinden sich all jene Bands, die den deutschen Gothic der 90er geprägt haben und bis heute in der Szene präsent sind: Project Pitchfork zum Beispiel, aber auch Deine Lakaien, Pink Turns Blue und Das Ich. Unzählige Storys widmete das Zillo diesen Bands.
Da es mir als Schüler am nötigen Kleingeld und einem Auto mangelte, war ich nie auf einem Zillo-Festival, das zunächst im beschaulichen Durmersheim bei Karlsruhe stattfand. In den Nachberichten im Heft staunte ich dann aber über die dramatisch geschminkten mit reichlich Silberschmuck behangenen Gruftis in ihren wallenden Gewändern.
Zillo kam zu einer Zeit auf den Zeitschriftenmarkt, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte und an Smartphones noch nicht zu denken war. Facebook und Instagram gab es noch nicht, E-Bay-Kleinanzeigen und Amazon auch nicht. Aber es gab den Zillo-Kleinanzeigenmarkt auf den hinteren Seiten.
Die rosa Seiten nannten wir den Anzeigenteil, weil er zumindest in den Anfangsjahren auf rosa Papier gedruckt war. Dort fand man Gleichgesinnte, um Musik zu tauschen. Bands suchten in der Rubrik „Musiker-Börse“ nach Mitspielern oder priesen ihre neuen Veröffentlichungen an.
King Haarlack suchte das ultimative C&A Gothic-Outfit
Richtig spannend war die Rubrik „Bekanntschaften/Grüße“. Da wurde die schwarze Liebe fürs Leben gesucht oder auch mal deftig abgelästert: „King Haarlack sucht das ultimative C&A-Gothic-Outfit und möchte wissen, wie man am besten drei Schritte vor und zurück tanzt, ohne aus den Takt zu kommen, wenn er dabei mystisch seine Händen bewegt“, macht sich jemand in der Dezemberausgabe 1992 offenbar über einen Discobesucher lustig. Aus anderen Einsendungen trieft kitschige Weltschmerz-Prosa, wie sie wohl nur Heranwachsende in den 90ern in die Tastatur hämmern konnten.
Ich gestehe: Ich habe damals eine Menge dieser Anzeigen mit großem Interesse, manchmal auch mit ebenso großem Amüsement gelesen. Schließlich konnte man über den Anzeigenteil Gesprächen folgen, wie man das heute in den Kommentarspalten bei Facebook oder einem Blog wie Spontis kann.
Hier mal eine kleine original Kostprobe, die ganz gut den Grufti-Sound der 90er abbildet: „Lost Child! Ich küsse voller Mitgefühl eure eiskalte Hand. Ihr seid nicht allein in Eurem Schmerz. Black Hate! Ich liebe Eure Zeilen. Ihr seid von meiner Wesensart, wie wohl diese Entdeckung mir tut.“ Von vermutlich stark patchouli-vernebelten Jugendzimmern aus fanden derartige Grußbotschaften – damals noch per Post – den Weg in die Zillo-Redaktion.
Übers Zillo fand ich eine Kassetten-Freundin, mit der ich mir eine Zeit lang Musik hin- und herschickte. Irgendwann hatte ich sogar mal ein echtes Date. Damit bin ich wohl selbst der beste Beweis dafür, dass dieses Printprodukt im Prä-Internetzeitalter nicht nur ein Musikmagazin war, sondern auch ein Kontakte schaffendes soziales Netzwerk. Dass das Magazin mitunter als Grufti-Bravo verschrien war, könnte an den rosa Seiten gelegen haben.
Zillo – Immer offen für fruchtbare Kontroversen
Während ich meine alten Zillo-Hefte durchblättere, halte ich immer wieder besondere Ausgaben in den Händen. Besonders, weil sie zeigen, dass Herausgeber Easy Ettler und sein Team auch immer gesellschaftliche Themen aufgriffen – und Kontroversen nicht aus dem Weg gingen. In der Novemberausgabe 1995 etwa fährt Easy Ettler mit einem seiner Mitarbeitern und Umbra Et Imago-Chef Mozart an den Rhein, um dort Jay Kay für ein Doppelinterview zu treffen, für das das Zillo die Rubrik „Die Zusammenkunft“ ins Leben gerufen hat.
Jay Kay war Sänger der schon damals umstrittenen Band Forthcoming Fire, die sich Rechtsextremismus-Vorwürfen gegenüber sah. Gemeinsam fabulieren Mozart und Jay Kay in dem Gespräch über S/M, das Christentum, aber auch über deutschen Schuld-Kult. Ein wilder Mix. Später wird dem Magazin vorgeworfen, dass es immer wieder Anknüpfungspunkte für rechtsextremes Gedankengut liefert. Auch weil in dem Magazin eine Anzeige für eine CD zu Ehren Leni Riefenstahls geschaltet werden darf.
Für viel Aufmerksamkeit sorgt auch die Zillo-Häftlings-Befreiungsaktion, die Easy Ettler über eines seiner Vorworte anleiert. Darin berichtet er von einem obdachlosen Zillo-Leser, der eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen muss, weil er beim Schwarzfahren erwischt wurde. „Ich habe mir gedacht, wir als Zillo-Familie lassen einen Zilloisten nicht im Knast unter Schwerverbrechern schmoren, sondern werden die jetzt noch rechtlichen 2.300 Mark zusammen aufbringen, damit er rauskommt. Dies habe ich schon mit dem Gefängnisleiter besprochen„, schreibt Ettler. Es folgt das Zillo-Spendenkonto.
Zillo gegen die Sisters of Mercy
1992 kommt es zum Zwist zwischen dem Zillo und den Sisters of Mercy. Laut Easy Ettler habe Sisters-Frontman Andrew Eldritch verlangt, Fotos und Artikel vor Druck zur Genehmigung vorzulegen. Easy Ettler reagiert verschnupft und bricht daraufhin in seinem Magazin eine Debatte über Zensur vom Zaun. Abgedruckt werden in der Juli-Ausgabe nicht nur der zweite Teil einer großen Story über die Sisters of Mercy, sondern auch drei Seiten Leserbriefe, in denen die Absender, darunter viele Sisters-Fans, gegen die Forderungen der Band protestieren. Eine clevere Machtdemonstration der Redaktion.
Ungewöhnlich für ein Musikmagazin: 1996 erscheint ein mehrteiliger Bericht über den Transvestit Charlotte von Mahlsdorf. Durch den Rosa-von-Praunheim-Film „Ich bin meine eigene Frau“ wurde Charlotte von Mahlsdorf einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Easy Ettler lernt sie in ihrem Privat-Museum in Ostberlin kennen, wo Möbel und Erinnerungsstücke aus den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gezeigt werden. „Easy war sofort fasziniert von der außergewöhnlichen Persönlichkeit und der bewegenden Geschichte dieser Frau, die im Zweiten Weltkrieg fast an die Wand gestellt worden wäre und die durch vierzig Jahre Sozialismus hindurch Toleranz und Minderheitenschutz praktizierte“, schreibt daraufhin Autorin Kirsten Borchardt in ihrem einfühlsamen Porträt fürs Zillo.
Zillo und der Satansmord von Witten
2001 reagiert das Zillo mit einer ungewöhnlichen Aktion auf den sogenannten Satansmord von Witten. Damals hatte ein Paar, das sich der Gothic-Szene zugehörig fühlt, einen 33-jährigen Bekannten auf brutale Weise ermordet. In der Boulevardpresse werden daraufhin die längst vergessen geglaubten Tod-und-Teufel-Klischees über die schwarze Szene ausgepackt. Erstmals in seiner Geschichte druckt Zillo in seiner September-Ausgabe keine Band auf die Titelseite, sondern zeigt Dutzende Gesichter von Gruftis. Darüber setzt das Magazin in fetten Lettern: „Wir sind keine Mörder!“ Im Heft analysieren Mitarbeiter des Magazins, aber auch die Musiker Bruno Kramm (Das Ich) und Rudy Ratzinger (:Wumpscut:) die Folgen des Mordes beziehungsweise der Berichterstattung für die Szene.
Januar 2014 – Ein Feuer verwandelt die Zillo in Asche
Easy Ettler stirbt 1997, das Magazin lebt weiter bis es im Januar 2014, also vor ziemlich genau elf Jahren, zu einem Brand in dem Redaktionsgebäude in Ratekau bei Lübeck kommt. Damit ist das Zillo Geschichte. Denn anders als von den vielen Leserinnen und Lesern gehofft, nimmt die Redaktion ihren Betrieb nicht wieder auf.
In den Folgejahren hatte ich das Vergnügen, zwei Mitarbeiter dieses Kult-Magazins zumindest kurz kennenzulernen. In einem Internetforum hatte ich mich an einer Diskussion über die Comics von Nicole Scheriau beteiligt. Scheriau hatte in den Anfangsjahren des Zillos in jeder Ausgabe einen kleinen Comic, in dem sie die Szene augenzwinkernd aufs Korn nahm. Später übernahm Uwe Rösch diese Aufgabe mit seiner Comicfigur Dead. Wie mir Nicole Scheriau 2018 mitteilte, war meine Lobhudelei auf ihre Zeichnungen mit ein Anstoß für sie, ihre Zillo-Comics in einem Sammelband zu veröffentlichen. Spontis hat damals über die Veröffentlichung berichtet. Nicole Scheriau hat mir ein Exemplar mit Widmung zugeschickt, und ich habe mich sehr darüber gefreut.
2022 lernte ich im beruflichen Kontext Frank Rummeleit kennen, der über viele Jahre als Autor fürs Zillo tätig war. Natürlich habe ich ihm berichtet, dass ich seine Artikel regelrecht verschlungen habe. Denn über die Jahre wusste man als regelmäßiger Leser, der ich ja war, wie die Autorinnen und Autoren so tickten. Wenn der Rummeleit eine Band gut fand, dann mochte ich sie in der Regel auch. 1993 reiste Frank Rummeleit fürs Zillo zum Jugendsender Elf99, um dem TV-Publikum – mit Totenschädel in der Hand – Nachhilfe in Sachen Gothic zu geben. Auch darüber hat spontis.de berichtet.
Ob es das Zillo ohne den Brand im Redaktionsbüro heute noch geben würde? Wirtschaftliche Zwänge und die riesige Online-Konkurrenz haben den Musikjournalismus in den vergangenen Jahrzehnten vor allem was Print-Produktionen angeht, unter Druck gesetzt. Der teilweise radikale Journalismus eines Easy Ettlers wäre heute vermutlich nicht mehr möglich. Andererseits: Vielleicht würden etwas mehr Charakter, Experimentierfreude und Mut den heutigen Musikmagazinen ganz gut tun.
Meine gesammelten Hefte sind statt im Altpapier wieder in den Umzugskarton gewandert. Ich konnte mich nicht von ihnen trennen.