Das sitze ich nun in meinem Kopf vor den unzähligen Schubladen, in denen ich die Bücher einsortiere, die ich gelesen habe. Kleine gelbe Schildchen verraten, welches Genre in den Schubladen zu finden ist. In den Händen halte ich das Buch „Schatten voraus“ von Klaus Märkert. Sobald mir eine Schublade passend erscheint und ich das Buch reinstelle, um zu sehen wie es darin wirkt, fällt mir augenblicklich eine Passage ein, die den Freudentaumel über die geglückte Zuordnung im Keim ersticken lassen. Ich weiß es einfach nicht. Mein Blick streift hilflos über die Schildchen der Schubladen: Krimis, Fantasy, Humor, Schauergeschichte, Horror, Biografie. Es ist einfach von allem etwas dabei, doch keiner der Begriffe beschreibt den mittlerweile dritten Roman des Bochumer Schriftstellers zufriedenstellend. Seine beiden ersten Bücher machten es mir noch leicht, denn „Hab Sonne“ und „Requiem für Pac-Man“ passen ganz hervorragend in die Schublade der Biografien.
Wer den Mann mit dem bewegten Lebenslauf jedoch schon ein bisschen länger verfolgt – so wie ich – und ihn auf einen seiner zahlreichen Lesungen besucht hat, weiß auch um seine Talente für skurrile Kurzgeschichten. Obwohl „verfolgt“ jetzt nicht wortwörtlich zu nehmen ist, denn hinterhergestiegen bin ich ihm ja nicht, es soll eben nur zum Ausdruck bringen, das ich möglicher voreingenommen bin, da ich gut finde, was Märkert macht. Die drei weiteren Werken „Ich bin dann mal tot“ (zusammen mit Myk Jung), „Der Tag braucht das Licht, ich nicht“ und „Schlagt sie tot in den Wäldern“ sind Sammlungen von Kurzgeschichten, von denen viele eine Fortsetzung verdient hätten. So erscheint mir sein dritter Roman als logische Schlussfolgerung, endlich aus dem Schatten der eigenen, kurzweiligen und skurrilen Geschichten herauszutreten und daraus ein ganzes Buch zu zaubern. Zur Geschichte:
Der Protagonist der Geschichte heißt Clark Kind, ist irgendwo in den 40ern und eigentlich ein zartes Gemüt. So schenkt er überfahrenen Igeln oder Hasen die letzte Ruhe im Gebüsch und hilft auch schon mal verzweifelten Silberfischen mit Toilettenpapier zu einer Flucht aus der Gefangenschaft der Badewanne. Als er jedoch Bonnie Tyler nackt am Klavier sitzend singen hört, ist es um ihn geschehen: Er tötet die Frau mit der Reibeisenstimme durch einen beherzten Wurf aus dem Fenster. Für ihn verkörpert sie die ganze Dämlichkeit der schwofend-schwülstigen Popgeschichte und er ist der selbsternannte Rächer, der dieser Ära ein Ende setzen muss. Was sich bis zu diesem Zeitpunkt skurril und abwegig anhört, klärt sich auf den 113 Seiten seines Romans nicht etwa auf, sondern verstrickt sich in immer neue Unmöglichkeiten und Absurditäten.
Als Clark Kind kurz nach diesem bedauerlichen Zwischenfall (!) ins Grauhaus umziehen muss, überschlagen sich die Ereignisse. Da steckt auch schon mal ein Fuß in einer Vase, eine Frau Bunter wird zum Pferd, in einem Wandschrank werden Körperteile abgesägt und in der Hoffnung, dass sein Gothic-Frau-Schwarm Roxanne für eine Nacht seine Sklavin ist, setzt Clark Kind dann auch noch ein Puzzle aus Körperteilen zusammen. Leider wird nichts aus der heißen Nacht, weil er vergessen hatte, Rossos Ohr an die richtige Stelle zu platzieren. Und während er zusehen muss, wie sich Roxanne nun einem anderen hingibt, lacht das Grauhaus…
Erreicht man das Ende des Romans wird klar, dass man ihn eigentlich nochmal lesen sollte, denn erst mit der Auflösung der bizarren Geschichte und der einsetzenden Gewissheit worum es eigentlich geht, scheint sich das Puzzle aus Bilderfetzen, die die einzelnen Kapitel in der Phantasie des Lesers hinterlassen, zusammenzusetzen. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie man sich eine solche fantastisch, bizarre, skurrile und absurde Geschichte ausdenken kann. Ob das am Ruhrpott liegt? Erinnert mich daran, dass ich zur Steigerung meiner Phantasie nach Bochum ziehen sollte.
Märkert beweist wieder einmal, das er ein großartiger Erzähler ist. Seine Fähigkeit, auf abwegigen Gedanken unsere Umwelt zu erkunden, ermöglicht diesem Roman den Leser auf eine atemberaubende Geisterbahnfahrt abseits des Mainstream mitzunehmen. Er schafft es, seinen trockenen Humor und die unterschwellige Melancholie in seiner Sprache in Worte zu fassen. Ohne plumpe Überzeichnungen, lächerliche Spannungsbögen oder durchgekaute Formulierungen erschafft er ein – leider etwas zu kurzweiliges – morbides Meisterwerk.
Roxanne war eine Gothic-Frau, eine Dark-Waverin, ganz in schwarzen Stoff gewandet. Ihre Füße steckten in ebenso schwarzen, mit zahlreichen Schnallen besetzten und vorne extrem spitz zulaufenden Schuhen, die vom Design her unzweifelhaft venezianischen Gondeln nachempfunden waren. Ich fühlte mich jedenfalls beim Anblick der Schuhe an den Filmklassiker ‚Wenn die Gondeln Trauer tragen“ erinnert. Er zählte zu meinen Lieblingsfilmen…
Wo war ich sitzengeblieben?
In meinem Kopf, richtig! Immer noch hocke ich vor meinen liebevoll beschrifteten Schubladen und vermag keinen angemessenen Platz für „Schatten voraus“ zu finden. Als ich meinen Blick enttäuscht auf den Boden senke, entdecke ich ein übrig gebliebenes gelbes Kärtchen. Ich fasse mir ein Herz und beschrifte es mit „Märkert“, stecke es in die Front einer leeren und besonders schönen Schublade und lege den Roman selbstzufrieden hinein. Hoffentlich, so denke ich mir lächelnd, bleibt es dort nicht allein.
Fazit, Links und Gewinnmöglichkeit
Die größte Stärke des Buchs ist auch gleichzeitig seine größte Schwäche. Es lässt sich nicht einordnen, schwer beschreiben und reiht sich nicht in eines der populären Genres ein. Daher richtet es sich an eine recht kleine Leserschaft die bereit ist, ausgetretenen Pfade zu verlassen und literarisches Neuland zu betreten. So hochgestochen das jetzt klingt, aber jede einschränkende Einordnung sorgt für Enttäuschung, wenn die Erwartungen nicht erfüllt wird. Wer aber ein bisschen Neugier mitbringt und seiner einladenden Schreibweise folgt, kann seine eigene Schublade beschriften. Ob das nun der beschriebene „Nachthumor“ ist, von dem auf dem Klappentext die Rede ist, oder irgendein anderes Genre, überlasse ich dem geneigten Leser. Wer Berührungsängste hat, sollte einmal eine der zahlreichen Lesungen besuchen, die Klaus Märkert regelmäßig nutzt, um sich und seine Art zu erzählen vorzustellen. Der Verlag, in dem das Buch erschienen ist, passt ebenfalls wie die Faust aufs Auge. Der Anti-Mainstream-Verlag Eygennutz macht seinem Namen alle Ehre.
Lieber Leser dieses subkulturellen Gothic-Blogs. Vergesst eure abgegriffenen Baudelaire Taschenbücher in der Hosentasche! So muss Gothic. Vergesst die Klischee-Triefenden Werke voller Vampire, Tierwesen und alten Gemäuern, die euch unter falschem Label als besonders „szenig“ aufgeschwatzt werden. Mit einem echten Märkert macht ihr nichts falsch. Schwarzer Humor voller Tiefgang, Anspielung und Wortwitz. Für 9,99€ ist das Buch dann auch noch ein verdammtes Schnäppchen!
Um Euch diese Überzeugung auch glaubhaft zu vermitteln, verlost Spontis unter allen Kommentierenden 2 Exemplare des Buchs „Schatten voraus“ von Klaus Märkert. (Bis zum 15. Februar) Ihr müsst nur einen Kommentar hinterlassen und eine E-Mail Adresse angeben, unter der ich euch erreichen kann. Was ihr kommentiert, bleibt natürlich Euch überlassen. Ein einfaches „Ich will das Buch!“ würde mir schon reichen :-) Gerne dürft ihr aber auch länger ausführen und euch mit der Frage beschäftigen, wie Gothic-Literatur heute sein sollte.
- Homepage von Klaus Märkert
- Der Anti-Mainstream-Verlag Eygennutz (Da bekommt man auch das Buch)
- Bei Amazon gibt es das Buch auch elektronisch
Jetzt bin ich wirklich neugierig geworden. Und dabei habe ich doch eigentlich wirklich keine Zeit, zum Lesen (außer während der Einschlafbegleitung auf dem Handy…)…
Gerne melde ich mich an, um diesen Schmöker zu erwerben. Ich brauche einfach dringend (!!) ablenkende Kurzweil und für’s entspannende Bad bei Kerzenlicht am Abend dürfte das genau das Richtige sein um sich von den ganzen beschissenen Tagen/Wochen zu erholen. Das ist alles nur noch mit Absurdität, schwarzem Humor und Zynismus zu ertragen aktuell. So dann, versuch ich’s mal…
Ich brauch dieses Buch!!!! Ich liebe solche schrägen sachen!!! ;)
Ich plädiere dafür, dass ALLE Bücher und Geschichten von Klaus Märkert auch als Hörbuch erscheinen – selbstverständlich gelesen von meinem Lieblingsautor (gleich nach Terry Pratchett) himself! Wer noch nie bei einer Klaus-Märkert-Lesung war, sollte das unbedingt nachholen. Einfach großartig! Die Termine sollten auf seiner Webseite zu finden sein.
Ja – man muss schon aus Bochum kommen, um solch eine Fantasie und Fantadu zu besitzen. Klaus wohnt Luftlinie ca. 800 m von mir entfernt. Bin ich also wohl auch eine schräge Bochumerin? Ich meine ja. Skurrilität steckt an.
sk
Skurril… daher will ich dieses Buch!
„Nachthumor“ klingt super und im Nachtdienst habe ich auch ab und zu mal Zeit – um zu lesen ^^V^^
Ich möchte mal wieder was richtig Cooles, Spannendes, Abgefahrenes lesen, also bitte schenkt mir ein Buch! ;)
Die Geschichten von Klaus Märkert sind wirklich besonders. Gerne erinnere ich mich an eine Lesung im Rahmen des NCN-Festivals, bei der ich so heftig lachen musste, dass ich kaum noch Luft bekam und mir schon langsam schwarz vor Augen wurde. Es war aber auch eine tolle Erzählung. Von seiner nüchternen Art und Weise, Skurrilitäten vorzulesen, ganz zu schweigen. So gibt es ganz alltägliche Situationen, die mich an seine Geschichten erinnern und mir ein Grinsen ins Gesicht zaubern. Auf (beispielsweise) einer öffentlichen Toilette kann das andere Anwesende durchaus ein wenig irritieren ;-)
@Robert: Dass Du keine Schublade für „Schatten voraus“ finden konntest, kann ich gut nachvollziehen. Mich hat das Buch herrlich ratlos und verwirrt zurückgelassen.
Ich selbst habe keine Zeit zum Lesen. Aber der Rabe liest und der hat auch schon andere Werke vom Klaus. Also, für den Rabe hätte ich es gerne. Er könnte mir dann abends vorm Einschlafen vorlesen….. so war es auch mit dem letzten Buch. :-)
Ich habe Klaus bei einer Lesung in Düsseldorf kennengelernt und es damals versäumt, mir das Buch signiert zu kaufen. Cooler Typ, schräge Geschichten, verpasste Chance für mich. Vielleicht klappt es ja bei der Verlosung.
Ich will das skurrile Buch! Dafür sprechen gleich 2 gute Gründe dafür; erstens habe ich noch nie ein Buch von ihm gelesen *Asche auf mein Haupt* und zweitens gibt´s demzufolge auch noch keins in meiner heimischen Bibliothek. Würde sich aber gut drin machen :-)
Ich will dieses Buch. Die Rezension hat definitiv mein Interesse geweckt =)
ganz nebenbei: gibt es noch eine Ausgabe des Spontis Magazins ?
Genau dieses Buch fehlt mir noch von Klaus :)
@Jimmy: Ja, gibt es. Jedenfalls von der letzten Ausgabe. Schicke einfach einen frankierten und an Dich selbst adressierten Rückumschlag (im Format C4, damit etwas in DIN A4-Größe hineinpasst) an die Adresse im Impressum.
Morgen werde ich übrigens die Lostrommel trommeln und die Gewinner der beiden Exemplare ermitteln. :-)
Guten Abend! Ich finde es großartig, was mein Ex-Schwager literarisch so treibt. Besonders
hat mich die Frau am Klavier in Schatten Voraus angesprochen, Klaus kann sich denken, warum.
Danke Robert, eine tolle Gelegenheit, Klaus endlich mal ein Kompliment für sein Werk auszusprechen. Ein bisschen Stolz-darf ich schon auf ihn sein, oder!
Falls ich das Buch gewinnen sollte, würde ich es jmd. schenken, der es noch nicht hat.
Fantastische Grüße aus Bochum-Ehrenfeld
Beate
Vielen Dank für die zahlreichen Interessensbekundungen! Ich werde heute in einem höchst komplexen und anerkannten Verfahren die Gewinner auslosen (so kleine Zettel mit dem Namen drauf aus einer überdimensionierten Glasschüssel ziehen) und dann via E-Mail anschreiben. Ich würde mich freuen, wenn die Leser dann hier ihren Buch-Eindruck hinterlassen.
@Beate: Unbedingt darfst du stolz sein! Klaus ist der „Farbklecks“ in der Welt grauer Einheitsliteratur und wirft deutlich attraktivere Schatten als gleichnamige Erotik-Bestseller ;)