Kurzgeschichte: Gruftibeben – Drei Hail Satan’s für die Jesus Freaks! (Teil 2/2)

Spontis präsentiert den zweiten Teil von “Gruftibeben”, eine Kurzgeschichte in zwei Teilen von Ulf Torreck mit Zeichnungen von Morticia Van Bat. Da dies der zweite Teil ist rate ich dringend: Lest unbedingt den ersten Teil!

5 – Die Yogis haben mir den Schwanz verbeult

WTF?

Die Yogis benutzten mich als Fußballersatz.

Ich flog hoch, schlug einen Looping und wurde vom nächsten Fuß getroffen und erneut in eine gefährliche Umlaufbahn befördert.

Ping – Patsch – Ping – Patsch- flog ich durchs Studio.

Das blöde Lederflügelviech dirigierte mit einer ihrer langen Krallen die Wurfübungen, die die Yogis mit mir veranstalteten. Wie alle magischen Wesen konnten auch sie sich telepathisch verständigen. Obwohl ich es vorgezogen hätte sie zu erwürgen, öffnete ich mich ihrer Anfrage, während ich wie ein Volleyball durchs Studio zischte.

„Einen wundervollen Tag, sehr geehrter Troll. Dein Kopffellbüschel sieht lustig aus wenn es so im Flug hin und her weht!“

„Halt die Fresse!“, dachte ich zurück. „Ich krieeegeeeeee …“ – weiter kam ich nicht, weil mich schon wieder einer der Yogis auf eine kurze Flugreise schickte.

„Mein Name ist übrigens Annika!“, dachte mich meine Beute an.

Scheiße, na klar. Annika – ein Name so langweilig wie die Pornosammlung eines grundentspannten Gutmenschen. Widerlich.

Von wegen Yogis seien harmlos! Unter ihrer friedlichen Schale waren die wahrscheinlich die frustriertesten Menschen überhaupt. Die hatten bereits alles andere an Newage-Schwachsinn ausprobiert und festgestellt, dass sie trotzdem nicht mit sich zurechtkamen.

PATSCH! – ich krachte kurz unter Annikas Kopf gegen die Wand. Sterne. Und alle so bunt.

„Finde ich zwar amüsant, dich fliegen zu sehen, Troll. Aber dafür hat es sich nicht gelohnt aus meiner feuchten Zelle auszubrechen. Die gefällt mir nämlich zufällig gut. Ich brauche deine Hilfe“, dachte mich Annika an.

Na das war ja noch schöner! Dieses unverschämte Lederflügelvieh wollte meine Hilfe? Wo lebten wir denn?!

„Was willst du?“, dachte ich zurück.

„Die Gruftis retten!“, entgegnete Annika.

„Hä? Ausgerechnet diese schwarzen Amateurhippies? Niemals!“, dachte ich zurück, während ich von einer Yogifaust erneut gegen eine Lampe gestoßen wurde, von der ich abprallte.

„Das wirst du sehr wohl! Denn eine Gruppe von Christenmissionaren plant die Gruftis zu Jesusfreaks umzupolen. Dass deinereiner die Gothics nicht leiden mag ist ein Missverständnis. Die sind schließlich Romantiker. Und Romantiker wissen von Anfang an über das dicke Ende sowohl der Wurst wie des Lebens bescheid. Deshalb sind sie ja Romantiker geworden. Die sind eine von Hetztrollen völlig unterschätzte potenzielle Zielgruppe. Ich kann dir zwar die Hämesuppe versalzen, indem ich die Gruftis für ein paar Tage glücklich mache. Doch die Missionare werden sie dauerhaft zu nussschalenharten Jesusfans umpolen. Denk mal darüber nach, was das für Konsequenzen hätte! Außerdem wäre es höflich mir deinen Namen mitzuteilen. Wo ich dir nun schon mal meinen anvertraut habe!“, dachte Annika mich an.

Klar, alle Besserwisserinnen hießen Annika. Eigentlich hätte es mich aufregen sollen wie bescheuert geziert sie herumdachte. Aber das ging nicht ganz so gut,  während ich noch schneller durchs Studio flog, weil die Yogis ihre Vorliebe für Kopfball entdeckt hatten. Ich klatschte permanent entweder gegen eine Stirn oder eine Wand.  Das ging so schnell, dass ich nie dazu kam sie zu behexen um diesen Trollmissbrauch zu beenden.

Annika wollte daran vorerst auch nichts ändern und schwang ihre Dirigentenkralle nur umso schneller.

Doch nach ein paar mehr Runden durchs Studio hatte ich den Plan der Missionare schließlich durchdacht und sah ein, dass die Lage potenziell wirklich ernst sein könnte. Von wegen gehet hin und sündigt nicht, dachte ich sauer, der Obermissionar vorhin im Taxiradio war nicht halb so belämmert wie er tat!

Trotzdem zweifelte ich noch an Annikas Story. Denn ich hatte trotz Bemühung meiner natürlichen und übernatürlichen Sinnesorgane keine weiteren magisches Wesen in Leipzig erspürt. Und wie anders als durch Magie wollten die Missionare die Gruftis umzupolen?

„Sie haben einen Weg gefunden eine Droge in die Bier- und Metversorgung auf dem Festivalgelände einzuschmuggeln. Die Droge stimuliert das Glaubenszentrum im Hirn. Jeder Schluck ein neuer Religiositätsschub“, dachte Annika mich an.

Es machte mich zwar unerhört sauer, dass sie in meine Denkprozesse eindrang.  Doch ihre Antwort klang glaubwürdig. Die Missionaren waren tatsächlich gefährlich und sie hatten einen wirklich teuflisch genialen Plan ausgeheckt.

Ich sah schon, wie sich zehntausende Schwarzgekleideter mit debilem Grinsen vor den Kirchen versammelten und im Sprechchor „Wir wollen rein! Jesus ist auch mein!“ intonierten, während all die Bands, ihr Equipment im Stich ließen, sich den Fans vor den Kirchen anschlossen um da Choräle in einer je nach Gusto entweder Punk, Elektro, Folk oder Dark-Wave-Variation anzustimmen. Zeitgleich würde der Landeskirchenvorstand eilig eine Pressekonferenz einberufen und mit Hinweis auf all diese Spontanbekehrungen ein Wunder erklären, wobei wahrscheinlich absehbar gewesen wäre, dass die christliche Konkurrenz sich zu Gegenmitteilungen hinreißen ließe, in denen man betonte, dass es sich nicht nur um ein evangelisches Wunder handelte, sondern auch Beweise für die Mitwirkung katholischer Heiliger existierten, die im Vatikan von Experten untersucht wurden. Ein Schreckensbild als ich mir vorstellte, wie tausende Gruftis, Punks, Heiden, Mittelalter-Folkler und LARPer sich Zugang zum Stadion verschafften und dort einen Gottesdienst zelebrierten, der von der inzwischen herbeigeeilten Weltpresse übertragen wurde, so weitere Millionen von sonst granteligen Menschen erreichte, die aufgrund jener wundersamen Bekehrung ebenfalls in die Kirchen strömten um sich zu Jesus zu bekennen und von ihren Sünden freisprechen zu lassen.

Soweit ich es sah waren die einzigen Nichtchristen, die mit dem Coup etwas zu gewinnen hatten, die Tätowierer, die beauftragt werden würden all die Triskelen, Tribal, Band – und „Ich liebe meine Katze!“- Tattoos mit Kruzifixen oder Jesusfaces zu überstechen.  Und sobald der Stein der wundersamen Bekehrungen erst mal ins Rollen kam, würde er nicht aufzuhalten sein.  Dann kam es kurzfristig zwar zu grundsätzlich begrüßenswerten Konflikten mit den übrigen Religionen, in dem sich die Christen jedoch sicher durchsetzten. Woraufhin sie diesmal zweifellos ernst mit ihrer besessenen Schnüffelei nach Hexen, Drachen und magischen Wesen machten. Anders als beim letzten Mal bestand die Gefahr, dass sie uns diesmal aufspürten. Und wer weiß was uns allen dann blühen mochte. Folterkammern? Massenhinrichtungen? Zwangsbekehrungen?

Verdammte Hacke, dachte ich erschrocken.

„Wie steht  es nun, mein lieber Freund, magst du mich unterstützen?“, dachte Annika mich an.

„Was hast du davoooooon…“, konnte ich gerade noch zurückdenken, bevor ich mal wieder bunte Sterne sah, weil einer der Yogis aus dem Takt gekommen war und mich aufs Parkett knallen ließ.

„Ihr Trolle sperrt mich doch bloß in meine feuchte Zelle in der Kummerlundsgatan.  Die Christen würden mich jedoch sezieren oder verbrennen, sobald sie der Existenz magischer Wesen erfahren. Ich kann mir übrigens nicht vorstellen, dass sie mit Trollen größere Rücksicht üben werden“, dachte sie zurück. „Willst du etwa als Bettvorleger enden?“

Ich brachte mich hinter einem Medizinball vorläufig in Sicherheit vor den Yogis und kratzte mich am Kopffellbüschel. Es gab wohl keine andere Möglichkeit als mich mit Annika zusammenzutun. Zwar hatte ich die Hexenverbrennungen geliebt. Aber, dass ich selbst als Brennmaterial enden könnte, fand ich höchst unangemessen.  „Gut“, dachte ich missmutig zurück, „Retten wir eben die Welt! Wie stellst du dir das genau vor?“

Annika dachte zurück und erklärte es mir dabei.

Es war kein ganz schlechter Plan. Das musste man zugeben.

„Wenn du den scheiß Yogis nicht sofort befiehlst ihren Wettbewerb im Trollkicken zu lassen, kann ich für nichts garantiereeeeeeee….“, dachte ich sie noch an, als ich auch schon von einer Frau mit verkniffenem Mund und einem „Love the Planet!“-Shirt an meinen Stummelschwanz hinter dem Ball hervorgezogen wurde und erneut einen Looping drehte.

Ich schwor mir, mich eines Tages furchtbar zu rächen.

PLATSCH – ich landete auf dem Parkett. Die Yogis stellten sich in einem Kreis auf und begannen gruppengrinsend „Om Mani Padme Hum!“ zu murmeln.

Ich hatte mir den Schwanz verbeult. Mir tat der Arsch weh.

6 – „Hail Satan! Liebt Bäume statt Autos!“

Die Missionare planten vom nächsten Morgen an sämtliche um den Festivalzeltplatz und auf dem Agra-Gelände erhältlichen alkoholische Getränke mit ihrer Droge zu versetzen. Das sollten heimlich eingeschleuste Komplizen erledigen. Mit steigender Sonne stieg zwangsläufig der Durst der Gruftis. Immer mehr von ihnen gaben sich die Bier- bzw. Metkante. Gegen 16 Uhr dann, bevor die Konzerte in den Agra-Hallen losknallten, sollte die große Missionarsdemo der Missionare am Festivalgelände vorüber ziehen und den Choral „Kyrie Eleison“ anstimmen, der den mittlerweile drogenbedingt religiös aufgeputschten Gruftis den Rest geben und sie endgültig zu Jesusfreaks umpolen sollte.

Annika und ich würden dem mithilfe unserer jeweiligen magischen Hexenkraft nach allen Kräften entgegenwirken und so die Bekehrung vereiteln.

Jedenfalls war das der Plan.

Er ging gründlich in die Hose.

Wir waren vorfristig in Stellung gegangen um das Festivalgelände schon einmal durch unsere Gegenmagie vorzuimprägnieren.  Einer Massenhysterie entgegenzuwirken ist anstrengende Arbeit und verlangt Konzentration. Man hat dabei nicht wirklich einen Blick für die Umgebung.

Bei unserer Ankunft waren die Anzeichen religiöser Hysterie zwar nicht gerade überwältigend, aber sichtbar. Hier und da lag ein Betrunkener mit gefalteten Händen herum und ich hatte mehrere Frauen gesehen, die spontan jeden Typen anhimmelten, der Jesus ähnelte.

Na, dachte ich, da müssen die Missionare nachher aber schon noch ne große Schippe an  Sangesleistung drauflegen um ihr Wunder voll erblühen zu lassen.

Trotzdem – die Droge wirkte.

Annika flatterte irgendwo über der Agra herum, während ich die ersten Songs der Demo hörte und meine Anstrengung verstärkte.

Die Gruftis hörten die Demo auch. Eine gewisse Unruhe machte sich unter ihnen breit. Immer mehr liefen zum Zaun und der Straße. Die ersten Reihen der Demonstranten waren vorm Festivaleingang angekommen. Bei Demos ist es wie im Krieg – Die Vorhut erwischt’s immer zuerst.

Die Demonstranten wechselte den Song. Deutlich waren die ersten Klänge von „Kyrie Eleison“ zu hören.

Jetzt galt es.

Das Wunder trat ein.

Nur völlig anders als erwartet.

Einer der Gruftis – bereits leicht belämmert von der Droge – warf die Arme hoch und brüllte aus vollem Halse: „Hail Satan! Liebt Bäume statt Autos!“

Die Missionarsfraktion drehte ihre Sangesleistung auf volle Laustärke. Ein Heide überrannte die Sicherheitsabsperrungen und rief: „Met ist geiler als Mate!“

Das versetzte den Demonstranten einen Dämpfer. Doch sie fingen sich und kehrten noch einmal alles an Inbrunst und Eifer hervor.

Eine Frau in Mittelaltertracht warf Haube und Bluse ab. Sie brüllte: „Fuck Knorkator! Ich will Joy Division!“

Die Hölle brach los.

Überall riefen, brüllten, sangen und zuweilen tanzten die Festivalteilnehmer sich gegenseitig ihre geheimsten musikalischen, sexuellen, literarischen und kulinarischen Vorlieben vor. Eine Gang bedröhnter Metler und Punks bemächtigten sich der Bandinstrumente aus dem Offstage und setzten zwei Openairbattlekonzerte auf, die so laut und furchtbar waren, dass sie Nasen zum bluten brachten.

Die Bibel und Gott waren aus dem Spiel.

Dies war das prächtigste Chaos, das ich je zu sehen bekam.

Die Chefmissionare bliesen zum Rückzug. Doch inzwischen waren bereits zu viele bis zur Hirnexplosion aufgepushte Gruftis zur Straße geströmt und hatten die Demonstranten umzingelt. Ich sah die belämmerten Blicke der Demonstranten angesichts von bloßen Mädchenbrüsten, verwucherten Heidengesichtern und kurz gewandeten, sehnigen Punkern. Ein ziemlich kräftiger Folkfan erhob seine Stimme und brüllte: „We shall overcome!“, dann sangen ein paar Punker die Ärzte-Hymne: „Junge!“

Na, wer hier heute bekehrt wurde, dachte ich, waren eher keine Gruftis.

Zwar kam es im Verlauf dieses Abends und der Nacht vereinzelt zu Fällen von Spontanbeichten und die Backroundsängerinnen der lesbischen BDSM-Frauenband Sappho Bondage verschafften sich Zutritt zur Nikolaikirche, wo sie flach am Boden liegend die Nacht mit inbrünstigen Gebeten verbrachten. Allerdings bestand die Bandleaderin Lara-Marie Prügel-Pfeffer später darauf, dass dies eine von ihr angeordnete Bestrafung der Sängerinnen für ihre angeblich halbherzige Unterstützung beim letzten Konzert gewesen sei.

Grufibeben - Troll mit Helfer - Tatjana Rapp

7 – Gruftis, die unterschätzte Zielgruppe

Annika flog freiwillig in ihre feuchte Zelle in der Kummerlundsgatan zurück. Ich verwirrte vor der Abreise noch einige DJs mit Hämezauber und der Chefmissionar suchte sich eine Eremitenstelle am Nordhang des Himalaya, wo er beabsichtigt, den dort seit Jahrzehnten bei trocknem Reis und Quellwasser darbenden Sadhus zu zeigen, was eine christliche Fastenharke sei.

Ab und zu bekomme ich telepathische Gedankengrüße von Annika. Die ich jedoch abwehre.

Blöde Besserwisserin.

Gruftis kann ich zwar immer noch nicht leiden. Aber seit der Battle mit den Fundichristen sehe ich ein, dass sie eine bisher unterschätzte Zielgruppe sind. Heimdahlsdottir, der Oldtimer, versprach neulich mich mit schwarzen und grauen Ratten zu versorgen, die ich dann ja mit Messages wie „Sisters of Mercy sind besser als Joy Division“, „The Cure war immer schon scheiße“ oder „Heiden stinken beim Sex!“ bestücken und zum nächsten WGT auf die Festivalmassen loslassen könnte…

FIN

Der Autor dieser Kurzgeschichte ist Ulf Torreck, der sich auch David Gray nennt, wurde 1973 in Leipzig geboren und hat ein Jura-Studium erfolgreich abgebrochen und wurde anschließend Drehbuchautor, Script Doctor und Filmkritiker. David Gray veröffentlichte bisher 7 Bücher, unter seinem bürgerlichen Namen hat er mit „Vor der Finsternis“ und „Fest der Finsternis“ zwei historische Roman um den Marquis de Sade beim Münchener Heyne Verlag veröffentlicht. Im November 2019 erscheint sein neuer Roman „Zeit der Mörder„.

Über Zeichnerin Morticia Van Bat ist Spontis im Internet gestolpert, als ein soziales Netzwerk wieder einige Bilder in seinen Nachrichtenstrom gesendet hat. Mich hat der präzise Manga-Stil sehr gut gefallen und ich fand die Idee spannend, sie darum zu bitten, die Geschichte von Ulf Torreck mit einigen ihrer Bilder zu krönen. Hat geklappt. Ich bin überglücklich.

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