Durchgelesen: Grufties – Jugendkultur in Schwarz

Eine Sisyphusarbeit ist das akribische Analysieren des Gruftie- oder vielleicht besser verständlich Gothic-Stils in all seinen nach außen hin sichtbaren Merkmalen. Zu recht bemängeln Kritiker, das man sich einer Jugendkultur und insbesondere der Gothic-Szene nicht allein von dieser Seite aus näher kann um sie überhaupt als solche zu erfassen und in Ansätzen greifbar zu machen. Man bezweifelt sogar, das dies überhaupt möglich ist.

2000 machen sich Doris Schmidt und Heinz Janalik daran, die bis dahin bekannten Erscheinungs- und Ausdrucksformen der Grufties zu erfassen. Das sie dabei den wesentlichen Kern nicht erreichen ist ihnen bewusst: „Wer als Außenstehender Erkenntnisse über jugendkulturelle Szenen gewinnen will, um Verstehen und Verständnis als Grundlage für humane Koexistenz zu entwickeln, muss in einen vorbehaltlosen und vielseitigen Dialog mit den Repräsentanten der Szene treten, wohl wissend, dass ein Beobachter von außen die von den Jugendlichen gezogenen Grenzen anerkennen muss und deshalb in gewisser Weise immer außerhalb verbleiben wird.

Bevor im mir das Buch bei Amazon bestellt habe, kam ich nicht daran vorbei, die Kritiken der Leser zu studieren, die sich bis dahin dem Buch genähert haben. Die durchweg schlechten Kritiken ließen mindestens eine Sache erahnen, entweder wurden Erwartungen nicht erfüllt weil das Buch dafür nicht geeignet ist, oder die gestellten Erwartungen waren einfach falsch, wir werden sehen und erfahren warum Brillen die Masken der Grufties sind.

In erster Linie geht es in dem Buch um das äußere Erscheinungsbild der Grufties, deren Unterscheidung und Bedeutung einzelner Stilelemente. Die Szene als solche zu erfassen, zu beschreiben und zu analysieren strebt das Werk nicht an. Dafür wird jedoch fein säuberlich auseinandergelegt, was die Gruftieszene und die Untergruppierungen (Wave, Romantic, SM-Stil und Normal-Stil) ausmacht, woraus ihr Look besteht, welche Accessoires man verwendet, welche Frisuren man sich macht und wie das Make-Up getragen wird. Wenn man so möchte ist das Buch ein ultimativer „Wie muss ich mich anziehen um gruftig zu sein?“ Leitfaden, der nicht viel auslässt – wenn man sich am Erscheinungsjahr 2000 orientiert.

Die Eckwerte des Buches sind ernüchternd. Für rund 15€ (Amazon) erhält man ein 126 Seiten umfassendes Werk, das sich gespickt mit unzähligen Quellen und Bildern in schlechter Qualität einem Thema nähert, was eine starke emotionale Komponente besitzt, die in dem Buch als solche gar nicht zum tragen kommt. Es bleibt eine sachliche Aufzählung dessen, was 2000 das Gruftie Dasein ausmachte, das mitunter in übertriebene Detailverliebtheit ausartet. Ich möchte als stellvertretendes Beispiel für den Stil des Buches, seinen Informationsgehalt und die stellenweise Absurdität ein Kapitel über die Sonnenbrillen zitieren:

10.3 Brillen – Etliche Grufties beiderlei Geschlechts schmücken wie ihre Vorläufergruppe der New Waver ihr Gesicht mit dunklen Brillen. Solche Brillen mit dunklen Gläsern dienen üblicherweise als Sonnenbrille dem Schutz vor UV-Strahlen und werden seit den 50er Jahren als modisches Accessoire mit vielfarbigen Fassungen getragen. Neben ihrer Schutzfunktion haben Brillen mit dunklen Gläsern zuweilen auch die Funktion, den Träger oder die Trägerin vor den Blicken anderer zu schützen […].

Solcherart verwendete Brillen sind letztlich Masken, die den Träger oder die Trägerin unkenntlich machen und manchmal auch Distanz schaffen sollen. Sie verweisen damit auf die Masken im 16. und 17. Jahrhundert. Damals wurden von der Stirn bis zur Nase reichende Halbmasken aus schwarzem Samt oder aus Seide getragen. Sie hatten ursprünglich ebenfalls eine Schutzfunktion, nämlich den Teint gegen die Witterung zu schützen. Im 17. Jahrhundert bekam diese Halbmaske, die sog. Chanez eine andere Funktion. Sie wurden von beiden Geschlechtern benutzt, um unerkannt zu bleiben. Diese Absicht, Identität zu verbergen oder eine andere Identität zu verkörpern und für diese Aufmerksamkeit zu erregen, steht hinter den Glanzmasken der griechischen Schauspieler in der Antike und kann noch heute beim Karneval in Venedig identifiziert werden.

Auch Grufties eröffnen sich mit ihren dunklen Brillen die Möglichkeit, einerseits in auffälliger Weise unerkannt zu bleiben. Andererseits provozieren sie mit diesem Accessoire die Neugier des Betrachters und wecken dessen Interesse am Träger.

Faszinierend. Zwischen dem Gefühl aus Oberflächlichkeit, Geschichte und Absurdität steckt ein Funke von dem wofür sich dieses Buch letztendlich dann doch eignet. Für Hintergrundwissen über den eigenen Stil und das konsequente Verfolgen geschichtlicher Ansätze – von der Einrichtung der schwarzen Wohnung, die Unterscheidung grundsätzlicher Äußerlichkeiten bis hin zu Sonnenbrillen. Wer wissen will, warum Grufties spitze Schuhe tragen ist hier richtig, wer wissen will was hinter der Szene steckt, was Menschen dazu bewegt und warum es für manche über einen einfachen Kleidungsstil hinausgeht, ist hier falsch aufgehoben. Kauftipp? Fehlanzeige.

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