Szeneveteranen wissen: Ein Blick auf die Martens verrät etwas über den Erfahrungsschatz des Trägers. Neu, frisch und ungetragen? Nein, so dürfen waschechte Martens einfach nicht aussehen. Leute, die ein solches paar anhaben, werden kritisch beäugt und schnell als Mitläufer oder Modeopfer abgestempelt. Die Laufstege in den Modemetropolen machen es schließlich vor: Ehemalige Arbeiterstiefel sind angesagt, wer trendy und cool sein möchte, trägt welche, setzt sie noch mit engen Röhrenhosen oder Leggings in Szene und stolziert damit über die 5th Avenue um bei Tiffanys noch Schmuck zu kaufen. Sie versprühen den Hauch Underground den sich die breite Masse wünscht, werden assoziiert mit den 80ern oder einzelnen Musikrichtungen oder Jugendszenen. Martens sind Status-Symbole für ein vermeintliches Zusammengehörigkeitsgefühl. Kernsanierte Altbauwohnungen in angesagten, ehemals verrufenen Stadtteilen können ähnlichen Zwecken dienen.
Menschen, deren Martens so aussehen wie seit Jahren getragen, die verschlissen sind und voller Narben und Abschürfungen, sind Veteranen. „These Boots are made for walking, and that’s just what they’ll do. One of these Days these Boots are gonna walk all over you.“ Was dieses Paar Schuhe alles erlebt haben muss! Wilde Konzerte in viel zu engen Clubs mit Bands, die damals keiner kannte und heute weltberühmt sind. Stundenlange Tanzexzesse in den Dicotheken dieser Welt, von denen die meisten heute geschlossen sind und später zu Legenden wurden. Unzählige Schritte durch ferne Länder und Städte durch Staub, Matsch, Wasser und Schnee. Ja, wer ein solches paar Martens trägt, der hat was zu erzählen, seine Schuhe haben etwas zu erzählen.
Getragene Martens muss man sich hart verdienen. Wer cool sein will muss leiden. Wie war das denn damals? Das dicke und unbarmherzige Leder der Schuhe drückte, es zwickte und rieb an den Füßen. Es hinterließ nicht selten märchenhafte Blutspuren in den Strümpfen und brachten weit gereiste Träger an den Rand der Verzweiflung. Dicke weiße Tennissocken waren nicht etwa ein Modetrend, sondern dienten dem Komfort in neuen Martens. Wer durchhielt, wurde belohnt. Mit einem Schuh, der furchtbar bequem war und durch die Arbeit des Fußes eine nahezu perfekte Passform angenommen hatten. Andere Träger mit der gleichen Größe passten sie häufig nicht. Das Leder war weich und geschmeidig, durchtränkt von Schweiß und dann wieder getrocknet, geputzt und poliert und anschließend wieder versaut. Sie wurde solange getragen, bis das Material aufgab und sich in seine Bestandteile auflöste.
Glücklicherweise gibt es die findigen Geschäftsleute von Dr. Martens die nun dem Träger die Arbeit abnehmen. Die Modelle der „Broken In“ Kollektion werden maschinell verschlissen und in aufwendiger Handarbeit geschmeidig gemacht. Ein Schuh für Menschen, die erkannt haben, das getragene Martens „echter“ sind als neue, die aber zu faul sind, selbst dafür zu sorgen: „The “Broken-In” Collection has been treated to a multi step wearing-in process to give you a head start to this long-standing ritual. Although the boots retain the features of the original 1460 8-eye boot, they have the appearance of being lived-in and loved for years.“
Zeit ist käuflich. Status Symbole sind wichtiger als Inhalte. Was nützt ein getragener „Kult“-Schuh ohne die Geschichten die er zu erzählen hat? Ohne die Erlebnisse die der Träger darin gemacht hat? Wo sind die Tränen, die auf dem Leder abperlten, wo sind die Brandlöcher und Verfärbungen vom Tanz in verrauchten Discotheken? Wo sind die tiefen Narben von den Schritten die man damit ging? Sicher, für einen Schuh geht diese Geschichte zu weit, es ist und bleibt eben ein Schuh. Erfahrungen können anstrengend sein, Zeit muss dafür verschwendet werden – warum also nicht Schuhe kaufen, die suggerieren, dass man die Erfahrungen bereits gemacht hat? Es ist bequemer. Ein Abbild von dem, was unsere heutige Lebensweise ausmacht.
Der Kommerz macht echt vor nichts halt. Aber alles was sich vermarkten lässt, wird auch vermarktet. On Top könnte man dem Käufer gegen einen Aufpreis auch noch eine passende, „Story“ mitliefern, mit Tipps zu Konzerten, Festivals und Special Treats (Lagerfeuer z.b.), die er auswendig lernen kann als Antwort auf: Wow, deine Docs haben ja schon ganz schön was erlebt!Käufliche Erinnerungen, nur eine Frage der Zeit im aktuellen Vintage-Wahn.
Guter, emotionaler Artikel dazu!
Die werden trotzdem nie so aussehen, wie echt zerlatschte Docs.;)
Wenn man das jemandem erzählen wollen würde, wie emotional ein Artikel über Schuhe sein kann – man würde es kaum glauben…
Wirklich sehr sehr schön geschrieben und Zustimmung auf ganzer Linie – selten so etwas lächerliches gesehen…
Wie wär’s denn mit einer kleinen Blogparade?
Jeder postet mal Bilder von seinen durchgelatschten alten Schuhen, wenn vorhanden :)
Oho. Warum denn nicht? Latsche gerade bei 27 Grad durch Berlin, natürlich in 8-Loch Docs black/black. Ich liebe diese Schuhe und habe stets 3 Paar in Gebrauch. Sollen doch ein paar Modeopfer für ihre kurzlebige Vorliebe für dieses Schuhwerk auf die Fake-Variante zurückgreifen.
Danke für den Artikel. Sollte die Spontis-Family nicht einen Betriebsausflug ins Doc Martens-Werk auf die Beine stellen? Ich fände das angemessen und bringe mich gerne ein, falls die Idee Freunde gewinnt.
dann werden zumindest die Käufer kreativ im Ausdenken der passenden Story’s zu den Pseudo-gebrauchten Schuhen … ich kann mir jedoch kaum vorstellen das die auf „alt“ getrimmten Schuhe, dann nach wirklichem Gebrauch auch wirklich solange halten wie selbst eingetragene Schuhe.
Karnstein … was für eine gute Idee.
@Tobi … *dabeibin* … darf ich auch mit wenn ich kaum getragene Doc’s oder andere geschichtsträchtige-Schuhe habe? ;)
Durchgelatschte Schuhe? Meine Pikes fühlen sich gerade extrem angesprochen XD
Klingt gut die Idee, wenn ich auch erst in 2 Wochen etwas schreiben kann, da ich Verreise.
Schöner Text, danke. Was hab ich mir schon Blasen gelaufen in neuen Stiefeln … seitdem Prophylaxe mit Pflastern, bald wird es wieder Zeit. Erinnere mich an Socken, steif von Blut nach durchtanzter Nacht und Heimweg zu Fuß. Böses Erwachen, zwei Tage gehinkt.
Der Beitrag hat mich an die Sechs-Schnallen-Pikes erinnert, die ich ca 1995 für 5 DM auf dem Flohmarkt angeboten habe. Mir waren sie zu eng geworden. Eisen auf den -zigmal erneuerten Absätzen, die Spitzen mit schwarzen Isoband umwickelt … ’ne Punkfrau hat reingepasst und ist glücklich damit von dannen gezogen. Heul.
Oder an die ziemlich mitgenommenen Provider, die in der Dachkammer verstauben. Kann mich nicht trennen davon. Geschätztes Alter: 14 Jahre. Nicht empfehlenswert bei Regen, wegen der Löcher. Die Zungen sind zerfetzt, die Sohlen mehrfach ausgebessert. Über der rechten Stahlkappe ist das Leder gerissen, das Metall schimmert blau …
[…]nur eine Frage der Zeit im aktuellen Vintage-Wahn.[…]
Wobei ich zugeben muss, dass ich jenen Vintage-Stil stellenweise mag. Da, zum Schrecken meiner Eltern, meine Kleidung für mich erst dann an Wert gewann, wenn deren Lebenszeit schon dem Ende gefährlich nahe kam. Doch bis solide Militär-Klamotten verratzen, bedarf es Jahre des Dauereinsatzes.
Und innerhalb von gesellschaftlichen Konventionen kann man sich damit dann nicht mehr allzu frei bewegen. Zumindest wenn gediegene Kleidung erwünscht wird.
Da lobe ich mir dann den Vintage-Stil. Gutbürgerliche Neuware, von anerkannten Modeläden, passt in mein Bild und ich kann mich sogar stilbewusst schimpfen.
Ich glaube, ich erwähnte schon einmal meine Sympathie gegenüber Docs. Aus heutiger Sicht finde ich diese Ledertreter grässlich. Nicht nur, dass für mich deren Sohle zu gutbürgerlich anmutet, dass mir deren gelbe Naht designtechnisch gegen den Strich geht und ich einfach den Stahlkappenausatz vermisse…von allen Ledertretern die ich bis heute trug, waren diese die starrsinnigsten.
Keine Frage, dass man die Stiefel mit Willen eintragen muss. Dass anfangs alles Walken und Fetten nur eine unerhebliche Erleichterung bringt. Doch die Dimensionen, in der mir durch die Docs meine Zehnen und Fersen vernarbten und mir regelrecht die Haut abgeschmirgelt worden war, war mir irgendwann wirklich zu blöd.
Mittlerweise bin ich bei Undergrounds geblieben. Nach dem anfänglichen Prozedere und zwei bis drei Wochen leichter Schnürung sowie griffbereitem Pflaster weiß ich wenigstens, weshalb ich derartiges Schuhwerk trage.
Allerdings, auch wenn es diese könnten, erzählen meine Stiefel selten eine lang Geschichte. Denn aufgrund meiner Fußstellung wird die Sohle so schnell wie gnadenlos am jeweils außenliegenden Rand zertreten und damit bis zur Unbenutzbarkeit deformiert. Und die Anfrage hinsichtlich einer neuen Besohlung endete bei den hiesigen Hufschmieden zumeist nur mit dem Satz: »Solche Sohlen hab´ich nich´« Bei soviel Arbeitsmoral danke ich immer recht freundlich, bestelle die Nachfolger und suche schon mal wieder das Pflaster.
Hi!
In meiner Jugend – noch bevor ich Gothic
wurde – hatte ich auch mal Docs. Und zwar
in knallrot und mit Lack. War ganz cool aber
als sie ausgelatscht waren, konnte ich mich
auch davon trennen bzw sie irgendwo tief im
Keller vergraben ( keine Ahnung, wo sie heute
sind, RIP ). In meiner Gruftanfangszeit habe ich
dann in den ersten Jahren ausschließlich
Undergrounds getragen. Das Eintragen war
jedesmal die Hölle, Undergrounds in Lackoptik
waren da etwas angenehmer. Aber auch da:
AUA…. X.x Wenn die Treter irgendwann so nach
2 Jahren verschlissen waren, hab ich mir immer
schon umgehend neue zugelegt. Ich stehe jetzt
nicht so auf Nostalgie an den Füßen *g*,
irgendwann sehen Schuhe einfach nur noch
verranzt aus. Und ab dafür! ;) Inzwischen kaufe
ich mir für den Alltag noch nichtmal mehr die
teueren Originale! Boots von Deichmann stehen
seit ein paar Jahren bei mir hoch im Kurs.
Sehen gut aus, sind billig, bequem, man muß sie
kaum einlaufen und sie haben nen praktischen
Reißverschluß seitlich. Für den extrafaulen Grufti.
;) Erst vorgestern habe ich mir neue zugelegt.
Das gleiche Modell wie letztes Jahr. Und es ist
interessant, einen jeweils alten Schuh neben einen
neuen zu stellen. Die alten haben wirklich arg
gelitten, an einem löst sich gar hinten die Sohle
schon etwas ab. Spätestens dann ist für mich
Schluß mit lustig. Wenn sich die Sohle schon
ablöst oder Löcher kriegt. Das wertet doch dann
auch optisch das ganze Outfit ab – also ich will
nicht solch kaputte und verschlissene Treter
spazieren tragen, irgendwann ist einfach gut. :)
Dunkle Grüße! :)
Melle
Karnstein Hey, coole Idee! :D Und ein anregender Initialbeitrag, da mach‘ ich doch glatt mit. Wird leider ein paar Tage dauern, wegen szenetypischer bzw. moralischer Verpflichtungen übers Wochenende (Schwarze Fete + Spülschicht statt Raubmord).
Halb eingelaufene Schuhe – das hätte einen Füßen einiges an Schmerzen durch Undercover Boots erspart, die unterm Strich wohl einfach nicht für meine Füße gemacht sind. Neben dem praktischen Aspekt muss ich Robert aber ganz zustimmen. Der Versuch, „Erfahrungs-Coolness“ zu kaufen, ist wohl eher lächerlich und die Tatsache, dass jemand diese Möglichkeit anbietet, schade. Danke für den Artikel ^^
Ich selber habe – nach den erwähnten Versuchen mit verschiedenen Undercover Boots, die ich nie richtig eingelaufen bekommen habe – mir dieses WGT endlich mein erstes Paar Docs gekauft, das wie zur Entschädigung sofort bequem war. Keine Blasen, keine aufgeschürften Stellen, nichts. Ich konnte sie direkt anziehen und meine Füße sich von den papierdünnen Sohlen der Pikes ausruhen lassen – das nehme ich auch mal als gutes Zeichen. Noch sehen die Docs also relativ jungfräulich aus, aber ich bin sicher, in ein paar Jahren haben sie auch die eine oder andere Geschichte zu erzählen :)
@shan_dark: Erfahrungen zum Einkaufspreis? Ein ziemlich düstere Zukunftsvision die du äußerst. Ich möchte nicht wirklich wissen, wann es soweit ist. Ich hoffe ernsthaft, dass ich bis dahin mit meinen selbst gemachten Erfahrungen unter der Erde liege.
Karnstein: Eine großartige Idee hast du da ins Leben gerufen, meine Teilnahme an deiner kleinen Blogparade ist Dir sicher, ich werde in den nächsten Tagen meine ausgelatschten Treter ins Rampenlicht zerren, ob sie wollen oder nicht. Das dieser Artikel so emotional ausgefallen ist, hat viele Gründe, der wichtigste wäre wohl meine ausgeprägte Leidenschaft für Schuhe (natürlich schwarze). Ich fühle mich quasi dazu berufen den unscheinbaren Tretern eine ganz neue Bedeutung zu schenke, gerade weil an den männlichen Füßen der Szene noch viel zu oft Einheitsbrei herrscht.
Steffi: Auch deinen Beitrag zu Karnsteins kleiner Parade habe ich schon gesehen, sehr schön! Vor allem deine neuen Schuhe, die du Dir besorgt hast, würde ich zu gerne mal in Verbindung mit einem Gesamtoutfit sehen!
Tobikult: Du meinst einen Betriebsausflug nach England? Da müsstest du nicht lange bitten, jedenfalls mich nicht. Selbstverständlich müsste das Rahmenprogramm noch entsprechend erweitert werden, denn so viel Liebe zu Schuhen bringt wohl nicht jeder auf, glaube ich zu mindestens.
@Schatten: Ich bin mir sicher, dass Karnstein die Parade bis dahin am Leben erhält, den ausgelatschte Pikes sind neben Doc Martens die meiner Meinung nach wirklich Könige des Untergrunds ;)
@Altgruftiepunk: Ohne Dir zu nahe treten zu wollen: Aber diese Schuhe, die dort bei Dir ein unbeobachtetes Dasein fristen, gehören abgelichtet, an die Öffentlichkeit gezerrt, gezeigt und dargeboten! Vielleicht als Idol, als ein paar Schuhe zu denen man aufblicken kann, die einem den Weg der Erleuchtung weisen. Los, mach bilder! ;)
Guldhan: Besinnen wir uns auf den Sinn der Sachen, so lieferst du bereits Geschichten zu deinen Schuhen, verstecke Dich nicht hinter Deiner anatomischen Fassade. Prinzipiell habe ich auch nichts gegen den Vintage-Wahn, er beschert uns doch immer wieder wahre Fundgruben aus replizierten subkulturellen Schätzen, die in neuer Auflage vor dem Vergessen bewahrt werden. Bisweilen fühle ich mich sogar hin- und hergerissen, denn wenn es nach mir gehen würden dürfte niemand außer uns eine Berechtigung zum Erwerb solcher Vintage-Schätze erwerben dürfen. Aber so ist das wohl. Ich glaube, sobald ich die ersten Spinner mit Pikes sehe, starte ich eine radikale Intoleranz-Kampagne.
@Melle Noire: Nichts gegen deine Liebe für Schuhe von Deichmann, aber wenn du Dir jedes Jahr ein paar neue holen musst, würde sich die Anschaffung qualitativ hochwertigerer Schuhe vielleicht lohnen, vor allem, wenn es jedes Jahr das gleich Paar ist. Ich trage ein paar DOCs schon seit 3 Jahren und dank Schuhpflege sehen sie immer noch sehr gut aus :)
@Anja: Immerhin waren ja schon ein paar sehr schöne Pikes mit Dir zusammen auf dem WGT, das ist Erfahrungs-Coolness in Reinform. Denn Pikes tragen ein alte Weisheit zu ganz neuen Ehren: „Wer schön sein will, muss leiden.“ Mitunter finde ich selbst nicht eingelaufenen Martens bequemer.
@Robert: Hab‘ meine schwarzledernen (oder in einem Fall schwarzsynthetischen) Stars heute morgen auf einem Altar in Szene gesetzt. :)
Beitrag ist schon online: Zeigt her Eure Schuh‘
… und hier ist die Fortsetzung:
Zeigt her Eure Schuh’ – Teil 2
@Robert … Danke Dir :) Mal schauen ob ich Dir im Oktober das gewünschte Bildmaterial präsentieren kann ;)
@Altgruftipunk: Du machst deinem Nicknamen alle Ehren. Respekt, selten habe ich solch verlebte Schuhe gesehen. Ich bin mir sicher, die Geschichten eines Paares würden einen ganzen Roman füllen. Großartig!
Steffi: Ich bin mir, sicher, das wirst du genau so machen :)
Docs im Used-Look von der Stange? Och nööööö….
Da muss ich an eine lustige Begebenheit denken. Vor einigen Jahren arbeitete ich in einem Bioladen und einer unser Azubis war ein kleiner Punk, süße 16 Jahre alt. Eines Tages erschien ich in meinen alten, abgetragenen Docs zur Arbeit und er wurde glatt grün vor Neid, denn seine sahen noch so neu aus trotz bewußter Mißhandlungen seinerseits. Als ich dann nachrechnete, wie alt meine Docs sind, stellte sich heraus, dass meine Schuhe und er gleichaltig waren! Beide Baujahr 1993…
Nun ja, inzwischen sind die Docs wirklich zu kaputt zum Tragen, aber ich hab sie noch im Keller. Aus einer Laune heraus hab ich mal winzige Glöckchen drangebasteltet, diese kleinen Schellen, die kaum ein Geräusch erzeugen und die manchmal an Kettengürteln zu finden sind.
Mir mal neue Docs zu kaufen hab ich nie in Erwägung gezogen, keine Ahnung warum. Vielleicht weil sie dann zu neu wären… aber künstlich gealterte brauch ich nicht.
Meine ersten Pikes habe ich auch vorne und hinten total zerlatscht. Es gab aber in Berlin einen Schuster, der ganz patent war und die Schuhe wieder hergerichtet hat: einfach neues Leder über die Löcher, neue Sohle und dünne Absätze drunter, das zweite Leben der Pikes begann. Ich hab noch etliche Schuhe bei ihm restaurieren lassen, aber leider hat er den Laden vor ein paar Jahren dicht gemacht.
Da fehlte doch ein Video! Ich habe es wieder ersetzt.
Docs sind eigentlich die alltagstauglichsten Grufti-Schuhe. Finde ich jedenfalls. Stabile Sohle mit Grip (im Winter sind Pikes lebensgefährlich!), relativ lange haltbar (obwohl sie meiner Ansicht nach ja mal haltbarer waren) und natürlich ein optischer Klassiker. Ich würde auch neue und noch glänzende tragen, von „used-looking“ halte ich überhaupt nichts, ich kann diesem Style nicht wirklich etwas abgewinnen.
Auch ich habe einen Schuster des Vertrauens. Das ist noch so ein richtiger Schuster und keine „Schnellreperatur“. Der bekommt auch recht viel wieder hin, du musst eben frühzeitig hin, damit du den Pike nicht allzusehr beschädigst.
Pikes im Winter… oh ja. Als ich kürzlich alte Fotoalben zu durchforsten begann (warum wohl?), entdeckte ich Aufnahmen, wo ich sogar auf einem zugefrorenen See mit Pikes unterwegs war. Bei zweistelligen Minusgraden war ich auch schon stundenlang in Pikes auf einem Flohmarkt – die Füße waren danach knallrot, aber Frostblasen gab es zum Glück keine. Pikes trugen mich auch schon während einer Klassenfahrt auf einen Berg hinauf. Da spürte ich jeden Stein, als ob ich auf Socken lief… aber die Pikes haben diese Tortur bestens überstanden! Meine Füße weniger…. diesmal gab es ordentlich Blasen.
Zurück zu Docs: 1997 auf einer Irlandreise waren meine Docs zwar noch recht gut in Schuss, aber nach tagelangem Regen führte mir eine Wanderung um einen Bergsee durch durchnässte Wiesen vor Augen, dass sie nicht (mehr) wasserdicht waren… Bis dahin hielt ich Docs für unverwüstliche, ideale Treter für jedes noch so unwegsame Gelände und Wetter.
@Tanzfledermaus: Das lobe ich mir! Wer Gruftie sein will, muss leiden. Auf einer Höhlentour nach Belgien trug ich – natürlich – szenegerechte Schuhe und wurde von einem Northface-Goth in Funktionsklamotten schief angesehen „ob die Schuhe das richtige Schuhwerk seien“. Das mag jetzt klischeehaft klingen, aber wenn man anfängt die Trueness für Funktion und Anpassung aufzugeben, sind das die ersten Schritte in den Strom der Masse :)
Eigentlich würde ich deinen Kommentar so unterschreiben. Uneigentlich habe ich eben noch mal kurz nachgedacht und denke man muss das etwas differenzierter angehen (An dem Punkt werde ich mir auch wieder gewahr, dass schon lange eine Antwort auf eine Frage Was für mich eigentlich diese Authetizität der Szene ausmacht im Bezug auf einen Kommentar von mir zu der Kommerzialisierung der Symbolik offen ist. Asche auf mein Haupt…).
Ich gebe dir Recht, wenn man es darauf bezieht, dass man sich im Alltag lieber anpasst, weil es vermeintlich (und das ist das stichort) praktischer und unkomplizierter ist. Weil man keine Lust hat sich den Blicken auszusetzen oder gar das Gefühl zu haben abgelehnt zu werden oder sich so Konfrontationen aussetzen zu müssen (ich denke beim letzten Punkt speziell an Situationen auf Arbeit, bei offiziellen Anlässen etc.), oder weil man es einfach so macht und es dafür eine vorgefertige Auswhl gibt die man unreflektiert so übernehmen kann, eben so wie du es in deinem Beispiel beschreibst. Ich stufe es aber anders ein, wenn man sagt, man fühlt sich in der Situation in diesen speziellen Dingen so wohl und authentisch und würde sich eher verkleidet fühlen, wenn man sich explizit aufgruften würde.
Zumindest ginge es mir so, wenn ich ich Pikeähnlichen Schuhen und in meiner Alltagskleidung im Stall auftauchen und damit über die Koppel stolpern würde (eben weil es unfunktional und dadurch behindernd ist). Ich ziehe dort meine braunen Wanderschuhe und meine blaue Reitjacke an, weil die für mich in dieser Situation die angenehmste Bekleidung darstellen, ihren Zweck erfüllen und damals, als ich vor über zehn Jahren die Jacke mit Mami im Reiterlädle gekauft hat, ich mega stolz auf eine „echte Reitjacke war“ und schwarz eben nicht im Budget lag, auch wenn mich das viel Überwindung gekostet hatte und die schwarzen Schuhe, die für den Stall funktional und problemsparend gewesen wären haben eben nicht gepasst.
Zumindest mir ist es wichtiger mich auf der Koppel nicht dreimal in den Matsch zu legen oder bei jedem Schritt meinen Fuß befreien zu müssen, weil ich mal wieder knöcheltief eingesunken bin, nur weil das Schuhwerk nicht passt oder der Notaufnahme regelmäßig einem Besuch abzustatten, weil 700 Kilo mal wieder nicht aufgepasst haben wo sie hintreten, wenn sie kommen, weil diese eine Stelle jetzt gerade gekrault werden muss und sie darüber erst mal wieder an die gute Kinderstube erinnert werden muss. Ich fühle mich deswegen nicht weniger gruftig, noch verstecke ich mein wahres ich.
Ich persönlich sehe es eher so, dass mich mir selbst einen Gefallen tue in dem ich gut zu mir bin und mir vermeidbare Unannehmlichkeiten erspare. Klar, wäre ich auch dort lieber schwärzer unterwegs, nur da sagt das Konto gerade nein und ich gönne mir dann noch lieber diese wertvollen Stunden in weniger gruftiger Montur und kann sie dafür voll auf geniesen. Eben weil ich mir die Zehen nicht breche und weil ich mir keinen Gedanken mache, dass etwas jetzt gravierend dreckig oder gar in Mitleidenschft gezogen wird. Ich fühle mich damit trotzdem noch authentisch, eben weil ich mich nicht verkleide nur um angepasst zu sein. Ich finde es eigentlich auch eher unauthentisch, wenn man auf Gedeih und Verderben äußerlich grufti sein möchte, wenn es die Situation so garnicht hergibt und man sich das Leben damit deutlich erschwert oder bei sich selbst unwohlsein schürrt.
Ich hoffe es wird verständlich welchen Unterschied ich meine, wenn nicht versuche ich nochmal ihn zu explizieren. Finde es jetzt aber auch spannend zu erfahren, wie andere das sehen.
Tja, Funktion und Anpassung sind irgendwie zwei paar Schuhe. Um beim Schuhbeispiel zu bleiben: da ich seit ein paar Jahren extrem viel zu Fuß unterwegs bin (Tages-Wandertouren), mussten dann doch mal ein paar richtig gute Wanderschuhe her. Da stand ich nun im Sportschuhgeschäft und fand kein einziges Paar Wanderschuhe, das nicht entweder grün oder braun war. Hinzu kam noch, dass alle unbequem waren und oben am Schaft extrem hart, so dass schon kurzes Probelaufen unangenehm war. Stundenlanges Wandern mit scheuerndem/drückendem Schuh? Nein Danke. Ich war ratlos. Bin dann doch noch in einen Outdoorladen rein und fand darin mein ideales Paar Wandertreter, sogar in dunkelgrau, fast schwarz. Auch wenn ich im Alltag und auf Wandertouren meist auf eher praktische, unaufälligere schwarze Klamotten zurück greife, so hätte es mich doch irgendwie gegruselt, k…braune Schuhe zu kaufen. Braune Schuhe sind für mich einfach gruselig, unabhängig vom Schwarzsein. Ebenso knallbunte Schuhe.
Schwarz trage ich nicht, weil ich „true“ sein will, sondern weil es mir gefällt und ich mich darin am wohlsten fühle. Wenn es darum geht, mal weniger durch reines Schwarz aufzufallen (z.B. Bewerbungsgespräch), zieh ich zwar auch mal z.B. was Rotes, Lilafarbenes oder Schwarzweißes dazu an, aber in komplett farbigen Klamotten fühle ich mich nach wie vor verkleidet. Aber ist das so typisch gruftig? Wenn jemand z.B. ständig Jeans und helle Blusen/Hemden trägt, weil sie ihm gefallen und das Outfit sich vertraut anfühlt – und dann soll derjenige plötzlich was Knalliges oder stilistisch Ungewohntes anziehen, dann ist das doch auch ein seltsames Gefühl. Es kann ja durchaus einen positiven Wow-Effekt erzeugen, wenn man sich mal in anderen Klamotten sieht als gewohnt, aber es kann auch ein Unwohlsein erzeugen, ein Gefühl des Verkleidet-Seins.
Das kennen bestimmt auch Leute, die auf einmal aufgrund eines Anlasses Anzug bzw. Kostüm tragen müssen und ansonsten einen eher legeren Stil haben. Man sucht sich halt das, worin man sich wohlfühlt. Kleidung transportiert immer etwas vom Inneren nach außen und passt die Kleidung nicht zum eigenen Gefühl, fühlt man sich verkleidet und wirkt auch oft nach außen so. Mein Auftreten wäre in heller Bluse und Jeans ganz anders, ich wäre nicht ich. Zumindest nach 26 Jahren schwarzen Klamotten würde ich mich äußerst seltsam fühlen.
Ein Spagat zwischen Selbstverwirklichung und Alltag ist nicht immer einfach, aber kann gelingen. Reine Arbeitskleidung z.B. wäre für mich Verkleidung zum Zweck, hat aber nichts mit meinem inneren zu tun bzw. verletzt es nicht. Aber ich bin dann auch froh, anschließend wieder in meine „zweite Haut“ schlüpfen zu können. Einfach aus Gewohnheit, Gefallen daran. Nicht, um Außenstehende zu beeindrucken oder cool/true zu wirken. Über diese Stufe bin ich nach der langen Zeit hinaus. Man braucht kein tägliches aufwendiges Styling, um sich auszudrücken. Aber es tut immer wieder gut, sich auch gelegentlich so zurecht zu machen, dass man sich schick und wohl fühlt. Nicht nur, wenn’s in die Disko geht, sondern auch einfach mal für sich, wenn man Zeit dafür hat. Nur nicht zu gewöhnlich werden/fühlen – aber das dürfte auf Otto Normalbürger auch zutreffen (zumindest diejenigen, die nicht schon auf Stufe jeden-Tag-Jogginghose angelangt sind).
Flederflausch: Ich gebe zu, ganz so true wie es klingt, bin ich dann auch nicht. Grundsätzlich würde ich das Zitat, dass du ausgewählt hast, auch so unterschreiben und was du zu „uneigentlich“ geschrieben hast auch. Die Frage ist doch, wo ziehe ich die Grenze?
Ich möchte einen weiteren Blickwinkel beleuchten, den auch @Tanzfledermaus hier angebracht hat. Das Alter. Wenn du einen 18-jährigen Supergruftie 1987 gefragt hättest, ob er für eine Wandertour über den Friedhof nicht „funktionelleres Schwarze“ hätte tragen können, er hätte Dir wohl einen Vogel gezeigt. In der Jugend drückt der Rebell seine äußerliche Idealvorstellung einfach durch. Egal was es kostet. Und irgendwie hat Goth ja auch so angefangen.
Irgendwann kommt dann einfach die Anpassung, weil du es Dir nicht leisten kannst, den Rebell gegen die eigene Existenz zu mimen. Job und Umfeld zwingen Dich zu Kompromissen, die du einfach eingehen musst, weil du sonst einfach dein Leben nicht aufrechterhalten kannst. Es gibt funktionierende Ausnahmen, aber die lassen wir jetzt mal links liegen.
Und so, wie wir uns für die Arbeit anpassen, passen wir uns auch dem Leben an. Unsere Sichtweise auf das Leben ändert sich ja auch. Andere Dinge werden vielleicht wichtig. Gesundheit, Lebensstandard, Familie. Und dann tragen wir natürlich „vernünftige“ Schuhe zum Wandern, eine Regenjacke bei Regen und einen dicken Schal bei eisigem Wind. Wir wollen uns nicht den Tod in zerissenen Strumpfhosen holen und sehen es einfach nicht ein in Pikes auf Schnee dem Boden näher zu kommen. Ist doof. Macht keinen Sinn.
Mir geht es da nicht anders. Ich möchte jedoch auch einwerfen, dass ich Schwarz nicht nur trage weil ich mich darin wohlfühle, sondern immer noch mit einem gewissen Hintergrund. Johnny bringts auf den Punkt. So pathetisch das auch klingen mag.
So trage ich also mittlerweile auch schware Docs als Wanderschuhe, habe eine schwarze Regenjacke und einen schwarzen Nierenschoner beim Fahrradfahren. Meine Badehose ist natürlich auch schwarz und meine Sportklamotten sind ebenfalls schwarz (bis auf obligatorische Leuchtstreifen). Einzig und allein während der Arbeit trage ich einen blauen Arbeitsanzug. Und ich meine, ich reagiere allergisch darauf ;)
Ich habe es geschafft, meine Docs innerhalb von drei Jahren komplett zu verlatschen. Das war auch echt harte Arbeit, teilweise 20 km täglich. hihi
Nein das geht ja mal garnicht. Aber wer das braucht naja .
meine docs hab ich jetzt 3 jahre, kann sie in der regel im sommer aber nicht tragen, da blasen ohne ende, trag sie deshalb auch sonst nicht im dauereinsatz, insofern gehe ich davon aus, dass sie in 10 jahren auch noch recht gut erhalten sind. welche mir immer gut gepasst haben, waren die stiefel von tuk und die wurden getragen, wie alle meine schuhe, bis sie auseinander fallen.
ps. zum Thema „eingetragene schuhe, hat nicht die Queen jemanden, der ihr die Schuhe einträgt?
@ altgruftipunk: das mit den „fertigen“ Providers kenn ich…. schon bei der Beschreibung hast meine volle Aufmerksamkeit bekommen. Geil, die würd ich gern mal sehen. Und es ist nicht einfach, so etwas in die Sammlung zu kriegen :)