Interview: Kämpfer und Zöller und ihr Comic „Anektötchen und andere Zwischenfälle“

Als ich neulich meinen Briefkasten öffnete, war ich vom Brief aus dem Hause Art of Dark in Köln etwas überrascht. Hatte ich in meiner Konsumsucht wieder etwas bestellt, was ich nun völlig verdrängt hatte? Nachdem ich den Umschlag hastig aufriss, hielt ich den Comic „Immer wenn es dunkel wird – Zwischenfälle und andere Anektötchen“, nebst einem Anschreiben und kurzen Biografien der beiden Autoren Kämpfer und Zöller in meinen Händen. Was für eine freudige Überraschung! Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten und Parallelen verschlang ich das kleine Meisterwerk bei insgesamt 4 Sitzungen auf der heimischen Toilette. „Welch eine Wohltat!“ dachte ich, als ich die gesuchte Gemeinsamkeit entdeckte: Wir nehmen uns und die Szene nicht immer so ernst, wie unsere Leidenschaften gelegentlich suggerieren.

Demzufolge habe ich natürlich nicht an einer einzigen Stelle der 84 Seiten geschmunzelt, gelacht oder gekichert. Interessant fand ich die Geschichten dennoch, denn ihr hoher Wahrheitsgehalt erlaubt einen unverblümten Blick in das Szene-Leben der Protagonisten und versucht, durch den beiliegenden Humor den Geist für ein wenig Selbstkritik zu öffnen. Vielleicht war dann früher doch alles nicht so heroisch, wie es uns in unserer Erinnerung vorkommt. Natürlich gilt das nur für die gemeinen Leser, bei mir war alles genau so toll, ernsthaft und tiefgründig, wie es mir einrede! Genug Gründe, den Beiden ein paar Fragen zu ihrer Veröffentlichung  zu stellen und herauszufinden, was denn nun hinter dem plumpen Versuch, mich zum lachen bringen zu wollen, stecken könnte.

Spontis: Kämpfer, das ist ja nun schon dein dritter Comic aus der Reihe „Immer wenn es dunkel wird“. Warum hast du dir dieses mal Verstärkung in Form des erfolglosen Regisseurs 1 und Ex-Zwischenfall-Inventars Zöller dazu geholt?

Kämpfer: Die Idee kam uns, als wir wieder einmal durchgefeiert in meiner Küche saßen und uns über all die Dinge unterhielten, die uns so in all den Jahren widerfahren sind. Und da waren so bescheuerte Stories dabei, die nur das Leben schreibt. Zöller meinte dann, dass man sowas der Nachwelt nicht vorenthalten sollte und warum ich denn eigentlich keinen Comicband mehr gemacht hätte all die Jahre. Das überzeugte mich, denn tatsächlich saß ich nur noch noch völlig ausgelastet im ART OF DARK-Shop und musste arbeiten. Also schwang ich den Stift und schon war der neue Comicband nach fast einem Jahr fertig.

Spontis: In Eurem Anschreiben, das dem Comic beilag, behauptet ihr schamlos, in der Szene würde es „unglaublich viele lustige und humorvolle Menschen“ geben. Wie kommst Ihr eigentlich zu der haltlosen und völlig aus der Luft gegriffenen Annahme?

Kämpfer: Zöller und ich fristen ja nach wie vor unser Dasein in einem kalten Keller, wo wir uns gegenseitig mit Weltschmerz bewerfen. Dass die Düsterszene nur mit lustigen und humorvollen Menschen besetzt ist, konnten wir daher nur aus den unzähligen Berichten der Grufti-Klatsch-Presse entnehmen. Wie sieht es denn aus da draußen?

Zöller: Ich selber nehme mich da raus, da ich persönlich selten lache. Sollte ich versehentlich doch mal einen Scherz machen, versteht diesen jedoch nur der Kämpfer und andere Düstergestalten. An Supermarktkassen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn die Nachbarschaft samstags den Rasen mäht – der Normalbürger hat noch weniger Humor als ich oder andere depressive Bauhaus Fans. Von daher…

Kämpfer und Zöller
Kämpfer und Zöller sind bis an die Zähne bewaffnet, um rücksichtslos unsere Lachmuskeln anzugreifen.

Spontis: Ihr möchtet Jugend davor zu bewahren mit einem Handy in der Hand vom Auto überfahren zu werden und wünscht Euch, das die Jugendlichen lieber einen Comic – nämlich Euren – in der selbigen halten sollten.

Kämpfer: Das soll wohl heißen „Warum gibt es den Comic nicht als App?“ – Sollte dies die Frage gewesen sein, so kann ich nur antworten, dass ein Comicband besser in der Hand liegt und man diesen als lustiger und humorvoller Mensch in fröhlichen Farben ausmalen kann. Darum erschien der Comicband auch in tristem schwarz-weiß.

Spontis: Wo wir schon mal beim Thema Jugend sind: Was sind für Euch die größten Unterschiede zwischen der Szene, die ihr „erlebt“ habt und der Szene heute, die immer noch Jugendliche in ihren Bann zieht?

Kämpfer: Die größten Unterschiede, die ich persönlich in der Szene feststelle zu damals, sind, dass damals viele Musikrichtungen unter einem Dach liefen, sich aber leider, leider die Parties immer mehr irgendwelchen Schubladen widmen, womit auch immer weniger Leute insgesamt auf den Parties erscheinen. Damals war es meiner Meinung nach eine Ansammlung von Individuen, die einfach Bock hatten raus zu gehen, egal was dort an Szenemusik gespielt wurde. Okay, damals konnte man auch bevor man das 18. Lebensjahr erreicht hatte feiern gehen, und auch noch Rauchen… Ansonsten stört auch der kommerzielle Aspekt der Festivals und dass immer weniger Grufties auf Friedhöfen verstecken spielen, weil es heutzutage uncool sein soll… Was Jugendliche der Szene heute in den Bann zieht, kann ich nicht beantworten; außer ein paar guten Bands sehe ich nicht allzuviel Kreatives. Was ich aber toll finde ist, dass sich der Nachwuchs wieder vermehrt dem alten Style zuwendet (Haare toupieren, Pikes trägt, sich schminkt) und auch zu den „Oldies“ tanzt… Vielleicht weil die Welt um uns herum völlig öde und einheitlich geworden ist, wenn nicht sogar sehr spießig und seltsam. Vielleicht musste das so sein, damit ein paar wieder abdrehen und sich optisch und so weiter abgrenzen.

Zöller: Ich fasse mal beide Fragen (die mit dem Handy in der Hand halten – Anm. d. Red.) zusammen: Als ich letztes Jahr mal CDs während einer Party verkaufte, schrie mich ein dickes Mädchen an: „CDs???!!!! Pfff, wie altmodisch!!“ – Dann gab sie einige Titel der Auslegeware in ihr Handy ein und verschwand in Richtung Techno/EBM Floor. Ich brüllte ihr hinterher, dass sie ohne jene CDs heute wohl kaum tanzen gehen könnte, was sie jedoch mit einem nonchalanten „Tssssss“ abtat. – Naja, zu meiner noch viel aktiveren DJ Zeit standen mehr Leute vor dem Pult, um nach dem Titel des laufenden Songs zu fragen. Heute halten sie dir die Smartphone Playlisten entgegen. Wort- und Grußlos… Und außerdem: seinerzeit zog man mehr um die Häuser, war in alle Himmelsrichtungen in anderen Städten unterwegs; da war aber auch der Sprit billiger…

Spontis: Eure Rollen als Protagonisten im eigenen Comic schützen ja so richtig prima vor dem älter werden, nehme ich an. Ist die gelebte Albernheit in Form von Comics und den darin vorgetragenen Anekdötchen der Schutz vor dem eigenen „Erwachsen“ werden?

Kämpfer: Erwachsen ist man erst, wenn man feststellt, dass man schon monatelang pünktlich um 20 Uhr die Tagesschau guckt und dann feststellt, dass all die Jahre an einem vorbeigegangen sind, die nicht mehr zurück kommen und man außer arbeiten und schlafen und Fernseh schauen nichts mehr gemacht hat. Da wir aber weiterhin am (Nacht)leben teilnehmen und ständig von Leuten umgeben sind, die Spaß bereiten, und das sogar auch tagsüber (!), klappt das bei uns mit dem erwachsen werden wohl noch nicht so ganz. Und somit gibt es immer wieder neue erzählbare Anekdoten – und vielleicht auch nochmal einen Comicband. Dir wird aufgefallen sein, dass ich gelogen habe, als ich eben schrieb, dass Zöller und ich nur noch in einem kalten Keller vor uns hinvegetieren… Sorry dafür.

Zöller: Albern? Wer? Das sind doch sozialkritische Themen, die wir verfasst haben. Und das ist doch das Erwachsenwerden: Ich persönlich genieße nunmehr eine gewisse Ruhe und Stetigkeit im Alltag, zum Beispiel wenn die Freundin abends pünktlich kocht, während ich das Auto aussauge und die GEZ Überweisung vorbereite. Gibt es noch viele Fragen? Ich krieg langsam Rückenschmerzen.

Spontis: Wie wäre es eigentlich mal mit ernsthaften Gedanken zu Eurer „Szene-Karriere“ und einer textlichen Reflektion Eures Lebens? Oder fühlt ihr Euch zu jung für eine Autobiografie?

Kämpfer: Eine Autobiografie würde wahrscheinlich keiner schreiben, geschweige denn lesen wollen. Sowas macht man, glaub ich, wenn man Kanzler war oder Sportler oder Blutengel-Sänger. Einen Teil unseres Lebens aber kann man ja in den Comics nachlesen; denn dort ist ja nicht allzuviel geflunkert worden. Das ist zwar nur ein Bruchteil unseres Lebens, aber darum empfehle ich ja allen, immer fleißig alle Comics von mir zu kaufen, da meine Biografie, anders als bei anderen oben genannten, sozusagen in mehreren Teilen erscheint.

Zöller: Ich hatte mal Prof. Dr. Helmuth Karasek gebeten, als Ghostwriter meine Lebensgeschichte zu verfassen. Der wiederum gab die Aufgabe an Reich-Ranicki weiter, der daraufhin verstarb. Das verwirrte mich dergestalt, daß ich mir vornahm, einen psychologisch fundierten Thriller mit autobiographischen Zügen zu schreiben, als Mystery-Horror-Roman mit Lovestory und Fantasy Elementen, gespielt im Mittelalter. Erste Fragmente existieren, die ich gerne weiterführe, wenn in 4 Wochen meine Therapie zuende ist.”

Spontis: Die „Immer wenn es Dunkel wird…“ Reihe geht mittlerweile in die dritte Runde. Eine endlose Geschichte? Habt Ihr vor die Szene auch noch mit einem 4. Band zu nerven oder welche Pläne habt ihr für die Zukunft?

Kämpfer: Es wird zu Weihnachten eventuell einen Sammelband der Kurzcartoons geben, die ich seit den 80ern bis heute zeichne. Mal sehen ob wir dafür die nötigen Taler zusammengekratzt bekommen. Einen vierten Teil der „Immer wenn es dunkel wird“-Reihe wird es sicherlich auch geben. Wir haben da noch einige Kritzeleien mit Ideen und Anekdoten auf zig Blättern, die wir der dunklen Welt dort draußen nicht vorenthalten wollen.

Zöller: Also ich hab noch einigen Stoff für eine Fortsetzung. Jene wäre auch insofern ratsam, da ich dann keine Autobiographie schreiben muss. Stattdessen könnte ich mich meinem künftigen Projekt “Uli Hoeneß – die Machtergreifung” widmen. Schaun mer mal…

Mein Fazit

Es gibt wohl niemanden in der Szene, der sich in den „Anekdötchen und anderen Zwischenfällen“ nicht wiederfindet. Spätestens im Teil „Wie es wirklich war…“, in dem Kämpfer und Zöller die Hintergründe zu den einzelnen Geschichten offen legen, findet sich jeder in seiner Grufti-Karriere wieder. Entgegen meiner Eingangs erwähnten Humorlosigkeit habe ich sehr wohl gelacht und mich erwischt, wie ich auch in meiner Vergangenheit immer wieder bunte Momente voller Fröhlichkeit und Peinlichkeit entdecke. Es war eben nicht immer alles so cool, so düster und so unfassbar geil, wie man es sich einredet. So schaffen es Kämpfer und Zöller mit ihren humorvollen Geschichten das „damals“ zu zeigen, ohne sich in falscher Eitelkeit und Idealisierung zu verlieren.

Neben den ganzen Biografien, Szene-Sachbüchern und sonstigen Publikationen über die Szene wirkt dann der Comic doch wie ein erheiternder Lichtblick im dunklen Schwarz der eigenen Sammlung. Für rund 10€ ist das ganze dann auch noch ein Schnäppchen und motiviert, auch die beiden Vorgänger des Comics zu bestellen, auch wenn die noch ohne den Zöller als Anektötchen-Spender auskommen mussten.

 

Einzelnachweise

  1. Die beigefügte Biografie vom Zöller offenbart: „Mit den Ambitionen, ein berühmter Filmregisseur zu werden…“ Da dieser aber nun lieber als freier Ententrainer und Hobby-Bierbrauer tätig ist, kann man logischerweise nicht von Erfolg sprechen.[]
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Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 7 Jahre

Klingt cool, ich werd mir das gute Stück wohl zulegen :-)
Und zum Lachen geh ich dann nicht in den Keller, der ist nämlich voller altem Gerümpel ;-)

Ronny Rabe
Ronny Rabe (@guest_55967)
Vor 7 Jahre

Die Comics sind spitze ! Auch die anderen , musste dabei öfters schmunzeln und brauchte nee in den Keller dafür zu gehen.
Auch wenn ich nicht im Zwischenfall usw. war , gibt es parallelen von meinen Anfängen bzw. meinen damaligen Club besuchen.
und wie schon Charlie Chaplin sagte “ Jeder Tag ohne zu lachen , ist ein vergeudeter Tag „

Mone vom Rabenhorst
Vor 7 Jahre

Irgendwo im Rabenhorst fliegt der schon rum…… jetzt nur noch die Zeit zum Lesen suchen gehen…

Mone vom Rabenhorst
Vor 7 Jahre

Ich habe den Comic tatsächlich gestern ganz geschafft. Ich fand ihn prima. Jetzt will ich die anderen auch….. :-/

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