Hingeschaut: Vita Negra – Leben in Schwarz

Riesige Reifröcke, enge Corsagen und auslandende Mühlsteinkrägen enden in kunstvoll gestalteten und verzierten Gesichtern. Auf dem viktorianischen Picknick zum Wave-Gotik-Treffen in Leipzig sieht es aus wie in den Kulissen eines historischen Films. Bunte Kostüme aus allen Epochen adligen Daseins, sind das noch Gothics?  Aus Sicht der schwarzen Szene sind die Neo-Romantiker, wie man diese Strömung nennt, eine durchaus umstrittene Entwicklung. Auf der einen Seite hält man sie für die Reinkarnation alter und ungeschriebener Gothic-Werte, die sich vorallem im Geist des Selbermachens und der Kreativität in düsterer Ästhetik wiederfinden sollen, auf der anderen Seite beäugt man die pompösen Verkleidungen skeptisch und hält die Meisten für exzentrische Selbstdarsteller, die mit dem Lebensgefühl und dem „Schwarzsein“ der Szene nicht viel gemeinsam haben. Filmemacherin Inga Siebert hat vor rund einem Jahr damit begonnen eine Dokumentation zu drehen, da sie sich und ihre Szene von den existierenden Produktionen unverstanden fühlte. In einem Interview, dass ich damals mit ihr führte, sagte sie: „Und jedes Mal dachte ich mir, das müsse doch mal Jemand richtig machen und eine Doku drehen, welche wirklich von den Menschen in der Szene handelt, ohne alle als Freaks, Traumtänzer, oder Wichtigtuer abzustempeln. Zum anderen wollte ich schlichtweg eine Hommage an diese wundervolle Gemeinschaft und dieses Lebensgefühl schaffen, wo wir uns zu Hause fühlen und was uns so verbindet.“

Pünktlich zu Pfingsten – etwas hinter ihrem eigentlichen Zeitplan – war es dann soweit. Zusammen mit dem MDR präsentiert sie ihre Dokumentation „Vita Nigra – Leben in Schwarz“ der Öffentlichkeit und obwohl sie dem MDR in einem Interview verrät, dass sie „eher auf die Reaktionen der Menschen gespannt [ist], welche mit der Szene gar nichts am Hut haben“ hat sie mich gebeten, trotzdem einen Blick auf ihr Werk  zu werfen. Dieser charmanten Einladung bin ich natürlich erlegen und habe mir die Dokumentation ein zweites mal angeschaut.

Der Film eröffnet mit der Verwandlung von Inga Siebert in „Neccitra Necultra“ und stellt die äußere Metamorphose wie das abtauchen in einer andere, düster-romantische Welt dar. Meine Gedanken, ob das im Falle von Inga eine Verkleidung oder Befreiung ist, werden von der Einblendungen „Die schwarze Szene ist keine Jugendkultur. Es ist eine Art zu leben. Aber was macht uns aus? Was verbindet uns? Was wollen wir darstellen? Worin liegt der Sinn? Wer sind wir?“ jäh unterbrochen. Die schwarze Szene keine Jugendkultur? Eine unglückliche Formulierung, denn ich halte die schwarze Szene immer noch für eine Jugendkultur und würde eher titeln: „Die schwarze Szene ist nicht nur eine Jugendkultur.“ Dennoch, es ist auch eine Art zu leben und genau diesem Fakt will Inga mit ihrer Dokumentation auf den Grund gehen.

Es dreht sich hauptsächlich um die drei Protagonisten Christine, Jan (18) und Ulla (34), die als Menschen aus der Szene einen sehr gelungenen Schnitt durch die Bandbreite der Neo-Romantiker darstellen und mit der Frage nach dem Anfang ihrer „schwarzen Karrieren“ beginnen.  Christine erzählt von den Schwierigkeiten, die man als Gothic in einer dörflichen Umgebung erfährt: „Manchmal sind die Leute zwar sehr interessiert, aber man stößt dann doch auf Granit wenn man irgendwie versucht zu erklären, was einen daran so fasziniert oder wieso man da jetzt zu Hause ist in dieser düsteren Welt.“ Jan hat in der Szene, so sagt er, viel über sich gelernt und hat sich von einer „anfangs sehr schüchterner Person“ zu jemandem entwickelt, der über seine Identifikation mit dem ästhetischen und musikalischem der Szene, viele Leute kennengelernt hat.

Viona
Viona Ielegems, Initiatorin der Gala Nocturna, in historische Kulisse ihres eigenen Schlosses.

Auf die Bedeutung von Gothic angesprochen offenbaren sich sehr differenzierte und interessante Sichtweisen. So scheiterte Christine bereits einige Male daran, den Begriff anderen zu erklären sagt, Gothic ist „ist in erster Linie ein Gefühl, dass man einem Menschen nicht erklären kann, wenn er nicht selber einen Zugang dazu hat.“ Ich stimme dem völlig zu, wie will man Gefühle schon rational erklären? Ulla schafft jedoch einen sehr guten Einstieg in das Lebensgefühl der Neo-Romantiker: „Gothic bedeutet für mich: Ausdruck und Eindruck […] Ich glaube in der heutigen Zeit, die so hektisch ist – alles muss perfekt sein, alles muss schnell gehen, alles mus praktisch sein, niemand hat mehr Zeit – ist das alles so ein bisschen die Sehnsucht nach dem Loslösen davon und ich glaube, dass jeder seine kleine Tim Burton Welt um sich herum aufbauen möchte, um einfach an dieser Ignoranz des Alltags nicht zu zerbrechen.“ Es wird immer deutlicher, dass Inga mit der Beschränkung, nur eine Splittergruppe innerhalb der schwarzen Szene zu dokumentieren, eine gute Entscheidung getroffen hat, denn die Erklärungen der Interviewpartner sind erstaunlich homogen und lassen sich leicht auf einen gemeinsamen Nenner herunterbrechen. Die Beschäftigung mit seiner eigenen Szene-Existenz in Form einer Dokumentation garantiert die Augenhöhe gegenüber seinen Interviewpartner und der Thematik. Für Jan steht eben diese Beschäftigung mit sich Selbst im Vordergrund. Er sieht die Szene als eine andere Form des Ausgleichs, die „nicht so weit von sich weg“ ist, um letztendlich die eigene Authentizität zu wahren.

Die Gala Nocturna, die einmal jährlich in Antwerpen stattfindet, ist ein Höhepunkt der Neo-Romantiker. Viona Ielegems, die Initiatorin der Gala erzählt in der Dokumentation, wie sie mit der Veranstaltung ihren Traum verwirklicht hat, einmal wie einem Filmset zu feiern. Sie möchte sich damit dem Teil von sich selbst hingeben, der aus der Verkleidung das Lebensgefühl macht. „Mann kann sagen, wir wollen unserem Leben mehr Bedeutung geben und wir finden diese Bedeutung im Erschaffen von schönen Dingen.“ Sie ging sogar noch einen Schritt weiter, kaufte Schloss Heinrichshorst in der Nähe von Magdeburg und zog mit Mann und Kind in ihren gelebten Traum. Es bleibt fraglich, ob andere Neo-Romantiker das nötige Kleingeld aufbringen können, um ihrer Utopie von Ästhetik Gestalt zu verleihen.

Ein Leben für die Ästhetik

Ästhetik ist enorm wichtig – darin sind sich Christine, Jan und Ulla einig. „Die Sehnsucht nach Anstand, nach Werten und nach Ruhe. Nach Ruhe und Frieden und schönen Dingen. Es ist leider im Alltag nicht allzu häufig, dass man von schönen Dingen und guten Manieren umgeben ist.“ Die Klamotten sind jedoch nicht alles, wie Christine zu erzählen weiß: „Man würde lügen wenn man sagen würde das die Kleidung keine Rolle spielt. Aber ich finde schon, dass es eine falsche Wahrnehmung ist zu sagen, dass es nur darum geht. Und wenn es manchen Leuten nur darum geht, dann sind sie entweder fehl am Platz oder zu bemitleiden. Ich glaube man merkt auch ganz schnell, wenn nicht das entsprechende Lebensgefühl oder die Einstellung dahintersteckt.“ Aber was steckt denn nun dahinter? Diese Frage wird nicht abschließend beantwortet, vielleicht ist sie auch gar nicht abschließend zu beantworten.

Ludwig Lilienthal, der als Designer und Schneider seine Kreationen feilbietet, ist für mich ein etwas sperriger und widersprüchlicher Zeitgenosse. Während er wie Kollege Lagerfeld den Stand vertritt „Wer einen Jogging-Anzug trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“ fordert er auf der anderen Seite, dass man sich für die Oper mit Anzug und Krawatte „chic“ macht. Vielleicht lässt er dabei außer Acht – er besitzt ja nicht mal ein paar Turnschuhe – dass Sport in Korsett und Pikes weder chic noch angemessen sind, sondern einfach nur unpassend. Wer einen Jogging-Anzug trägt hat demnach nicht unbedingt die Kontrolle über sein Leben verloren, sondern geht einfach nur joggen. Seine Relevanz für die Dokumentation erschließt sich mir nicht wirklich, was möglicherweise an fehlender Aussage in seinen Ausführungen liegt. Als Erklärung für die Ästhetik der Neo-Romantischen Gemeinde füllt er zumindest einige der Lücken.

Für die Zukunft sehen sich alle weiterhin in ihrer schönen Welt, die sie sich aufgebaut haben. Für die Meisten steckt immer noch zu viel Begeisterung und Leidenschaft in ihrem Szenedasein um ein Ende abzusehen. Warum auch? Der gelebte Rückzugsort in einer überzeichneten Parallelwelt scheint in Zukunft immer wichtiger zu werden, um sich Erholung vom Alltag zu verschaffen.

Fazit

Mit ihrem Konzept, nur einen Teil der „schwarzen Szene“ zu beleuchten, ist Inga auf einem sehr spannenden Weg. Dass sie sich selbst in der Szene bewegt ist ein zweischneidiges Schwert, denn zum einen leidet die Objektivität,  während die viel beschworene Authentizität deutlich höher erscheint. Die Protagonisten sind gut ausgewählt und gewähren einige interessante Einblicke hinter die oftmals weiß geschminkte Fassade. Dennoch bleiben die Eingangs gestellten Fragen nahezu unbeantwortet und können allenfalls aus den Antworten der Befragten abgeleitet werden. „Was macht uns aus?“ Die bedingungslose Leidenschaft für historische Ästhetik? Das Schaffen einer Parallelwelt um der Funktionalität des Alltags zu entkommen?

Die Doku ist ein interessanter Anstoß eine Subkultur näher zu beleuchten. Der Begriff „Gothic“ und „schwarze Szene“ sind viel zu überladen um sie in einer einzigen Dokumentation zu erschlagen. Mit dem Einblick in diese Splittergruppe eröffnet sich die Möglichkeit, Barrieren abzubauen. Gerade hinsichtlich der Eingangs erwähnten Differenzen. Es gibt sie, die reinen Selbstdarsteller in prunkvoll zusammengekauften Kostümen, doch einige Szenemitglieder haben ihre Existenz mit Fertigkeiten, Inhalten und Verhaltensweisen ergänzt. Dadurch ist aus dem Kostümball eine eigene Subkultur geworden, die sich unter den erwähnten Oberbegriffen zu Hause fühlt.

Nicht Gothic? Jede Splittergruppe fühlt sich gerne als „Kern der Gothic-Szene“, dabei ist das gar nicht notwendig und nahezu unmöglich, denn Gothic, dass kann niemand so richtig erklären. Etwas auszufüllen, dessen Grenzen man nicht definieren kann ist eben schwierig. Auch diese Dokumentation schafft es nicht „Gothic“ zu erklären. Muss sie auch gar nicht. Das Bewusstsein, Neo-Romantiker zu sein befreit von den Fesseln etwas zu erklären, was man nicht erklären kann. Diese Doku ist eine großartige Hommage an die eigene Szene, die vielen Szene-Skeptikern den Sprung über den Tellerrand erleichtern kann. Ich bezweifle jedoch, dass sie einem Außenstehenden ohne das Hintergrundwissen und die notwendige Differenzierung erklären kann, was Neo-Romantiker sind, was sie mit Gothic gemeinsam haben und was hinter den Kostümen steckt.

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black bat
black bat (@guest_49846)
Vor 10 Jahre

Schicke Doku – auch ästhetisch!
Bei einigen Ausführungen musste ich wirklich zustimmend nicken. Dennoch finde ich nicht, dass es wirklich eine Doku ist,

welche wirklich von den Menschen in der Szene handelt

. Sie mag zwar die Gruppe der Neo-Romantiker ganz gut darstellen (um ehrlich zu sein kenne ich mich dort zu wenig aus, um das wirklich beurteilen zu können), diese sind aber auch nur ein kleiner Teil der schwarzen Szene. Genrell finde ich es immmer schwieirg alle Facetten unter dem, viel beschworenen, Schlagwort „Gothic“ zu subsumieren und auch die Frage danach, was das eigentlich ist, ist m.E. nicht wirklich beantwortbar. Vor ein paar Wochen wurde ich selbst wieder danach gefragt („Wieso trägst du eigentlich nur schwarz und siehst so aus, wie du aussiehst?“) und meine Standantwort ist auch immmer „es ist einfach ein Lebensgefühl und schwer erklärbar“. Von daher stimme ich zu:

Gothic ist “ist in erster Linie ein Gefühl, dass man einem Menschen nicht erklären kann, wenn er nicht selber einen Zugang dazu hat.”

Dennoch ist vor allem die Musik, die m.E. viel zu wenig Beachtung findet in der Doku, ein wesentlicher Bestandteil der Szene und stellt oft den Einstieg in diese dar. Dass „Gothic“ mit „Nostalgie“, „Sehnsucht nach Romantik“ und einem „idealisierten Weltbild“ zu tun hätte, sehe ich für meinen Teil anders – und genau da liegt der Knackpunkt, warum ich in dieser Doku nicht „meine Szene“ wiedergespiegelt sehe. Aber es war vielleicht auch nicht der Anspruch ein umfassendes Bild zu zeichnen, was wahrscheinlich aufgrund der vielen unterschiedlichen Facetten auch sehr schwierig wäre.
Dass die schwarze Szene keine Jugendkultur ist, würde ich auch definitiv verneinen! Oft liegt genau in dieser Findungsphase der Beginn der Szenezugehörigkeit (auch wenn ich selbt ein gutes Beispiel für etwas anderes bin ;-) ).
Ästhektik – ja, die spielt eine große Rolle! Bei den einen mehr, dem anderen weniger. Ja, vor allem durch sein Äußeres drückt man diese aus. Aber warum wird darauf immer so „rumgeritten“?! „Selbstdarstellung“, das eigene Äußere als „Leinwand“, das gilt doch nicht nur für Angehörige der schwarzen Szene! Hippies, Punks, Hipster und wie sie alle heißen, tragen doch ebenso ihre innere Einstellung nach außen! Und inszenieren sich Mädels mit kurzen Röckchen, knappen Oberteil und augespritzten Lippen nicht auch selbst? Ästhetik liegt immer im Auge des Betrachters. Für mich sind Pikes, Pluderhosen und toupierte Haare schick und ästhetisch, für andere eben Reifröcke und Rüschenhemden und für wieder andere kurze Röcke, High-Heels und Gucci-Taschen… So what? Muss man sich immer erklären, warum man wie aussieht und warum man sich zu einer Szene, die viel mit Düsternis zu tun hat, zugehörig fühlt!? Es wurden mittlerweile so viele Dokus dazu gedreht, aber jemand von „Außen“ wird auch nach Sichtung dieser Doku hier noch mit einem unvollständigen, vielleicht auch teilweise falschem Bild (wenn man die vielen verschiedenen Facetten beachten möchte) daraus hervorgehen. Und jemand, der sich wirklich mit dem „Phänomen“ schwarze Szene auseinandersetzt, aber dieser selbst nicht angehört, wird sich irgendwann ein enigenes Bild machen – vielleicht eher durch Gespräche, als durch ein Haufen verschiedenartiger Dokumentationen, die doch häufig viel zu viele Klischees bedinen. Oft ist es der Anspruch, authentische Menschen der Szene darzustellen, was in dieser Doku ja auch wirklich gut gelang, dennoch ist dies aber nichts weiter als eine Darstellung von individuellen Lebensentwürfen und Geschichten. Das ist ja erstmal nichts Schlechtes und an dieser Stelle ja auch wirklich gut gelungen, aber im Großen und Ganzen dann doch nicht viel anderes als einige andere Dokus vorher.

Gruftfrosch
Gruftfrosch(@gruftfrosch)
Vor 10 Jahre

Nee, nee, das merkt man ziemlich schell, dass es hier um die Neoromantiker im Speziellen geht. Ich fand es auch gar nicht schlimm, ganz im Gegenteil, dass hier der Fokus ganz klar auf diesen Teil der Szene gerichtet ist, denn viele der vorgetragenen Standpunkte teile ich. Ehrlich gesagt, werde ich mir die Doku noch ein paar mal reinziehen. Einfach, weil sie mich auch ästhetisch einfach berührt. Ich bin selbst auch so einer, der sich für die historische Architektur, Musik und diesen ganzen düsteren „Schnörkelkram“ begeistern kann. Gerade heute, wo alles so schön glatt, schnörkellos und praktisch sein muss und Weiß das Nonplusultra an Modernität darstellt. Hätte ich die Kohle, würde ich es machen wie Fiona. Ich beneide sie schon ein bissl arg ;)…

Ian von Nierenstein
Ian von Nierenstein (@guest_49849)
Vor 10 Jahre

Eine schöne Doku, in der über die persönlichen Ansichten von „Gothic“ gesprochen wird. Das einzige, was mich wirklich stört: Ersetzt lieber „Gothic“ durch „mein Schwarz“, dann hat man als Zuschauer (und selbst Szenegänger) nicht so das Gefühl der Bevormundung, wie man als „Schwarzkittel“ zu sein oder zu fühlen hat. Wie black cat schon sagt, hier wird der Schwerpunkt auf die Rüschen-Fraktion gelegt. Ein Batcaver oder „Oldschool“-Goth wurde hier leider nirgends nach seinen Gedanken gefragt.
Und wieder einmal wird mir klar, dass man nicht das komplette Spektrum der schwarzen Szene(n) in eine einzelne Reportage oder ein Festival packen kann, würde man versuchen, sich jeder einzelnen Facette zu widmen, würde das entweder kein Ende nehmen, oder andere würden sich ausgeschlossen fühlen.
Das Wort „Gothic“ ist leider sehr austauschbar, erkenne ich persönlich mich in den Aussagen und Bildern von „Vita Nigra“ leider nicht.

Rosa Aristides Chalybeia
Rosa Aristides Chalybeia (@guest_49852)
Vor 10 Jahre

Jetzt habe ich es auch mal geschafft, mir Ingas Film anzuschauen. Gefällt mir recht gut, abgesehen davon kenne ich die Protagonisten – abgesehen von Ulla und Partner – alle seid Jahren auch persönlich. Da hat man gleich nochmal einen anderen Blickwinkel auf das was angesprochen wurde oder hat derarte Gedanken auch schonmal persönlich ausgetauscht, ist also nicht groß verwunderlich wenn ich sage, daß ich viele der Standpunkte genauso teile.

Ich denke, man sollte das mit der „eigenen Welt“ nicht immer als Realitätsflucht auslegen, sicher betreibt man die bei diversen Veranstaltungen auch sehr aktiv, aber im Grunde schafft sich irgendwie jeder seine Welt, in seinen eigenen vier Wänden, mit der Art wie man sich „schmückt“ – und da hat Black Bat eigentlich schön eingeworfen, daß im Grunde jeder, egal welcher Szene angehörig, sich entsprechend inszeniert, ich denke bei der Rüschenfraktion ist das so sehr im Fokus, weils eben auf ein sehr auffälliges Extrem hinausläuft , und vor allem auch eines was mit Stilmitteln spielt die nicht in die moderne Zeit passen wollen oder schlicht und ergreifend für unsere moderne Sicht völlig alltagsinkompatibel sind. Und in dem Sinne die Assoziation zur „Kostümierung“ und des Aufmerksamkeitssuchens – wie auch Robert ja erwähnte – recht leicht fällt und die Subsparte daher ja oft kritisch gesehen wird. Da kommt man einfach in den Zugzwang, sich fürs „Äussere“ dann auch öfters rechtfertigen zu müssen, als vielleicht andere Subsparten-Angehörige.

Den Ludwig hast Du, Robert da vielleicht stellenweise etwas falsch verstanden, er meinte das mit dem „chic machen“ doch eher im Kontext, daß der feine Zwirn für die Oper, um bei dem Beispiel zu bleiben, ja auch nicht als Kostümierung angesehen wird, aber die großen historischen Klamotten bei „uns“ bereitwilliger als Verkleidung wahrgenommen werden, obwohl der Zweck im Grunde der gleiche ist – eine besondere Bekleidung für einen besonderen Anlass. Da sind wir an dem Punkt wieder bei der Wahrnehmungsfrage, da ein victorianischer Anzug oder ein Reifrockkleid heute einfach nicht so in der alltäglichen Wahrnehmung verbreitet sind um allgemein auch als mögliche „Ausgehgarderobe“ wahrgenommen zu werden.
Und das Lagerfeld’sche Zitat – dem ich übrigens auch zustimme – bezieht sich wohl weniger auf joggende Leute die sich dem Anlass entsprechend bekleiden, sondern aufs genaue Gegenteil – Sportsachen gehören zum Sport, sind also in dem Kontext bei anderen Gelegenheiten unpassend, ja implizieren mehr noch ein gewisses Desinteresse an der eigenen Erscheinung bis hin zum Anflug der Ungepflegtheit aus schierer Nachlässigkeit. So hab ich den Kalle jedenfalls interpretiert und ich wage zu behaupten, der Ludwig kam da auf ein ganz ähnliches Ergebnis :)

Schön fand ich auch Jans Ausführungen zur Androgynität, hwäre interessant gewesen wenn der Rest der befragten Runde da auch was dazu zu sagen gehabt hätten.

Soviel nochmal an Überlegungen von meiner Seite. Daß sich die Aussagen der Rüschenfraktion zu gewissen Themen nicht weit voneinander unterscheiden, ist eigentlich recht logisch. Man schaut hier ja auch auf einen viel enger gesteckten Kreis in dem sich Leute finden, die auf mehreren Ebenen gleiche Ansichten und ästhetische Vorlieben haben. Schaut man auf die Szene als Ganzes, wird man da wieder größere Differenzen vorfinden, also auch logisch daß jemand, der selbst nicht irgendwie was mit der Ecke der schwarzen Romantik anfangen kann, da einiges auch ganz anders sehen wird.

Death Disco
Death Disco (@guest_49853)
Vor 10 Jahre

Meiner Ansicht nach steht diese Gruppierung den LARPern näher als den traditionellen Goths. Aber das hatte ich ja schon vor geraumer Zeit geäußert. Das erklärt sich für mich insbesondere dadurch, dass man sehr darauf bedacht ist, historische Kleidungsstile und Räumlichkeiten (hier vordergründig das Aristokratische) und offensichtlich die gesamte Lebensweise originalgetreu zu imitieren. Diese Vorliebe, etwas aus vergangenen Jahrhunderten zu leben, ist ja auch unter LARPern stark verbreitet. Dass das nun eines der Hauptmerkmale des Goth ist, wäre mir jedenfalls neu.

Was mich ein bisschen stört: Diese Einblendung von Totenschädeln, Grableuchten und Kreuzen. Blickt man dann in die Räumlichkeiten der Neoromantiker (nennt man die wirklich so?), sind derartige „Gruftie-Accessoires“ nirgends zu finden. Dieser „cemetary vibe“ passt so gar nicht zu den noblen Leuten.

Die einzelnen Standpunkte, die im Video dargelegt werden (Selbstverwirklichung, Eskapismus etc.), wirken leider oft sehr allgemein und austauschbar und lassen sich als Basiselemente einer jeden Szene – da muss ich Black Bat zustimmen – problemlos auf andere Jugendkulturen übertragen.

Hätte ich die Kohle, würde ich es machen wie Fiona. Ich beneide sie schon ein bissl arg ;)…

Beziehst Du Dich dabei auf Heinrichshorst? Ich sag’s mal so: Mit entsprechendem Einkommen kann sich theoretisch jeder ein Schloss und ein dazugehöriges xxxx qm großes Grundstück leisten. Die Frage ist eher: Was willst Du investieren, um es zu sanieren/instand zu halten? Ich erinnere mich z.B. daran, dass in den Nachwendejahren Schlösser und Herrenhäuser für ’n Appel und ’n Ei verschleudert wurden. Und viele, die jetzt noch leer stehen und verfallen, sind oft kaum mehr wert als ein Einfamilienhaus (Schloss Kummerow für 130.000 Euronen verscherbelt usw.). Tragisch. Aber wenn kein Interesse am Erhalt besteht…

Flederflausch
Flederflausch(@flederflausch)
Vor 10 Jahre

Grundsätzlich finde ich die Reportage auch recht gut gelungen und sehe die Konzentration auf einen Aspekt des Schwarz-Seins auch als sinnvoll. Einfach um einen besseren, spezifischeren Einblick zu ermöglichen. Das hätte man allerdings auch noch mal etwas deutlicher betonen können, dass man sich auf einen Aspekt konzentriert. Was mir definitiv fehlt ist der Bezug zur Musik, der zwar thematisiert wurde, wo aber Hörproben eher fehlten. Ebenso der geschichtliche Hintergrund. Hätte ich überhaupt keine Ahnung von „Schwarzträgern“ wären bei mir jetzt viele Fragen offen und die hohe Bedeutung der Musik hätte sich mir nicht ganz erklärt.

Madame Seelenblut
Madame Seelenblut (@guest_49857)
Vor 10 Jahre

Den Film fand ich einerseits durchaus interessant, andererseits nur bedingt zutreffend und nicht tiefgängig genug. Gothic hat m. E. weniger mit Schwarzromantik, tollen Bällen und WGT zu tun, als viel mehr mit der knallharten Realität, der Härte des Lebens. Außerhalb der tollen Bälle, der wallenden Gewänder existiert eine oft krasse, völlig andere Welt. Gothic – im ursprünglichen Sinne – ist m. E. keine Realitätsflucht, Ablenkung und schon garnicht Selbstdarstellung, sondern die Konfrontation/Auseinandersetzung mit der knallharten Realität, der Vergänglichkeit etc. Die daraus resulierende Melancholie, das Erleiden/Ertragen (müssen) dieser kaputten Welt drückt sich in der schwarzen Kleidung und Musik aus, worin jedoch auch Schönheit, Ästhetik und Freude verborgen liegt, denn in der Melancholie wohnt beides, die Dunkelheit und das Licht.
Es vollzog sich ein enormer Wandel in der Szene. Dieser Wandel brachte mit sich, daß das Ursprüngliche, Tiefgängige sehr abgeflacht ist. Jenes, was heute ist, bzw. zelebriert wird, entspricht meiner Ansicht nach meistens nicht mehr dem Urgedanken. Massenveranstaltungen wie das WGT, inkl. des viktorianischen Picknicks, diverse Feten und Bälle, bei denen es durchaus oft nur um „let’s have fun“ – auf die etwas andere Art – Konsum, Kommerz und enorm viel um Selbstdarstellung geht, lassen die echte gruftige Lebenseinstellung verkümmern. Die echte gruftige Lebenseinstellung hat was mit einer gewissen Bescheidenheit und Stille zu tun und die sind abhanden gekommen … leider.

Grabesmond
Grabesmond (@guest_49863)
Vor 10 Jahre

Also eigentlich lieber Robert, bin ich mit dem Artikel sehr sehr zufrieden, aber im letzten Absatz- das böse K-Wort; dafür hau ich dir virtuell ein paar auf die Finger ;)
Mag sein, dass das Außenstehende als Kostüm empfinden, aber für mich persönlich ist es schlicht weg Kleidung, die zwar nicht-alltagstauglich aussieht, aber mit Kostüm verbinde ich Klamotten, die schlicht und ergreifend nicht zu einem selbst passen; Kleidung die ganz klar signalisiert: „Hey, das bin in Wirklichkeit nicht ich“.

Natürlich, es gibt die Paradiesvögel, die auf Teufel komm raus auffallen wollen und die nach Aufmerksamkeit gieren, aber solche Menschen kann ich nicht ernst nehmen und mit ihnen will ich auch nichts zu tun haben. In den allermeisten Fällen steckt nämlich sehr wohl ein Gesamtkonzept, eine Idee, eine Inspirationsquelle hinter der aufwendigen Fassade. Für mich z. B. ist das ein Ventil, eine Möglichkeit meine Fantasien, Ideen und Träume zu verwirklichen, auch wenn es mit unter mal Wochen dauern kann, bis ein Outfit fertig gestellt wird…und mir beim Entstehungsprozess immer mal wieder schwöre, nie wieder zu nähen.

Ich gebe zu, mit dem klassischen Trad Goth habe ich kaum mehr was gemein, aber das finde ich persönlich auch nicht so schlimm. Wer meine Beiträge beim Gothic Friday verfolgt hat, der weiß das meine Wurzeln im Metal-bereich liegen, und warum sollte ich auf Krampf Gothrock und Musik aus den 80ern gut finden, nur weil es so von einem Grufti „erwartet“ wird? Das ist nicht (mehr) meine Welt, genauso wenig wie ich mich auf den Großveranstaltungen im Neoromantic-bereich wohl fühle- ich tendiere da doch lieber zu kleineren Partys oder Abenden à la „Die Blaue Stunde“, im Sommer tuns natürlich auch Metal-festivals (..und nun lieber Leser, viel Spaß beim raussuchen einer passenden Schublade für mich…)

Gruftfrosch
Gruftfrosch(@gruftfrosch)
Vor 10 Jahre

Ich erinnere da gerne noch einmal an Karnsteins wunderbare kleine Beschreibung zum Thema Goth/Gothic…

http://www.youtube.com/watch?v=rXjEgp7-uVI (ab 07.30 min)

Wir sind mal wieder an dem Punkt angekommen, wo wir darüber diskutieren, wie eng wir den Kreis ziehen wollen, was a priori wieder aus einen Generationsempfinden heraus schwierig unter einen Hut zu bekommen ist. Die alten Füchse (bitte nehmt es mir nicht übel…ist nicht bös gemeint) sind da natürlicherweise wohl strenger und zählen die Rüschenhemden und Empire-Kleider nicht zum mehr engen Kreis. Da ich SO in die Szene eingestiegen bin, da mir die Anknüpfungspunkte über den Punk damals gefehlt haben (was man bedauerlich finden kann oder nicht), bin ich da nicht so hart im Urteil. „Dead can dance“ und „Arcana“ habe ich damals geliebt und liebe es heute noch. Von „Lacrimosa“ (noch so ein Vertreter) habe ich mich mittlerweile jedoch deutlich entfernt und bin jetzt näher am wavigen/postpunkigen „Urschleim“ als damals. Ich gebe dennoch zu, mich auch heute gerne noch mal aufzurüschen, aber nicht mehr so exzessiv wie noch vor etlichen Jahren. Ich bin da nicht so festgefahren.

P.S. Bands gäbe es noch einige zu nennen, bei denen es mit Sicherheit stilübergreifend Überschneidungen gibt. Was ich damit sagen will, was hier aber irgendwie von einigen in Frage gestellt. Doch, doch…es ist schon die Musik, die die Brücke baut.

black bat
black bat (@guest_49870)
Vor 10 Jahre

Ich halte das Ganze für einen Generationenkonflikt, nach wie vor.

Wenn du damit meinst, dass „junge“ Szenegänger (Wie definierst du das eigentlich und wo ziehst du „Genrationsgrenzen“?) ausschließlich neuen Trends folgen und sich mit diesen Strömungen identifizieren, würde ich dir definitiv wiedersprechen! Sicherlich stimmt das für einen großen Teil, aber ich bin selbst der beste Beweis des Gegenteils. ;-) Ich bin zwar selbst kein Kind der 80er, aber dennoch dieser Epoche (ich meine im Folgenden jetzt immer die „schwarze Seite der 80er“ ;-) ) sehr verschrieben hinsichtlich Kleidungsstil, Musikvorlieben, Lebenseinstellung (?) etc., sodass ich teilweise doch wirklich bedauere nicht in den 80ern in der Generation New-Wave gelebt zu haben und die Anfänge der Szene quasi am „eigenen Leib“ miterleben zu können. ;-) „Meiner Jugendzeit“ und der meiner Altersgenossen (90er) und auch der heutigen Trends kann ich dementsprechend gar nichts abgewinnen und identifiziere mich eher mit den – wenn man schon Grenzen ziehen will – 80er-Trad-Goths/Batcavern und werde auch als diese von den „älteren“ Anhängern der Szene „erkannt“, „jüngere“ hingegen fragen oft, wieso ich spitze Schuhe trage und meine Haare toupiere…
Sicherlich stimmt es, dass viele jüngere Szenegänger keinen Bezug mehr zu dieser Zeit, den Anfängen der Szenen, haben und sich mit den Wurzeln nicht auskennen. Leider stelle ich oft in Gesprächen – das sind aber nicht ausschließlich junge Menschen, sondern auch manchmal „alte Hasen“ – fest, dass Einige solch Kulbands wie die Einstürzenden Neubauten gar nicht kennen oder nicht wissen, woher die schwarze Szene (in Deutschland) ursprünglich kommt (ich meine an dieser Stelle den Punk / New-Wave) und diese Musik auch ablehnen, dagegen dieses EMB-Geschrammel jedoch als ultimativen Kern der Szene sehen.
Und deshalb stimme ich auf der einen Seite zwar zu, dass Musik die Brücke ist, vor allem auf schwarzen Partys, aber jeder natürlich seine eigenen Vorlieben hat und deshalb sich auch nicht jeder auf jeder schwarzen Party wohlfühlen würde, da es einfach zu viele verschiedene Kreise gibt, die wiederum alle unterschiedliche Musikstile bevorzugen. Deswegen finde ich diese Genre-Diskussionen auch immer etwas anstrengend, denn wenn auf einem Party-Flyer steht „Gothic / Dark 80s / Post-Punk / Wave“, dann erwarte ich eben nicht Umbra et Imbargo oder Elektro, was auf den meisten Partys dann aber doch gespielt wird, da das Publikum (zumindest hier in der Region) das doch dann oft wünscht und ich mich dann leider nicht mehr wohlfühlen und schon gar nicht tanzen kann… Das liegt dann eben auch oft daran, dass Genre-Grenzen nicht wirklich klar gezogen werden können und wer kann schon von sich behaupten, einzelne Bands einem einzigen Genre zuordnen zu können, wo diese doch selbst dieses – da haben wir es wieder – Schubladendenken, ablehnen (ich erinnere da nur an Robert Smith, der auch regelmäßig Anfälle bekommt, wenn The Cure als „Gothic“ bezeichnet werden)!?

Death Disco
Death Disco (@guest_49871)
Vor 10 Jahre

Glaub nur nicht alles, was Musiker in Interviews erzählen. Die wechseln ihre Ansichten so oft wie ihre Schlüpper. Anno ’90 in Leipzig präsentierte der dicke Bob den Titel „Lament“ noch als „goth bit of the set“. Und auch in dieser Sendung hatte er kaum Probleme mit „den frühen Tagen“.

Bei Siouxsie & The Banshees ist exakt dasselbe Phänomen zu beobachten. Steven Severin war einer der ersten, die die Musik der Banshees als Gothic brandmarkten. Das ist keine einseitige Kategorisierung von außen, wie oft vermutet wird. Ein Teil der Bands bezeichnete die eigene Musik tatsächlich so, auch wenn sie später mit der Sache nichts mehr zu tun haben wollten.

black bat
black bat (@guest_49872)
Vor 10 Jahre

Ein Teil der Bands bezeichnete die eigene Musik tatsächlich so, auch wenn sie später mit der Sache nichts mehr zu tun haben wollten.

Sicherlich richtig! Da stimme ich dir zu! Der „Oberbegriff“ Gothic wird für viel(es) verwendet und Bands betiteln sich oft als solches, aber mir ging es darum, dass man die einzelnen Sub-Genres kaum trennscharf voneinader abgrenzen kann. Oder was genau ist der Unterschied zwischen Batcave, Goth-Rock, Death-Rock (ok, die amerikanische Version, aber Musik-stilistisch!?) etc.? Wie definiert man „richtig“ Industrial oder EBM? Und lassen sich einzelne Bands wie auch die alten Meiste Cure und Banshees nur einer „Kategorie“ zuordnen? Ich denke nicht…

Death Disco
Death Disco (@guest_49873)
Vor 10 Jahre

Oder was genau ist der Unterschied zwischen Batcave, Goth-Rock, Death-Rock (ok, die amerikanische Version, aber Musik-stilistisch!?) etc.?

Das ist ja auch eine eher künstlich herbeigeführte Trennung, die in den vergangenen zehn Jahren populär wurde. So gab es das weder in den 80ern noch in den 90ern. Was die Amerikaner „Death Rock“ nannten, schloss frühe Gothic-Vertreter der Batcave-Ära mit ein. Da gab es niemanden, der sagte: „Oh, Virgin Prunes und Sex Gang Children sind britisch. Deshalb sind sie Goth und nicht Death Rock.“ Sowas gab es einfach nicht. Umgekehrt dasselbe Spiel. Christian Death waren in Europa eine Gothic-/Wave-Band. Die amerikanische Bezeichnung „Death Rock“ war hier doch kaum verbreitet.

Anders ist es da schon mit EBM und Industrial. Wer sich intensiver damit beschäftigt, erkennt auf Anhieb den Unterschied. EBM war schon immer punk- und tanz-orientiert. Industrial erhebt keinen Anspruch auf Tanzbarkeit, ist oftmals überhaupt nicht für den Club-Einsatz geeignet und eigentlich auch keine rein elektronische Musikrichtung. Der Durchschnitts-Waver, der Songs auf Pop-Basis bevorzugt, konnte damit noch nie viel anfangen. Industrial hatte schon immer nur eine mikrige Gefolgschaft.

Flederflausch
Flederflausch(@flederflausch)
Vor 10 Jahre

Ich denke, wir müssen akzeptieren, dass “Gothic” ein großer Kreis ist, in dem viele kleinere Kreise existieren können.

Da hast du wohl Recht. (Gothic und Wave scheinen mir da so wie so gerne als Sammel- und Oberbegriff gebraucht zu werden). Ich finde, dass das durchaus auch etwas sehr positives ist. So eröffnet sich einem selbst ein riesiges musikalisches und ästhetisches Angebot. Das ist Bereicherung und Erweiterung des Horizonts. Ich kann jedoch auch verstehen, und ich gebe zu, auch mir geht es mitunter auch so, dass man dadurch das Gefühl bekommen kann (wie du es ja beschreiben hast, Robert), dass das, was die ganze Sache für einen selbst ist und ausmacht, dadurch verwaschen, ver- / überfremdet, aufgelöst vielleicht auch missbraucht wird. Man sich teilweise nur noch schwer bis gar nicht damit identifizieren kann. Einfach alles unter den Begriff „schwarze Szene“ gepackt wird, was irgendwie eine Zuordnung braucht und scheinbar etwas damit zu tun hat.
Grundsätzlich ist es auch nur ganz normal, dass Dinge sich weiterentwickeln und ausdifferenzieren. Alles andere ist anachronistisch. Sicherlich spielt da auch mit rein, dass die Themen die (jungen) Menschen heute bewegen, neben klassischen Dauerbrennern, die alle irgendwie irgendwann mal betreffen, teilweise einfach andere sind als noch vor 30/ 35 Jahren. Jeder ist nur ein Kind seiner Zeit und deren Umstände, egal ob sich das in einer vehementen „Vorwärts-Orientierung“ oder dem Wunsch nach (welchem auch immer) „damals“ äußert. Ich haben manchmal auch den Eindruck einige (jung ebenso wie alt) wollen sich gar nicht über ihren eigenen Tellerrand mit der Sache befassen. Vielleicht ist das „jüngeren“ mitunter schlicht zu gestrig? Vielleicht fehlt wirklich aber nur die Bereitschaft einer tieferen Auseinandersetzung?! Daher finde ich den Gedanken des Generationenkonfliktes nicht ganz so abwegig, auch wenn das ein sehr krasser Ausdruck sein mag und black bat sicher Recht hat, es gibt immer Ausnahmen.

Party-Flyer steht “Gothic / Dark 80s / Post-Punk / Wave”, dann erwarte ich eben nicht Umbra et Imbargo oder Elektro, was auf den meisten Partys dann aber doch gespielt wird, da das Publikum (zumindest hier in der Region) das doch dann oft wünscht und ich mich dann leider nicht mehr wohlfühlen und schon gar nicht tanzen kann…

Das ist nicht nur da wo du herkommst so ;) Bessert sich meinem Gefühl aber, wenn die Veranstaltung kleiner und spezieller angelegt ist zumindest ein bisschen, je nach dem wer das Publikum darstellt.
Mit einem unbekannten oder auch nur spezielleren Song kann von jetzt auf gleich die Tanzfläche leer gefegt werden. Sehr desillusionierend wie schnell das ganze „sich auf die Musik einlassen und tragen lassen usw. blablabla“ da dann doch oft schwindet. Frei nach dem Motto, was der Grufti nicht kennt das betanzt er nicht, oder so, habe ich den Eindruck und finde das eigentlich auch sehr schade. Klar ist es toll zu einem, einem selbst bekannten und möglicherweise gut tanzbare Songs rumzugrufteln, aber ich freue mich eigentlich auch immer furchtbar mir Neues zu entdecken.

Jessica 6
Jessica 6 (@guest_49885)
Vor 10 Jahre

Ich fand die Doku eher so lala.
Recht oberflächlich (ging ja größtenteils nur um Optik, Aussehen, Optik in der schwarzen Szene…beim Intro musste ich schon die Augen verdrehen, als das pöse Schminki Goth Mädel im Korsett und weißen Kontaktlinsen eingeblendet wurde…sorry).
Mit den Interviewten konnte ich mich – bis vielleicht auf die Dame mit der tollen Wohnung *g* – auch nicht wirklich identifizieren.
Sound/Bildqualität und allgemeine Machart wirkten ehrlich gesagt auch etwas billig…

Ich hoffe weiterhin auf eine richtig gute Doku der schwarzen Szene

black bat
black bat (@guest_49890)
Vor 10 Jahre

@Robert: Ich glaube, ich verstehe deine Argumentation gerade nicht ganz. Stehe wohl gerade etwas auf dem Schlauch, auch nach mehrmaligem Lesen. ;)
Du schriebst weiter oben:

Im Laufe der Jahre sind immer mehr Einflüsse dazugekommen und wurden assimiliert. Irgendwann hast du als “Alter” einfach den Punkt erreicht, an dem du dich mit neuen Trends und/oder Strömungen nicht mehr identifizieren kannst oder willst.

Soweit verständlich. Das impliziert für meine Begriffe doch, dass jeder ein Kind seiner Zeit ist, also sich eher mit dem identifiziert, was gerade aktuell ist, wenn er oder sie in die Szene einsteigt, oder? D.h.: Einstieg in den 80ern = Identifikation mit diesem mit allem was dazugehört (Kleidung, Musik…); Einstieg in der heutigen Zeit = (ja, was eigentlich?) vielleicht eher Cyber, Steampunk… und Ablehnung, Nicht-Identifikation oder Nicht-Auseinandersetzung mit älteren Dekaden.

Jetzt schreibst du:

Ich meine damit, dass ein Kind der 90er (wie du) sich gerne mit den 80ern identifiziert und eher “neuere” Strömungen ablehnt.

Ja, das trifft auf mich definitiv zu, wie oben beschrieben. Aber widerspricht das nicht dem vorher gesagten? Das ist jetzt keine Kritik, sondern ich verstehe es momentan schlichtweg nicht ganz. :)
Wie gesagt, ich denke, der von dir beschriebene Generationenkonflikt entsteht dadurch, dass jüngere Grufties sich nicht mehr mit älteren Zeiten/den Ursprüngen identifizieren können/wollen, weil es vielleicht auch einfach zu anstrengend ist (?). Da stimme ich dir zu, dass ältere vielleicht eher die finanziellen Mittel haben, aber in Zeiten digitaler und vernetzter Medien spielen die bei der Informationsbeschaffung doch mittlerweile eine untergeordnete Rolle. Wer will, kann schnell und kostengünstig an eine Menge Informationen kommen oder sich auch einfach mit älteren Szenegängern austauschen (on- und offline). Ich denke das Problem ist das nicht-wollen bei vielen Zeitgenossen, da es schlichtweg einfacherer ist, auf neue Trends aufzuspringen, als sich tiefgründig mit älterem zu beschäftigen, was eine Menge Zeit, Aufwand – und natürlich Interesse – voraussetzt.
Aber wie gesagt, es gibt Aussahmen – ich bin der lebende Beweis (und nein, ich bin nicht in den 90ern zur Szene gekommen, sondern viel später und identifiziere mich trotzdem mit den 80ern und kann mit neuerem nichts anfangen). ;)

 Flederflausch: Schön gesagt! Stimme ich dir absolut zu! Aus vielen Unterhaltungen mit befreundeten DJs – und eigenen Erfahrungen – hört man immer wieder, dass, wenn ein unbekannterer oder neuerer Song aufgelegt wird, die Tanzfläche leer wird oder fragende Blicke zugeworfenen werden. Das ist ja genau das Problem. Viele wollen zu den bekannten, etablierten Sachen tanzen, rennen zum DJ und wünschen sich genau dies und der ist teilweise genervt, weil sich auch auf jeder Party dasselbe gewünscht wird, dieselben Lieder von denselben Bands, das Bekannte statt das Neue (oder hinrennen und sagen „spiel doch mal ein bisschen mehr Wave, Goth-Rock, EBM etc.“ – und genau an dieser Stelle kommt die von mir oben beschriebene Problematik der Genre-Grenzziehung wieder durch). Das finde ich auch immer schade, denn Neues zu entdecken finde ich immer wieder spannend, setzte mich, insofern ich die Zeit dazu finde, zuhause gerne damit auseinander und da ist eine Party eigentlich auch die beste Gelegenheit. Deswegen finde ich es auch immer wieder schön, wenn die DJs am folgendenen Tag dann die Playlist posten (bei Facebook), da man dann eben Unbekanntes nocheinmal „nachhören“ kann. Also definitiv vollkommene Zustimmung, Robert:

Die perfekte Party ist die, bei der die Gäste zum DJ laufen und nach dem Song fragen, der lief — nicht um sich ein Lied zu wünschen.

black bat
black bat (@guest_49892)
Vor 10 Jahre

@Robert: Ich denke, jetzt habe ich es verstanden! Das lag sicherlich nicht daran, dass du dich unverständlich ausgedrückt hast! Ich hatte bei Deinem zweiten Kommentar nur nicht erwartet, dass der extra auf mich zugeschnitten war! ;) Dann bleibe ich wohl die Ausnahme einer Regel – jaja, man will ja immer anders sein… ;)

Auch bei mir erfolgte der Einstieg über die Musik, nur wahrscheinlich nicht über die (damals) aktuelle, düstere, sondern über die alten Meister – es kommt wohl nicht von ungefähr, dass The Cure zu einer meiner Lieblingsbands zählen! Von daher: Nein, ich habe meinen Stil, mit dem ich eingestiegen bin nicht unbedingt verändert, sondern er wurde vielleicht nach und nach ein wenig „extremer“. Das heißt, zuerst waren es „einfache“, schwarze Klamotten irgendwann kam der Undercut hinzu, auffälligere Accessoires, spitze Schuhe, dunklere Schminke etc. (Am Rande bemerkt: Die Auseinandersetzung mit „düsterer“ Kultur, wie Literatur, Kunst usw. und einer etwas anderen, von der Norm abweichenden Weltsicht, war schon viel früher da – noch bevor ich überhaupt wusste, dass ich „schwarz“ bin). Aber von Grund auf waren es von Beginn an die 80er, die mich faszinierten (auf meiner allerersten Szene-Party hatte ich im Groben schon diesen Look mit toupierten Haaren usw.) und ich muss auch gestsehen, tiefgründig habe ich mich mit anderen Richtungen nicht wirklich beschäftigt, sondern leider auch nur an der Oberfläche gekratzt. Ja, wahrscheinlich liegt es daran, dass ich die Ursprünge eher als „schwarze Szene“ definiere – da müsste ich mal darüber nachdenken, danke für den Denkanstoß! Ich kann es nämlich tatsächlich nicht wirklich erklären, WIESO ich mich so mit den 80ern verwurzelt fühle, es ist igendwie einfach da gewesen, es ist ein inneres Gefühl, eine Passion, eine Lebenseinstellung – ich weiß es nicht. Vielleicht kommt es auch einfach „nur“ durch die Musik!? Wobei ich an der Stelle auch betonen muss, dass ich auch viel aktuelle, düstere Musik höre und mag, die dann in den Synthie-/Minimal-/Cold-Wave-Bereich geht oder eben neuere Bands, die dem Post-Punk zuzuordnen wären (herrje, schon wieder Genre-Grenzen…).

Du hast sicherlich Recht, man orientiert sich an dem, was und wer einen umgibt (ich denke ich wurde viel von Jemanden beeinflusst, der fast 10 Jahre älter ist als ich und der mich fasziniert(e) – wobei der diesen Look nicht hat!). Und wie gesagt, ich bin ja der Meinung, dass es schlichtweg einfacher und weniger anstrengend ist, sich Aktuellem zu zuwenden, da dies meist „von alleine“ auf einen zukommt, als ein wenig Recherche zu betreiben. Wie angesprochen – und da sind wir uns wohl sehr einig – finde ich das sehr Schade, da dadurch Hintergründe und Tiefgründigkeit z.T. verloren geht, was ich an dieser Stelle aber natürlich nicht allen „Neueinsteigern“ vorwerfen will! Es gibt, wie so oft, keinen richtigen oder falschen Weg und es ist im Endeffekt wohl eine sehr individuelle Sache.

Stimmt, zur Zeit ist wirklich viel Retro angesagt – da bildet die Szene wohl auch keine Aussahme. Dazu vielleicht mal ein ganz interessantes und zum Denken anregendes Interview (hat jetzt nichts mit der Szene zu tun, aber generell mit Musik/Pop-Kultur und spiegelt das von Dir angesprochene wider. Man muss sicherlich nicht alle Argumente teilen):

https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fkultur%2Fmusik%2F2014-07%2Fmark-fisher-popkultur-retro-musik#comments

Ich denke, so verschiedener Meinung sind wir vielleicht gar nicht. Dennoch finde auch ich dies ein wirklich spannendes Thema und es greift die Debatte auf, ob die „heutigen Grufties“ eigentlich noch Ahnung von der Szene und ihren Ursprüngen haben oder ob – wie von vielen älteren immer kritisiert – die Szene wirklich ihre Identität dadurch verloren hat, da sich kein „Neueinsteiger“ mehr wirklich mit den Ursprüngen und der dadurch ursprünglich mal propagierten Lebenseinstellung/Werten auseinandersetzt und zu etwas vollkommen anderem verschwommen ist.

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