Leserbriefe: Wie Rebecca auszog, sich selbst und ganz nebenbei Spontis zu finden

Von Zeit zu Zeit erreichen mich E-Mails oder auch Nachrichten, die von persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen erzählen und wie in Rebeccas Nachricht, vom Szeneeinstieg, der erfreulicherweise ein wenig mit Spontis zu tun hatte. Ich habe mich entschlossen, daraus einen Leserbrief zu machen und würde mich freuen, wenn auch ihr die Möglichkeit ergreift, einfach mal zu schreiben. Eure Geschichte, eure Meinung, eure Erfahrungen. Doch zunächst zu Rebecca und ihrem Weg zum WGT:

Nun stehe ich hier an der Straßenbahnhaltestelle, immer wieder schweift mein Blick über das Stoffband an meinem linken Handgelenk. Ich habe es geschafft, dachte ich. All die Jahre des Wartens und Träumens hatten sich gelohnt. Ich steige voller Vorfreude in die erste Straßenbahn….

Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Dorf mitten in Sachsen. Fünfzig Familien, zwei Busse am Tag und eine Gaststätte. Als Kind das Paradies auf Erden. Zu dieser Zeit war ich ein klassischer Mitläufer. Die Musik, die die Anderen hörten, möchte ich auch. Wie meine Freunde sammelte ich Yu-Gi-Oh Karten und aß Centershock Kaugummis. Im Jahre 2004 saß ich dann des einen abends vor dem Fernseher und entdeckte plötzlich ein für mich völlig seltsames Musikvideo. Wenige Jahre später, 2008, um genau zu sein, fand ich heraus, dass es sich bei gesuchtem Video um den Song „Augen Auf“ von Oomph! handelte.

Dem Internet und einem Videoportal sei Dank begann ich nun weiterhin in dieser Musik zu stöbern. Es folgte Bands wie Rammstein und Unheilig, zugegeben keine ernsthaften Vertreter der Gothic Kultur. Jedoch dies waren die ersten zaghaften Berührungspunkte mit der Szene und bis heute höre ich diese Bands. Irgendwann (inzwischen war ich älter geworden), spürte ich wie sich mein Interessenschwerpunkt in der Szene wandelte. Ich begann mich immer mehr zu fragen, wie fing das alles an? Gab es bestimmte Auslöser für die Szene? Was für Musik lief damals und wie lebte man die Kultur damals aus? Alles das waren Fragen, die ich beantwortet haben wollte.

Nach kurzer Recherche stieß ich auf einen Blog der schwarzen Szene – Spontis. Hier wurden plötzlich die Themen angesprochen, die mich interessierten und auch mein Musikgeschmack begann sich zu wandeln. Dank der Videovorschläge eines Videoportals, vernahmen meine Ohren die Stimme eines jungen Mannes. Sein Gesicht war bleich geschminkt und seine Haare wild zerzaust. Ich weiß nicht mehr ganz genau, mit welchem Song die Band mich gewonnen hatte, aber ab jetzt besaß diese Gruppe namens The Cure einen festen Platz auf meinem MP3-Player und in meinem CD Regal. Es folgen weitere Künstler wie Joy Division, Sisters of Mercy oder Anne Clark. Wissend, dass ich nun endgültig in meiner Welt als Außenseiter galt, wusste ich jedoch eines. Ich hatte endlich mich selbst gefunden. Ich hatte endlich das Gefühl, frei zu sein. Einfach in dem Ich, Ich war und nicht nur Mitläufer um anderen zu gefallen. Dies war wohl ein sehr wichtiger Schritt in meinem noch jungen, pubertierenden Leben. Wie zu erwarten war ich in meiner Klasse die Einzige in einer Subkultur und auch in meiner Schule gab es nur ein wesentlich älteres Mädchen aus der Szene. Ich beginne also mich im Internet nach Communitys umzusehen, aber warum sich unterkriegen lassen? Ich werde immer mutiger meine Lebenseinstellung auch so gut es eben geht im Alltag auszuleben.

Mit Sicherheit laufe ich nicht in Plateaustiefeln früh zum Bäcker, um meine Brötchen zu kaufen, aber ein schwarzes Hemd, hier und da dezenter und symbolischer Schmuck gehören für mich schon zu meiner Wohlfühlkleidung. Die Monate verstreichen und es wird Pfingsten. Ich beschließe nach Leipzig zu fahren.
Ich möchte wissen, wie das WGT wirklich ist und nicht immer nur Dokus schauen, die ich im Internet finde. Was soll ich sagen, ich war fasziniert. So viele verschiedene Menschen und alles waren wahnsinnig herzlich zueinander. Die folgenden Jahre wird der Tagesausflug zu Pfingsten nach Leipzig mein jährlich Lichtblick. Hier werde ich nicht schikaniert, hier bin ich keine Einzelgängerin, die sich nach der Schule in ihr Zimmer verkriecht und hofft das es auch für sie eines Tages besser wird. Die Jahre verstreichen. Ich mache meinen Schulabschluss und eine Berufsausbildung. Der Szene bleibe ich treu. Bis Heute.

„Nächster Halt Leinestraße.“ Ich steige aus der Straßenbahn und folge der schwarzen Masse Richtung Torhaus. Nach all den Jahren bin ich nun endlich auf dem WGT.

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Gothamella
Gothamella (@guest_57211)
Vor 6 Jahre

Wie schön! 😊 Willkommen, willkommen…
Bei mir fing alles mit The Cure an (allerdings deutlich früher), und es ist so herrlich, dass das Gefühl, genau dorthin zu gehören und genau so genau richtig zu sein, nie aufhört. Trotz oder gerade wegen der unendlichen Debatten über die Szene und deren Dynamik. Ich höre es jedenfalls immer gern, wenn jemand seinen Weg „zu uns“ gefunden hat und ein bisschen Ruhe und Glück genießt in dem Gefühl, nicht mehr allein zu sein in der weiten, schwarzen Welt.

Nossi
Nossi (@guest_57220)
Vor 6 Jahre

Ich hab diesen Artikel sehr aufmerksam gelesen und muss sagen, finde ich sehr schön und sehr interessant sogar sympathisch. Schöön, da es doch selten ist, das sich jüngere mit den Ursprüngen beschäftigen. Von einem Leben als Outsider kann ich viele Lieder singen, sei wie du willst Jessica, es lohnt sich. <3

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