Das Leben ist wie eine Brille, man macht viel durch. (Heinz Erhardt)
Ich: „Tach Herr Optiker, ich gebe es nicht gerne zu, aber ich glaube ich benötige eine Lesebrille.“
Optiker: „Ja gut, in ihrem Alter ist das ganz normal.“
Na, danke habe ich jetzt auch verstanden…
Bei Hipstern und anderen neueren Modeerscheinungen sind Vintage Kassengestelle ja schwer in Mode zum passenden Pornobalken unter der Nase. Und verrückterweise oft sogar mit Fensterglas versehen. Also ein reines Modeaccessoire. Aber sowas geht und ging doch nicht in der Gruft Szene.
I wear my Sunglasses at night!
Das einzige was geht, ist das Ray Ban Sonnebrillenmodel mit Sehstärke. Ist aber in der Nacht oder im düsteren Grufti-Dröhnschuppen dann doch eher unpraktisch, weil man überhaupt nichts mehr sieht.
Wenn ich da an die 80er zurückdenke, wenn da ein Grufti mit Brille in die Disco reinkam wurde der doch erst gar nicht beachtet. Deshalb hat mich ein guter Freund dort auch nie gegrüßt. Er hat mich einfach ohne seine Brille im Schummerlicht nie gesehen. Und für den der nicht sehen kann, ist anscheinend Tasten keine Schande. Das hat er aber auch nicht gemacht.
Einfacher haben es da Subgenres wie Steampunk oder Cybergoten. Die haben zwar nichts mit dem Ursprung von New Wave oder Gruftis zu tun, können aber zum Beispiel beim WGT Schweißerbrillen mit Sehstärke tragen. Schon ist das Problem gelöst.
Lesen mit Stil und Brille
„In welche Richtung soll es denn mit dem Model gehen?“ fragt mich der Brillensachverständige.
„Irgendwas historisches, Nickelbrille oder so.“ antworte ich unsicher.
„Am besten kommen sie mal in ihrer Alltagskleidung vorbei und dann schauen wir mal.“
Ich trug immerhin schon mal meine Arbeitskleidung da ist das Brillenmodel auch egal. Aber für den Alltag?
1920er Anzug mit Haaren nach hinten und strengem Scheitel, was mir bei befreundeten Menschen am Bahnhof den Titel „Ey, schwulen Hitler“ eingebracht hatte oder doch toupiert, strubbelig und 1980s Style?
Da fiel mir das Lied Heinrich von EA80 ein: „Heinrich ist ein zarter Punk mit Brille, der ließt ihr in aller Stille zarte Gedichte vor.“
Ja das wäre was, weil lesen konnte ich in den letzten zwei Jahren sowieso nichts mehr was nicht die Größe einer Plakatwand hatte. Und wenn mir dann noch von einer solchen Plakatwand Elton John erklären will, dass er mal wieder auf Tour kommt, wird mir erst recht bewusst: Brille ist voll 70er.
Außerdem wäre es ja auch mal wieder schön, wenn man im Restaurant nicht nur der Empfehlung des Kellners folgt, weil man sich nicht die Blöße geben will die Speisekarte auf drei Meter Entfernung zu entziffern. Da isst man dann doch lieber alles, was auf Empfehlung weg muss. In diesem Sinne, Gruß an die Küche, wo auch immer die sein mag. Das kann ich leider nicht so richtig erkennen.
Also nicht, dass jetzt einer glaubt ich wäre eitel, ääähm, ja eigentlich doch.
Wenn ich mich aber recht erinnere, war man doch gar nicht so intolerant in der Szene. Irgendwer muss ja auch damals schon auf Spekuliereisen angewiesen sein, das ist heute ja auch nicht anders. Ich kenne da unter anderen einen netten Kerl, der ein Online-Magazin für Gruftis betreibt. (Spukis , Spannti oder so ähnlich) Da fällt mir gar nicht auf, dass er manchmal eine trägt. Muss an seinem Charme liegen. Da sieht man schon mal alles durch die Rosa-Schwarze-Brille.
„Na, Brille vergessen?“
Außerdem gibt es auch berühmte Szene-Brillenträger. Robert Smith zum Beispiel ist kurzsichtig und sieht nach eigener Aussage gar nix beim Konzert vom Publikum.
Aber er trägt seine Brille trotzdem nicht. Das hat er dann wohl mit mir gemeinsam.
Andrew Fletcher von Depeche Mode war einer der Ersten, bei dem ich bemerkt habe, dass er sich dann irgendwann mit Brille auf der Bühne zeigte. Vermutlich haben sie deshalb schon Jahre vorher den Song „See You“ in weiser Voraussicht aufgenommen.
Und dann fiel mir auf, dass sehr oft Bassisten in Punkbands eine Brille, meistens mit Gummiband, um die Ohren hatten. Sei es bei den Dead Kennedys, Bad Religion oder die Boxhamsters. Scheint bei dieser sowieso schon stark gedissten Musiker-Randgruppe hip zu sein. Und der Bassist in meiner Band bildet da keine Ausnahme.
Schlimm wird es nur, wenn nichts sehen auf Vergesslichkeit trifft. Beim WGT 2016 konnte man das beim Auftritt von PIL sehen. Ein dicklicher Herr namens Johnny „Rotten“ Lydon kam mit Brille auf die Bühne um seine auf einem Notenständer vorbereitete Texte, die er wohl nicht mehr auswendig kannte, zu entziffern. Da hat sich Punk dann doch auch endgültig erledigt.
Eine Welt ohne Brillen?
Ich kann mich noch erinnern, wie man einem in den 90ern in jeder Dorfdisco, im Kino, oder Varieté eine Lasershow vorgeführt hat. Ein Kumpel sagte zu mir, das ist erst der Anfang der Lasertechnik da kommt noch viel mehr. Recht hatte er, heute geht man in die Augenklinik, um sich die krumme Hornhaut auf den Augen weglasern zu lassen. Und ein paar Tage später kann man dann auf Konzerten und sonst wo die neue LED Technik bewundern, um festzustellen, dass Laser so was von out in der Unterhaltungsindustrie ist.
Laser = Loser!
Das ganze philosophieren nützt aber am Ende dann ja doch nichts. Umso mehr ich mich mit dem Thema beschäftigte und auch mit anderen Gruftis meiner Generation darüber sprach, umso mehr kamen die unterschiedlichsten Brillengestelle zu Tage. Die Eitelkeit scheint irgendwann dann doch der Vernunft zu weichen.
„So, hier ist ihre neue Brille.“
Der Optiker meines Vertrauens besitzt eine riesige historische Brillensammlung und ich habe ihm ein Plakat der optischen Zeisswerke geschenkt, als ich meine goldenen Nickelbrille im Stil von 1910 abholte.
Das Tolle bei meinem Optiker war, dass ich vorher keinen Vertrag unterschreiben musste. Das Kleingeduckte hätte ich sowieso nicht lesen können. Und nun weiß ich nach der Anprobe endlich auch wie er aussieht.
Nun bin ich am Bahnhof bei meinen Kumpels wenigstens ein schlauer, schwuler Hitler.
Und wenn ich nun nach dem blöden Spruch die Brille abnehme, weiß jeder was folgt.
Wenn die Genetik und biologische Uhr stimmt, habe ich noch 10-15 Jahre…. da ich aber ein blonder rrr Jung(g) bin, werde ich dann wohl eher wie ein schwuler Heinz Rühmann aussehen…. da fallen wir wenigstens ins selbe Karriere Durchbruch Jahrzehnt. Und Männer sind nieeee, wirklich nieeeee eitel und selbstkritisch… zumindest in der kurzen Zeit in der sie sich grade voll toll finden. Und bei Grufti Männern darf das alles schon gar nicht zu finden sein…. weil die sind gaaaanz anders… ;-) B-)
Dass Brillentragen in den dunklen Diskos der 80er verpönt war, kann ich sehr gut nachvollziehen. Diese riesigen Brillengestelle der damaligen Zeit waren aber auch grottenhässlich, da gab es wohl kaum unscheinbarere Alternativen. Inzwischen gibt’s ja wieder Retro-Trends zu riesigen und auffälligen Brillen, die ich ebenso mit Skepsis betrachte.
Ich musste erst gegen Ende der 90er eine Brille tragen, als ich meinen Führerschein machte, wurde eine leichte Kurzsichtigkeit festgestellt, die ich is dato nicht bemerkt hatte. Anfangs trug ich die Brille auch nur beim Autofahren oder im Kino, ich hasste es, etwas im Gesicht zu haben, das immer wieder Dreck anzog oder auch die sorgfältig gezogenen Schminkstriche zum Teil verdeckte. Ich mochte mich mit Brille überhaupt nicht! Zum Glück brauchte ich sie im Alltag damals noch nicht.
Das änderte sich aber im Laufe der Jahre total, weil meine Augen von Jahr zu Jahr rapide schlechter wurden. Hatte ich mit knapp -1 Dioptrien angefangen, bin ich mittlerweile bei -6 Dioptrien und ohne Brille so blind wie ein Maulwurf, nichtmal lesen geht ohne. Das ist schon sehr frustrierend, zumal die beginnende Altersweitsichtigkeit das nicht etwa wieder leicht rückgängig macht, sondern oben drauf kommt.
Kontaktlinsen waren lange Zeit keine Option für mich, weil ich sehr trockene Augen hab und die dann extrem schnell gereizt waren. Inzwischen gibt es auch gute Linsen für trockene Augen und zumindest für Veranstaltungen wähle ich oft diese statt der Brille, um mich zum einen endlich mal wieder aufwändiger schminken zu können und zum anderen um beim Tanzen nicht Gefahr zu Laufen, die Brille zu verlieren (das passierte mir schon mal mit dem Ergebnis, dass ich sie ewig zwischen den anderen Tanzenden suchen musste und sie zertreten wiederfand, also als Blindfisch nach Hause fahren musste). Ich kann diese Linsen auch leider nicht sehr lange tragen.
Beim WGT bin ich tagsüber meist mit Brille unterwegs gewesen und habe erst später am Tag auf Linsen gewechselt, um nicht mitten in einer Veranstaltung zum rotäugigen Karnickel zu mutieren (das ist einem Freund passiert, der mitten bei den Konzerten extra zur Unterkunft fahren musste, um die Linsen rauszunehmen und seine Brille zu holen).
Inzwischen trage ich im Alltag gezwungenermaßen die Brille ständig und wenn ich sie gegen Linsen tausche, komme ich mir im Spiegel und auf Fotos schon etwas fremd vor, weil mein Gesicht sehr länglich ist und die Brille das optisch verkürzt, auch bekomme ich häufig zu hören, dass mir die Brille doch gut stehen würde (doofe Sprüche hab ich noch keine bemerkt). Trotzdem würde ich schon gern ganz ohne auskommen, weil das Gestell im Gesicht mich immer wieder extrem nervt. Vor einer Laserbehandlung der Augen schrecke ich bislang zurück, dank diverser Berichte von dauerhaften Augenreizungen/Sehschäden und weil die wirklichen Langzeitfolgen noch nicht so ganz erforscht sind. Außerdem war der Prozess meiner Augenverschlechterung immer noch im Gange, so dass eine OP vermutlich nur kurzfristig Erfolg gebracht hätte. Nun ja.
Sonnenbrillen in Innenräumen – vor allem auf dunklen Konzerten und in Clubs – finde ich ziemlich lächerlich. Soll wohl cool sein, aber das ist bei mir auf derselben Stufe wie große Autos fahren, nur um cooler zu wirken. Es hat außer diesem Zweck keinen echte Nutzen und das wirkt in meinen Augen nur aufgesetzt und wird daher belächelt. Sonnenbrillen sind für mich nur Mittel zum Zweck, bei greller Sonne die Augen zu schützen – in diesem Sinne dann auch gerne als hübsches Accessoire. Allerdings mag ich es nicht sonderlich, das Gegenüber beim Unterhalten nicht richtig anschauen zu können, da geht viel an Mimik verloren.
H.Gen. Wir haben deinen Erlebnisbericht mit -entschuldige- höchstem Vergnügen gelesen. Nicht aus Gründen der Häme.
Dass diese riesigen Nasenfahrräder und Kassenmodelle wieder „in“ sind, ist ein Graus. Die sahen damals kacke aus und tun das heute immer noch. Kann das mal einer diesen Cortadoschlürfern beibringen? Grässlich…und das sage ich, als Oberblindfisch, bei dem ohne Brille oder Kontaktlinsen gar nüscht geht, weil ohne Sehhilfe quasi lebensunfähig- und orientierungslos…
P.S. Sehr freundlich, dass du mich nicht erwähnt hast, Tanzfledermaus, aber der Rotäugige beim WGT, der zum Brillenholen gehen musste, war ich o_O… A Propos…Mimik verloren gehen…dann dürfte…MNS und Sonnenbrille der Supergau sein.
Als abgebildeter Brillengrufti (Spontis-Treffen) muss ich dennoch ein wenig zurückrudern, denn tatsächlich finde ich mich OHNE Brille als Grufti einfach gruftiger. Ich bin da schon ziemlich nah bei Gruftfrosch der das harsch aber meinen Empfindungen nach passend niedergeschrieben hat. Auf dem Treffen (siehe Bild oben) war ich allerdings darauf angewiesen, die Leute zu erkennen und Adressen auf Umschlägen zu lesen. Ansonsten oute ich mich als Brillenweglasser und laufe ein kleines bisschen blind durch die Gegend. Ich habe es eine Zeit lang mit Kontaktlinsen versucht, allerdings bin ich jetzt in einem Alter, in dem man eigentlich 2 Brillen braucht. 1 für die Ferne und eine für die Nähe. Das ich in Form von Kontaktlinsen nur als unausgereiftes Konzept testen können, das mir gar nicht gefallen hat.
Auf Festivals oder in der nebligen Disco würde ich die Brille einfach aus Styling-Gründen weglassen, ich brauche sie da auch einfach nicht wirklich. In meiner Casual-Gothic Phase trage ich die Brille allerdings regelmäßig. Ganz so schlimm finde ich Brillen dann eben doch nicht :)
Im Kindergarten wurde ich, wegen mangelnder Sehstärke, kurzfristig zum Einauge (ganz klassisch, das wunderbar abgeklebte Auge). Da fing´s an. Schnell wurde ich zu 4-Auge, Brillenschlange, Blindschleiche, etc. Kinder können grausam sein.
Flederflausch Ich kenne das Drama um zerbrochene Brillen auf Konzerten/Diskotheken/Partys. Schrecklich, weil keiner aufpassen mag oder zu Hilfe eilen will.
„Warum probierst du keine Kontaktlinsen?“ „Hast du dir schonmal überlegt, ob du das mittels Laser beheben kannst?“ Immer die selben Fragen, deren Ursprung im ästhetischen Empfinden der Fragensteller liegt. Vielleicht deutet meine Brille auf was anderes hin? Und das stört mehr als die Ästhetik meiner Mitmenschen. Man braucht eine Brille, weil die Augen nicht so funktionieren, wie sie es sollten. Die Augen sind krank oder behindert. Krankheit und Behinderung, da ist der Gedanke an Tod doch auch nicht mehr weit? Die Brille als alltägliches Memento Mori? Oder doch das ästhetische Empfinden, das gestört wird durch das Nasenfahrrad? Die Mainstream-Gesellschaft hat ihre Schönheitsideale und die schwarze Szene auch. Brillen passen da nicht so rein. Da trage ich gerne aus reinem Trotz meine Brille.
Hallo Wichtlhexe, Du hast versehentlich Flederflausch und mich verwechselt! Macht nüscht, hab mich nur gewundert ;-)
In meiner Jugend während der Schulzeit waren Brillen das Allerschlimmste vom Allerschlimmsten, gleichbedeutend mit festen Zahnspangen. Ein Graus. Mitschüler mit Brillen wurden 4-Auge oder Brillengnulli genannt. Eine Brille wäre damals für mich Höchststrafe gewesen. 20 Jahre später wurde ich auch ein 4-Auge, die permanente Bildschirmarbeit hatte mir ein paar Dioptrien beschert. Mittlerweile habe ich eine „coole“ Brille, was immer das auch heißen mag – und ich liebe sie. Für schwarze Nächte habe ich aber auch Kontaktlinsen ;-)
Die Kids heutzutage wollen unbedingt Brille tragen, ob sie nötig sind oder nicht und lassen sich freiwillig Brackets verpassen, echt verrückt wie sich die Zeiten ändern.
Den Effekt, dass die Augen rapide schlechter werden, wenn man viel am Bildschirm arbeitet, hab ich leider auch bei mir beobachtet…
Tanzfledermaus Oh je, natürlich habe ich dich gemeint! Sorry!
Interessant wird es dann nochmal, wenn mit zunehmendem Alter Brille auf Hörgeräte trifft… Und in Coronazeiten Hörgeräte auf Schutzmaske. Die bleiben beim Abnehmen der Maske immer im Gummi hängen und jedes Mal beglückwünsche ich mich selbst dafür, dass die Dinger versichert sind… Nächste Woche darf ich wieder arbeiten, dann kommt der Härtetest : die unglaubliche Kombi aus Brille, Hörgeräten und Schutzmaske. Wünscht mir Glück…
Älterwerden ist echt spannend