Einleitung zu Gastrezension: Lesen ist ein äußerst komplexer Prozess. Während unsere Augen Wort für Wort und Zeile für Zeile erfassen müssen, ist unser Gehirn damit beschäftigt die Wörter wieder in eine Sinngemäße Folge zu bringen, die Aussage zu erfassen und für sich zu analysieren. Es könnte natürlich auch sein, das nur mir dieser Prozess zu kompliziert vorkommt und ich mit dem Lesen der Bücher nicht nachkomme. Da es mir unmöglich erschien einem interessanten Buchtipp von Laura, die sich in ihrem Blog Bibliofeles mit dem Lesen eben solcher beschäftigt, nachzugehen, habe ich sie gebeten ihren Artikel zu Eva-Maria Bonkes „Ich sehe schwarz“ hier veröffentlichen zu dürfen. Darüber hinaus habe ich Sie auch als Autorin für zukünftige Gastrezensionen gewinnen können, was mich persönlich sehr freut, da ich ihre Meinung nicht selten teilen kann.
Klappentext:
“Die 14-jährige Leonie raucht, trinkt, schaut gern Horrorfilme und trägt am liebsten Schwarz. So eckt sie in der Gesellschaft mehr als nur einmal an und ist bald als Satanistin verschrien. Sie flüchtet sich mit Freunden in grausame Rollenspiele. Szenekonflikte unter Jugendgruppierungen wie den »Gangstern« und den »Grufties« sowie immer häufigere Mobbingattacken in der Schule drängen das Mädchen in ein misanthropisches Verhalten. Leonie muss erkennen, dass sie selbst im Schrank der Gesellschaft eine Schublade bekommen hat und kämpft mit Gedichten und morbiden Kurzgeschichten gegen ihre Wut über das Jungsein in der heutigen Moderne an.”
Inhalt:
Leonie ist 14 Jahre alt und hat die Gothic-Szene für sich entdeckt. Obwohl sie auf dem Dorf wohnt hat sie doch einige Kontakte innerhalb der Szene knüpfen können mit denen sie nun ihre Freizeit verbringt. Doch das häufige Schicksal eines jeden Grufties, der in einer ländlichen Gegend aufwächst, hat auch sie bald erreicht, denn schnell ist sie als Satanistin verschrien, wird in der Schule gemobbt und muss sich immer wieder der Konfrontation mit den “Hoppern” stellen. Sie flüchtet sich in ihre eigene kleine schwarze Welt, konsumiert Alkohol, bleibt tagelang von zu Hause weg und rutscht immer tiefer ab. Doch ist das wirklich das was Leonie mit ihrem Leben anfangen will?
Meine Meinung:
Ich stehe etwas auf Kriegsfuß mit diesem Buch. Schließlich war ich selbst ca. im gleichen Alter als ich die Schwarze Szene für mich entdeckte und habe sicherlich anfangs, genau wie Leonie, mit dem ein oder anderen Klischee übertrieben bis ich meine eigene Ausdrucksweise finden konnte. Doch genau das scheint Leonie nicht zu schaffen. Stets bleibt dieser unangenehme Nachgeschmack, dass sie genau einer der Grufties ist, der es so schwer macht, die ganzen Vorurteile aus der Welt zu räumen.
Sie säuft, geht seltsamen, brutalen Rollenspielen nach, wird ganz plötzlich bi-sexuell, schreibt Gedichte…Leonie ist DER Klischee-Gruftie. Auch wenn sie gegen Ende des Buches wieder etwas vernünftiger wird, eine Ausbildung zur Erzieherin beginnt und ihr Leben wieder in geordnete Bahnen bringen möchte, kann ich absolut keine Sympathie für sie entwickeln. Das mag bei mir jedoch auch einfach nur der Fall sein, da ich selbst aus der Szene komme. Allerdings denke ich, dass jemand der mit der Szene gar nichts am Hut hat, durch dieses Buch noch mehr Vorurteile aufbauen könnte, da der Sinneswandel von Leonie einfach zu gering ausgearbeitet ist.
Mein herzliches Dankeschön für das Rezensionsexemplar geht an den Asaro Verlag, kaufen kann man es auch bei Amazon.de für 18,90€.
Titel: Ich sehe schwarz
Autor: Eva-Maria Bonke
Genre: Jugendbuch / Coming-of-Age
Verlag: Asaro Verlag
Erscheinungsjahr: 2010
ISBN: 978-3-9419-3005-6
Form: Taschenbuch, 314 Seiten
Ich gebe zu, schon beim Titel und Klappentext blinkte bei mir die Klischeeleuchte auf.
Nichtsdestotrotz würde ich es lesen, wenn es in der Sonneberger Stadtbibliothek zur Leihgabe gibt.
Ich würde es auf jeden Fall auch empfehlen, es nochmal selbst zu lesen, dann kann man auch besser diskutieren :)
ElisaDay: Würde ich gerne mal sehen dein Klischeeleuchte :) Scheint mir eine sehr nützliche Erfindung zu sein.
@Laura: Solange haben wir Dich dafür. Du hast gelangweilten Buchkritikern ohne jeglichen Szenebezug einfach etwas voraus.
Ich glaube, normale und für Gothics akzeptable Szene-Plots, die nicht reißerisch und übertrieben sind, finden heute keinen Verleger mehr. Es muss entweder e-x-t-r-e-m SM, Psycho-Borderline-Depri oder satanistischen Charakter haben, sonst liest es nach Meinung der verlegerischen Herrschaften keiner mehr. Dieses Buch erfüllt scheinbar gleich alle drei Voraussetzungen. Danke, dass ich es nicht lesen musste – hätte ich aber nach dem Klappentext sowieso nicht.
Mich hat auch schon mal jemand gefragt, ob ich nicht eine Buchrezension für ihn machen würde zu einem Buch von einem Bandmitglied von „Oberer Totpunkt“ (die zu allem Unglück auch noch schreibt…). Das hatte auch so einen reißerischen Titel a la „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“…so in der Art. Da vergeht mir sofort die Lust und das Interesse. Aber die jüngere Gothic-Generation steht auf sowas wie das eben erwähnte Buch…einige kenn ich jedenfalls. Sonst hätten die vielen Titel bei UBooks ja keine Käufer.
Nee, da nehm ich mir lieber einen guten Stephen King oder einen Klassiker zur Hand.
Ja, „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“ ist ein mieser Abklatsch des großartigen „Sex 2“ von Sibylle Berg.
Ersteres wird demnächst sogar mit einem 3. Teil rauskommen, was uns wohl leider zeigt, dass sowas tatsächlich gerne gekauft wird. Um so shocking um so kauf.
Nicht um Besucher zu ködern, allerdings möchte ich hier doch nochmal auf die Kommentare unter meinem Blogeintrag auf meinem Blog verweisen, da ich es interessant finde, den Unterschied zwischen Grufties und StiNos dabei zu lesen.
Oh mann, ich hab das gerade gelesen…wirklich interessant. Dein letzter Kommentar dazu war sehr gut, besonders: „Allerdings bin ich nie negativ aufgefallen durch eben Alkoholkonsum, seltsame Freizeitgestaltung, lediglich durch mein Aussehen und hatte daher auch nie wirkliche Probleme.“
Genau das isses nämlich. Ich sehe es nicht so, dass man um Gruftie zu sein und um zur Szene zu gehören, rauchen, saufen und mit 14 auch schon sexuelle Grenzerfahrungen machen muss. Ganz im Gegenteil: die jungen Gothics, die ich kenne, wenden sich eher davon ab und gehen zur Szene, weil es da nicht nur drum geht, sich bis oben hin zuzuknallen, weil Drogen keine große Rolle spielen bei „uns“ und weil es bei unseren Parties ums Tanzen und die Musik geht.
Deswegen ist das in dem Buch schon mal falsch dargestellt und Verständnis hab ich dafür nicht. Auch nicht, warum gerade an der Gothic-Szene mangelndes Randgruppenverständnis heraufbeschworen werden soll. Das ist irgendwie nicht mehr zeitgemäß. Mein Eindruck ist, dass wir mittlerweile eine ziemliche Akzeptanz auch bei normalen Menschen genießen. Man schaue sich nur mal an, wie positiv jedes Jahr über das WGT berichtet wird. Jeder Sender bringt dazu was, fast immer freundlich mit einem Touch „sind halt liebenswerte Freaks…“.
Also irgendwie…naja. Ich werde es definitiv nicht lesen.
Ich habe dort in den Kommentaren jetzt auch mal hierrauf verwiesen. Ich hätte nicht gedacht, dass dadurch so ein Aufruhr entsteht.
Dabei ist alles gar nicht so schlimm, denn jedem kann geholfen werden ;o)
Wenn das Buch für Leute, die der Szene nicht angehören, interessant ist, ihnen gefällt und sie daraus – so entnehme ich es zumindest den Kommentaren auf deinem Blog – keinen negativen Eindruck von Gothics erhalten – prima! Sie ziehen aus dem Buch etwas anderes für sich heraus und das ist ja in Ordnung. Das Buch wird also seine Leser finden.
Das ist wiederum fein für die Autorin, die vermutlich als „Zielgruppe“ oder Zielleser gar nicht die Szene adressieren wollte.
Für Dich und einige Gothics hier im Blog ist das Buch eben nix, aus den besagten Gründen. Da würde auch nochmaliges Lesen nix bringen (toller Vorschlag!), weil so wie du ja schon geschrieben hast, man beim Lesen immer seinen subjektiven Erlebnishorizont einbringt und den auch nicht abschalten kann. Also, wenden wir uns anderen Büchern zu…
Den Aufruhr finde ich nachvollziehbar, schließlich sind es momentan eben die Themen „Gothic oder nicht“, wie man an der Diskussion um Unheilig ablesen kann. Auch „Szeneausstiege“ die nicht wortlos vorübergehen erzeugen einen ähnlichen Aufruhr.
Bei dem Buch denke ich ähnlich, es ist mehr für Normalos geschrieben, die ihre Klischees erfüllt sehen wollen und nicht darauf eingestellt sind, umzudenken. Es ist eben spannender zu lesen „so habe ich mir das schon immer gedacht“ als „so läuft das?“. Umso wichtiger finde ich aber Rezensionen oder Kommentare die „entlarven“ das eben doch noch alles Gruftig ist, was gruftig erscheint.
Andersherum gilt natürlich genau das gleiche. Szeneangehörige wollen sich auch in ihren eigenen Klischees bestätigt sehen um das Randgruppenimage nicht zu verlieren, vielleicht jedenfalls :) Bücher eignen sich eben ganz besonders dafür, Bilder im Kopf des Lesers zu generieren, die individuell und verschieden sind.
Ich könnte ja als nächstes Projekt mal ein Buch schreiben mit dem Titel „Ich seh weiß!“ Klappentext: Die 14jährige Trixie steht auf Handys und Paris Hilton, hört flache Mainstream-Mucke und interessiert sich für bescheuerte Nachrichten über Promis. Damit eckt sie natürlich nicht in der Gesellschaft an. Die Dauerberieselung durch Werbung, Casting-Shows und die Überdosis Weichzeichner führen bei Trixie langsam zum Hirntod… Wahrscheinlich würde aber jeder Verlag das Manuskript wegen „zu vielen Klischees“ ablehnen.
Im Gegenteil. Ich denke genau DAS wollen die Leute lesen, warum sonst haben solche Sendungen die sich am „Leid“ anderer ergötzen soviel Zuspruch? Vielleicht aber auch eine Möglichkeit, dann subversiv auf den Leser einzuwirken um am Ende den Eindruck zu hinterlassen: Was mache ich hier eigentlich?
Hmm… jetzt bring mich hier nicht auf dumme Gedanken… ;-) Man braucht dann natürlich noch einen Gegenspieler, der zur weisen Erkenntnis führt. Ja klar! Ein Gothic! Neee….das kauft mir keiner ab. :-)
Heutzutage verkauft sich alles, wenn es richtig beworben wird ;)
Hallo,
also ich habe mir das Buch trotzdem für die lange Zugfahrt gekauft (am Bahnhof) und fande es von der Handlung recht gut. Dass es die einen oder anderen Streitpunkte gibt, ist glaube in jedem Buch vorhanden.