Immer dann, wenn man in der Geschichte des Gothic gräbt, laufen einem die Hammer-Filme über den Weg, die zwischen den 50ern und den frühen 70ern entstanden sind und nicht unbedingt zu den großartigsten Filmen der Filmgeschichte zählen sondern wegen ihrer Qualität schnell in ein eigens dafür geschaffenes Genre gesteckt wurden, die B-Movies. Kurioserweise ist die Wirkungszeit der Filme die Geburtsstunde vieler späterer Musiker, von denen einige aus ihren Erinnerungen daran Einflüsse in Stilistischer und Ästhetischer Hinsicht machten. Doch wie lässt sich Hammer-Horror und Gothic in stilistischer Hinsicht unter einen Hut bringen?
Kate Bush veröffentlichte 1978 ihr Singledebüt und bediente sich Emily Brontes Saga „Die Sturmhöhe“, die in den kahlen Hochmooren Yorkshires zur Winterzeit spielt und mit allem ausgestattet war, was wir heute als Gothic bezeichnen würden 1. „Wuthering Heights“ ist aber auch ohne den literarischen Bezug ein frühes Genre-Meisterwerk, auch wenn es ungewöhnlich und anders erscheint. Das Werk blieb von der Kritikern verkannt, erst ihr Album Lionheart verhalf ihr zum Durchbruch, auch wenn sie in einem völlig anderen Genre agierte.
Doch Kate Bush scheint die erste Verbindung zu „Hammer Horror“ zu sein, denn dieses Stück von Album „Lionheart“ war ihr Tribut an die Filmstudios, die mit ihren schockierenden Billigproduktionen eine Zeit lang zum Dauerbrenner des britischen Fernsehen wurden, der die Filme regelmäßig an Freitagabenden auf den Schirm brachte. Der Titel selbst entstand 1976 und ist auf einem frühen Demo zu hören, das in Bush-Fan-Kreisen als The Cathy Demos in Umlauf ist. „Hammer Horror“ erschien schließlich auf dem bereits erwähnte Album Lionheart.
Der Anfang spielt auf einer der drei Filmversionen von „Der Glöckner von Norte Dame“ an, die damals in Umlauf gewesen sind und von denen kurioserweise keine von den Hammer Studios produziert wurden. Doch allein der Name des Titels erzeugte allein durch den Bezug zu den berüchtigten Studios ein gruselige Atmosphäre. Mitte der 70er war „Hammer Horror“ bereits zum Synonym für abgeschlagene Köpfe von kreischenden, leicht bekleideten Damen geworden. Kate Bush gestand, „dass sie nachts das Licht anlassen musste, nachdem sie die ersten Hammer-Horrorfilme gesehen hatte. “ 2 Und obwohl den meisten die Lächerlichkeit der Darstellung mehr als bewusst war, so übten die Eindrücke dennoch ein beklemmendes Gefühl aus, wie Peter Murpy von Bauhaus zugab: „Bevor ich alt genug war, um ein bisschen schlauer zu sein, waren Hammer-Horrorfilme für mich etwas richtig schreckliches. Später natürlich, nachdem ich ein paar gesehen hatten, habe ich darüber gelacht.“ 2
Die ersten, die ganz bewusst mit der fragwürdigen Ästhetik dieser Filme in ihrer Musik spielten war Siouxsie & The Banshees. Allen voran die Frontfrau selbst, die mit ihrem Makeup und ihrer Kleidung die Augen der Zuhörer schockierte, während sie ihre mit ihrer unverwechselbaren Stimmen ihre Songs von der Bühne präsentierte. „Wir wollen die Leute einfach nur provozieren. So, als ob man über Spastiker lacht. Wir haben einen morbiden Sinn für Humor. Ich glaube, dass jeder kranke Dinge im Grund lustig findet, wenn er mal ehrlich darüber nachdenkt. Als ich noch jünger war, habe ich nichts anderes gelesen als die billigen Horrortaschenbücher von Herbert van Thal. Meine Lieblingsfilme waren die Hammer-Filme, vor allem die mit Vincent Price. Seine Art zu spielen ist so billig und offensichtlich, aber gleichzeitig unglaublich wirkungsvoll. Mann sollte niemals Angst haben, billig zu sein.“ 2
Hammer ist Grundstein für eine neue Interpretationswelle der klassischen Charaktere wie Frankenstein oder auch Dracula, die das ältere Publikum noch aus den Stummfilmproduktionen der 20er und 30er Jahre kennt. Sie erheben den Horror in eine neue, eine farbige Dimension denn die Studios arbeiten schon 1957/58 mit Farbfilmen. „Der Fluch von Frankenstein“ und „The Horror of Dracula“ werden erneut sehr erfolgreich und „katapultieren das Tandem Christopher Lee und Peter Cushing zu den größten Stars des phantastischen Films seit Bela Lugosi und Boris Karlof“ 3
Die Studios bauen ihren Erfolg konsequent aus, bevor die Filme Anfang der 70 Jahre beginnen zu floppen. Amerikanische Studios laufen den billig produzierenden Briten mit ihren aufwendigen Horror-Produktionen schnell den Rang ab. Die Nacht der lebenden Toten, der Exorzist und auch das Texas Chainsaw Massaker spielen sich nun in die Gunst des Publikums.
Mit der Gothic-Bewegung der frühen 80er verselbstständigt sich dann das Phänomen der Hammer Horror Produktionen. Nach den ersten musikalischen und stilistischen Errungenschaften von Siouxsie & The Banshees übernehmen immer weitere Anhänger der Bewegung die Stilvorlage und beziehen sich dabei direkt auf die Filme der Studios. Als das legendäre Batcave im Juli 1982 seine Pforten öffnet, spielt Hammer Horror auch bei der Ausstattung des Clubs eine gewichtige Rolle. „Mit einem winzigen Lift ging es vier Stockwerke nach oben, wo man durch einen Durchgang in Sargform in einen kleinen Raum gelangte, der gleichzeitig Kino, Kabarett, Theater, Disko und Liveclub zu sein schien.“ 4 Als gruselig ironische Hintergrundbemalung dienten eben diese „Gothic-Fiction“ Klassiker und Filme der Hammer Horror Produktionen, die im dortigen Kino gezeigt, oder auf Leinwände projiziert wurden.
1985 schließt das Batcave seine Pforten sorgt aber nachhaltig dafür, das Hammer Horror ein integraler Bestandteil der frühen Gothic-Szene wird. Immer wieder werden Stilgeber und Szene inhaltlich zusammengebracht, 1987 sorgt Chris Nicholson in einer BBC Radioreportage für ein Zusammenschluss: „…Doch im heutigen Großbritannien ziehen die meisten Gothics (oder Goths, wie sie meist genannt werden) ihre Inspiration größtenteils aus den Horrofilmen der Hammer-Studios aus den 1930er und -40er Jahren: Frankenstein, Dracula.“
Bedeutungsgeladene Schwangerschaften, die die Symbolik völlig falsch interpretieren nehmen ebenfalls von nun an ihren Lauf. Hammer-Horror ist und bleibt ein Selbstläufer. Vom Bestandteil einer Bühnenperformance bis zum Quell für Klischees wie Satanismus oder Leichenschändung vergehen lediglich 10 Jahre. Ernsthaftigkeit und Ironie sind jedoch zwei Dinge, die in der Szene direkt nebeneinander existieren und immer wieder zu Verwechslungen führen. Niemand würde heute noch bestreiten das Horror-Filme aus den Hammerstudios eine gewisse Ironie besitzen und das eben diese Ironie auch von den frühen Bands so verstanden wurde.
Einzelnachweise
- Die Saga Sturmhöhe könnt ihr euch im englischen Original auf der Internetseite von Wikisource durchlesen[↩]
- Dave Thompson: Schattenwelt – Helden und Legenden des Gothic Rock, Hannibal Verlag 2004, S. 19[↩][↩][↩]
- Aus dem Artikel Hammer Horror der Internetseite Vampire-World.com, abgerufen am 16.08.2010[↩]
- Dave Thompson: Schattenwelt – Helden und Legenden des Gothic Rock, Hannibal Verlag 2004, S. 180[↩]
Wizard of Goth – sanft, diplomatisch, optimistisch! Der perfekte Moderator. Außerdem großer “Depeche Mode”-Fan und überzeugter Pikes-Träger. Beschäftigt sich eigentlich mit allen Facetten der schwarzen Szene, mögen sie auch noch so absurd erscheinen. Er interessiert sich für allen Formen von Jugend- und Subkultur. Heiße Eisen sind seine Leidenschaft und als Ideen-Finder hat er immer neue Sachen im Kopf.
oooh Kate Bush! Ist sie nicht überirdisch? Sie ist es!
Ihre Stimme ist es jedenfalls, in jeder Hinsicht.
Oh, ja, das war etwas kurz gefasst. Natürlich ihre Stimme, aber auch die Arrangements, die Sie so unglaublich in Szene setzen. Irgendwie genial.
Sehr sehr guter, interessanter Bericht. Aus diesem Blickwinkel habe ich das noch gar nicht gesehen, aber es stimmt und einige frühere Bands hantieren tatsächlich auffallend mit Hammer-Horror-Szenen/Bildern.
@Robert: Du hast es einfach drauf, die Dinge auf den Punkt zu bringen, besonders in den letzten beiden Sätzen. D’accor.
@Vizioon: Jo, definitiv überirdisch, die Kate.
@Vizioon: Spricht da Faszination? Vielleicht möchtest du einen Artikel über Kate Bush verfassen :) Sie hätte es verdient und Du wärst sicherlich ein adäquater Verfasser ;)
@shan_dark: Vielen Dank für dein Lob, das bedeutet mir mehr, als Dir vielleicht bewusst sein dürfte ;) (Musst mal raus, es wird sowieso viel zu wenig gelobt in diesem unserem Lande!)
@Robert: Ja, Faszination. Ich kann zwar für nichts garantieren, aber ich möchte, für mich selbst überraschend, einen Beitrag nicht ausschliessen. Einen Zeitrahmen kann ich aber nicht nennen ;)
Edit-Funktion ist ein gutes Feature!
Anmerkung von Spontis: Diesen Kommentar schickte mir Friedhelm über das Kontaktformular, da es meiner Ansicht nach wertvoll zu dieser Diskussion beiträgt, habe ich ihn um Erlaubnis gebeten, es veröffentlichen zu dürfen:
Gruss aus Ostfriesland!
Als Filmfreund beschäftige ich mich bereits vierzig Jahre mit dem Thema.
Unter anderem bin ich ein echter Fan der guten alten „Hammermovies“.
Ich selber, und mit mir viele andere, konnten solche Dinger noch im Kino bewundern. Du liegst sicher richtig damit, „Hammer“ in die B-Movie Ecke zu verlegen, denn das waren sie…, B.
Allerdings sahen diese Produktionen immer teurer aus, als sie eigentlich waren. Und daran hatten viele, gute Leute ihren Anteil. Allen vorran Bernhard Robinson, der Artdirector dieser Firma. Der Mann war eine Legende und konnte eine Produktion mit seinen bescheidenen Mitteln teurer aussehen lassen als sie wirklich war.
Desweiteren finde ich diese guten alten Horrormovies selbst heute noch gruselig.
Wenn Du Christopher Lee in den ersten „Hammer-Draculas“ gesehen hast, dann stimmst Du mir sicherlich bei. Ich ziehe so etwas auf alle den Hochglanz-PC-FX-Dingern von heute vor. Zum „Glöckner von Notre Dame“ habe ich auch noch ein paar Worte. Kommt irgedendwie gelegen, weil ich auf https://www.zauberspiegel-online.de/ gerade meine Serie „Monsters-The Origins“ mit dieser Figur abgeschlossen habe.
Wenn man es recht bedenkt, dann hat „Hammer“ dem Glöckner aus gutem Grund niemals einen Film gewidmet.
Dort hatte man wohl etwas mehr Weitblick als andere, denn Victor Hugos Geschichte „Notre Dame de Paris“ ist mitnichten eine Horrorstory und Quasimodo kein mörderisches Halbwesen. Hugos Roman ist ein historisches Drama. So, bis denne..Ansonsten helfe ich immer wieder gerne weiter…
Das ist wirklich ein interessanter Aspekt, der in Zeiten von Computeranimation sträflich missachtet wird, Horrorfilme bei denen man noch auf Maske setzen musste. Mitunter gab es in diesem Genre auch Beispiel bei denen die Qualität der Maske noch bescheidener war als die Story des Films zu dem sich gemacht wurden.
Die „Stimmung“ die Christopher Lee allein durch seinen Seriencharakter und die Art und Weise seiner Darstellungen in die Filme gebracht hat, waren später sogar Stilbildend für einige Protagonisten der Gothic-Szene und wurden auch entsprechend verarbeitet.
Vielen Dank für Deinen Kommentar zum Thema, bin immer froh wenn Leser sich aktiv einbringen und noch etwas neues beitragen können :)
Kate Bush ist von den ursprüngen Artpop, ab 1980 (Never Forever) kann man sie wohl zum gothic inspirierten New Romantic/New Wave Zirkus rechnen. Auch um 1986 herum gab es Auftritte z.B. mit David Gilmour auf youtube zu finden in denen sie im langen schwarzen Mantel und Stiefel sowie Rüschenbluse auf der Bühne steht. Bereits 1989 wird dann auch ihr Album The Sensual World als gothic pop rezensiert. Der Zeitraum um 1986 scheint mir besonders bemerkenswert weil um diesen Zeitpunkt der Herausbildung des Dark Wave aus dem New Wave erfolgte. Und diese Strömung ist für die heutige gothic Szene ziemlich relevant. Die Frage die ich mir stelle ist aber der Einfluß von Kate Bush auf den Cold Wave.