Lumina Obscura – Eine Chronistin der Gothic-Szene

Was macht eigentlich so eine Chronistin und wer ist überhaupt Lumina Obscura? Zum Jahresende erreichte mich eine Nachricht über eines der sozialen Netzwerke, der ein Artikel des Schweizer „Landboten“ vom 17. Dezember 2012 angefügt war und mit der Überschrift „Eine Chronistin der Gothic-Szene“ meine Aufmerksamkeit erregte. Ich begann ich zu lesen:  „Der jungen Frau mit dem klingenden Künstlernamen fällt es schwer, die Essenz des Milieus zu beschreiben, in dem sie sich bewegt, seit sie 12 ist.“ Mir schossen Fragen durch den Kopf: „Wem fällt das nicht schwer?“ gleich gefolgt von einem „Gibt es überhaupt eine Essenz der Szene?“ Lumina antwortet im Artikel: „Kleidung, Poesie, Geschlechtslosigkeit, Männer schminken sich, Frauen rasieren sich den Schädel.

Es fühlte sich unbequem an, was dort in dem Artikel zu lesen war, doch das letzte Zitat weckte meine Neugier, entspricht er doch einigen Gedanken, die ich ebenfalls hege: „Solange es Leute gibt, die wahrhaftig sind, wird die Gothic-Szene nicht aussterben.“ Die 17-jährige Schweizerin ist der Nachwuchs einer Szene, die längst in die Jahre gekommen ist. Doch das, was man über Sie liest, hebt sich ab vom Bild der jungen feierwütigen Gothics die nur an der Oberfläche schwimmen. Widerspricht sie damit dem eingefahrenen Bild vieler älterer Szene-Gänger, die ihre eigenen Werte nur noch unter gleichaltrigen finden? Ich wollte mehr erfahren über die angehende Fotofachfrau und das Projekt, von dem in dem Artikel die Rede ist, wollte wissen was hinter der Gothic-Chronistin steckt. Was lag also näher, sie um ein Interview zu bitten um sie und ihre Ideen vorzustellen.

Wer ist die „Gothic-Chronistin“?

Lumina Obscura
Lumina Obscura – Die Gothic Chronistin aus der Schweiz

Ich bin Lumina Obscura (17 Jahre jung), von Freunden Lumi genannt, komme aus der Schweiz, bin leidenschaftliche Fotografin und anscheinend eine „Chronistin“ der Gothic-Szene. Mit 12 Jahren wurde mir erstmals bewusst das ich mich in der schwarzen Szene zu Hause fühle. Von da an war es mir schon immer wichtig, kein dummer Mitläufer zu sein. Ich wollte einfach alles über die Szene wissen, vom Anfang bis Heute. Warum? Vielleicht weil mich damals ein guter Freund immerzu belehren musste. Aber ich hörte einfach schon immer lieber Sopor Aeternus als dieses ganze kommerzielle Zeugs.

Wie ist es zu dem Artikel mit dem „Landboten“ gekommen?

Der Landbote hat schon öfters über die Stiftung Märtplatz geschrieben, und dieses mal suchten sie wieder jemanden Interessanten, über den sie schreiben konnten. Die Leitung des Betriebes, in dem ich zur zeit meine Lehre mache, schlug mich vor. Daraufhin habe ich natürlich zugesagt, ich dachte, ich könnte auf diese Weise etwas mehr Wahrheit verbreiten. Was ja leider ziemlich schief gelaufen ist.

Lumina Obscura Photography
Laila | (c) Lumina Obscura Photography

Auf Facebook äußerst du Dich kritisch über das, was von dem Interview mit der Redakteurin übrig geblieben ist, und das vieles von dem, was dort zu lesen ist, aus dem Zusammenhang gerissen oder verfälscht wurde. Wie würdest du unseren Lesern Deine Sicht auf die Gothic-Szene schildern und was ist die „Essenz“ der Szene, von der im Artikel die Rede ist?

Sie hat ihr Bestes versucht, hat dann aber anscheinend doch wieder auf den üblichen Medien-Mist zurückgegriffen. Gut, wie soll man so ein großes und vielseitiges Thema auch in 15 Minuten beschreiben? Davon abgesehen, dass dies fast unmöglich ist, wenn derjenige der es zu verstehen versucht sich nicht damit identifizieren kann… Denn für mich ist und bleibt Gothic eine tiefgreifende Lebensweise, ein Gefühl.

Dein letztes Zitat: „Solange es Leute gibt, die wahrhaftig sind, wird die Gothic-Szene nicht aussterben.“ hat mich neugierig gemacht. Wie stellst du Dir „wahrhaftige“ Szene-Mitglieder vor und warum können diese Menschen die Szene am Leben erhalten?

Da ich alles andere als ein alter Hase in der Szene bin, kann ich es im Grunde nicht genau wissen. Doch ich weiss, das jeder der allein schon die Anfänge, die Musik und den Lebensstil schätzt und lebt, kein totaler Ignorant ist. Es sollte doch klar sein, dass man früher nicht einfach in einen Laden spazieren konnte und sich seine Kleidung so einfach aussuchen konnte. Oder dass man sich gute Musik nicht einfach aus dem Internet ziehen konnte. Das ist es, was heute immer öfter in Vergessenheit gerät. Die Szene mutiert immer mehr zu einem traurigem Spiel oberflächlicher, arroganter Kinder, die das Gefühl brauchen, anders zu sein. Was in einer simplen Verkleidung endet, die mich immer mehr an Fasnacht erinnert.

Lumina Obscura Photography
Apo-Kalypsia | (c) Lumina Obscura Photography

Im Artikel ist davon die Rede, dass du für ein Projekt im Rahmen der Stiftung Märplatz, Kollegen, die ebenfalls mit der Szene zu tun haben, porträtiert hast. Wie würdest Du das Projekt beschreiben über das der Artikel berichtet?

Es ist ein Langzeitprojekt welches von zwei Stiftungen ins leben gerufen worden ist. Die Foto-Lehrlinge sollten sich ein Thema aussuchen und in den zwei Jahren eine Serie über das jeweilige Thema erstellt werden, welche dann in einer Galerie in Zürich ausgestellt werden. Dabei soll uns der Fotograf Christian Lutz zur Seite stehen. Mein Thema ist die Wandlung einer wunderbaren familiären Kultur, die zu einer Pseudo verseuchten Mainstream Mode geworden ist. In dem Projekt will ich die Wandlung und die Weiterentwicklung deutlich machen.

Die Stiftung Märtplatz ist ein Werkstatt-Verbund für junge Menschen mit psychischen oder sozialen Schwierigkeiten. Im Artikel beschreibst du die Gruppe der Szene-Gänger, mit der du gearbeitet hast, als „Leute, die schlechte Erfahrungen im Leben gemacht haben und Abstand von der normalen Gesellschaft suchen“. Warum ist die Gothic-Szene deiner Meinung nach ein Rückzugsort für diese Menschen?

Da wären wir wieder an dem Punkt der Verfälschung. Wer hat denn nicht schon einmal schlechte Erfahrungen im Leben gemacht, schlimme Dinge erlebt und durchgemacht? Jeder verarbeitet seinen Schmerz anders. Der feine Unterschied ist, in der Szene brauchst du dich nicht zu verstecken. Du hast Menschen um dich herum, die dich verstehen und keine Angst davor haben, Schwächen zu zeigen und wissen, wer sie wirklich sind. Diese Offenheit findest du in der „normalen“ Gesellschaft nur selten.

Lumina Obscura Photography
Christian | (c) Lumina Obscura Photography

Die Überschrift des Artikel beschreibt Dich als „Chronistin der Gothic-Szene“. Was kann man sich darunter vorstellen oder wie würdest du es beschreiben?

Ich weiß nicht, wie sie darauf gekommen sind, aber es beschreibt jemanden, der ein Geschehen verfolgt und darüber berichtet.

Für Dein Projekt, das in dem Artikel vorgestellt wird, hast du auch Interviews geführt, die sehr zu meiner Freude und nach Rücksprache mit allen Beteiligten in einer kleinen Artikelserie auf spontis.de erscheinen werden. Was war die Idee, die hinter diesen Interviews gesteckt hat?

Ich wollte mich in die Personen vertiefen können, mehr über die Denkweise einzelne Personen zu erfahren. Mir geht es nicht um die Gedanken der Merheit oder einfache Fakten, sondern die Ansicht Einzelner. 

Vielen Dank für das Interview! Es war mir eine Ehre, die von einer Zeitung betitelte Gothic-Chronistin zu befragen :-). Für mich zeigt sich deutlich, wie manchmal die eingefahrenen Vorstellung einer neuen „Gothic-Jugend“ von der eigentlichen Realität abweichen. Lumina Obscura zeigt einen möglichen Weg auf. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit und den „eigenen Wurzeln“ um eine verstaubte Szene mit alten Werten, neuen Ideen und frischen Interpretationsformen in ein neues Zeitalter zu begleiten.

Dieser Beitrag ist mit Bilder von und mit Lumina Obscura geschmückt. Möchtet ihr mehr über Lumina und ihre Photografie erfahren, so besucht ihre Seite auf Facebook.

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Kommentare

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tobikult
tobikult(@tobikult)
Vor 11 Jahre

Da kommt doch Hoffnung auf, was die Jugend angeht! Und besonders freue ich mich darüber, dass die Fotografie auf dem besten Wege ist, neben Nähen und Musizieren, in die Top3 der Lieblingsbeschäftigung von Gruftis aufzusteigen (nicht traurig sein, liebe Poeten).

mela
mela (@guest_31589)
Vor 11 Jahre

Als ich den Titel las, dachte ich mir nur, dass da nur Schmuh bei rum kommen kann. Chronistin einer Szene, die so ungerne Details zu ihren Wurzeln preis gibt?
Aber im Allgemeinen ist mir die „Chronistin“ sympathisch und ich freue mich auf ihre Beiträge.

Kathi
Kathi(@kathi)
Vor 11 Jahre

Das Interview klingt vielversprechend.
Bin aufjeden Fall gespannt was da noch so kommt von der Dame.

Izzie Adams
Izzie Adams (@guest_31593)
Vor 11 Jahre

Ich musste etwas schmunzeln, weil ich mich erst kürzlich über die jüngeren Grufties (mit denen ich bisher Erfahrungen gemacht habe) ausgelassen habe. Ein sehr willkommener Beweis, dass man eben nicht alle Menschen über einen Kamm scheren kann und man vermutlich einfach nur ein klein wenig tiefer schürfen muss, um jüngere Mitglieder der Szene zu finden, die nicht nur auf teure Kleidung und Prestige pochen.
Ich bin sehr gespannt :)

Ian Luther
Ian Luther (@guest_31594)
Vor 11 Jahre

Tja, ich kann der guten Frau nur zustimmen, und das, obwohl ich alterstechnisch wahnsinnig viel älter bin als sie. Aber es macht mich neugierig, wie sich das ganze entwickelt. Toll, dass es sogar Teenies gibt, die sich mit den Ursprüngen auskennen und mehr erwarten, als das, was ihnen derzeit serviert wird.

Was in einer simplen Verkleidung endet, die mich immer mehr an Fasnacht erinnert.

Sind wir uns doch alle einig :-)

Lucretia
Lucretia(@marion)
Vor 11 Jahre

Ein wirklich schönes Interview mit einer sympatischen jungen Frau.
Ich muss zugeben, dass mich die Überschrift erst stutzig gemacht habe, aber nachdem sie gesagt hat, dass ihr die „Chronistin“ quasi angedichtet wurde verstehe ich es. Leider ist es oft so bei Interviews, dass einem zum Schluss andere Worte in den Mund gelegt werden, Dinge verdreht und aus dem Kontext gerissen werden.
Nachdem ich selbst noch nicht lange in der Szene bin hüte ich mich davor „den Nachwuchs“ pauschal zu verurteilen, auch weil ich glaube, dass die meisten nichts dafür können ein verdrehtes Bilder der Szene zu haben. Ich meine, worauf stoßen sie denn als erstes, wenn sie ihr Interesse an „Gothic“ entdecken? Halbnackte Fetischmodels und Dubstep/Techno/Metalmusik wenn´s schlecht läuft. Viele interessieren sich dann gar nicht weiter für die (Geschichte der) Szene, sondern wollen bloß ein bisschen spielen, schocken und ausprobieren. Finde ich per se nicht so tragisch, es sei denn es nimmt, wie in manchen Gegenden (vor allem wenn Gothic mal wieder für eine Saison „in“ ist) Überhand.
Trotzdem freue ich mich umso mehr darüber, wenn sich jemand für die Wurzeln der Szene interessiert, versucht zu verstehen und mehr darin zu sehen als abgefahrene Klamotten.
Ich freue mich schon auf die kleine Artikelserie und bin jetzt einfach mal optimistisch, dass es noch mehr so tolle junge Grufties da draußen gibt.

shan_dark
shan_dark (@guest_31603)
Vor 11 Jahre

Mal abgesehen davon, dass Lumina Obscura ein schöner Nick ist, hat sie es mit ihren jungen Jahren doch prima auf den Punkt gebracht: „Mein Thema ist die Wandlung einer wunderbaren familiären Kultur, die zu einer Pseudo verseuchten Mainstream Mode geworden ist.“
Beeindruckend. Ich würde mir ja die Bilder gern ansehen, die die Wandlung deutlich machen. Aber da Zürich grad zu weit ist, freue ich mich sehr auf die Interviews.

Ian Luther
Ian Luther (@guest_31604)
Vor 11 Jahre

Und ich finde es sehr wertvoll, was sie da macht. Eine Art Szene-Chronik habe ich mir schon lange gewünscht. Das könnte die „Bibel“ der schwarzen Szene werden.

Grabesmond
Grabesmond (@guest_31611)
Vor 11 Jahre

Die Szene mutiert immer mehr zu einem traurigem Spiel oberflächlicher, arroganter Kinder, die das Gefühl brauchen, anders zu sein. Was in einer simplen Verkleidung endet, die mich immer mehr an Fasnacht erinnert.

Das hat sie wunderbar auf den Punkt gebracht. Und überhaupt finde ich das Interview sehr gut :) schön dass es noch „junge Kücken“ gibt, die so denken.

Melle Noire
Melle Noire (@guest_31620)
Vor 11 Jahre

Hi!

Sehr schönes Interview mit guten Sichtweisen auf die Szene. Ja, das mit dem schwarzen Nachwuchs kann durchaus ein heikles Thema sein und manche „Alteingesessene“ sehen möglicherweise die „Grundstruktur“ der dunklen Subkultur – so wie sie selbige früher einmal kannten, erlebten und liebten – mehr und mehr bedroht. Beispielsweise durch neue Strömungen.

Vielleicht machen sich viele, die schon lange schwarz sind, diesbezüglich einen viel zu großen Kopf! Klar, die Szene hat sich in all den Jahren gewandelt und man muß auch nicht jede Neuerung oder „Erweiterung“ gutfinden. Und es kann auch schonmal der Eindruck entstehen, daß junge Leute oft vieles oberflächlicher betrachten als „etablierte Grufties“. Dieses Interview beweist mal schön, daß diese Annahme nicht unbedingt stimmen muß. :)

Dunkle Grüße! :)
Melle

Nighttears
Nighttears (@guest_31621)
Vor 11 Jahre

Ein sehr interessantes und gutes Interview!

@Grabesmond:

da kann ich nur voll und ganz zustimmen!

Frau Fledermaus
Frau Fledermaus (@guest_31629)
Vor 11 Jahre

Ich finde es schön, mal wieder etwas über einen jungen Grufti zu lesen, der nicht dem 0815-Einheitsbrei der „Nachwuchsgeneration“ folgt!

Mit meinen 23 Jahren stelle ich immer wieder fest – und zwar seit Jahren! – dass ich mich stellenweise sehr wegen meinen Altersgenossen schämen muss. Aber zum Glück gibt es diese Ausnahmen!

Ian Luther
Ian Luther (@guest_31638)
Vor 11 Jahre

Frau Fledermaus: Ja, da muss ich dir zustimmen ;-) Aber ich glaube, ich war früher auch nicht viel besser…

Liz616
Liz616 (@guest_48074)
Vor 11 Jahre

Hmm ich seh da ehrlich keinen Unterschied zu den ganzen anderen 08/15 „Goff“modelbindestrichKünstlerinnen heutzutage. Die Gothic Jugend macht mir irgendwie Angst

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