Rebellion und Mode – Die kultigen Stiefel von Dr. Martens

Es gibt wohl keinen anderen Schuh, der so stellvertretend für eine ganze Reihe von Jugendbewegungen steht wie die Dr. Martens. Der klassische schwarze Arbeiterstiefel symbolisiert für die meisten Träger deren Wurzeln oder die Solidarität mit der Arbeiterklasse. Was in den späten 60ern begann, ist heute eine Modeerscheinung geworden, die meisten Träger identifizieren sich nicht mit der Rebellion einer Jugendbewegung, sondern finden, dass er klasse aussieht. Trifft ja auch irgendwie beides zu: Ein klassischer Dr. Martens ist mit zeitloser Schönheit gesegnet (nach meinem Empfinden) und kann auch heute noch viel über seinen Träger verraten.

Einen typischen Träger gibt es nicht, die Bandbreite der Träger zieht sich heute durch alle Gesellschaftsklassen, was auch sicherlich daran liegt, dass Dr. Martens nun mehr eine Modemarke geworden ist und eine ganze Palette an Modellen im Angebot hat, die jeden Geschmack treffen können.  Auch die meisten Klischees, die man sich über die klassische Stiefelvariante im 8-Loch Format erzählt, sind aus der Luft gegriffen, einige wenige jedoch haben einen wahren Hintergrund.

Nachdem die Schuhe seit 2003 durch „Made in China“ einen herben Imageverlust hinnehmen mussten, lenkte der Konzern vor 2 Jahren ein. Seit 2007 gibt es wieder eine England gefertigte Ausgabe des 1460ers, dem klassischen 8-Loch Stiefel. Grund genug nochmal das Licht einzuschalten und die Schuhe genauer zu beleuchten.

Geschichte der Dr. Martens

Entwickelt wurden die Schuhe von Dr. Klaus Märtens, der nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Schuhe der Arbeiter revolutionieren wollte. Dazu dachte er sich ein spezielle luftgepolsterte Sohle aus und suchte sich Leisten, Leder und Nähfäden zusammen, um daraus bequeme Sicherheitsstiefel zu entwickeln. Mit dem ersten Entwurf konnte Märtens seinen ehemaligen Studienkollegen Herbert Funck begeistern, der als gebürtiger Luxemburger nicht von den Handelsbeschränkungen des Nachkriegsdeutschland betroffen war und so für die benötigten Materialien sorgen konnte. Der Sicherheitsstiefel wurde schnell populär, denn mit bequemen Schuhe für die Arbeiter der sich erholenden Industrie trafen die beiden den Nerv der Zeit. 1952 eröffnete man in München die erste Fabrik, 1959 machte sie mit der Entwicklung international Werbung.

Das erregte die Aufmerksamkeit von Bill Griggs dem Fabrikanten der in England berühmten Tuff Boots, der von der Idee der Deutschen begeistert war und die Produktlizenz für die luftgepolsterten Sohlen erwarb. Er änderte allerdings das Aussehen und ergänzte eine gewölbte Lederkappe und den typischen gelben Nähfaden. Griggs nannte die Sohle Air Wair und erfand den Slogan „with bouncing soles„. Da den Namen Maertens offenbar niemand aussprechen konnte, nannte er den Stiefel Dr. Martens und produzierte im April 1960 die klassische 8 Loch Variante in dunklem Kirschrot, den 1460er. Das Design des Urtyps wurde seitdem nicht mehr wesentlich verändert.

Tony Benn, ein Sozialist im britischen Parlament, kämpfte Anfang der 60er für die Rechte der Gewerkschaften und zeigte mit dem Tragen der Dr. Martens Sicherheitsstiefel, Solidarität und Verbundenheit mit den Arbeitern. Damit war er der Erste, der dem Schuh eine politische Botschaft gab. Das sollte sich auch auf spätere Subkulturen

Der Rest ist legendär. Im Februar 1988 verstarb Dr. Klaus Märtens im Alter von 73 Jahren.  Sein Sohn, Maximilian Märtens, übernahm 1998 das Stammhaus der Dr. Märtens Luftpolster-Schuhe in Seeshaupt und produziert dort noch heute Gesundheitsschuhe mit der berühmten Luftpolstersohle, die aber sicherlich keine Jugendrebellion mehr anziehen werden.

Einzug in die Subkulturen

Die Mods gelten als eine der ersten Jugendkulturen der späten 60er und haben ihre Wurzeln in der Arbeiterjugend Englands. Um ihre Wurzeln äußerlich zu vertuschen, trugen sie bevorzugt teure Markenkleidung und lebten nach dem Motto „Der Schein bestimmt das sein.“ Als Erkennungsmerkmal gilt auch heute noch der grüne Parka. 1964 bildeten sich innerhalb der Mods Splittergruppen, die sich äußerlich von ihresgleichen unterscheiden wollten. Sie rasierten sich die Köpfe und tauschten die Markenkleidung durch provokantere Merkmale, trugen Dr. Martens und nannten sich „Hard Mods“.

Aus ihnen entwickelten sich die ersten Skinheads, als Gegenströmung zu den Mods. Die wollten ihre Wurzeln natürlich auch nicht verstecken und ihren Leidenschaften Ausdruck verleihen und dazu gehörten eben Schlägereien, Fußball und Alkohol. 1968 störten rund 150 Skinheads einen Protestmarsch gegen den Vietnamkrieg und gingen dabei extrem aggressiv vor. Die Dr. Martens mit ihrer Stahlkappe dienten als gefürchtete Waffe deren Wirkung mit teilweise aufgesetzten Stacheln noch verstärkt wurde. Einen rechtsradikalen Hintergrund gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Die Verbindung von Gewalt mit Dr. Martens ist wohl ausschlaggebend für ihren schlechten Ruf innerhalb der Gesellschaft, assoziieren doch viele Bürger diesen ursprünglichen Sicherheitsstiefel mit Gewalt und Brutalität. Die Skinhead-Bewegung war und ist eine multikulturelle und politisch offene Jugendkultur, die den Stolz auf ihre Wurzeln in der Arbeiterklasse auch über ihre Erscheinung nach außen transportieren. Man hörte Reggae, Soul und Ska von damals angesagten Künstlern wie Desmond Dekker, Max Romeo und The Pyramids. Leider gehen die Wurzeln und die eigentliche Bedeutung der Skinheads mit Aufkommen des Rechtsradikalismus unter, denn die Faschisten haben sich der Merkmale der Skinheads bedient. Fragt man heute jemanden nach der Bedeutung eines Skinheads, so würde die Antwort in mehr als 90 % der Fälle wohl in dieselbe Richtung gehen.

Mit Aufkommen des Punks in den 70er nutzte auch diese Jugendbewegung die Docs für ihren äußeren Protest gegen das Establishment. Spätestens zu diesem Zeitpunkt gelten die ehemaligen Arbeiterschuhe als Ausdrucksform für Jugendbewegungen. Die Individualisierung der Docs mit farbigen Schnürsenkeln oder dem Verzieren mit Farben, Ketten oder Nieten war beliebtes Stilmittel vieler Jugendlicher und Merkmale der Szene, der sie angehörten. Ein eindeutiger Vergleich zwischen Farbe der Schnürsenkel und Zugehörigkeit lässt sich jedoch nicht wirklich nachvollziehen. Ob Rot nun wirklich Links ist und weiß nun wirklich Rechts, lässt sich weder in der Vergangenheit belegen noch heute eindeutig zuordnen. In England war die Farbe oftmals ein Ausdruck für die Zugehörigkeit zu einem Fußballclub. Den Jugendlichen wurden am Eingang oft die Schnürsenkel abgenommen, um sie daran zu hindern, gegeneinander zu kämpfen. So nahmen sie viele ein weiteres Paar mit, die nicht immer der gleiche Farbe hatten.

Auch in den aus dem Punk resultierenden Subkulturen, wie der Wave und Darkwave-Bewegung, sind die Docs seit den frühen 80er beliebt. Vorzugsweise trug man schwarze 3- bis 8-Loch-Schuhe. Anne Clark oder Depeche Mode machten die Docs zu dieser Zeit unter den Jugendlichen populär. Später ging man zu immer höheren Stiefeln mit 10 oder 14 Löchern über. In der Gothic Szene verdrängten die Stiefel ab 1990 die bis dahin verbreiteten Schnallen- und Schnabelschuhe. Hier legte man aber eher Wert auf die Kampfstiefeloptik und so übernahmen Stiefelmarken wie Rangers, Commanders oder Underground einen Teil des Marktes. Als letzte Jugendbewegung in denen die Docs Einzug erhielten, zählt man den Grunge um Kurt Cobain als Leadsänger der Band Nirvana, der vorzugsweise die Halbschuhvariante mit 3 Löchern trug.

Und heute?

Dr. Martens haben bis heute nicht viel von ihrem Reiz verloren, auch wenn sie viel Boden an Hersteller von ähnlichen Schuhen verloren haben, als Sicherheitsschuh trägt man die Docs eigentlich nicht mehr. Am 1. April 2003 wurden alle Fabriken von Dr. Martens AirWair in England geschlossen, womit über 1.000 britische Angestellte ihre Arbeit verloren. Die Orginalmaschinen wurden nach Asien verschifft, und werden dort in hohen Stückzahlen und unzähligen Varianten hergestellt. Längst ist ein Dr. Martens kein typischer Stiefel mehr, die Produktpalette reicht von Sandalen über Halbschuhen bis hin zu Pumps in den unterschiedlichsten Farben und Materialien.

Für viele haben die Docs ihre Wurzeln verloren, als auf der Sohle nicht mehr Made in England zu lesen war. Eine bessere Qualität hat es in England nur bedingt gegeben, ein hoher Anteil an gebrochenen Nähten und sich lösenden Klebestellen waren mehr als nur Montagsstücke 1. Die Verarbeitung wurde mit der Produktion in Asien gleichmäßiger 2. Der Imageverlust der nicht mehr in England produzierten Schuhe war jedoch enorm. 2007 führte man unter dem Namen „The Vintage Collection“ einer Neuauflage klassischer Dr. Martens-Schuhe, die wieder in England hergestellt werden und sich wieder mit dem begehrten Schriftzug schmücken dürfen.

Vom Sicherheitsstiefel zum Symbol vieler Jugendkulturen können die Dr. Martens auf eine lange Geschichte zurückblicken, die bis heute ihren Reiz behalten hat. Als Symbol für die Wurzeln in der Arbeiterklasse können sie bei einem Preis von rund 140€ nun wirklich nicht mehr herhalten. Heute sind sie mehr ein modisches Accessoire als eine Form des optischen oder ästhetischen Protestes. Im Laufe der Jahre hat sich die Gesellschaft auf ein immer provokanteres Auftreten gewöhnt, Punk und Gothic verkommen zu Produktlinien der Modelabel. Und immer noch hat der klassische Doc die unterschiedlichsten Wirkungen auf die Mitmenschen, für die einen immer noch provokativ und aggressiv, für die anderen ein Teil ihres Lebens und eine bequeme Art sich fortzubewegen.

Einzelnachweise

  1. Man nimmt an, dass montags die schlechteste Qualität produziert wurde, da hier die Mitarbeiter am unmotiviertesten sind, vgl. Gegenwart bei Wikipedia[]
  2. Quelle: Artikel über die Dr. Martens bei Wikipedia[]
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Sebastian
Sebastian (@guest_2746)
Vor 15 Jahre

Die guten alten Doc Martens. Die besten Schuhe überhaupt finde ich. Sind gut zu tragen und sehen gut aus.

Der Preis ist happig, vor allem seit dem die Schuhe nicht mehr in England sondern wahrscheinlich zu Dumpingpreisen in China oder sonstwo hergestellt werden.

Doch sie sehen einfach fantastisch aus und sind ebenso robust zu tragen, jedenfalls die alten. Die neuen kenne ich noch nicht so gut.

Aber es ist nun vieles aus der Arbeiterbewegung und Kleidung Mode geworden, oft zu sehen an der Skinheadszene. Lonsdale und Doc Martens beides viel zu teuer, ebenso Levis Jeans, eigendlich auch mal eine Arbeiterhose.

Was mich hier aber vor allem stört ist die Sache das eben nicht mehr für europäische Löhne produziert wird aber trotzdem die Preise so hoch bleiben.

Trotzdem bleibt der Schuh einfach klasse.

stoffel
stoffel (@guest_2755)
Vor 15 Jahre

Wieder etwas dazugelernt … um die Geschichte der Schuhe hatte ich keine blassen Schimmer … Danke Dir Robert :)

Sebastian
Sebastian (@guest_2768)
Vor 15 Jahre

@ Robert, wüsste ich heute was in zehn Jahren Kult wird dann würde ich jetzt schon ein kleines Lager anlegen.

Interessant war auf einer Rock n Roll Tanzveranstaltung das dort original Hemden aus den fünfzigern angeboten wurden. Das ist nicht so besonderns, doch die waren noch original Verpackt. Seit 50 Jahren nicht angerührt worden und nun stehen sie zum verkauf. Wenn ich nur wüsste was in zehn bis zwanzig Jahren Kult ist dann hätte ich bald ausgesorgt.

tobi
tobi (@guest_2831)
Vor 15 Jahre

hmm, so gut mir der artikel gefällt, aber skinhead als gegenbewegung zur hippiekultur halte ich doch für etwas daneben gegriffen. ich zitiere mal kurz die von dir glaub ich geschätzten klaus farin und eberhard seidel-pielen, welche in ihrem buch „skinhead“ auf seite 26 folgende zeilen von sich geben: „die legende, skinheads seien die harte, männliche antwort auf den weichen, femininen hippie-kult, stellt die wirklichkeit auf den kopf […] es (anmerkung: gemeint sind die skins) war die dominierende jugendkultur …“

ansonsten prima artikel über eine von mir sehr geschätzte schuhmarke!

tobi
tobi (@guest_2891)
Vor 15 Jahre

wenn die beiden autoren richtig liegen sind die hard-mods und die fussballfan-szene die „väter“ der skins – working-class-jugendliche können und wollen sich den teuren lebensstil der mods nicht mehr leisten, tragen einfach ihre arbeitsstiefel, jeans und hemden/polos von den workingclass-heroes perry und sherman. und bei den randalen beim fussball sind kurz geschnittene haare eh super praktisch – und sehen obendrein geplegter aus als die bei anderen subkulturen immer länger werdenden haaren. und die haare der skins waren damals auch noch nicht so kurz wie heute, wenn die kopfhaut sichtbar war und man nicht hineingreifen konnte passte das damals schon.

ich könnte, wenn interesse besteht, auch mal ne kurzfassung der ahnentafel der skins nach farin und seidel-pielen auf meinem blog bringen.

Rob
Rob (@guest_4372)
Vor 15 Jahre

yay… wenn man schon von Wikipedia abschreibt, dann doch bitte auch verständliche Sätze bilden. Sowas versteht doch niemand:

[…] Die Verarbeitung wurde mit der Produktion in Asien gleichmäßig schlechter. […]

so geht’s besser:

Wiki:
Allerdings ist die Verarbeitung viel gleichmäßiger als dies früher der Fall war.

Micha
Micha (@guest_16449)
Vor 13 Jahre

@Sebastian
Sowas nennt man „Gewinnmaximierung“! China ist ja inzwischen schon zu teuer, so dass die Schuhproduktionen nach Thailand oder Vietnam ausgewichen sind. Schön, dass auch mal geschrieben wird, dass nicht nur Faschos Doc´s tragen! *lob*

Kai
Kai (@guest_49590)
Vor 10 Jahre

Werden martens jetzt nur noch in China hergestellt?

Kai
Kai (@guest_49594)
Vor 10 Jahre

Aha, Danke für die schnelle Antwort, habe mir nämlich vor kurzen den 1919 Black smooth gekauft, einer meiner Favoriten, Dr martens store Hamburg, als ich mir dann den stiefel genauer betrachtet habe stand groß in der Zunge“Made in China.ich war voll enttäuscht, habe mir nach Jahren wieder mal ein paar martens zugelegt und dann sowas, echt traurig!

Kristin
Kristin (@guest_53406)
Vor 7 Jahre

Hallo Robert,

da ich mich als weibliche Person in diesen Szenen auch ein wenig auskenne, finde ich deine Seite sehr interessant.
Auch ich überlege nun, ob es mir das viele Geld wert ist, mir ein paar Docs zu kaufen, da sie ja schon ziemlich teuer sind.

P.S.: Ich habe gleich mal ein Like dagelassen :)

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