Der Mittelaltergrufti glaubt an das romantische Mittelalter. Man nennt sie auch beweglichen Glockenspiele, die über die Straßen wandeln und dabei permanent bimmeln. Sie leben in dem Glauben, das Mittelalter besteht nur aus Musik, Ritterfestspielen und Handwerkern. Diskussionen über Mundfäule, Pest, Vierteilung und Hexenverfolgung gehen sie durch melodischen Sing Sang geschickt aus dem Weg. Lieben das Rollenspiel ohne Peitsche und werden in den Sommermonaten in eigenen Auffanglagern, den sogenannten Mittelaltermärkten, gehalten. Tragen neben ihren schwarzen Klamotten auch gerne Gewandung, Leinenlumpen und ausladende Kleider zu Lederlatschen. Sind wohl durch die erstmals 1974 erwähnten Rollenspieler entstanden und Mitte der 80er durch die Gotik im Stil zum Gothic in der Musik gekommen. Hörte und hört Subway to Sally, Corvus Corax, Faun und Schandmaul.
Die Stilrichtung ist dabei sehr kontrovers, die Begrifflichkeit Mittalterrock wird häufig mit dem Neofolk in Zusammenhang gebracht, hat aber schon rein musikalisch nichts damit zu tun. Die Retrowelle hat das Mittelalter vor etwa 20 Jahren getroffen und ist jetzt bereits bei der Kommerzialisierung angekommen, denn die typischen Mittelaltermärkte die Rollenspielern einst als Sommerlagern dienten, wurden mittlerweile von der breiten Öffentlichkeit akzeptiert.
Diese recht junge Szene ist die Symbiose aus den Rollenspielern und der Gothicszene, die in den Bereichen der persönlichen Einstellung die meisten Berührungspunkte aufweisen. So wundert es nicht, das der typische Mittelalterrock auch sehr gut von der Gothicszene angenommen wurde und in entsprechenden Clubs immer wieder gerne gespielt wird. Der Hang zur Romantik und zum Ästhetizismus, sowie dem Mystischen und Okkulten ist in beiden Szenen ähnlich ausgeprägt. Der Mittelaltergruftie verwendet dabei Stilelemente der Rollenspieler und adaptiert diese auf seine eigene Weise.
Eine Vermischung beider Szenen ist trotzdem falsch. Denn während der Rollenspieler seiner Leidenschaft in der Regel nur in der Freizeit nachgeht und das ganze als Kontrast zu seinem Alltag sieht, bestimmt die Gesinnung der Gothics den Alltag in allen Lebenslagen. So bleibt es bei einer einseitigen Mischung durch die Gothics, die auch mal gerne Rollenspieler sind.
Was aber von einigen Vertretern als Störung der schwarzen Szene angesehen wird, ist für mich eher ein Bereicherung, denn gerade der Kontrast zur elektronischen dunklen Musik bietet neue Möglichkeiten. So wundert es nicht, das die großen Festivals wie das Wave-Gothic-Treffen in Leipzig, die Mera Luna in Hildesheim und das Amphifestival in Köln Künstler aus diesen Bereichen eine Plattform bieten. Leider ist gerade in diesem Zusammenhang das WGT negativ aufgefallen, denn dort wurden Neofolker und Mittelalterbands mit einigen Bands aus der rechten Szene gemischt, wobei der Strudel der Vorurteile dann Bands mit eindeutig Spaßorientiertem Hintergrund gleich über einen Kamm geschert hat.
Wieder einmal wird deutlich, das eine kleine faschistische Minderheit in der Lage ist, den Blickwinkel der Öffentlichkeit auf eine ganze Veranstaltung wie dem WGT zu verzerren. Denn wie bei den meisten Szenen ist die Grundintention der Mittelalterfans und der Neofolker unpolitisch.
Henning Schwoll hatte in seinem Kommentar völlig recht, das Thema hat Brisanz und eine unglückliche Formulierung kann die Sichtweise gleich in ein schlechtes (ungewolltes) Licht rücken. Daher wurde der letzte Absatz überarbeitet, die Aussage ist die gleiche geblieben.
Schade… wieder einmal werden pauschal alle Neofolker (und zwar die, die mit dem Mittelalter nichts zu tun haben) als „Rechts“ eingestuft :-( Dabei war der Beitrag ansonsten doch recht gut…
Da muss ich Henning recht geben, die Formulierung ist etwas missverständlich. Ich bezweifel mal stark, dass Robert alle Neofolker in die rechte Schublade steckt. Mal davon abgesehen frag ich mich immer mehr, ob eigentlich keinem mehr klar ist, dass „rechts“ und „Nazi“ nicht das Selbe ist.
Stimmt, die Formulierung ist in der Tat etwas unglücklich, selbstverständlich meinte ich nicht alle Neofolker, sondern die kleine Randgruppe, die ein schlechtes Licht auf die ganze Szene wirft. „Neofolker aus dem rechten Lager“ ist suboptimal, ich werde eine deutlichere Formulierung wählen und entschuldige mich bei allen „anständigen“ Neofolkern.
Bearbeitung: Ich habe den entsprechende Absatz geändert, inhaltlich hat sich jedoch nichts geändert.
Dein Beitrag zeigt wieder einmal wie bunt die Szene doch ist.
Welche andere Szene hat eigentlich noch soviele unterschiedliche fast gegensätzliche Facetten wie die schwarze?
Wenn man so will, dann gibt es eine ähnlich breite Fächerung auch in vielen anderen Szenen. Wirf nur mal einen Blick auf den Oberbegriff Techno, darunter versammeln sich auch unzählige weitere Szenen. Wenn man davon ausgeht, das jedes Genre der Musik seine eigene Szene besitzt kann man davon ausgehen das es sicherlich an die 100 sind.
Es lohnt sich also für die Schattenwelt wieder einmal reinzuschauen ;)
Hab mir beim Lesen Deines Blogs schon öfter verkniffen, auf ältere Beiträge zu antworten (bin da nicht sicher, ob das noch irgendwer liest), aber hier konnte ich mich nicht mehr zurückhalten!
Auch wenn es sicher Überschneidungen zwischen Mittelalter-Rollenspielern und der schwarzen Szene gibt, verstehe ich nicht, wieso Du die Mittelalter-Fans pauschal mit dem Terminus „Gruftie“ belegst.
Und alle Gothics schlafen in Särgen und praktizieren satanistische Rituale.
Ehrlich: Mehr als Vorurteile sind in obigen Sätzen nicht enthalten.
Ich habe festgestellt, daß bei einigen „Mittelaltergrufties“ tatsächlich ein reges Interesse an den realen Lebensumständen im Mittelalter besteht.
Der Satz „Die Retrowelle hat das Mittelalter vor etwa 20 Jahren getroffen“ ist natürlich lustig; aber bist Du sicher, daß Mittelaltermärkte tatsächlich ursprünglich nur für Rollenspieler da waren?
Ich hatte eigentlich immer den Eindruck, daß diese sich immer an die breite Öffentlichkeit richteten und die Rollenspieler das Angebot dankbar annahmen.
Oder sollte Luitpold Prinz von Bayern tatsächlich ein LARPer sein?
Ah! Ein true Gothic! Schätze mal diese Beschreibung ist höchstens auf so ca. 5-10% der Mitglieder der schwarzen Szene anwendbar.
Andererseits gibt es durchaus Leute, deren Interesse am Mittelalter über den Besuch eines Mittelatermarktes hinausgeht.
Hm, eigentliche wollte ich nicht nur meckern, aber das Problem mit dem Beitrag ist wohl, das er aus zwei Bestandteilen besteht, die für sich getrennt gut funktioniert hätten, aber so nicht zusammenpassen:
A) Ein leicht spöttischer Bericht über „Mittelaltergrufties“, der mit Klischees spielt, diese nicht allzu ernst nimmt, aber eben selber auch nicht allzu ernst genommen werden sollte.
B) Das durchaus ernste Problem, das kleine faschistische Minderheiten ganze Subkulturen in Verruf bringen können.
In diesem Zusammenhang übrigens noch mal ein Gruß an die Mittelaltermarkthändler: Nein, eine Schwarze Sonne hat in der Auslage eines Standes, der sonst nur mittelalterliche Runen und Symbole verkauft, nichts verloren!
„Hab mir beim Lesen Deines Blogs schon öfter verkniffen, auf ältere Beiträge zu antworten.“
Schade eigentlich, dein Kommentar zeigt, dass ich viel zu viel davon verpasst habe. Die Einschätzung einer Szene spiegelt nur meine Sichtweise der Dinge wieder, solange nicht jemand (so gekonnt wie Du) Einspruch erhebt. Denn nur durch Kritik kann ich mich verbesser ;)
Wie dem auch sei: Natürlich hast du Recht mit deiner Einschätzung, der Artikel besteht tatsächlich aus zwei Teilen, die so nicht miteinander harmonieren. Im ersten Teil behandle ich die Szene tatsächliche etwas ironisch und „Mittelaltergruftie“ ist ein durchaus klischeetriefender Begriff, ebenso wie der darauf folgende Absatz.
Ich werde mich bemühen den ironischen Teil und den mehr ernsthaften Teil zu trennen.
Wann und woher die Mittelaltermärkte kommen, ist für mich noch nicht ganz geklärt, jedenfalls nicht in neuzeitlicher Hinsicht der letzten 20-30 Jahre. Meine Vermutung, sie dienten den LARPern als Sommerlager ist daher nur eine Einschätzung, die ich nicht belegen, aber auch nicht widerlegen kann. Ein Einschätzung in Textform, die mir jüngst zum lesen gereicht wurde, muss erst noch gelesen werden.
Eine Einschätzung einer Szene, einer Splitterkultur oder eine Untergruppierung ist schwierig, jede Szene ist Facettenreicher als es den meisten auf den ersten Blick erscheinen mag, daher ist es wichtig, Artikel wie diesen durch, die Kommentare wachsen zu lassen, um andere Sichtweisen zu eröffnen oder Facetten aufzudecken. Es wäre sehr schade, wenn du Dich weiterhin zurückhalten würdest ;)
Ich bin selbst historischer Darsteller und Grufti, beides mit einem nicht geringen Anteil an Herzblut. Ich selbst finde mich in Roberts Beitrag keineswegs wieder, ABER er beschreibt meines Erachtens dennoch absolut die Realität in der so genannten „Mittelalter“-Szene und auf ebensolchen Märkten – denn die Leute die wirkliches Interesse am wirklichen Mittelalter haben findet man doch tatsächlich nur wenige.
Unter dem gemeinen Mittelaltermarkt-Gängern, also denen die sich einen Umhang umwerfen oder einen Kilt anlegen, das Trinkhorn an den Gürtel schnallen und sich Sackpfeifen-Combos in Lederröcken ansehen – unter diesen findet man überproportional viele schwarze Gestalten (sei jetzt mal dahingestellt wie diese sich selbst sehen, viele werden auch Metaller sein).
Das ist einfach Tatsache, in meiner Gegend jedenfalls, und sowas bestimmt dann natürlich auch das Bild was ein Außenstehender wie Robert von der Mittelalter-Szene hat.
Wie viele Grufts, Blackmetaller und Weiß-der-Geier-was entscheiden sich beim Versuch es ETWAS historischer anzugehen dazu einen Templer-Sergeanten darzustellen – allein aus dem Grund dass sie dann eine Legitimation haben schwarz zu tragen?
Sicherlich ist es falsch, diese Art von „Mittelalter“-Begeistertem pauschal als „Rollenspieler“ zu bezeichnen, doch die Realität zeigt auch hier, dass das oftmals sehr sehr nah zusammenliegt. Frag auf dem nächsten Markt mal einen halbschwarzen Umhangträger vor der Bühne mit dem Corvus-Corax-Klon no. 529 nach DSA, AD&D oder LARP – würde mich wundern wenn dieser Mensch da GARkeine Erfahrung hätte (meine Erfahrung schlichtweg: Es wimmelt vor LARPern).
Diese so genannte „Mittelalter“-Szene die sich auf den entsprechenden Märkten herumtreibt ist nunmal zu einem nicht geringen Teil aus solchen Menschen zusammengesetzt und daher prägen sie nicht nur das Bild maßgeblich mit, sondern sie sind auch mitunter unter den Marktveranstaltern anzutreffen.
Und so werden diese Märkte auch weiterhin das bleiben was sie jetzt sind oder noch extremer werden.
Ich für meinen Teil verbringe lieber meine Freizeit damit die Formen von Gürtelbeschlägen im 13. Jahrhundert zu recherchieren, Dialekte zu rekonstruieren und Kleider nach historischen Abbildungen von Hand zu nähen um mich in kleinen aber anspruchsvollen Living-History-Treffen mit anderen Begeisterten darüber auszutauschen.
Für mich heißt DAS Mittelalter – für die „Mittelalter“-Szene heißt das „A-Papst“ (weil die böse Authentizität im Vordergrund steht).
Das heißt nicht „Ich mache es richtig, die machen es falsch“ und auch nicht „ich bin besser als sie“ – das heißt einfach nur, dass mein Hobby ein anderes ist als das des gemeinen Homo Larpus Mediaevus, dessen Interesse am Mittelalter meiner Erfahrung nach IN DER TAT hinter dem nächsten „Mittelalter“-Markt bereits aufhört.
@Robert
Na, da dieses Beispiel ja gezeigt hat, daß auch Antworten auf ältere Blogeinträge noch Leser finden, werde ich mich dann noch zu einigen anderen Beiträgen aus der langen Liste Deines Blogs äußern.
Karnstein:
Ja, nicht jeder der Besucher von Mittelaltermärkten hat auch ein tiefergehendes historisches Interesse und LARPer sind sicher keine Seltenheit.
Es war mir beim Lesen des Artikels eben nicht von vornherein klar, daß die Artikel aus der Reihe „Subkultur!“ eine leicht ironische Darstellung dieser „schwarzen Subkulturen“ beabsichtigen und deshalb einige Eigenheiten überzeichnen.