Nick Caves Biografie ist als Graphic Novel im Carlsen-Verlag erschienen, Reinhard Kleist hat sein Leben gezeichnet und illustriert. Dabei hat Cave seine Biografie im Grunde genommen schon selbst verfasst, denn seine Lieder erzählen seit fast 40 Jahren aus dem Leben des Musikers, von seinen Gedanken, seinen Ängsten und Phantasien. Seine Songs könnten als thematische Vorlage der späteren Gothic-Szene dienen, denn mit seinen gruseligen, surrealen und manchmal religiösen Texten bewegt er sich stets im Randbereich des gesellschaftlichen Interesses. Seine tiefe und grabesschwere Stimme macht ihn zudem nicht unbedingt massenkompatibel. So mag man sich auf den ersten Blick wundern, das der Zeichner Reinhard Kleist, der bereits Johnny Cash und Elvis in einer Graphic Novel biografisch aufarbeitete, sich ausgerechnet Nick Cave als Protagonisten seiner neuesten Geschichte aussuchte.
Auf den zweiten Blick aber eine durchaus künstlerische Entscheidung, denn Nick Cave liefert mit seinen Songtexten quasi Figuren und Geschichten frei Haus. Reinhard Kleist zaubert daraus eine wunderschön gezeichnete Graphic Novel, die sich zwar an Caves Biografie orientiert, aber weniger chronologisch erzählt, sondern sich an Rückblenden durch das Leben und die Songs des Australiers hangelt. Doch ist seine Lebensgeschichte eine gezeichnete Biografie wert?
Nick Cave. Der Meister melancholischer Musik wurde 1957 recht unspektakulär in einem australischen Kaff namens Warracknabeal auf, bevor er die Zeichen der Zeit erkannte und mit Anfang 20 erst nach London und dann nach West-Berlin zog. Erst formte er mit seiner Band „The Birthday Party“ ein Stück vom Gothic Rock, bevor er zusammen mit Blixa Bargeld „The Bad Seeds“ gründete, die in der frühen Dark-Wave-Szene des geteilten Berlins auf fruchtbarem Boden wächst.
Cave entwickelt sich weiter. Wird Schriftsteller, Dichter, Drehbuchautor und bleibt stets Musiker. Mitte der 90er kommt er auch ganz kurz in den Fokus der breiten Öffentlichkeit, als er mit Kylie Minogue den Song „Where the Wild Roses Grow“ ins Mikrofon haucht. Doch das reicht nicht, um ihn populär zu machen. Nick Cave bleibt der Australier, der auf der Suche nach Extremen immer neue Dinge abseits des Mainstreams ausprobiert. Andere Länder, andere Menschen, andere Drogen. Cave bewegte sich stets im sogenannten Underground und erlebte Berlin zu seinen kreativsten Zeiten und formte aus diesen Eindrücke ein melancholich-gruseliges Songbook.
Für Kleist war das Comic eine Herzensangelegenheit, den in der 90er war der ein großer Fan. Fraglich bleibt, ob diese Biografie ohne die Musik funktioniert. Ob die durchaus Stimmungsvollen Bilder die gewünschte Melancholie verströmen und nicht ohne die tragende Musik zu einer groben Karikatur verwaschen. Timur Vermes schreibt bei Spiegel Online:
Musik kann man nicht zeichnen, weil der Leser sie nur dann korrekt lesen kann, wenn er sie selbst kennt. Kleist lässt etwa Caves Band The Birthday Party ihre Texte in rasiermesserscharfen Spruchbändern durch die Schädel des Publikums schlitzen, ein starkes Bild, das aber nicht weiterhilft, wenn man beim Anhören kein eigenes Schlitzerlebnis vorfindet. Dafür zeigt sich, dass Nick Cave auf der Bühne und selbst noch im Videoschnipsel eine morbide, selbstbewusste, aufregend irritierende Faszination ausstrahlt, die allerdings auch ein Reinhard Kleist nicht ins unbewegte Bild transportieren kann.
Ich selbst war nie ein echter Fan der Person oder seiner Musik. Und genau das scheinen Voraussetzungen dafür zu sein, eine Graphic Novel über Nick Caves Leben spannend werden zu lassen. Ob das Leben des Australiers eine Biografie wert ist, darf jeder Leser selbst entscheiden, seine Songs bieten jedoch genug Stoff für ganze Romane. Vielleicht liegt hier das Potential dieses Werks. Nick Cave: Mercy on Me ist gerade erst beim Carlsen-Verlag erschienen. Das 328 Seiten dicke Werk von Reinhard Kleist ist für knapp 25€ käuflich zu erwerben.
In Zeiten, in denen auch so mancher drittklassige „Promi“-Hanswurst, der mal für einen Augenblick an den „15 minutes of fame“ gerochen hat, meint, seine Lebensschwänke der Öffentlichkeit preis zu geben, ja doch, dann ist eine Nick Cave-Biographie absolut gerechtfertigt, wenn nicht gar notwendig. Und kommt einem in Form eines, nun ja, „Comic“ aka „Graphic Novel“ sogar recht konsequent und logisch vor – und überrascht mich (als „Fan“ – voraussetzungsweise ;-) ) nicht wirklich. Und in der derart gelagerten „good company“ mit Elvis und gerade Johnny Cash ist Mr. Cave ja auch nur zu gut aufgehoben. Steht der Mann diesen Beiden künstlerisch doch in gewissen Beziehungen recht näher, als manchen zeitgeistigen Goth-Ausgeburten. Kenner seiner musikalischen Outputs werden eh wissen, wohin ich mit vorheriger Aussage tendiere…
Es benötigt nämlich kein ach-so-szenisches „Goth“, um bildgewaltige, düster dräuende Musik, bzw. Texte über die vielfältigen Abgründe menschlichen Daseins, bzw. Nichtmehrsein zu verfassen. Und das funktionierte auch schon jahrhundertelang vor „Goth“ – und sowas wusste bereits ein Johnny Cash, und darum weiß das auch ein Nick Cave. Also, was soll der Terz, den Herrn Cave immer wieder explizit (oder auch hintenrum…) mit der „schwarzen Szene“ verknüpfen, wenn nicht gar festnageln zu müssen? „Release The Bats“ hin oder her. Und Liveauftritte der doch recht stark vernehmbar im zerschossenen, ultrarohen Blues wildernden The Birthday Party im Bündel mit Leuten wie Sex Gang Children, Specimen, The Sisters Of Mercy (btw. distanziert sich A. Eldritch ja auch immer etwas mehr oder weniger dezent vom allzu-Goth-Bohei…) machen noch keinen üblichen „Szene“-Verdächtigen aus…
O.k., o.k., es schadet(e) nie, während einschlägiger „Tanzveranstaltungen“ die eine oder andere Nummer des Meisters aufzulegen, zeugt dies doch von einer gewissen Geschmackssicherheit des „DJ“ – wobei ich mich frage, wie mittlerweile in gewissen zeit-/“schwarz“geistigen „Szene“-Etablissements ein Song von Nick Cave (and the Bad Seeds) aufgenommen und gewertet werden würde… (aber das frage ich mich mittlerweile im Falle von z.B. Echo & The Bunnymen, The Cocteau Twins, The Fall, Comsat Angels, Magazine, The Chameleons, The Jesus and Mary Chain, usw. ebenso…)
Wie auch immer, so unpopulär wie im obigen Bericht angedeutet, ist der gute Mann jetzt auch wieder nicht. Ziehen seine Alben doch seit einem gewissen Zeitpunkt regelmässig in nicht unerhebliche Regionen der Charts ein (Albumcharts wohlgemerkt, auf die Singlescharts kann man eh keinen Pfifferling mehr geben…), auch wenn dies gewisse Teile der „schwarzen Szene“ ja gar nicht mehr mitbekommen… (was irgendwie aber auch o.k. ist…) – und ist er doch immer wieder mit jeder VÖ ein Thema auch in den „mainstreamigen“ Medien. Also, irgendwie popkulturelles Allgemeingut für einen geschmacksicheren Teil der Musikrezipienten geworden – so wie übrigens z.B. Joy Division nach all den Jahrzehnten auch. Und sowas finde ich vollkommen gut und begrüssenswert. Und von daher rechtfertigt dies auch eine Biographie. Auf jeden Fall.
Die Popularität bezog sich auch eher auf das Verhältnis zu Elvis und Cash, die vom Autor bereits „genovelt“ wurden. Tatsächlich würde ich Dir auch zustimmen, so genießt Nick Cave nicht zuletzt wegen einiger weniger Chart-Erfolge eine gewisse Popularität, wenn auch deutlich weniger davon als beispielsweise der Herr Smith von The Cure. Die Frage, die mich beschäftigt, ist dann eher den Verkaufszahlen geschuldet. Ein Comic dieser Art ist dann doch schon ein Nischenprodukt, Biografien sind dann ein weiteres Nischenprodukt und dann noch Nick Cave. Vielleicht ein paar Nischen zu viel?
Natürlich reizt auch mich diese Biografie, nicht zuletzt weil ich eben allen Nischen etwas abgewinnen kann. Schön zu hören, dass es Dir auch so geht ;)
Ich bin nun wieder ziemlich großer Cave-Fan und finde zudem, der Mann hat ein so interessantes Leben, dass eine Biografie eigentlich weit über die Nische ausstrahlen könnte/sollte/müsste. Leider ist der Kritik von Herrn Vermes nicht viel hinzuzufügen, der Comic funktioniert nicht. Er triggert lediglich persönliche Verbindungen zwischen Hörer und Cave an – die eines solchen Triggers aber gar nicht bedürften. Einziger Pluspunkt ist, dass der respektlose Zeichenstil Nick Cave zur Abwechslung mal nicht aus der Perspektive der gottähnlichen Heldenverehrung zeigt, sondern den ursprünglichen Dreck wieder einbringt. Ob einem das allein den doch recht immensen Buchpreis wert ist, muss Fan selbst entscheiden. Nichtfans, die sich dem Phänomen nähern wollen, sind hier eher falsch. Was schade ist: Ich lese eigentlich sehr gern Biografien von Musikern, deren Musik ich nicht mag, die aber als Personen hochinteressant sind.