Review: Marcus Rietzsch: …wenn wir nie träumten

Wer bitteschön fotografiert Friedhöfe? Marcus Rietzsch, ambitionierter Fotograf aus Oberkotzau, einem beschaulichen Ort in der nähe von Hof. Wer um alles in der Welt macht davon einen Bildband? Marcus Rietzsch, er brachte seinen Bildband „…wenn wir nie träumten“ 2008 nach unzähligen Arbeitsstunden, viel Herzblut und Leidenschaft auf Edition Paper One heraus. Wer steht schon auf Friedhöfe in Bildbänden? Wir, die Grufties (international auch Gothics genannt) finden solche Bilder ausgesprochen „Reisetauglich“, jedenfalls viele Menschen dieser Szene. Nachdem in den ersten Fragen gleich zu Beginn begegnet sind, widme ich mich nun dem Inhalt.

Friedhöfe begleiten mich schon seit der Zeit, als das, was schwarz war noch nicht so hieß wie man es heute nennt, die Faszination für morbide Plätze hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Verfall, Verwitterung und Vergangenheit sind die zentralen Elemente der ästhetischen Faszination. Stundenlang könnte ich die Orte der Stille aufsuchen um sich der Reise ins Ich hinzugeben am liebsten begleitet von Stille oder entsprechender Musik. Leider war ich mangels fotografischem Auge bislang nie in der Lage, die Eindrücke ansprechend zu konservieren. Schön das Rietzsch die Arbeit übernommen hat.

Der französische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Anatole France schrieb einmal den Satz „Das Leben wäre unerträglich, wenn wir nie träumten.“ der dem Bildband auch seinen Namen verleiht. Zitate sind ein zentrales Element der Fotografien, die sich durch das Buch ziehen und über das visuelle Empfinden hinaus noch Einblicke in Assoziationsfähigkeit des Autors geben. Keines scheint zufällig gewählt, ein teilweise fragile Typografie baut die Brücke zwischen Bild und Text. 

Auf der für den Bildband eingerichteten Internetseite heißt es:

Marcus Rietzsch nimmt den Betrachter mit auf eine fotografische Reise über europäische Friedhöfe. „…wenn wir nie träumten“ ist seine Liebeserklärung an die unglaubliche visuelle und emotionale Vielfalt, welche diese Gottesacker bieten. Die Aufnahmen vermitteln die Faszination dieser stillen Orte. Skulpturen mit lebendigen Gesichtern, welche die unterschiedlichsten Gefühle zeigen. Verwitterte Kreuze und Grabsteine, die in die Vergangenheit entführen. Kleine und große Details voller atemberaubender Schönheit. Ferner regen Zitate von Arthur Schopenhauer, Lord Byron, Theodor Fontane, Friedrich Nietzsche und anderen zum Nachdenken an…

Einige Impressionen aus dem Buch zeigen die Bandbreite der Darstellungen:

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Kritik:

Der Bildband besticht durch seine brillanten Aufnahmen europäischer Friedhöfe und einer sehr erlesenen Auswahl von Textzitaten, die mittels Typografie nicht lieblos eingefügt wurden, sondern dem künstlerischen Anspruch des Buches gerecht werden.  Druck, Format (19×27 cm, Paperback) und Ausführung des Bildbandes rechtfertigen den Preis von rund 15€. Mir persönlich fehlt ein wenig mehr Hintergrundinformation, so hätte dem Bildband im Anhang oder direkt am Bild eine Beschreibung des Ortes gut zu Gesicht gestanden, ebenso die Zitate hätten eine zeitlichen Einordnung des Verfassers vertragen können.  Das Buch macht Lust, selbst zu erforschen, Rietzsch hätte dieser Lust durch entsprechende Verweise und Ortsangaben gerecht werden können. Der Bildband richtet sich darüber hinaus an Liebhaber morbider Ästhetik, ein Zugang für nicht geneigte Leser erscheint mir schwer. Für mich sicher ein Schmuck im schwarzen Regal der Eindrücke.

Der Bildband lässt sich über die Seite von Marcus Rietzsch, oder direkt beim Verlag Edition Paper One bestellen.

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tobikult
tobikult(@tobikult)
Vor 13 Jahre

Ich glaube, wenn ich einen Friedhofs-Foto-Blog pflegen würde, hätte ich mehr Leser als mit meinem bisherigen Projekt. :-))
Friedhöfe, vor allem die in alten Großstädten sind ein ideales Fotothema und bieten Einblicke in die Kulturgeschichte vergangener Zeiten. Ich habe auch einige Bildbände von Friedhöfen und muss Dir zustimmen, ohne Erläuterungen verlieren die Bilder schnell an Wirkung und die Menge der wiederkehrenden Motive lässt mich schnell abstumpfen. Es geht doch nichts über einen persönlichen Besuch auf einem Friedhof. Aber zum Anfixen ist ein Buch allemal gut oder als Einladung zu einem Fototermin…

shan_dark
shan_dark (@guest_15086)
Vor 13 Jahre

Ich kann mich Dir nur anschließen: es ist ein ganz wunderbarer Bildband, der ein außerordentliches Händchen für Fotografie zeigt. Tolle Details, sehr stimmungsvoll und interessante Perspektiven. Ganz besonders gut gefällt mir die Idee mit den wirklich sehr gut gewählten Sprüchen zu den Bildern. Es ist alles stimmig, passt alles. Auch der Titel und das Zitat dazu haben mich angesprochen.

Mein absolutes Friedhofs-Bildband-Lieblingswerk ist Isolde Ohlbaums „Denn alle Lust will Ewigkeit…“, aber Marcus Bildband reiht sich auf der selben Stufe problemlos mit ein.

Habe den Bildband gleich nochmal nachbestellt, als Geburtstagsgeschenk für meine Freundin. Kam sehr gut an!

Alsuna
Alsuna (@guest_15103)
Vor 13 Jahre

Danke für diesen Tipp! Ich habe mir das Buch gleich mal bestellt und bin gespannt ^_^.

Marcus
Marcus (@guest_15123)
Vor 13 Jahre

@Robert: Ich freue mich sehr, dass Du meinem Bildband einen Blogeintrag gewidmet hast. Danke. Dass mich die positive Kritik ebenfalls freut, brauche ich sicher nicht zu erwähnen ;-)

Auf Ortsangaben wurde nach reiflicher Überlegung bewusst verzichtet. Mir ging es u.a. darum, beim Betrachter eine gewisse Lust zu wecken, auch selbst auf Entdeckungsreise zu gehen, um sich anschließend über das Gefundene zu freuen. Ganz ohne Vorgaben. Wie tobikult schreibt: „…zum Anfixen…“

@shan_dark: Auf einer Stufe mit Isolde Ohlbaum?! Ich verneige mich in demütiger Dankbarkeit.

@Alsuna: Ich hoffe, dass Dir der Bildband gefallen wird. Kritik (positiv wie negativ) nehme ich jederzeit gerne entgegen. Ok, zugegeben: Negative Beurteilen nicht so gern ;-) Aber nur an ehrlicher Kritik wächst man und entwickelt sich weiter.

Toni
Toni (@guest_15174)
Vor 13 Jahre

Ich finde es ein wenig schade, dass alle Bilder schwarz/weiß sind. In Farbe hätten sie mir besser gefallen ohne ihre Wirkung zu verlieren. Friedhoffotografie ist wie Ort außerhalb der Zeit/ in der Vergangenheit.
Auf flickr kann man, behaupte ich, schönere Bilder finden, wie diese hier auf einem Londoner Friedhof:
https://www.flickr.com/photos/renate-eder/1321743461/

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