Wenn es darum geht über unsere Jugend zu berichten, verfallen viel zu viele Journalisten und Publizisten in das gleiche Schema. Sie verlassen sich auf ihr Wissen oder ihre Erfahrungen und mischen Recherche mit Halbwissen aus Schlagzeilen. Dabei hat jede Jugendkultur ein mehr oder weniger intensiven Hintergrund, der sich den meisten Menschen leider nicht erschließt. Woher soll man auch seine Informationen nehmen? Das Netz ist zwar voll damit, doch ist es recht schwer, die guten von den schlechten zu sondieren, gerade dann wenn man selbst nie ein Teil dieser Kultur ist oder war.
Man verlässt sich auf Studien und Analysen und zieht daraus seine eigenen Schlüsse. So stecken Beispielsweise in der seit 1953 existierenden Shell-Studie 1 viele Zahlen, deren Bedeutung mit der Art der Darstellung variiert.
Das Berliner Archiv der Jugendkulturen e.V. sammelt seit 1998 Bücher, Diplomarbeiten, Medienberichte und Fanzines der vielen unterschiedlichen Jugendkulturen und wertet diese aus um sie in ihren Räumlichkeiten in Berlin-Kreuzberg auf rund 200qm der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. 8 Festangestellte und rund 15 freie Mitarbeiter, die meist selbst einen jugendkulturellen Hintergrund haben kümmern sich dabei um die Pflege und Auswertung der Informationen. Mit rund 30 eigenen Publikationen und als Basis unzähliger wissenschaftlicher und journalistische Arbeiten hat sich das Archiv einen Namen gemacht. Wenn es etwas über eine Jugendkultur zu wissen gibt, hier findet man die Informationen. Entstanden ist es übrigens aus Desinteresse, denn eigentlich wollte Klaus Farin seine private Sammlung von Fanzines einer Universität zu Forschungszwecken spenden, leider wollte sie niemand haben. Aus dieser Idee gründete sich dann das Archiv der Jugendkulturen.
In der zweimal jährlich erscheinenden Zeitschrift Journal der Jugendkulturen gibt das Archiv immer wieder einen aktuellen Blick auf die vielen unterschiedlichen Szene und ist damit eine zumeist herrlich Objektive Alternative zu den restlichen Informationen. Da sich das Archiv nur durch die eigenen Publikationen finanziert und auf die Beiträge ihrer Mitglieder angewiesen ist, habe auch ich mich 2008 entschieden, den Verein durch eine Mitgliedschaft zu unterstützen. Natürlich nicht ohne Eigennutz, das muss ich ehrlicherweise zugeben. Denn die kostenlosen Publikationen die ich als Mitglied erhalte, sind Gold wert und sehr oft Basis oder Bezugsquelle eigener Artikel hier im Blog.
Mittlerweile engagiert sich der Verein auch in der aktiven Arbeit und vermittelt kompetente ReferentInnen, Tagungen und Ausstellungen und macht sich mit seinem Projekt Culture on the Road einem Namen, denn bei den Pädagogen und Mitarbeiter in Schulen, Jugendclubs und Gemeindehäuser die sich intensiv mit unserer Jugend beschäftigen besteht eine ganze Menge Nachholbedarf, den das Projekt stillen möchte. Einige der Bücher, die unter der Mitwirkung oder durch die Eigenarbeit des Archivs entstanden sind habe ich mir bereits zu Gemüte geführt und entsprechend darüber berichtet. Zugegebenermaßen schlummert noch einiges in meinem Bücherregal, das soll sich aber ändern.
Wer jetzt Interesse bekommen hat und mehr erfahren möchte, dem seien die Internetseiten ans Herz gelegt, die ich bereits hier im Artikel verlinkt habe. Wer in Berlin wohnt, sollte es sich nicht nehmen lassen einmal dort vorbeizuschauen und sich selbst ein Bild von unserer oder auch seiner eigenen Jugend zu machen. Ein sehr informatives Interview mit Andreas Kuttner das vom fanzine-index.de geführt wurde, informiert umfassend über die Hintergründe und die Arbeit des Archivs. Für einen Mitgliedsbeitrag von 48€ erhält man 2 Publikationen des Archivs kostenlos, sowie das Journal selbst und das gute Gefühl eine schöne Sache zu unterstützen.
(Bilderquellen: Archiv der Jugendkulturen)
Einzelnachweise
- Die Shell-Studie, die kurioserweise vom Mineralölkonzern in Auftrag gegeben wird, erscheint etwa alle 3 bis 4 Jahre und wird bei renomierten Instituten in Auftrag gegeben und ist 2006 in der 15. Auflage erschienen. Bei der Uni Bielefeld kann man sich eine Zusammenfassung als PDF Datei ansehen.[↩]
warum das tag „klaus farin“? habe gerade ein buch von ihm fertig gelesen! sehe aber nicht den bezug zu ihm im text
Du hast natürlich völlig recht. „Klaus Farin“ ist der Gründer des Archivs der Jugendkulturen, ich habe den betreffenden Absatz im Text ergänzt. Diesmal kam der Tag vor dem Text :)
Irgendwie traurig, dass Universitäten ein solches Desinteresse zeigten/zeigen…
Gothic betreffend stelle ich mir (zwangsläufig) die Frage: Ist es Jugendkultur?
Weiterführend: Gibt es eventuell eine Jugend-Goth-Kultur und eine „Greisen“-Goth-Kultur (mir ist kein besseres Wort eingefallen)? Und gibt es Zusammenhänge?
Ich muß mich selbst verbessern, klar ist es noch Jugendkultur, was mich selbst freut, da es sozusagen Nachwuchs gibt. Ich gebe zu, mein Kontakt zur Jugend ist nicht besonders intensiv, aber ich fände es schön, wenn es mehr Kontakt zwischen mir und der Jugend-Goth-Kultur geben würde, wobei ich da wieder Robert recht geben muss, daß die Jugend-Goths oft nur Party und Tanz, wenn überhaupt, im Kopf haben … irgendwie macht mich das gerade etwas traurig.
@Atanua: Gerade von Universitäten sollte man mehr Interesse an neuem erwarten, völlig richtig.
@Vizioon: Wie du selber feststellst, ist Gothic nach wie vor eine Jugendkultur, nur mit anderen Hintergründen. Während heute die Party als solche im Vordergrund steht, war das früher ein klein wenig anders. Damals war der Trend einfach noch zu unbekannt um in der breiten Masse zu versinken, die Beweggründe andere als heute.
Es ist äußerst schwer, mit der Jugend in Kontakt zu kommen, da man Ü30 Pauschal uncool ist :) Zu einem fällt es den meisten doch viel zu schwer, wirklich ernsthaft zuzuhören, wenn der/die Jugendlichen über ihre Gründe erzählen. Ich finde es auch traurig, das sich so wenig mit den Bewegungsgründen auseinandersetzen, ich kann es ihnen aber nicht übelnehmen. Schließlich ist das ja wie Geschichtsunterricht und der ist langweilig. Jugendliche sind lieber Teil von etwas neuen, abgrenzenden und für die Erwachsenenwelt unbekannten. Wenn du zum Beispiel nach Visual Kei schielst, kann man erkennen, das dort wesentlich mehr Interesse von jüngeren Menschen herrscht.
Die „Neuen“ Formen des Gothic, wenn man diese überhaupt so einordnen mag sind da viel reizvoller als das, was wohlmöglich die Eltern schon gut gefunden haben, schließlich wäre das so, als würde man mit seinen Eltern kegeln gehen, oder?
Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger glaube ich wirklich an eine Kultur. Ich befürchte mehr so etwas wie einen Trend, aus dem zur Zeit einige Jugendliche hinein und genauso schnell wieder hinaus wandern.
Natürlich ist meine Sicht subjektiv, aber wenn ich mir die Jugend so anschaue, dann bleibt zunehmend ein Bild, bei dem ich lieber mit meinen Eltern kegeln gehe, als sich mit der heutigen Jugend über Themen zu unterhalten, die sie eh nicht bewegen, weil „der Style cool ist“, aber alles andere nicht.
In gewisser Weise hoffe ich auf einen kurzlebigen Trend dieses Stils, denn umso schneller haben wir wieder unsere Ruhe. Ich finde, die Jugendkultur der Gothics gibt es nach wie vor, sie geht nur im Brei des Trends unter und ist als solche kaum noch auszumachen. Da bleibt mir nur die Hoffnung in meines ersten Satz. Ich glaube, wenn es auf dem WGT wieder sinkende Besucherzahlen zu vermelden gibt, gehe ich wieder hin :)
Och, zum WGT würde ich schon gehen (wenn ich könnte), allein die Abwechslung an Styles, ob nun gut oder schlecht und die Setlist könnten dazu motivieren, unter anderem „My Dying Bride“, „Cranes“, und tatsächlich „Specimen“…leider passt es bei mir nicht in den Terminplan, und Kohle hab ich auch nicht :(