Früher nahm man sich viel mehr Zeit zum Fotografieren. Fuhr man in seinen wohl verdienten Sommer-Urlaub, hatte man eine kleine Kamera dabei und 2, oder vielleicht 3 Filme mit jeweils 36 Bildern. Die Motive waren stets gut ausgesucht, für Gruppenbilder positionierte man sich penibel und achtete darauf, dass die Sonne im Rücken stand. Berühmte oder Beeindruckende Bauwerke wurden nicht einfach im vorbeigehen abgelichtet, sondern konzentriert in Szene gesetzt. Der Film war viel zu schade und die anschließende Entwicklung der Bilder viel zu teuer um alles dem Zufall zu überlassen. Trotzdem war die Spannung groß, wenn man die entwickelten Fotos vom Studio abholte. Hatte alles geklappt? Habe ich die Bilder verwackelt? Ist irgendwo der eigene Daumen zu sehen?
Heute ist das anders. Beim Spaziergang durch die fremde Stadt ist die Kamera immer griffbereit. Alles wird gnadenlos abfotografiert, der Auslöser als Abzug einer Maschinenpistole. Von einer eindrucksvollen Kirche entstehen schnell einmal 50 Bilder, schließlich kann man Sie ja nachher am heimischen Rechner aussortieren. Wenn man dann Lust hat. Kreativität entsteht allenfalls dabei, die Bilder zu benennen in Ordner zu sortieren und seinen Freunden unkommentiert zur Verfügung zu stellen. Schaut mal wie schön es hier war!
Dann schlummern sie in digitaler Form auf der Festplatte und warten darauf wieder einmal gesichtet zu werden. Es stellt sich ein wenig Enttäuschung ein, wenn man dann noch mal in alten Bildern stöbert und feststellt, dass man 12 Bilder von der selben Kirche gemacht hat und trotzdem nicht in der Lage war die Faszination festzuhalten, die Entscheidung welches Bild das beste ist, wiegt schwer. Man hätte sich doch mehr Zeit nehmen sollen, dann wäre der Genuss vielleicht größer und ein Bild ein kleines Kunstwerk. Ein Augenblick ist nicht konservierbar.
Ein Mann mit Zeit für den Moment ist Marcus Rietzsch. Schon früh begeisterte er mich mit seinem Bildband „…wenn wir nie träumten“. Hier bekommen einzelne Bilder eine ganz eigene Atmosphäre. Er hat sich Zeit gelassen bei der Wahl des Motivs, achtete penibel auf die richtige Einstellung der Kamera und wartete auf den einen Augenblick, bei dem alles passt. Mit kleinen Zitaten verhilft er seinen Bildern zu einer ganz eigenen Bedeutung, ohne dem Betrachter seine Interpretation zu nehmen. Jetzt hat man auf dem 21. WGT vom 25. bis zum 28. Mai 2012 in Leipzig Gelegenheit, einige seiner Fotografien in einer kleinen Ausstellung im Agra-Café zu sehen.
Es freut mich, im Rahmen des diesjährigen Wave-Gotik-Treffens in Leipzig einige meiner Werke zeigen zu können. Präsentiert wird eine Retrospektive der letzten Jahre mit Bildern aus dem 2008 erschienenen Bildband „…wenn wir nie träumten”, aus dem „Pfingstgeflüster”, aus dem in diesem Jahr erscheinenden Bildband „Schon unser Heut´ ein Gestern ist” und diversen nachdenklichen bzw. kritischen Kompositionen. Das Agra- bzw. Treffen-Café, in dem die Ausstellung stattfindet, befindet sich zwischen dem Eingangsbereich der beiden großen Hallen (Verkaufsstände und Konzerte) und der Halle 4.2 (Partys) auf dem Agra-Gelände in der Bornaischen Straße.
Wir haben Zeit. Wir müssen Sie uns nur nehmen. Vielleicht ist es manchmal wichtiger, einen Moment zu genießen, als ihn zu konsumieren und darauf zu hoffen, dass sich später vor dem Bildschirm ein ähnlicher Genuss einstellt. Das klappt meistens nicht, ich spreche aus Erfahrung. Die Ausstellung von Marcus Rietzsch wäre ein guter Anfang, um das mit dem Zeit nehmen zu üben. Auch ich will mich darin versuchen.
- Die Ausstellung bei Facebook
- Marcus Rietzschs Blog mit vielen Eindrücken seiner Arbeit
Danke für diesen Beitrag. Ich fühle mich überaus geschmeichelt und geehrt und hoffe natürlich, dass der eine oder andere WGT-Besucher an den ausgestellten Bildern Gefallen finden wird.
Für diejenigen, die sich weniger für Fotografie begeistern können, lohnt sich der Abstecher ins Agra-Café aber vielleicht trotzdem: Dort werden laut meinen Informationen vier weitere Künstler – davon zwei Malerinnen – ihre Werke präsentieren.
Auch zum Betrachten hat man sich früher mehr Zeit genommen. Leider habe ich in den letzten Jahren schmerzvoll feststellen müssen, dass der Wert einer Fotografie deutlich abgenommen hat. Was bei der täglichen Bilderflut fast kein Wunder ist. Werden wir heutzutage doch von Bildern nahezu erschlagen. Gewissermaßen ununterbrochen.
Es wird sich oftmals nicht einmal mehr die Arbeit gemacht, sich ähnelnde, verwackelte, zu helle oder zu dunkle Aufnahmen auszusortieren. Alles wird gezeigt. Der Betrachter ertrinkt in einer unüberschaubaren Flut aus leidenschaftslos gemachten Bildern.
Die Kritik am Fotografierverhalten von heute klingt mir ein wenig nach „Früher war alles besser“. Eine Fotografie „kostet“ den Fotografen heute weniger, das ist wohl richtig – man muss sich nicht überlegen, ob ein bestimmtes Motiv es wirklich wert ist, fotografiert zu werden, man kann ja hinterher aussortieren. Nur hat das meiner Meinung wenig damit zu tun, wie viel Arbeit man sich dann macht, wirklich lohnenswert scheinende Motive auch ordentlich abzulichten. Wer heute nur wenig gehaltvolle Schnappschüsse macht, hätte sich früher sicher nicht plötzlich viel Zeit für ein Motiv genommen. Wenn man bei Abgabe des Films gespannt ist, ob das Bild verwackelt ist oder gar ein Daumen ins Bild ragt, hat man sich meiner Meinung nach auch nicht gerade Mühe gegeben, denn dann vermeidet man solche Fehlerquellen nach Möglichkeit. Andersherum spricht ja nichts dagegen, sich heute genauso viel Zeit für ein Motiv zu nehmen wie früher.
Das einzige, was sich geändert hat, ist, dass die Verfügbarkeit der Bilder drastisch gestiegen ist. Analogaufnahmen gab es so oft, wie der Film entwickelt wurde, sie waren tatsächliche physische Objekte. Zur Vorführung der Bilder im Freundes- und Bekanntenkreis mussten daher auch die Freunde physisch präsent sein. Das alles ist heute anders. Dadurch wird die „Bilderflut“ sicherlich größer. Die Qualität der Bilder ist meiner Meinung dadurch aber nicht gesunken, wenn man die richtig guten Motive betrachtet. Es gibt nur mehr „Rauschen“ dazwischen, das aus mäßigen bis schlechten Bildern besteht – die Quantität der Bilder steigt.
Allerdings hängt auch das meiner Meinung nach mehr vom Fotografen als von einer allgemeinen Entwicklung ab; gute Fotografen werden auch heute nur ihre guten Fotografien zeigen, wer Schnappschüsse macht, pflastert sein Facebook-Profil eben mit nichtssagenden Aufnahmen, das Ganze dann auch noch exzessiver, als das früher je möglich gewesen wäre. Daher muss man als Interessierter die guten Fotografen finden – eine ähnliche Entwicklung, die durch das Internet auch andere Kulturgüter (Musik z. B.) und Informationen genommen haben. Ja, dadurch wird das Rauschen größer, durch das man die Qualität finden muss. Es ist aber auch einfacher, durch gute Aufnahmen bekannter zu werden als früher. Es gibt ja eine ähnliche Argumentation für Musik: Dadurch, dass es mehr Musik gibt und diese leichter verfügbar ist, könnte man den einzelnen Künstler nicht so sehr würdigen. Ich sehe das anders, ich freue mich über die Auswahl und darüber, dass es keine künstliche Beschränkung durch eine erschwerte Verfügbarkeit gibt.
Auf der anderen Seite stimme ich insoweit zu, dass ein bisschen weniger Rauschen so manches mal ganz gut täte. Dass Fotografien aber prinzipiell (also gesamtheitlich gesehen) weniger gewürdigt werden, sehe ich absolut nicht so. Die Leute, die heute absolut alles ablichten, hätten auch früher so gehandelt, hätten sie gekonnt. Die Beschränkung war also eine künstliche, monetäre, weil jedes Bild entwickelt werden musste. Dadurch macht aber keiner bessere Fotos, nur weniger.
Hier möchte ich Dir durchaus zustimmen. Allerdings gibt es auch zahlreiche gute Fotografen, die sich keine große Mühe beim Sortieren geben, was nicht heißt, dass schlechte Aufnahmen gezeigt werden. Jedoch sieht man oftmals diverse ähnliche Bilder, was zumindest mein persönliches Vergnügen beim Betrachten sehr schmälert.
Was ich grundsätzlich gar nicht so schlecht finden würde. Wobei: Mir geht es nicht um die Anzahl der gemachten Aufnahmen. Selbst nutze ich schließlich auch die Vorteile der digitalen Technik, probiere mal etwas aus und mache lieber ein Bild zuviel als eines zu wenig. Es geht vielmehr um das Gezeigte und die fehlende Vorauswahl. Früher war diesbezüglich nicht alles besser. Schließlich gab es die berühmt-berüchtigten Dia-Abende, an denen Freunde, Nachbarn und Bekannte mit Hunderten von mehr oder weniger belanglosen Aufnahmen (zumindest in ihrer Gesamtheit) gequält wurden. Auch hier wurde weitestgehend auf eine vernünftige Auswahl verzichtet.
In diesem Punkt gebe ich dir vollumfänglich Recht, und das ist wohl etwas, was sich durch die Digitalisierung tatsächlich geändert hat. Man macht mehrere Bilder desselben Motivs, sieht bei der Auswahl der zu zeigenden Bilder, dass doch alle irgendwie ganz gut aussehen und möchte es dann dem Betrachter überlassen, welches der sehr ähnlichen Bilder nun das Beste ist – so empfinde ich es zumindest und kann das auch ein Stück weit nachvollziehen. Auch, wenn ich mich nicht unbedingt als wirklich guter Fotograf betrachte, versuche ich zumindest dies zu vermeiden. Eventuell zeige ich dann nicht das Bild, das andere Leute als das beste angesehen hätten, aber gut, das gehört nun mal auch dazu.
Da ich es bei meinem letzten Kommentar vergessen habe, zu schreiben: Führe ich nach Leipzig, wäre der Besuch der Ausstellung deiner Bilder ziemlich sicher dabei gewesen. Wunderbare und sehr eindrückliche Bilder, die es da auf deinem Blog zu bestaunen gibt.