1989: Leute die lebten, als seien sie schon Tot (Spiegel TV)

Eigentlich ist es doch egal, welche Leidenschaft man hat, passt diese nicht zum aktuellen Zeitgeist der Gesellschaft erfährt man eine Ausgrenzung, gerade wenn man seine Mitmenschen damit gewollt oder ungewollt konfrontiert. „Meistens schauen wir nicht erst und definieren dann, wir definieren erst und schauen dann.“  1 Von Klischees kann sich niemand freisprechen, ich behaupte, das jeder irgendein Vorurteil mit sich herumschleppt, sei es aus persönlichen Erfahrungen oder negativen Erlebnissen. Der Schritt vom Klischee zur eigenen Meinung machen sich viele zu leicht. Anstatt sich zu informieren übernehmen sie das Klischee, oder sind zu verbohrt die persönlichen Eindrücke zu hinterfragen.

Von den größten Irrtümer über Gothics habe ich ja bereits berichtet, aber woher stammen die eigentlich? Deutschland Februar 1989, als die eigentliche Gothic-Szene schon ein sinkendes Schiff war, wollte die Medien mit Berichten über eben diese für Zuschauer sorgen.  Traurig, das Stefan Aust, ehemaliger Spiegel-Chefredakteur, der für seine großartige Recherche zum Baader Meinhof Komplex einige Preise einkassiert hat, sich hergibt einen solchen Schundbericht anzusagen.Dabei läuft die Recherche für einen solchen Beitrag immer nach den selben Mustern ab. Bewaffnet mit allen Klischees macht sich der gelangweilte und chronisch faule Redakteur auf den Weg, schwarze Treffpunkte aufzusuchen und solange zu stochern, bis man Protagonisten für eben diese Klischees findet.

Die Einleitung zu diesem Bericht packt sich als gleich erstmal den Satanismus heraus, finden ein paar Mitläufergrufties, die es wohl toll finden in eben diese Bresche zu springen. „Ich weiß nicht, helle Farben vertrag ich auch irgendwie nicht mehr…“ (1:42) Ist ja auch klar, die Konditionierung mit der Farbe schwarz bleibt nicht ohne Spuren. Am Bochumer Hauptbahnhof trifft man dann auf eine Gruppe Grufties, die sehr hübsch anzusehen sind, wie ich finde. Als man sie dann beim klassischen Totengräbertanz in der Disco filmt: „Black Metal, die brutalste Seite der Rockmusik ist ihr Rythmus...“ (3:10). Sechs, setzen. Die Musikrichtung steht nicht stellvertretend für die Grufties und läuft schon gar nicht als musikalische Untermalung dieser gesprochenen Zeilen.  Und was machen Grufties nach der Disco? Natürlich vergnügen wir uns auf dem Friedhof. Um diese Aussage zu untermauern sucht man erstmal eine Weile nach entsprechend hohlen Vogelnestern, die man auch prompt findet (3:28). Gleich im Anschluss wiegelt ein „erfahrener“ Gruftie ab, Kreuze klauen ist für Anfänger. Außerdem erfahre ich, das sich die alt eingesessenen Groonix nennen. Kannte ich noch nicht, klingt aber witzig.

Zum einen mag ich solche alten Berichte, sie zeigen schöne und seltene Aufnahmen aus einer Zeit, als die Frisur die Anschaffung eines Sonnendaches im Auto unabdingbar machten. Sie sind Höhepunkt einer in den 90er aussterbenden Bewegung, die jetzt in völlig neuer, den Wurzeln entsagender Weise neu aufflammt.

Einzelnachweise

  1. Walter Lippmann, Public Opinion (1922), dt.: Die öffentliche Meinung, Zitat: „For the most part we do not first see, and then define, we define first and then see. In the great blooming, buzzing confusion of the outer world we pick out what our culture has already defined for us, and we tend to perceive that which we have picked out in the form stereotyped for us by our culture.“[]
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Pixella Panik
Pixella Panik (@guest_1561)
Vor 15 Jahre

Ein witziges Video,hab einen Freund darüber kennen gelernt.Der kennt übrigens einige der Gestalten aus dem Video, ist zu der Zeit auch in der Szene unterwegs gewesen und hat mir schon so einige Schoten erzählt.;)
(Ich kann ihn ja mal nach einem Interview fragen, wäre doch mal ein schönes Gegenstück zu der Berichterstattung.)

Atanua
Atanua (@guest_1565)
Vor 15 Jahre

Ich kenne das Video schon, und ich kann mir immer noch nicht erklären wie unmusikalisch man sein muss, wenn man denkt diese Musik sei brutal…
Aber immer wieder schön anzusehen, besonders die Frisuren^^

Vizioon
Vizioon (@guest_1572)
Vor 15 Jahre

Muhahaha, das ist ja ein lustiges, wenn auch grauenhaft recherchiertes Video.
Ich hab ja auf Black-Metal gewartet, aber irgendwie kam ja nichts. Optisch war es ziemlich Bat-Cave, wogegen ja nichts zu sagen ist. Aber schön war es, mal wieder den Totengräber in Gruppe zu sehen, allein deshalb, weil ich immer noch nicht besser tanzen kann *g*

Vizioon
Vizioon (@guest_1618)
Vor 15 Jahre

Das Schöne ist ja das „meditativ-hypnotisch“ Schreitende. Gerade für Leute wie mich, die mit übertriebener Aktivität, zumindest was Tanzen angeht, nur äußerst selten etwas zu tun haben. Abgesehen davon, daß jeder in etwa weiß, wieviel Platz jeder andere für seine drei Schritte einnimmt. Irgendwie friedvoll, und angenehm unstressig.
Dein „gelegentlich“ kann ich aus meiner Sicht auf ein „sehr gelegentlich“ reduzieren, leider.

Vizioon
Vizioon (@guest_1796)
Vor 15 Jahre

Ich kann Dir leider keinen Hinweis geben, ich komme zwar aus der Gegend von Koblenz, komme aber aus akutem Geldmangel leider nicht mehr in den Genuss, die Szene beurteilen zu können. Es gab mal das „Zwischenwelten“ auf der Festung Ehrenbreitstein, was aus meiner Sicht durchaus das Potiential für Größeres gehabt hätte (allein wegen der Location), aber was seit 2007 nicht mehr stattfindet. Ansonsten gibt es hier noch die „Druckkammer“ oder auch „Druckluftkammer“, aber da bin ich nun auch schon seit langem nicht mehr gewesen, also k.A. was da inzwischen abgeht.

Socke
Socke (@guest_2205)
Vor 15 Jahre

jo vizioon, du kommst aus koblenz, welch zufall,ich gehöre zu den neuwieder assis, wir ham aber auch viel mit den koblenzer punks zu tun. auch ein haufen der gothicszene (gus <–die eignebildeten wichser^^) kenn ich.

@robert in trier gibts das sogenannte exhaus. treffpunkt aller alternativen szenen. da gibts auf jeden ne gothkneipe, und da sind auch öfters konzerte. is auf jeden einen besuch wert

Socke
Socke (@guest_2206)
Vor 15 Jahre

aja und zum video, klar oberflächlich und schlecht.
black metal is das ja wohl mal gar nicht^^, und außerdem reichen 5minuten eh nich um eine szene zu beleuchten.

Vizioon
Vizioon (@guest_2230)
Vor 15 Jahre

Wie gesagt, ich war schon länger nicht mehr da. Also in der „Druckluftkammer“ ;) Aber es ist wohl noch der angesagteste Treffpunkt, was die schwarze Szene angeht (in Koblenz).
@Socke: Mit Punk habe ich, außer musikalisch, nicht viel am Hut. Denn grundsätzlich kann ich der „Mir-ist-alles-egal“-Mentalität nicht viel abgewinnen. Vom Styling will ich ja gar nicht anfangen *g*.

Vizioon
Vizioon (@guest_2391)
Vor 15 Jahre

Naja, meine Sicht ist natürlich subjektiv. Was mir persönlich beim Punk fehlt, ist die Alternative. Ich bin auch nicht mit allem zufrieden, aber wenn ich rebelliere gegen was-auch-immer, dann erwarte ICH (wie gesagt, meine Sicht), eine Alternative. Und natürlich eine, die mir auch „schmeckt“ ;)

alienpsycho
alienpsycho (@guest_3131)
Vor 15 Jahre

Na, das war doch mal ein Backflash aus den 80ern.
Und an den damaligen Zwischenfall (Disco) erinner ich mich auch gerne zurück. War schon ’ne coole Zeit mit den Tellerfrisuren…Heute ist im ZiFa wie fast überall eine stetige Fetishisierung zu erkennen und leider ist das viel erwähnte Gruppengefühl total verloren gegangen. Alles kleine Fetish-Einzelkämpfer. Nichtsdestotrotz gehe ich mir beim (ab und an) anwesenden DJ aus den 80ern (Hallo Herr Zöller) die Klassiker von damals wünschen…Da bin ich ja *huch* doch eher konservativ. Traurig zuzugeben, aber früher war doch schöner.
In diesem Sinne.
Eine treue schwarze Seele…

von Karnstein
von Karnstein(@karnstein)
Vor 15 Jahre

Ach schau mal einer an, du hast ja auch einen Beitrag zu meinem Lieblings-Fernsehbericht zur Szene ^^
Besonders der „Black Metal“ in der Mitte bringt mich immer wieder zum Lachen, und LANGJÄHRIGE Gruftis wie der SIEBZEHNjähringe Patrick sind natürlich eine Einladung zum Schmunzeln :)

Die Seriosität des Berichts fängt ja aber bereits in den ersten Sekunden an…
„Fahr zu Hölle, Jesus!“? Was ich da im Hintergrund höre ist „Jesus decended into hell“. Keine lästerliche Aufforderung sondern kommentierende Vergangenheitsform. Aber sei’s drum.

Letztlich sind für mich Klamotten, Haare, Styling und Tanzstil das Interessanteste an diesem Machwerk.

@Vizioon: In der Druckluftkammer war ich zwar nur einmal (komme aus Limburg), aber größtenteils lief da auch nur Grufttechno und mir wurde von regelmäßigen Gästen gesagt, das sei normal…
Silke Bischoff haben sie zwar für mich gespielt und Cure und London After Midnight kamen auch mal, aber das war’s auch schon mehr oder weniger – mein Bauhaus-Wunsch wurde gar belächelt. ‚Ne Bekannte von mir legt da allerdings hin und wieder auf, und wollte mal einen „Batcave“-Abend machen, wenn ich mich recht entsinne…

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