Es klopft an der Tür. Der Mann, der über dem Lesen eines Buches fast eingeschlafen wäre, schreckt hoch. Hätte er doch nicht Trost in okkulten Bücher gesucht um den Tod seiner Geliebten Lenore zu bewältigen. Seine Nerven sind zum zerreißen gespannt. „Vielleicht ein später Besucher?„, versucht er sich zu beruhigen. Er schaut sich um. Das glimmende Kaminfeuer und das Rascheln der schweren Gardinen hüllen ihn in die düstere Atmosphäre, von der er eben noch gelesen hat. Er öffnet die Tür zu seinem Zimmer, doch niemand ist da. Seine Gedanken kreisen nur um eine einzige Frage: „War das Lenore?“, sein verzweifeltes Herz raubt ihm die Sinne. Als er ins Zimmer zurückkehrt, klopft es erneut, diesmal am Fenster. Hastig rennt er dort hin und öffnet es, „Lenore?“. Ein imposanter Rabe fliegt durchs Fenster und setzt sich auf die Büste von Pallas Athene. „Wie heißt du?“, fragte der verängstigte Mann. „Nimmermehr„, krächzt der Rabe…
So oder so ähnlich muss die Geschichte zum Gedicht „Der Rabe“ von Edgar Allan Poe lauten. Das am 29. Januar 1845 in der New Yorker Zeitung „Evening Mirror“ veröffentlichte Gedicht erzählt von einem Raben, der einem verzweifelten Liebenden einen mysteriösen und mitternächtlichen Besuch abstattet. Das Gedicht, dass in viele Sprachen übersetzt wurde (unter anderem auch von Charles Baudelaire), zählt zu den berühmtesten Gedichten des Schriftstellers.
Die Geschichte wird weitergetragen. Namen und Verse aus dem Gedicht von Poe ziehen sich wie ein roter Faden durch Literatur und Film. Es ist dicht vernetzt mit dem, was viele als die Ursprünge des „Gothic“ definieren würden. Die Liste der Künstler, die sich mit dem Gedicht im Laufe der Zeit befasst haben liest sich (bis auf eine Ausnahme) wie ein Quellverzeichnis zur Subkultur.
In Terry Pratchetts Scheibenwelten ist zu lesen: „Sprach, der Rabe, der das „N-Wort“ nicht aussprechen will.„. 1963 verfilmte ein B-Movie die Geschichte des Raben in einer absurden Komödie, in der Vincent Price, Boris Karloff und auch der jungen Jack Nicholoson die Rollen spielen. 1982 veröffentlicht Tim Burton den Kurzfilm „Vincent“, der mit der Schlusszeile des Gedichts endet. Bei den Simpsons liest Lisa das Gedicht als Gruselgeschicte vor, in der Homer in der Rolle des Erzählers erscheint, während Bart die Rolle des Raben übernimmt. Stilikone Eric Draven zitiert einen Teil des Gedichts in dem legendären Film „The Crow“ aus dem Jahr 1994. Und bei der schrecklichen Familie „The Munsters“ gibt es einen Raben in der Kuckucksuhr, der immerzu „Nevermore“ von sich gibt.
Wenn sich Hollywood der Sache annimmt, wird daraus etwas ganz anderes. Am 24. Mai 2012 erscheint „The Raven“ in die deutschen Kinos, in der John Cusack die Rolle des „sozial geächteten Schreiberlings Edgar Allan Poe“ 1 einnimmt, der von der Polizei als Tatverdächtiger in einer blutigen Mordserie im Großbritannien des 19. Jahrhundert festgenommen wird. Seine blutigen Mordgeschichten scheinen Vorlage für die bestialischen Morde gewesen zu sein. Doch während dieser verhört wird, geschieht ein weiterer Mord. Man bittet den Autor um Mithilfe, den mysteriöse Killer zu fassen.
Was das ganze nun mit „The Raven“ zu tun haben soll, ist mir noch ein wenig schleierhaft. Vielleicht will man an den Erfolg der Action-Ausgabe von „Sherlock Holmes“ anknüpfen und wieder einmal durch die Ausschlachtung einer historischen Idee volle Kassen machen. Vielleicht ist es aber auch nur eine Visualisierung der düsteren Phantasie eines gewissen Edgar Allen Poe, der bis zu seinem Tod 1849 jedoch nie mit der Polizei in Berührung gekommen ist. Ist es Ausschlachtung oder eine Hommage an einer der wichtigsten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts? Wir werden sehen – oder auch nicht.
Einzelnachweise
- Quelle: Ankündigung von „The Raven“ bei Filmstarts.de[↩]
Warum sollte sich die Filmindustrie nicht eines historischen Themas annehmen und es aus ihren Grundfesten heben? Noch entscheiden wir immer noch selbst, ob wir die Kinokasse klingeln lassen oder nicht. Ich finde es gut, dass man „The Raven“ über Generationen hinweg immer wieder annimmt – in welcher kreativen Form auch immer – denn nur dann kann das Schaffen des Künstlers seinen Tod überdauern. Wenn es sich ergibt, werde ich mir den Film irgendwann mal auf DVD anschauen; den „Raven“ mit Vincent Price habe ich mir schließlich auch angeschaut (und fand den Film etwas… merkwürdig).
Der Rabe beflügelt aber nicht nur die Literatur- und Filmwelt:
http://www.youtube.com/watch?v=6fXmSvHJNQU
http://www.youtube.com/watch?v=dRDsa99fMuw&feature=related
Dabei fällt mir auf, dass es meistens Metal-Bands sind, die sich seiner annehmen.
Übrigens sagte man Mister Poe eine gewisse Trunksucht nach, da kann es schon sein, dass er das ein oder andere Mal mit dem „Freund und Helfer“ Bekanntschaft gemacht hat. Nunja, wir wissen es nicht ;-)
Nachdem ich mir den Trailer angesehen habe verstehe ich den Filmtitel „The Raven“ wohl eher als eine Referenz an eines der größten Werke von Poe. Nicht ganz wahllos herausgegriffen. Der Film scheint tatsächlich nichts speziell mit The Raven zu tun zu haben (außer, dass immer mal einer wo rumflattert). Hier wurden sämtliche Poe-Werke im Film mit seiner Lebensgeschichte verwurstet: Lebendig begraben, Die Grube und das Pendel, Die Maske des roten Todes und vor allem seine Detektivgeschichten „The Murder in the Rue Morgue“ etc….wo auch ein paar Polizisten rumspringen, wenn ich es recht erinnere. Typisch Hollywood, aber vielleicht ist es ja auch ganz charmant gemacht. Weiß man ja nicht. Trotzdem, auch wenn der Schauspieler für Poe gut gewählt ist – ich denke auch, dass mir die DVD reicht.
Klar, das klingt alles wieder mal nach Hollywood-Ausschlachtung und man hat immer die Angst dass es den Vorlagen nicht gerecht wird. Aber ich muss gestehen: Auf mich wirkt der Trailer (auch wenn er natürlich auf die ausgelutschtesten Konventionen zurückgreift um Spannung aufzubauen) und das hat er auch bereits als ich ihn im Kino gesehen habe, als ich auf den zweiten Teil der aktuellen Sherlock-Holmes-Reihe gewartet habe.
Letzterer hat mich positiv überrascht da er zwar massive Eingriffe vorgenommen hat, dies aber auf eine Weise die einem gezeigt hat dass es Absicht ist und nicht künstlerisches Unvermögen.
Daher bin ich auch guter Dinge, dass mir „The Raven“ gefallen wird – auch wenn die Geschichte an den Haaren herbeigezogen sein mag und das ganze in bester Hollywoodmanier viel actionlastiger ausfällt als es Poe gerecht würde.
Übrigens aber auch ein sehr sehr schön geschriebener Artikel – tolle Zusammenfassung (meines immerhin liebsten Gedichtes ^^) am Anfang und interessante Auflistung von kulturellen Anlehnungen und Verarbeitungen der Geschichte.
Achja, und jetzt ratet wie der (leider etwas unscharfe) Kollege hier heißt:
(Nein, nicht der Robert, der darunter ^^)
Schließe mich da dem gute Karnstein an, scheint arg an den Haaren herbeigezogen zu sein, aber könnte trotzdem ein gute Film sein.
Ich denke ich werde ihn mir anschauen….wenn es das Portmonaie hergibt, beginnende Romanzen sind teuer ;D
„Edgar Allan Poe“ als dürftig-niveauvoller Superheld. Was „Sherlock Holmes“ und „Abraham Lincoln“ zuletzt zu teil wurde, darf jetzt auch der britische Horrorschriftsteller „Edgar Allan Poe“ erleben: seinen eigenen Film.
Dass die Geschehnisse nicht einmal ansatzweise autobiografisch daherkommen, stört eigentlich kaum, handelt es sich bei „The Raven“ um einen recht spannenden (fiktiven!) Serienkiller Flick-Flack, der recht kurzweilig zu unterhalten weiß. Trotz düster-vernebelter Grundstimmung und teilweise pompöser (Kostüm)Ausstattung fehlen „The Raven“ dennoch eindeutig die markanten Höhepunkte. Vor allem das recht unspektakuläre Ende hätte gänzlich Verbesserungspotenzial noch oben gehabt und enttäuscht doch etwas. Trotzdem, Leerlauf bietet dieser kleiner dunkle Film kaum und einen wirklich deftigen Mord ebenso, der in seiner schonungslosen Brutalität fast schon Erinnerungen an das groteske „Saw“-Universum ins Gedächtnis ruft.
Fazit 6/10 Punkte
Eine ausführliche Review hier:
https://filmchecker.wordpress.com/2012/07/11/filmreview-the-raven-2012/