Der Original-Film „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ hatte 1981 eine Botschaft: Drogen nehmen dir jede Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Rauschgift zerstört deine Träume, um selbst zum Traum zu werden. Zum Traum vom nächsten Schuss. Auf Amazon versucht die am Freitag erschienene gleichnamige Mini-Serie in die Fußstapfen des Originals zu treten. Ich habe mir in acht Folgen angesehen, wie man zuerst strauchelte, dann schwankte, um letztlich mit dem Gesicht in die polierte Unglaubwürdigkeit zu klatschen.
Drogensucht in 4K
Die Serie bei Amazon ist weichgespült, durchgestylt und verpackt das Thema Drogensucht in leicht verdaubare Häppchen zwischen Ausgelassenheit und Euphorie. Ich zweifele stellenweise daran, ob die Serie wirklich beabsichtigt, Drogenkonsum in einem schlechten Licht darzustellen. Überall lauern kleine „Happy-Ends“, die dann zu so einem „Hach es ist doch noch alles irgendwie gut“-Gefühl führen. Nein, nichts ist gut. Auch, wenn das Bild von dem letzten Schuss im Bahnhofsschließfach vermittelt, Christiane hätte es geschafft. Hat sie nicht. Sie war danach immer wieder drogensüchtig und ist es aktuell vermutlich immer noch. Die meisten ihrer Freunde von damals sind tot.
Sie jagt immer noch ihren Träumen von damals nach. Freundschaft, Liebe, Nähe und Stabilität. Nichts davon hat sie gefunden, das macht auch ihr zweites Buch „Mein zweites Leben“, das 2013 erschien, deutlich. Träume oder Drogen. Beides zusammen geht nicht.
Und genau diese Wahrheit vermittelt die Serie nicht.
Keine schlechte Serie, aber am Stoff die Finger verbrannt
Man darf nicht vergessen, dass „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ eine für deutsche Verhältnisse hervorragend gemachte Serie ist. Die Schauspieler sind durch die Bank weg gut, schauspielerisch engagiert und im Rahmen der Möglichkeiten glaubhaft. Man hat sich von der Inszenierung her alle Mühe gegeben und sich von Vorbildern wie „Trainspotting“ inspirieren lassen, wenn es um die Darstellung von Rauschzuständen geht. Auch musikalisch hat man versucht, dem Film gerecht zu werden, wenn man jetzt mal von dem unsäglich blöden Techno-Gestampfe in der Diskothek „Sounds“ absieht.
Am Stoff hat man sich allerdings gehörig die Finger verbrannt. Die Serie vermittelt in keiner Weise Authentizität. Mir ist noch nicht einmal klar, worum es hier geht. Ich befürchte, man wollte lediglich eine Geschichte, die Deutschland damals geprägt hat, dazu verwenden, eine gute Serie zu machen.
Das fängt mit den Menschen, die hier dargestellt werden, an. Hier ist jeder Drogensüchtige ein Model. Ein kieferorthopädisch einwandfreies und gebleichtes Gebiss, das in tollen und fast makellosen Gesichtern lächelt, um dann auf nahezu perfekten Körpern in stets modischen Klamotten endet. Es ist sauber, streifenfrei rein und fast schon befremdlich steril. Und einfach unglaubwürdig.
Nehmt eine beliebige Bahnhofs-Szene aus der aktuellen Serie und vergleicht sie mit dem Original. Ich bin mir sicher, ihr werdet die Intensität der Bilder spüren und den Unterschied erkennen.
Die Schauspieler bemühen sich redlich, dem Bild von drogensüchtigen Kids im Berlin der späten 70er gerecht zu werden. Leider vergebens. Denn die Bemühungen zerschellen viel zu häufig an den gezeigten Bildern. Junge, gesunde Menschen in tollen Outfits, die stellenweise so plakativ sexy wirken sollen, dass es fast schon absurd erscheint. Wenn Natja Brunckhorst (damals 13, heute 56) mit ihrer Plastiktüte und völlig stoned durch den Bahnhof schwankt, wird mir anders in der Magengrube.
Zeitgeist kann man nicht kopieren
Warum man David Bowie in Form von Alexander Scheer, der zwar im Musical „Lazarus“ Bowies Alter Ego Newton verkörpert, in die Serie basteln musste, ist mir völlig schleierhaft. Die kurzen Auftritte Scheers tragen in keinster Weise zur Geschichte bei. Hätte man David Bowie, der 2016 verstarb, doch einfach im Schatten der Vergangenheit gelassen. Kaum erkennbar bei seinem Konzert in der Deutschlandhalle, das für Christiane so wichtig ist.
Warum in der Diskothek „Sounds“ in Berlin Techno-Beats das Publikum beschallen, ist mir ebenfalls völlig schleierhaft. Während die Serie sonst händeringend versucht, dem Zuschauer ein Gefühl für die späten 70er zu vermitteln, wird diese Illusion spätestens durch die Beschallung im „Sounds“ jäh zerstört.
Das verschwurbelte Konstrukt aus den 70ern, den 80ern und heutigen Einflüssen funktioniert für mich nicht. Hier scheint nichts zu stimmen.
Realitätscheck – Was stimmt hier eigentlich?
Der Film folgt der Lebensgeschichte (der aus dem Buch) von Christiane in weiten Teilen korrekt. Die Eltern trennten sich tatsächlich nach einem Gewaltausbruch des Vaters, hießen aber nie Karin und Robert. Christianes Schwester Anette wird in der Serie unterschlagen. Babsi war die Tochter eines Musikers und stammte in der Tat aus guten Verhältnissen und Stella (die eigentlich Catherine heißt), ja die wurde im Knast wirklich von RAF-Mitgliedern angesprochen.
Benno hieß eigentlich Detlef und Axel und Michi waren damals Andreas (Atze) und Michi. Beide starben im Übrigen an einer Überdosis. Der Schauspieler, der damals den Detlef verkörperte, ist übrigens heute Suchtberater.
Auch die Stammfreier aus Christianes Umfeld sind im Buch beschrieben. „Stotter-Max“ ließ sich tatsächlich gerne verprügeln, auch den pädophilen Tierhändler Günther hat es gegeben, der hieß allerdings Heinz und hatte einen Schreibwarenladen.
Das „Sounds“ entspricht – neben der völlig bescheuerten Musik – nicht der Realität. Die ursprünglichen Räumlichkeiten waren niedrig und stickig und lag im Kellergeschoss einer unscheinbaren Häuserzeile. Die Deutschlandhalle, in der Bowie sein Konzert damals spielte, wurde 2011 abgerissen und in der Serie durch das ICC ersetzt.
Der Bahnhof Zoo sieht heute völlig anders aus, die Aufnahmen, die im Film zu sehen sind, stammen aus einem Industriekomplex in Prag und bestehen hauptsächlich aus Kulissen, die Außenaufnahmen des Bahnhofs wurde am Computer editiert. Allerdings ist der Bahnhof Zoo immer noch ein Ort für Drogenhandel und Prostitution.
Fazit: Chance verpasst!
Als ich las, dass man der Geschichte von Christiane mehr Raum geben wolle, war ich großer Hoffnung. Die ist allerdings am Ergebnis zerschellt. Zwar gibt man den Charakteren mehr Platz, um sich für den Zuschauer zu entwickeln, allerdings fehlen nachvollziehbare Profile, wie man sie im Buch hätte durchaus finden können. Für mich wird nicht deutlich genug, dass die Eltern durch ihr Leben unfreiwillig vorgelebt haben, was aus Christiane geworden ist. Das Umfeld, in dem die Eltern sich verwirklichen wollten, war ein giftiger Schwamm für Christiane.
Die größte verpasste Chance ist allerdings, die Geschichte von Christiane nicht weiterzuerzählen. Wie sie immer wieder rückfällig wird und alle Träume, Pläne und Hoffnungen immer wieder an den Drogen zerschellen. Ihre Geschichte hat kein Happy-End, keine glückliche Wendung und der Ruhm um ihre Person war eher Fluch als Segen.
Die Serie bei Amazon wirkt auf mich wie ein verklärter Blick in die Vergangenheit und ist weder „provokativ, kontrovers wie eindrücklich„, sondern ein gefälliges Remake, das Drogensucht zur Unterhaltung degradiert.
Wenn ihr schon Prime-Kunde seid, dann nutzt die Gelegenheit, auch das kostenlose (in der Mitgliedschaft enthalten) Original „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ anzuschauen. Das ist allerdings satte 12 Minuten kürzer als die ursprüngliche Version von 1981. Die war den Amazonern dann wohl doch zu kontrovers, provokativ und eindrücklich. Auch ein Blick in meinen Artikel über die Buchvorlage und das Leben der Christiane könnte sich an dieser Stelle lohnen.
Was stimmt eigentlich? Wenn man sich das Titelbild dieses Beitrages anschaut fängt das Elend ja schon an. Graffito verschmierte Wände in dieser Form gab es zu der Zeit noch nicht. Die Darsteller sehen aus wie Retro-Modepüppchen im Heroin Schick und nicht wie die wirklichen armen Menschen die sich einst am Bahnhof Zoo tummelten. Leider gibt es viele Remakes die einfach zur Unterhaltung der Massen abgedreht werden, oft in Tschechien weil die Produktionskosten wesentlich günstiger sind. Bestes Beispiel, die Neuverfilmung von Das Boot. So eine Produktion kann dem original niemals das Wasser reichen. Und spätestens wenn an den unmöglichsten Orten dann noch eine Frau auftaucht um eine Beziehungsgeschichte mit einfließen zu lassen ist das alles für die Tonne. Na ja, es dient der Unterhaltung, und regt Menschen vielleicht dazu an mal über dies und das nachzudenken.
Die Amazon Serie ist zu „sauber“ auch wenn die Häuserwände fleckig/dreckig sind, bei Axel die Bude ist chsotisch, aber es ist sehr weichgezeichnet. Sieht man sich den Film an ist es trist, grau und eckelig.
Die Musik, naja die kann damit begründet werden das die Jugend sich mehr damit identifizieren kann.
Viele Filter machen die Serie zu einer Art Instagram Story und wirkt eher wie eine Sammlung von Junkie-Influencer.
Bin jetzt bei der 5. Folge und wirklich fesselnd wirkt es nach wir vor nicht auf mich. Mich stört immer wieder die aktuelle Musik bzw der Techno. Die Szene mit cigarettes after sex, war musikalisch stimmig. Bei dem Als wir träumten Film wurde zum Teil aktuelle Technomusik verwendet, aber passte von der Machart gut rein. Man kann das also durchaus schaffen, aber hier trägt die Musik selten zur Stimmung bei. Ansonsten zu schön, zu sauber und glattgebügelt und es stören immer wieder Kleinigkeiten wie zb Poster, die viel zu modern wirken, oder Kleidung, die zu modern ist. Schade, da hätte man mit dem 25 Millionen Budget mehr machen können.
Hier wird, glaube ich, ein grundsätzliches Problem deutlich: Die Filmbranche hat sich der digitalen Ästhetik voll und ganz verschrieben – zu Ungunsten der Authentizität und schauspielerischer Leistungen. Ich erlebe, dass immer mehr Filme und auch Serien durchweg „instagramtauglich“ geworden sind oder auch die technischen Möglichkeiten und „computerisierten Kulissen“ die natürlichen Gegebenheiten verdrängen. Bei irgendwelchen Science-Fiction- oder Superhelden-Gedöns mag das noch passen, auch die Fantasy-Filme sind dafür prädestiniert. Aber in den Momenten, in denen es um menschliche Gefühle, um direkte Anteilnahme an Schicksalen geht, verlieren solche Produktionen. Ich habe die Serie nicht angeschaut, aber wie bereits gesagt: Das Plakat alleine lässt schon darauf schließen, dass das Thema Drogen eher im Weichspülgang verhandelt werden muss. Wo man beim Originalfilm den Bahnhofsgeruch aus Pisse, Kotze und Imbissbudenessen in der Nase hat, wird diese Serie höchstens ganz schwach nach Marihuanawölkchen riechen.
Wenn man aber andererseits erfolgreiche Einschalt- bzw. Kinogängerquote fest einrechnet, bleibt es gar nicht aus, dass man sich einer aktuellen Ästhetik bedient.
Ehrlich gesagt verstehe ich den ganzen Hype um Serien-Eigenproduktionen auf den ganzen neuen Pay-Medien bislang nicht. Es geht wohl in erster Linie darum, dem zahlenden Publikum mit Hochglanz-Trailern den Mund wässrig zu machen und so Akquise zu betreiben bzw. bereits zahlende Mitglieder bei der Stange zu halten. Sogar unser regionales Tages-Käseblatt hatte kürzlich einen halbseitigen Artikel über die Neuauflage von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und deren Hauptdarstellerin, die in ihrer Darstellung der Christiane wohl wirklich ambitioniert, aber eben nur ambitionierte Hauptdarstellerin ist und nicht Regisseurin oder Produzentin mit Möglichkeit zur direkten Einflußnahme auf Inhalt.
Mein erster Gedanke beim Hören der Neuigkeit einer Neuverfilmung als Serie war „Auweia“, weil schon die Edel/ Eichinger-Erstverfilmung von 1981 mit Nadja Brunckhorst sich sehr schwer damit tat, das Elend von Drogenabhängigkeit in seinem ganzen Ausmaß und all seinen Konsequenzen einzufangen und für mich sowieso fraglich ist, ob man das im Rahmen eines Spielfilms oder auch einer Serie überhaupt kann – und will. Letztlich dreht niemand aus reinem Idealismus und Interesse an authentischer Dokumentation einen solchen Szene-Genre-Film bzw. Serie, unterm Strich muß da auch das eingespielte Ergebnis stimmen. Ob das noch der Fall ist, wenn sich breite, auf gutes Entertainment erpichte Schichten der Bevölkerung mit ansehen sollen, wie sich ausgemergelte Minderjährige prostituieren und ihre Venen mit verdreckten Spritzen zerstechen, um der Hölle ihrer Umwelt zu entkommen…wer weiß.
Da dein Beitrag, Robert, mir nun die Befürchtung bestätigt, daß man Hauptdarsteller und Inhalt bei der Serie zur besseren Konsumierbarkeit zeitgenössisch aufgepimpt und damit auf die nackten Häßlichkeiten und Realitäten verzichtet hat, werde ich mir die Serie nach anfänglicher Neugier auf ein hoffentlich authentisches Remake nun auch endgültig nicht antun. Danke für den Tipp.
Die Serie ist komplett entfernt von Realität. Die Junkie Edition von Mattel entspricht die Drogensuchtigen der 70-er oder 80- er gar nicht. Wo und mit welchen Geld hätten die diese Klamotten kaufen sollen- meiste waren arme Kinder und hätten sowieso alles für Heroin getauscht. Hier ist alles so schick und cool abgebildet, wir sind jung und wild, am Ende wird aber alles doch gut. So was ist echt gefährlich. Das Buch hat damals als Schreck-Mittel gedient- Heroin war was gefährliches, bloß Finger weg davon. Diese Serie macht das Gegenteil. Und ich muss auch fragen: was ist mit Musik hier los? Und der Sound überhaupt- ich bin mir sicher, so sah das ganze nicht aus. Alles hier ist viel zu glamourös abgebildet.
Ein lesenswerter Artikel im tip Berlin über die Zeit von Christiane F. anfang der 80er. Die Fotos dokumentieren ein Leben fernab des hipsteresquen Chics der Amazon Serie.
https://www.tip-berlin.de/stadtleben/geschichte/christiane-f-80er-fotos-ilse-ruppert/