Rohre so groß wie die von Geschützbatterien alles vernichtender Kriegsschiffe zielen auf schwarz gekleidete Menschen und entscheiden mit einem Knopfdruck über Hot or Not. Man könnte neidisch werden bei so professionellem Kamera-Equipment und willigen Protagonisten die sich ganz und gar der Kamera hingeben. Alle namhaften Musikmedien entsenden ihre geneigten Redakteure um mit spitzer Feder über die Bands zu schreiben die dieses Jahr so zahlreich eingeladen wurden. Aber während sich die Schreiber in argwöhnischer Selbstherrlichkeit das Unverständnis über die Darbietungen von der Seele schreiben um dann möglichst objektiv über das subjektivste der Welt schreiben – das Empfinden für Musik – überlege ich, wie man die Eindrücke möglichst eloquent verarbeiten könnte.
Die Antwort? Gar nicht. Ich versuche es überhaupt erst nicht. Ich habe schlechte Bilder gemacht und niemand ist für meine Kompaktkamera stehen geblieben. Versuche, etwas objektiv zu erfassen sind an subjektiven Emotionen klaglos gescheitert. Aber vielleicht soll es auch gar nicht anders sein. Trotzdem habe ich das Verlangen etwas von dem zu erzählen was ich erlebt habe und möchte bewusst von knallharten Fakten abweichen um das zu erfassen was das WGT vielleicht zu dem macht, was es ist.
Freitag, 21. Mai 2010: Wäre ich doch Donnerstags gefahren, verdammt noch mal! Die Reise war eine 6,5 stündige psychologische Horrorfahrt zwischen Stau-Lethargie und Nahtoderfahrungen durch unachtsame Verkehrsteilnehmer und aufgeblasene Rowdies. Das Hotel jedenfalls erntet schon mal Pluspunkte und der Fußmarsch zum Hauptbahnhof um das hübsche Treffen-Bändchen zu holen gleicht den Bewegungsmangel aus. Vertrauen nicht deinem Gefühl für Entfernungen, habe ich mir gesagt und schon eben doch nicht drauf gehört. Die ersten Fahrten mit der Tram, wie die Straßenbahn in Leipzig genannt wird, verlaufen schleppend aber pünktlich. Die Fahrt zum AGRA-Gelände macht deutlich, nicht nur ein Korsett ist schwarz und eng, sondern auch ein deutlich überfüllter Wagen der Linie 11. Immerhin haben wir noch genug Zeit vor dem bevorstehenden Kirlian Camera Konzert eine Kleinigkeit zu essen, ich entscheide mich für Indisch von einem freundlichen oberlippenbärtigen Sachsen und stelle fest, Wave-Gotik-Indisch ist keine harmonische Mischung. Immerhin sind die Preise fair so dass der Frust dem Gefühl weicht, etwas beigetragen zu haben.
Die riesige Halle auf der AGRA füllt sich, das schale Licht alter Industriescheinwerfer wirft einzelne Lichtpunkte in die Masse der schwarzen Menschen und werden Zeugen bizarrer Randerscheinungen. Die Dunkelheit wird zerrissen durch den Jubel um den Auftritt von Kirlian Camera, die mit vermummten Gesichtern zu einer Einblendung von Text die Faust auf’s Herz legen. Im Hintergrund das Kreuz prangert man hier die Verbrechen gegen die Christen an, die tagtäglich in vielen Ländern der Welt stattfinden und stattgefunden haben. Was das jetzt schon wieder soll?
Wir warten auf die Tram. Die Nacht wirkt durch die zahlreichen schwarzen Gestalten noch schwärzer, nur die angrenzende Tankstelle leuchtet glücklich in die Nacht. In den 4 Tagen der schwarzen Invasion macht dieses einzelne Unternehmen sicherlich soviel Umsatz wie sonst im ganzen Jahr. Erstaunlich. Kein Polizeiaufgebot, keine klirrenden Gläser und auch keine Sirenen die durch die Stadt jagen, niemand streitet lautstark um das letzte Bier oder das letzte Taxi.
Ich habe im Laufe des Tages schon mit Rosa Nachrichten getauscht, die für den Abend in den Spiegelpalast geladen hat. Wir fahren zurück in das Hotel um uns umzuziehen und das Auto mitzunehmen. Ich bin neugierig auf die Frau die ich sonst nur von ihren Worten her kenne und den berühmten Bodenwedelpartys, die hier zu Lande außerhalb meines Dunstkreises stattfinden. Verfehlen kann man den Spiegelpalast freilich nicht, der Intensive Geruch von Tier bohrt sich unermüdlich in die Nasenschleimhäute und verkündet, ganz in der Nähe des Leipziger Zoo’s zu sein. Immerhin entschädigt der Palast durch eine der schönsten Plätze die ich in Leipzig sehen sollte. Der von Spiegeln eingefasste runde Saal im Art Déco der frühen 20er Jahre der von schwarzromantischer Musik in eine Atmosphäre getaucht wird, die nur noch durch die Tanzenden selbst, die in pompösen Kleidern und edlen Gewändern über den runden Boden huschen, gekrönt wird. Ich will gar nicht mehr weg, doch Müdigkeit und ein langer Tag zwingen uns gegen 2:30 zu wohlverdienten Schlaf.
Die Schwere des Schlafes zerrt an meinen schlappen Knochen, doch das Einschlafen fällt mir schwer. Es ist eine ganz neue Erfahrung wenn rund 20.000 schwarz gekleidete Menschen eine ganze Stadt bevölkern und die eigene Individualität zum gemeinsamen Ereignis erheben. Das Gefühl sich in der Masse derer zu verlieren die so denken und fühlen wie man selbst hat fast etwas erdrückendes und vermittelt dennoch das intensive Prickeln, Teil von etwas Großem zu sein.
Schön geschrieben – mein Erfahrungsbericht kommt die nächsten Tage noch, letztenendes gab auch mir das WGT genug Stoff für neue Artikel.
Bin gespannt auf die restlichen Einträge von dir, ist spannend wie andere so eine Veranstaltung erleben.
Ansonsten hat es mich sehr gefreut, daß wir uns getroffen haben, und doch ganz angeregte Unterhaltungen hatten :)
Jautsch, hat zwar nicht direkt etwas mit dem Artikel zu tun, aber alles, was ich bisher an Bildern vom WGT (hab vergessen, wo) gesehen habe, erinnerte mich eher an eine Zirkusveranstaltung. Ich wünsche korrigiert zu werden ;)
@Rosa: Die nächsten Artikel verzögern sich noch ein wenig, da ich mich momentan mit meiner Kamera streite, die die Bilder nicht hergeben will und die sind – obwohl sie schlecht sind – für mich sehr wichtig und gehören dazu. Ich hoffe natürlich das wir die angeregte Unterhaltung noch weiter ausbauen können, ich bin mir sicher das sich dazu die ein oder andere Gelegenheit bieten wird.
@Vizioon: Auch wenn ich Dich gerne korrigieren würde, so kann man „Zirkusveranstaltung“ nicht ganz von der Hand weisen. Diesen Eindruck vermitteln aber eigentlich nur die Bilder, denn es wird nur fotografiert, was der Fotograf als „gut genug“ empfindet und hier zählte dieses Jahr: „Je oller, je doller.“ Unter der bunten Fassade der Zirkusveranstaltung schlummert aber weiterhin ein (für mich) viel schönerer Kern. Leider wird der natürlich nicht entsprechend fotografiert.
@Robert: Damit hast Du mich ja schon etwas korrigiert ;). Schon klar, das nicht der Mainstream fotografiert wird, aber es wird doch immer krasser, was man an Bildern sieht.
Was ich persönlich sehr schade finde. Gerne hätte ich „andere“ Bilder gesehen, doch fotografiert wurden nur die üblichen Verdächtigen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Eindrucksvollen Serie „Vogelnester“ als Hommage an die 80er, oder einfach nur interessante Gesichter. Es gibt so viele Ideen und so wenig gute Beispiele :(