Journal der Jugendkulturen #17

Das Archiv der Jugendkulturen hat eine turbulente Zeit hinter sich. Zum Ende des Jahres 2010 hat es so ausgesehen, als müsste das Archiv seine Pforten schließen, da es fernab von jedweder staatlicher Unterstützung nicht mehr in der Lage war, die monatlichen Kosten der Einrichtung zu decken. Eine ehrgeizige Spendenaktion wurde ins Leben gerufen, um das Archiv in eine Stiftung zu überführen. Nur so lässt sich das Archiv langfristig sichern, da es so wesentlich besser gefördert werden kann. Zahlreiche Prominente unterstützten die Aktion und dennoch ist es den zahlreichen Spendern zu verdanken, das bis zum 31. Oktober 2010 rund 100.000 Euro zusammengekommen sind. Das Archiv ist gerettet (vorerst) und hat 2011 die Stiftung Respekt! gegründet. Damit ist die Arbeit zunächst gesichert und dennoch bedarf es dauerhafter Unterstützung und Spenden, um den zahlreichen Projekten und Aktionen einen finanziellen Nährboden zu bieten.

Frucht dieser Arbeit ist beispielsweise das Journal der Jugendkulturen, das jüngst zum 17. mal erschienen ist. Einer der Schwerpunkte dieser Ausgabe ist der geschlechtsspezifische Aspekt von Jugendkulturen, die im Editorial passend als „Jungenkulturen“ bezeichnet werden. Noch immer sind die meisten Jugendkulturen männlich dominiert, an der die Emanzipation offenbar spurlos vorbeigezogen ist. Auch die Gothic-Szene, in der nach meiner persönlichen Einschätzung immer ein funktionierendes Gleichgewicht der Geschlechter herrschte, droht deutlich in eine männlich orientierte Richtung zu kippen. Nicht zuletzt, weil körperlich-männlich orientierte Musikrichtungen wie EBM, Cyber, Techno oder (Neo-)Industrial verstärkt den schwarzen Schirm gepresst werden.

Dunja Brill beschäftigt sich in Ausgabe #17 mit dem Thema „Klänge des Krieges – Die Konstruktion weißer Männlichkeit im Industrial und Black/Pagan Metal“ und greift damit die „Problematik“ der Männlichkeit in der Musiklandschaft dieser Genre auf:

In den Neunzigern stieg eine deutsche Band unter Verwendung von Stilelementen, die in der Popmusik bis dato verpönt waren, zu internationalem Ruhm auf: Rammstein stürmten mit einer Mischung aus harschen Gitarrenriffs, stampfenden Electro-Beats und einem martialischen, hypermaskulinen Image die Charts. Ihr Sound und ihre Inszenierung haben bis heute umstrittene Stilcodes und Männermythen ins Repertoire des Pop gehievt, die im subkulturellen Underground des so genannten Industrial und Extreme Metal wurzeln. Diese mit symbolischer Gewalt aufgeladenen Musikszenen stehen im Mittelpunkt eines aktuellen Forschungsprojekts der HU Berlin, das subkulturelle Konstruktionen von Männlichkeit und ‚weißer‘ Ethnizität beleuchtet.

Der Bericht über die vor kurzem stattgefundene Hamburger Konferenz zu „Musik und Männlichkeiten in Deutschland seit 1950“ rundet die Thematik ab. Selbstverständlich zeigen diese Artikel nur einen Teil des Phänomens, die jedoch spielend auf viele andere Genre übertragen werden können. Es hat für mich den Anschein, als würde die überholte gesellschaftliche Konditionierung von männlich und weiblich in der Musik weiterleben, denn immer noch sind auf den Bühnen mehr Männer als Frauen zu finden. Ist der Traum der Frau weiterhin der von der glücklichen Ehe, den Kindern und dem eigenen Haushalt?

Neben dem zweiten Schwerpunkt, der politischen und ökonomischen Verknüpfungen der Techno-Szene in Berlin, bietet das Journal auch wieder ein sehr umfangreichen Rezensionsteil, der sich mit fast allen relevanten Veröffentlichungen über Jugend, Jugendkulturen und Subkulturen beschäftigt. Von der Pornifizierung unserer Gesellschaft, Rechtsradikalismus in Szenen und im Internet, bis hin zu religiösen Sachbüchern über die „Jesus und Sister Freaks“. Wer sich für eine Veröffentlichung über Szenen interessiert, sollte unbedingt einen Blick in das Journal der Jugendkulturen werfen.

Die Themen im Überblick:

  • Klänge des Krieges – Die Konstruktion ‚weißer‘ Männlichkeit im Industrial und Black/Pagan Metal (Von Dunja Brill)
  • Tagungsbericht – Musik und Männlichkeiten in Deutschland seit 1950 (Von Gabriele Vogel)
  • Vom „Techno-Underground“ zum „Recht auf Stadt“ – Hedonistische Szenen und urbane soziale Bewegungen in der großen Krise (Von Max Lill)
  • Arbeiten in der Berliner Techno-Szene – Skizze der Theorie einer Szenewirtschaft elektronischer Tanzmusik (Von Jan-Michael Kühn)

Da schon eine ganze Weile das Geld für eine handfeste  und 163 Seiten starke Print-Ausgabe fehlt, erscheint das Journal der Jugendkulturen nach wie vor als PDF und steht für den kleine Obulus von 3 Euro zum Download bereit. 

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Death Disco
Death Disco (@guest_16748)
Vor 12 Jahre

Rammstein -> Industrial -> Epic Fail.

Pseudoforschungsprojekte, bei denen jeder Halbwissende auch mal was veröffentlichen darf (stampfende Electro-Beats – was ’n Lacher! Die nutzen Techno-Sounds!), solangs auch nur halbwegs akademisch klingt. Aber was anderes habe ich aus der Ecke nicht erwartet. Nicht einmal Hitzler kann ich noch ernst nehmen, wenn der meint, Gothic liege gerade im Trend, während Punkte wie Kommerzialisierung und Fehletikettierung des letzten Jahrzehnts bis heute in keiner Publikation Erwähnung finden. Scheiß Hobbysoziologen.

Death Disco
Death Disco (@guest_16752)
Vor 12 Jahre

Dort kann man nichts laden, ohne angemeldet zu sein, was offenbar der Hauptzweck ist. Ich melde mich nicht an, um mir ’ne PDF-Datei zu laden, über deren Inhalt ich mich letztlich sowieso wieder nur ärgere, weil Begrifflichkeiten durcheinandergeworfen werden oder uns die aktuelle Entwicklung als szene-eigen untergejubelt wird, ohne näher auf logische Zusammenhänge/Hintergründe einzugehen und zu erläutern, was das alles mit Gothic oder meinetwegen mit Industrial im ursprünglichen Sinne zu tun haben soll.

Das zweite Zitat zeigt mir übrigens deutlich, auf welchen Seiten sich eine Mademoiselle Brill für ihren Beitrag herumgetrieben hat. Da hat sie’s zum Teil sogar richtig abgeguckt… aber eben nur zum Teil. Electro-Industrial läuft schon lange in keinem Club mehr, von wegen „heute im sukulturellen Milieu angesagt“. Die Frau kommt 15-20 Jahre zu spät. Auch scheint sie noch nie die Bezeichnung Post-Industrial gehört/gelesen zu haben. So wird Halbwissen und Zusammengeklautes eben zu unumstößlichen Fakten, denn auf solche halbgaren Publikationen im Schreibstil für Pubertierende („Ur-Industrial„, joa mei…) stützen sich die Leute.

Und dann dieser unsägliche Käse, Rammsteins Wurzeln lägen in der Underground-Industrial-Szene. Die Typen haben einfach Laibach als Vorbild genommen, und zwar aus der Ära, als die Slowenen selbst schon kilometerweit entfernt von der Industrial Culture agierten, Beatles-Songs trällerten und mit Heavy-Metal- und Techno-/House-Elementen hantierten und damit sogar in diverse (Indie-)Charts vordrangen. Der Rest ist einfach nur Oomph! für Arme (und die sind schon arm). Rammstein als populäres Beispiel für ein „hypermaskulines“ (!!!) Image im Industrial-Bereich? So einen Unsinn kann doch kein Mensch ernst nehmen.

Death Disco
Death Disco (@guest_17209)
Vor 12 Jahre

Ich hatte gerade einen Blick in Frau Brills Buch „Goth Culture“ von 2008 geworfen, da mich ihre musikalischen Einordnungen nun doch mal interessierten. Und ich wurde nicht enttäuscht. Den Musikbereich kann man vergessen.

Bei Frau Brill ist alles Gothic-Musik. Neofolk ist bei ihr Gothic-Musik, Gothic Metal ist bei ihr Gothic-Musik, Electro ist bei ihr Gothic-Musik. Selbst Industrial, der nachweislich Mitte der 70er, also mindestens 5 Jahre VOR Entwicklung der Gothic-Bewegung entstanden ist, ist bei ihr Gothic-Musik. New Wave und Dark Wave sind bei ihr elektronische Musikgenres, obwohl sich das so in keiner Weise belegen lässt. Ganz im Gegenteil, waren die ersten, als New Wave und Dark Wave titulierten Bands doch nachweislich Rockbands.

Noch fragen? Ich habe keine mehr… Doch, eine: Warum veröffentlichen immer Leute Bücher, die von der Materie doch offenkundig kaum eine Ahnung haben und nur über Halbwissen und Fehlinformationen verfügen? Letztlich nervt die Schwemme an Büchern nur noch. Ewig werden dieselben Fehler blind aus früheren Publikationen abgeschrieben und als neuartige Kenntnisse dargestellt. Mittlerweile dürfte der Markt über 30 oder 40 Bücher zum Thema verfügen, weil jeder Depp heute die Möglichkeit hat, seine Ergüsse auf Papier drucken zu lassen. Mich gruselt es.

Death Disco
Death Disco (@guest_17243)
Vor 12 Jahre

Ja, ich kenne das Buch. Bis auf den Epilog ist das durchaus brauchbar. Es fehlt darin leider auch die weitere Entwicklung in den 90ern.

Ich würde mir wahrscheinlich gar nicht erst die Mühe machen, ein Buch zu veröffentlichen. Wenn man mal darüber nachdenkt: diese Lektüren sind doch höchstwahrscheinlich Ladenhüter. Allein schon die Preise für manche dieser Schinken. Und dann auch das Desinteresse in der aktuellen Szene. Das zeigt sich nicht nur in der Musik, die längst nur noch Beiwerk ist, sondern auch bezüglich der Literatur.

Es gab mal eine Seite, die nannte sich Gothic-Culture.de oder ähnlich. War ’ne deutschsprachige aus den End-90ern, die über die Gothic-Szene berichtete. Kein so spektakuläres Konstrukt, aber durchaus eine Grundlage. Bis vor wenigen Jahren existierte die noch. Eine vergleichbare Plattform sollte man vielleicht in Angriff nehmen, damit erreicht man viel mehr Menschen.

Death Disco
Death Disco (@guest_17264)
Vor 12 Jahre

Das Problem mit Büchern ist: Man kann eventuelle Fehler oder ungewollte Textpassagen nicht einfach nachträglich wegradieren. So bin ich auch zwei Jahre später nicht sonderlich darüber begeistert, dass man einen meiner alten Forenbeiträge gut sichtbar im Buch „Schillerndes Dunkel“ zitiert, obgleich ich dem Inhalt des dazugehörigen Kapitels uneingeschränkt zustimme.

Ich hatte ja schon etliche Jahre im Sinn, ein eigenes Online-Lexikon zu starten, das sich auch tatsächlich nur dem Gothic- und Dark-Wave-Bereich widmet und auch Bands erwähnt, die irgendwo im tiefsten Untergrund ein paar Tapes oder ’ne Single veröffentlicht hatten. Da gab es zahlreiche erwähnenswerte Gruppen, die mir eindeutig wichtiger erscheinen als zweiseitige Beiträge zu HIM, Nightwish und Rammstein. Diesen Schwerpunkt haben die einschlägigen Lexiken meiner Ansicht nach klar verfehlt. Die widmen sich allzu deutlich themenfremdem Zeugs.

Aber ich bin nicht sonderlich bewandert in Sachen Webdesign. Damit hatte ich mich einmal vor 10-15 Jahren beschäftigt. Aus Zeitgründen hatte ich das dann aufgegeben. Auf keinen Fall sollte es ein Wiki oder ein Blog sein, also keine vorgefertigten Layouts (für Ausklapp-Menüs bin ich auch nicht wirklich zu begeistern). Ich hänge da eher traditionellen Formen nach, mit Menü-Frames auf jeder Seite und den Hauptinhalt in der Mitte oder ähnlich. Die fand ich immer am besten. Leider sieht man die heute kaum noch. Viele Seiten sind inzwischen zugekleistert mit Flash und ähnlichem…alles nicht so meine Welt. Ein größeres Problem dürfte aber wahrscheinlich der Domainname sein. Die besten und einprägsamsten sind längst vergeben.

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