Spontis präsentiert „Gruftibeben“, eine Kurzgeschichte in zwei Teilen von Ulf Torreck mit Zeichnungen von Morticia Van Bat.
1 – Hauptgeschäft des Trolls: Häme und Unfrieden säen
Ich bin dreizehn Komma sechs Zentimeter groß, meine Haut ist dunkelgrauschwarz und meine Augen sind gelb. Ich bin ein Troll. Wir sind die einzig wirklich wahren Meckerer, Streithähne, Hasskünstler und Grummelfürsten. Ich zähle als Dunkeltroll sogar zur Grantlerelite.
Meine Höhle liegt in einem unentdeckten Gewölbe unter dem Naumburger Dom. Das Fell auf dem Kopf juckt zwar manchmal, aber sonst – Danke der Nachfrage, kann ich gerade nicht laut genug klagen. Ich bin mit meinen siebenhundert und ein paar Jahren noch ganz gut beieinander.
Auch Trolle müssen von etwas leben und deshalb verdinge ich mich als Intensivberater für magische Phänomene. Das läuft über mein Faxgerät. Hast du ein Problem mit Magie, Voodoopuppen mit Funktionsstörung oder ganz einfach den falschen Liebestrank zusammengerührt, bin ich dein Troll. Dass heißt, falls du meine Faxnummer herausfindest und dir mein Honorar leisten kannst. Aber eigentlich ist meine Dienstleistung nur Tarnung. Denn das Hauptgeschäft von Trollen ist Häme und Unfrieden zu säen.
Das nur, damit ihr mir glaubt, was ich jetzt berichte…
2 – Gruftibeben: Die Flucht der Tollmusfledermaus
An jenem Tag fiel mir – ganz buchstäblich – die Decke auf den Kopf. Das hatte nichts damit zu tun, dass es Zeit gewesen wäre mal wieder meine Butze zu verlassen. Sondern lag an dem miesen Mörtel, den sie vor tausend Jahren für den Dom benutzt hatten. Pfusch am Bau – ein zeitloses Problem.
Während ich mir den Kalkstaub von der Platte putzte, kündigte ein Ping ein Fax an.
Heimdahldottir ist ein Hellhetztroll, ziemlich old school und betreibt sein Business über Briefe, die er von verhexten Tauben an Fremden zukommen lässt. Deren Name und Anschrift er willkürlich aus alten Telefonbüchern auswählt. Seine Klassiker sind: „Oma ist gestern verstorben. Ich bin ihr Alleinerbe. Den Schrank, den du immer schon haben wolltest, hat heute bei ebay einen Spitzenpreis erzielt“ oder „Fand unseren Sex neulich im Hotel geil. Wann wiederholen wir das?“
Logisch, das erzeugte immer Stress beim Empfänger.
Früher war Heimdahldottir mal eine Spitzenkraft im Hämegewerbe. Inzwischen war er alt und tattrig. Wenn der Oldtimer auf topmoderne Kommunikationsmethoden wie Fax zurückgriff, dräute eine Katastrophe. Ich rechnete mit einer Missernte bei isländischen Schlafmoos oder finnischen Knorpelknöllennüssen.
Es war viel schlimmer. Denn in Kummerlundsgatan, dem Knast für magische Wesen, sei eine Tollmusfledermaus entkommen und auf dem Weg nach Leipzig.
Hm, dachte ich skeptisch, ich hatte ja Kalk auf dem Schreibtisch. Aber dem Oldtimer musste er allmählich zwischen den Synapsen gerieselt sein. Der alte Sack knirschte bestimmt seit zweihundert Jahren beim denken.
Kaum hatte ich seine Nachricht entziffert, brach die Hölle los. Jeder Hetztroll von Kuala Lumpur bis zum Nordkap teilte mir mit, dass die Tollmusfledermaus geflohen sei. Und alle erwarteten, dass ich das Vieh wieder einfinge.
Toll, jede Menge Arbeit, aber kein Honorar.
Ich suchte meine Siebensachen zusammen. Plötzlich fiel mir ein, weshalb die Tollmusfledermaus gerade jetzt ausgebrochen war und wieso sie dann ausgerechnet nach Leipzig flatterte.
Es war Pfingsten. Und zu Pfingsten erlebte die Stadt eine Invasion der schrecklichsten nur vorstellbaren Art Mensch überhaupt – Gruftis.
Woodstock und die Hippies waren für unsereiner schon schlimm gewesen. Love, Peace, Happiness – zum Knochenkotzen! Wie erleichtert waren wir gewesen, sobald sich herausstellte, dass die Hippies mit ihrer Blumenrevolution letztlich als Börsenmakler, Rohrmuffeneinfetter, Selbsthilfegurus oder Grasdealer endeten. Nach den Hippies kamen die Disco-Freaks. Das waren Leute, mit denen Hetztrolle arbeiten konnten. Die waren so voller Gier, da sind Zorn und Neid niemals weit. Nach ihnen kam Punk. Die reine verschwitzte männliche Wut. Das war mal ein Triumph unserer harten Arbeit. Der Troll, der auf den Punkslogan „No Future“ kam, wurde zum Helden.
Doch mit den Punks tauchte etwas anderes aus dem unvorhersehbaren Wirbeln der Popkultur auf. Ein Szenemonster, so furchtbar, dass es mir sämtliche vierundachtzig Kopfbüschelhaare zu Berge stehen ließ: Dark Wave, Gothic – Grufti. Welch schreckliche Niederlage für uns! Schwarz, friedlich, tolerant und zum großen Teil in Magie bewandert sind Gruftis für uns das Worst Case Scenario an Popkultur.
Genau jetzt waren diese Harmoniebüttel zu Zehntausenden über Leipzig hergefallen. Nachvollziehbar, dass dies die Tollmusfledermaus anzog wie Wespen von Sahnetorten.
Ich musste sie stoppen. Dazu waren einzig Dunkeltrolle fähig. Wie das genau läuft kann ich hier nicht offen legen. Jeder hat so seine Betriebsgeheimnisse.
Dunkeltrolle reisen per Luftpost. Wir hängen uns an die Füße von Vögeln und flüstern ihnen zu, wo sie uns hinzufliegen haben. Ich beschwor also den nächsten Reiher herbei, schlang meinen Mausfellmantel enger um mich, krallte mich an seinen dürren Beinen fest und —- ab dafür!
3 – Gruftibeben: Die Stimmung in Leipzig war ekelhaft fröhlich
Der Reiher lieferte mich zwischen Oper und Bahnhof ab. Ich schaute mich um und sperrte die Ohren auf.
„Mehr als 200 Künstler und Bands verwandeln zu Pfingsten Kleinparis wieder mit ihrer Musik, Bildern, Kostümen und Texten in einen friedlichen Karneval der dunkelromantischen Träume“, hörte ich einen Moderator aus dem Autoradio eines parkenden Taxis.
Puh! Karneval? Mir wäre ne schöne altmodische Stadtplünderung lieber.
Am Hauptbahnhof machte ein Tourist, aufgedunsen und Mitte fünfzig, seine Handykamera scharf und schoss Bilder von zwei in enges Latex gewickelten Mädchen. Eines der Mädchen wandte sich zu ihrer Freundin um, sobald sie ihn bemerkte. „Gib dem mal den Finger, der schießt uns gerade für Wichsvorlagen.“
„Nö! Wir sehen eh besser aus als Porno.“
Hörte ich richtig?! War da nicht gerade ein gewisser Anflug von Aggression bei dem ersten der Latextussis herauszuhören? Vielleicht war ja noch nicht alles verloren.
Früher in den guten alten Zeiten als die Christen noch so richtig schön verbissen waren, ganz freiwillig Zwietracht säten und die Welt entweder mit Glaubenskriegen oder Massenhysterien beglückten, hätte man die zwei als Hexen verbrannt. Da kamen liebgewordene Erinnerungen auf. Wie man sich damals doch an solchen Hexenfeuern wärmen konnte! Bloß der Gestank war gewöhnungsbedürftig. Unsereiner hatte es nicht so mit Braten. Unsereiner mochte Knorpelknöllennüsse.
Eine schwarzgewandete Ledernonne trug ihr Kind über die Straße und schaute triefend fröhlich in die Welt. Immerhin war in die Wickeltüchern „Mummy’s little Monster“ eingestickt. Wer so früh geprägt wird, kann nur Spießer werden, dachte ich hoffnungsvoll.
Ein Typ mit Vollbart und Blümchenhemd eilte mit seinem Handy vorm Mund vorüber und rief: „Die Prolldichte hier ist nicht auszuhalten! Ich fahre ins Unstruttal und interpretiere für Suhrkamp den Hölderlin!“ Keine Ahnung wer dieser Hölderlin war. Aber den Fluchtimpuls des Mannes fand ich sympathisch.
Im Taxiradio erklang eine Choralmelodie. Der Moderator fragte einen Typen, weshalb er sich Leipzig als Veranstaltungsort für eine Konferenz der weltbesten Missionare ausgesucht hätte. Ich spitze die Ohren. Der Jesusfan antwortete, dass er nicht wisse, wovon der Moderator redete.
Hoppla, angesichts des größten Heiden- und Satanistenfestivals der Welt, das hier gerade stattfand, nahm ich dem Jesusfan seine Naivität nicht ab. Er beendete das Interview mit dem Aufruf an alle Zuhörer von ihren Sünden abzulassen, den Drogen zu entsagen und zu guter letzt gefälligst mal wieder einen Blick in die Bibel zu werfen. Zuvor wies er noch auf eine große Missionarsdemo vor dem Agra-Gelände hin.
Ich erwartete zwar nicht, dass man jetzt die Bibeldruckerpressen schneller laufen lassen musste. Doch standen morgen wohl nette Konflikte zu erwarten.
Trotz dieser grundsätzlich ermutigenden Zeichen war die vorherrschende Stimmung in der Stadt ekelhaft fröhlich. Ich fürchtete, die Tollmusfledermaus hätte ihren Zauber bereits gewirkt. Denn genau das war es, womit sich diese Viecher ihre Zeit vertrieben: Sie verbreiteten überall unerträgliche Harmonie. Führende magische Experten vermuteten sie täten es mithilfe von Pheromonen, die sie versprühten. Andere meinten, dass sie einen Hochfrequenzton von sich gaben, der diese Wirkung hatte. Traf ein solch widerwärtiges Tollmusflügelvieh jedoch auf eine Ansammlung von friedlich und Harmoniesüchtig vorgeprägten Dusseln wie den Gruftis, ergab das den Über-GAU, für jeden Häme verbreitenden Dunkeltroll. Schlimmer als Tschernobyl.
Eine Horde Heiden mit Fellröcken und schwarz angemalten Hälsen umringte mich. Sie kamen gerade aus einem Viertel namens Lindenau und schauten misstrauisch auf mich herunter. Dabei stellten sie Vermutungen darüber an, was ich sein mochte. Schließlich einigten sie sich darauf, dass ich ein Roboter sei, den ein gewisser Google oder ein Apple konstruiert hätte. Bescheuert, dachte ich, als ob Äpfel Roboter bauen könnten!
Ich biss zwei von ihnen in die Waden und machte mich vom Acker. Ziel meines Abgangs war Lindenau. Dorthin, wo die Heiden sich ihren penetrant frischen Gestank nach Tollmusfledermaus eingefangen haben mussten.
Großstadtvögel sind schwerer zu behexen als die Landeierproduzenten. Daher sparte ich mir den Versuch an eine Mitfluggelegenheit zu kommen und schlüpfte unter den langen Ledermantel eines Steampunkers.
So getarnt hoppelte ich unter ihm zur Straßenbahn.
4 – Gruftibeben: Yogis waren Waschlappen. Ich war ein Dunkeltroll.
Lindenau gefiel mir. Nicht nur weil mir der Tollmusfledermausgestank bestätigte, dass ich auf der richtigen Fährte war. Sondern ich auch eine Menge verbissener Erfolgsmenschenvisagen sah, ab und zu herzerwärmend aufgelockert durch das einige verhärmte Berufssäufergesichter.
Meine Gegend.
Ich schlussfolgerte, dass meine Beute sich über dem Stadtzentrum abgearbeitet, aber inzwischen hierher zum schlafen zurückgezogen habe. Anders wären all die verbitterten Leute hier nicht zu erklären gewesen. Eine wache Tollmusfledermaus hätte die schließlich längst in lächelnde Teilzeithippies verwandelt.
Während ich der Duftspur meiner Beute nachhechelte, landete ich bei einem hell getünchten Eckhaus, in dem sich ein Trödelladen befand. Ein unglaublich fetter Mann fuhr mit seinem Elektroroller vor dem Haus auf die Straßenmitte, stemmte sich dort ächzend von dem Plastiksitz hoch, hob dann sein Elefantenbein und drehte sich auf dem Sitz, so dass er seinen Pisshahn aus der Jogginghose Marke Weißwurstzelt ziehen konnte um mitten auf die Straße zu pinkeln.
Ich dachte, hier biste richtig. Bei dem haste leichtes Spiel.
Also machte ich mich hüstelnd bemerkbar. Nach einem Schockmoment darüber, dass ein Wesen mit Stummelschwanz und Fellbüschel auf der grauen Glatze seiner Sprache mächtig war, antwortete der fette Mann. Ich fragte ihn, ob ihm kürzlich eine merkwürdige Stimmungsschwankung unter den Eingeborenen aufgefallen sei.
Er fragte, ob ich ein Google oder ein Apple sei. Ich antwortete, dass er meine Frage noch nicht beantwortet hätte, woraufhin er erklärte, er hätte vor einiger Zeit einen Yogalehrer dabei beobachtet, wie er statt Grünem Tee einen Kasten Bier gekauft habe. Außerdem sei ihm aufgefallen, dass seither aus dem Studio des Yogis keine Mantras mehr zu hören seien.
Ha, das war es! Dorthin hatte sich meine Beute verkrümelt um Kraft zu sammeln für ihren nächsten Angriff auf die natürliche Wutbasis der einheimischen Bevölkerung und ihrer Festivalgäste.
Der fette Mann schaute zu wie seine Pisse allmählich verdampfte.
Ich ging in Richtung des Yogastudios los und erstickte förmlich im Gestank nach Fledermaus je näher ich meinem Ziel kam.
Die Tür stand offen.
Ich würgte ein paar Mal und musste mich nun wirklich zusammenreißen nicht feuerrot anzulaufen. Das geschieht uns Dunkeltrollen hin und wieder, falls wir vor Zorn überkochen. Einige von uns wurden in diesem Zustand schon totgeschlagen, weil man sie für laufende Feuerbälle hielt und mit allem, was man hatte, auf sie eindrosch.
Ich konnte die Rotphase jedoch gerade noch verhindern und mich im Studio umschauen.
In einer Zimmerecke über einem Stapel Matten und Medizinbälle hing meine Beute und warf mir müde Blicke zu.
Zwischen ihr und mir lagen etwa dreiundzwanzig Yogis am Parkettboden und vollführten Atemübungen, die sich anhörten wie untaugliche Versuche von sexuellem Vorspiel.
Dies war der Moment alles zu geben, um die dräuende Harmoniekatastrophe abzuwenden.
Ich rannte auf die Zimmerecke zu.
Die etwa zwanzig männlichen und weiblichen Yogis, die mir im Weg lagen, bereiteten mir keine Sorgen. Yogis waren Waschlappen. Ich war ein Dunkeltroll. Kein Ding.
Plötzlich – PATSCH!
…Wie es weitergeht lest ihr im zweiten Teil der Kurzgeschichte Gruftibeben…
Der Autor dieser Kurzgeschichte ist Ulf Torreck, der sich auch David Gray nennt, wurde 1973 in Leipzig geboren und hat ein Jura-Studium erfolgreich abgebrochen und wurde anschließend Drehbuchautor, Script Doctor und Filmkritiker. David Gray veröffentlichte bisher 7 Bücher, unter seinem bürgerlichen Namen hat er mit „Vor der Finsternis“ und „Fest der Finsternis“ zwei historische Roman um den Marquis de Sade beim Münchener Heyne Verlag veröffentlicht. Im November 2019 erscheint sein neuer Roman „Zeit der Mörder„.
Über Zeichnerin Morticia Van Bat ist Spontis im Internet gestolpert, als ein soziales Netzwerk wieder einige Bilder in seinen Nachrichtenstrom gesendet hat. Mich hat der präzise Manga-Stil sehr gut gefallen und ich fand die Idee spannend, sie darum zu bitten, die Geschichte von Ulf Torreck mit einigen ihrer Bilder zu krönen. Hat geklappt. Ich bin überglücklich.
Wizard of Goth – sanft, diplomatisch, optimistisch! Der perfekte Moderator. Außerdem großer “Depeche Mode”-Fan und überzeugter Pikes-Träger. Beschäftigt sich eigentlich mit allen Facetten der schwarzen Szene, mögen sie auch noch so absurd erscheinen. Er interessiert sich für allen Formen von Jugend- und Subkultur. Heiße Eisen sind seine Leidenschaft und als Ideen-Finder hat er immer neue Sachen im Kopf.
Sehr schön geschrieben und die Bilder sind auch super. Tollmusfledermäuse könnte man ja überall gebrauchen. ;) Musste mehrmals loslachen. Bin gespannt auf die nächsten Teile. :D
Astrein!