Karneval is over: Was die fünfte Jahreszeit mit Gothic zu tun hat

Jedes Johr em Winter, wenn et widder schneit, Kütt dr Fastelovend un mir sin all bereit…

Alle bereit? Von wegen! Kaum postet man etwas wie Helau oder Alaaf kommt schon von irgendeinem die Antwort: Karneval? Nee, bah, uh, geht gar nicht, alle doof und sowieso Mist! Auf die Frage warum, kommt dann meist: Alle auf Kommando lustig, alle nur besoffen, alles dämlich. Und schon sind wir wieder in der Diskussion wie man etwas wahrnimmt, dass es immer zwei Seiten gibt und dass die negative in den Medien immer mal wieder gerne nach außen gekehrt wird.

In diesem Fall die Leute, die weder Ahnung vom Brauchtum noch den Hintergründen im Karneval haben und dieses heidnisch-christliche Fest eigentlich nur als einen weiteren Anlass neben Kirmes, Oktoberfest oder sonst was sehen, um sich in kürzester Zeit volllaufen zu lassen und anschließend mit dem Krankenwagen abgeholt zu werden. Das ist leider eine Tatsche und da lässt sich auch nichts beschönigen. Und jedem, der den richtigen Karneval feiert, ist das ein Dorn im Auge und ein großes Ärgernis.

Was steckt hinter Karneval und was hat das mit Gothic oder sozialem Engagement zu tun?

Tod und Spaß liegen im Karneval genau wie in der Gothicszene oft nah beieinander. (Foto: H. Hoffmann)

„Unsere erste Platte sollten wir in einem Studio in Belgien aufnehmen. Als wir ankamen, ging die Tür auf und Robert Smith von The Cure kam heraus. Die hatten grade ihre neue LP fertiggestellt. Er stieg in einen alten Volvo ein und als er die Tür öffnete, fiel ein Haufen leerer Bierdosen aus dem Wagen. Da wusste ich, hier bist du richtig!“ Peter Brings (Sänger der Kölsch-und Karnevalsrockband „Brings“)

Ursprung und alte Riten

Karneval läutet die christliche Fastenzeit und damit auch die fleischlose Zeit ein. Also freuen sich schon mal alle Vegetarier. Das Fest gab es im Ursprung auch schon bei den Römern. In der germanischen Welt versuchte man die bösen Geister des Winters auszutreiben. Dazu dienten unter anderem sogenannte Feuerräder. Dies waren riesige, mit Stroh ausgestopfte Gebilde, die man einen Berg hinunterrollen ließ. Diesen Brauch gibt es heute noch in ländlichen Regionen und er ist wirklich toll anzusehen. Besonders in der Neofolkszene beruft man sich gerne auf solche alten Riten.

Geister, Feen und Rübenfratzen

Mit Masken und Gerätschaften vertreibt man auch heute noch böse Wintergeister und dunkle Feen, besonders im alemannisch-badischen Raum. Dazu verkleidet man sich furchterregend und macht mit Peitschen, Ratschen und ähnlichen Gerätschaften ordentlich Krach. Dieser Brauch geht bis in die Jungsteinzeit zurück. Die Nachfahren der Kelten versuchten böse Geister auch mit aus Rüben geschnitzten Fratzen, die mit Kerzen beleuchtet wurden, zu vertreiben. Später wurden die Rüben dann in Amerika durch Kürbisse ersetzt und welches Fest daraus entstanden ist, weiß ja wohl jeder Grufti.

Aus diesen ganzen Traditionen aus Geisterglaube, Fressgelage, Verkleidung, offenem Meinungsaustausch und Maskierung, um nicht zu erkennen, wer da wem so die Meinung geigte, formte sich ein großes kulturelles Gemisch. Brauchtumsforscher werden noch Jahrzehnte brauchen um das ganze Multikultikuddelmuddel zu entknoten.

Typisch Karneval: Jeder Jeck ist anders, aber bitte an die Regeln halten. Das ist im Grunde wie in der Gothicszene, wo auch jeder machen kann was er will, aber möglichst schwarz muss es sein.

Karneval am 11.11. jeht dat Spiellche loss (Kölscher Dialekt)

Der 11. November ist der St. Martins Tag, ab dann beginnt eine kleine Fastenzeit bis Weihnachten. Die Bauern in früheren Zeiten hatten bis dahin alle Nacharbeiten auf ihren Höfen erledigt und die Tagelöhner, die meistens zu schlechten Bedingungen arbeiten mussten, wurden ausgezahlt. Obendrauf gab es ein Fest an dem alle verderblichen Güter, inklusive Bier und Schnaps verteilt und verspeist wurden. So wurde das Gebot des Teilens gelebt. Nach reichlichem Alkoholgenuss ging dann der Punk ab und es kam zumeist unangenehmen Aussprachen zwischen Arbeitsknechten und reichen Bauern. So begründet sich auch das Verhalten im Karneval, wo mancher meint, man könne alles ungestraft machen. Leider werden dann Meinungsfreiheit mit Beleidigung und Schabernack mit Vandalismus verwechselt und das ist nicht Sinn der Sache.

Damit aber nicht jeder für sich alleine Kritik an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft übt, haben die Narren dafür eine besondere Gestalt als Vertreter aller Narren. Je nach Stadt und Region heißt dieser lustig-bösartige Meckerer, Hoppeditz oder Nubbel. Er rechnet mit der Obrigkeit mit einer Rede vor der versammelten Narrenschar ab. Teilweise unter Anwesenheit der so lustig in Reimform Beschimpften. Dies müssen die hohen Damen und Herren dann einmal im Jahr widerspruchslos hinnehmen, denn das ist das Gesetz der Narrenfreiheit. Leider muss der Obernarr etwa drei Monate später am Fastendienstag dafür teuer bezahlen. Aber so weit sind wir noch nicht.

Einmal Prinz zu sein

Das Gegenteil vom Prince of Darkness ist Prinz Karneval. Allerdings ist es manchmal fraglich wer von den beiden lustiger ist. Und da stellt sich einem doch die Frage: Was hat man davon Karnevalsprinz zu sein?

Böse Zungen behaupten, lebenslange Beziehungen im heimischen Städteklüngel/Filz. Aber das ist teuer erkauft. In Köln kommen da für ein Dreigestirn bestehend aus Prinz, Bauer und Jungfrau schon mal unglaubliche Summen im hohen sechsstelligen Bereich zusammen. Es gibt zwar finanzielle Unterstützung von Firmen und Vereinen, aber man zahlt auch viel aus eigener Tasche und, das Wichtigste, man spendet viel Geld um Menschen, denen es nicht so gut geht, zu unterstützen.

Wer einmal Besuche von karnevalistischen Tollitäten in Altenheimen, Hospizen, Kinderkrankenstationen oder bei Menschen mit Handicap mitbekommen hat, der wird ein ganz anderes Bild vom Karneval bekommen. Auch und gerade dort ist Teilen wieder das Gebot, besonders wenn die Politik sich nicht einen Millimeter in Richtung Humanität und Hilfe bewegt.  Und wenn man sieht, wie glücklich diese Menschen sind, wenn Karnevalisten sie besuchen, um ein paar Stunden Freude zu bringen, dann ist der ganze Ärger, den man sonst an den tollen Tagen mit Betrunkenen, Grapschern und sonstigen Vollidioten hat, schnell vergessen.

Gruselgestalten und krumme Stimmungsmusik

Obwohl die Bräuche gerade in der alemannischen Fasnacht uralt sind, wurden sie eigentlich erst wieder vor etwa 100 Jahren in der heutigen Form mit Umzügen und Festen wiederbelebt. Interessant sind dabei die Guggenmusik-Gruppen. Die spielen sogar nach Noten, aber extra so falsch, da hätten sogar die Einstürzenden Neubauten Spaß dran.

Wiederbelebt wurde im Jahr 1991 in Köln auch ein nächtlicher Umzug mit gruseligen Gestalten, der im Ursprung schon ab 1860 stattfand und im Ersten Weltkrieg verboten wurde. Der sogenannte Geisterzug war 1991 ursprünglich eine Demonstration gegen den zweiten Golfkrieg. Die offiziellen Umzüge wurden aus Rücksicht auf die kriegerischen Auseinandersetzungen im arabischen Raum abgesagt. Da musste man sich als Hardcore-Jeck natürlich was einfallen lassen. Die Lösung war ein alternativer, nächtlicher Umzug mit Pauken und Trompeten ohne die offiziellen Karnevalsgesellschaften. Eine Mischung aus Halloween, Karneval und Protest. So feierte man in Köln wieder Karneval wie vor der Reglementierung im Jahre 1823 durch den Verein zur Förderung des geregelten Karnevals (ja, den gibt es wirklich).

Die heutigen bösen Geister sehen anders aus. Der Karneval ist dazu gedacht mit Politik, Mächten und auch der Kirche einmal humoristisch abzurechnen.

Das ist die Narrenfreiheit. Der Narr, der ungestraft sich selbst und allen anderen den Narrenspiegel vorhalten darf. Ein Meister in diesem Fach ist der Düsseldorfer Wagenbauer Jaques Tilly. Ich kenne Leute, die nichts mit Karneval zu tun haben, lange in der Gruft- oder Punkszene sind und trotzdem zum Karnevalszug nach Düsseldorf gehen, nur um die bitterbösen satirischen Wagen zu beklatschen und so ein Statement gegen Hass, Krieg und sonstiges Übel zu setzen. Randnotiz: Selbst die Toten Hosen konnte man schon 1996 und 2018 im Rosenmontagszug bestaunen. Mit 160 Dezibel statt Kamelle (Bonbons) spielte man in Dauerschleife das Altbierlied live vom selbst gestalteten Bühnenwagen.

Die Motivwagen des Düsseldorfers Jaques Tilly bleiben bis zum Rosenmontagszug geheim, damit sich vorher kein Protest von der verunglimpften Seite regen kann. (Fotos: H. Hoffmann)

Karneval und der Tod in Venedig 

Ganz anders geht es in der fast versunkenen Stadt Venedig zu. Während es in den Palazzos rauschende Bälle meist für die gehobene Gesellschaft gibt, findet in der ganzen Stadt ein stilles Treiben statt. Im Rokoko Stil gewandete, meist mit Dreispitz und Masken versehene, Gestalten ziehen leise und ohne zu sprechen durch die Stadt. Gerade der Punkt mit der Sprachlosigkeit ist für einen Rheinländer bekanntermaßen schwer umzusetzen. Oft erinnern die Kostüme an die Zeit der großen Pest und des schwarzen Todes. Ein gothicmäßiges Schauspiel.

Karneval in Venedig: Leise, edel und sehr überlaufen. (Foto: Mit freundlicher Genehmigung Helgard Meer, Irene Walger und Fotograf Hermann Kurz)

Immer mehr Menschen aus der ganzen Welt, die sich auch dementsprechend (leider nicht immer besonders gut) verkleiden, besuchen dieses karnevalistische Festival zur Freude der knipsenden und filmenden Touristen, die nur mal schauen wollen. Allerdings ist diese Art des Karnevals erst in den 1980er-Jahren wiederbelebt worden. Vorher feierte man eher unter sich in den schon erwähnten wunderschönen Palazzos an den Kanälen. Ein Vergleich zum viktorianischen Picknick in Leipzig ist natürlich rein zufällig.

Wenn die Maske fällt

Und schon sind wir beim Wichtigsten im Karneval, dem Verkleiden. Während die hochoffiziellen Karnevalisten in Uniform und Narrenkappe daherkommen, um das preußische Militär zu persiflieren, begnügt sich das allgemeine feierwütige Volk mit Kostümierungen als Vampir, Steampunk, Prinzessin oder Clown. Einmal im Jahr jemand anderes zu sein, alles zu machen, ohne erkannt zu werden.

Und da drängt sich mir dann auch schon die Parallele beispielsweise zum WGT auf.
Bei so manchen Gesprächen steht einem jemand mit  Plastezylinder, Schweißerbrille oder Draculaumhang gegenüber und erklärt, wie doof Karneval doch wäre. Das ganze Verkleiden und so. Dann denke ich mir: Toll, wenn man so eine Haltung hat und anscheinend nicht nur einmal im Jahr in Leipzig, sondern immer in solchen Plastikplörren rumläuft, die man eins zu eins bei großen Karnevalsausstattern in Köln und Umgebung kaufen kann.

Am Ende bleibt die Asche

Das am kuriosesten anmutende Schauspiel findet am Ende der karnevalistischen Zeit, Session genannt, statt. Am Fastendienstag, der Fastenaben, Fastelovend, Fasching oder Kehraus genannt wird, kommt der Moment an dem der Obernarr im Karneval, genannt Nubbel oder Hoppeditz, verbrannt wird. Die in schwarzer Trauerkleidung gewandete Gemeinde hält ein kurioses Requiem ab. Alle Sünden, die während der tollen Tage begangen wurden, werden dem Opfer untergeschoben und mit ihm dem Feuer übergeben. Damit ist der Karneval beendet und alle Sünden vergeben. Dieses Ritual stammt auch aus vorchristlicher Zeit und symbolisiert die Vergänglichkeit. Die antike Welt mischte dann die Auferstehung wie Phönix aus der Asche hinzu, die Christen die Auferstehung des Heilands, der für alle Sünden gestorben ist. Und so kann dann am 11.11. des gleichen Jahres durch Einflößen von Alkohol und lärmenden Weckrufen der Geist des Karnevals wieder aufwachen.

Kohleprinzessin Sandra
Kohleprinzessin Sandra die 1. bei der Hoppeditzbeerdigung 2019. (Foto: Ralf Hüls)

Der Narr ist der Grufti unter den Bürgern

Narren grenzen sich ab von der normalen Gesellschaft, die sie nicht ertragen können und wollen und die sie mit ihren Regeln nicht akzeptieren. Man feiert seine eigenen Feste mit eigenen, kurios anmutenden Riten und alles ohne anscheinend tieferen Sinn für Außenstehende. In der karnevalistischen Musik werden oft das Gestrige, die gute alte Zeit und der Zusammenhalt besungen. Es gibt Lieder, die vor über 100 Jahren geschrieben wurden und die heute immer noch gesungen werden.

Jedes Kind im Rheinland kann diese Songs mitpfeifen.

Mhhh…, kommt einem das nicht irgendwie bekannt vor? So ist es auch in mancher Subkultur. Man zieht sich anders an, hat seine eigenen Partys, Musik und ungeschrieben Regeln. So hält man der Gesellschaft den Spiegel vor. Schaut her, es geht anders, nicht nur im Gleichschritt, sondern oft auch nur drei vor, drei zurück. Tanz auf den Gräbern wiederauferstandener Bands der Vergangenheit, der alten Geister, alter Riten und dem ewigen Mantra: Früher war alles besser.

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Victor von Void
Victor von Void(@vivovo)
Vor 3 Jahre

 das H.Gen Danke für den Artikel! Er macht mir den traditionellen (nicht-Kirmes) Karneval zumindest verständlicher und vielleicht auch ein winziges bischen sympathischer.

Letzte Bearbeitung Vor 3 Jahre von Victor von Void
Graphiel
Graphiel(@michael)
Antwort an  Victor von Void
Vor 3 Jahre

Dem kann ich mich anschließen. Leider vergisst man aufgrund vieler Nasen, die auch ohne Plastik aber dafür mit reichlich Alkohol rot anlaufen viel zu oft, dass hinter all dem bunten „Tätää Tätää“ doch auch immer ein Stück weit der Gesellschaft der Spiegel vorgehalten wird. Ganz ähnlich wie das in unserer Szene auch gemacht wird, oder zumindest mal gemacht wurde.

Daher auch von mir ein herzliches Danke an  das H.Gen für die Erinnerung an das Wesentliches dieses viel zu missverstandene Treibens :)

TheDarkLaboratory
TheDarkLaboratory(@thedarklaboratory)
Vor 3 Jahre

Wow, echt mal spannend lesen was der Karneval/Fasching/Fastnacht für Wurzeln hat und die verschiedenen Facetten davon. Da kann man doch erkennen, dass da mehr ist als ein reines Besäufnis, was man auf den ersten Blick meint. Auch deine Analyse und Vergleich mit Szene, Hut ab!

Mina Miau
Mina Miau (@guest_59889)
Vor 3 Jahre

Danke für den kleinen (historischen) Einblick! Betrachtet man die ein oder andere durchaus gut durchdachte Kritik an Staat und Kirche, lässt es doch noch hoffen. Ich komme ebenfalls aus einer kleinen Karnevalshochburg und bin daher mit dem Jeckentum aufgewachsen und vertraut – vom Funkenmariechen-Dasein bis Musizieren im Karnevalsverein. Kann eine nette Sache sein, wenn man die passenden Leute um sich hat – eigentlich ziemlich genauso wie bei entsprechenden Festivals unserer Szene, die von außen betrachtet (leider nicht zu Unrecht) auch mal schnell einfach nur wie Verkleiden und Besäufnis wirken.

Was mir persönlich heute aber immer aufstößt und letztlich dazu geführt hat, dass ich mich im Erwachsenen-Leben nicht mehr damit identifizieren konnte: Karneval ist für viele Feiernde gefühlt einfach nur der tolerierte Ausnahmezustand – Hier ist alles erlaubt! Man muss dann auch unbedingt mit dem einen der gefühlt zwei Stadtgruftis reden, mit denen man dann ab Aschermittwoch aber lieber keinen Kontakt mehr haben möchte. Nicht, dass ich mich drum gerissen hätte, weder um das eine, noch um das andere. Aber führt leider dazu, dass mir das Ganze doch sehr schnell eher scheinheilig vorkam. Vom „Schnackseln“ fange ich gar nicht erst an… obwohl man das sicherlich auch positiv sehen kann – ohne den Karneval wäre die kleine Stadt bestimmt schon ausgestorben, handelt es sich doch um die Nr.1 Partnerbörse dort.

Allgemein sind natürlich absolut Parallelen vor allem zu einigen unserer Szeneveranstaltungen zu erkennen. Hin und wieder Verkleiden? Die guten Manieren vergessen und dem von nervigen Erwachsenen-Leben-Aufgaben geprägten Alltag entfliehen? Und eigentlich ist auch egal, was tatsächlich dahinter steckt: Karneval? Schützenfest? WGT? Ja, da kann man schonmal durcheinander kommen, wenn man sich so umschaut. Ich bin mir auch manchmal bei Festivals nicht so sicher, ob mir der ein oder andere „Jeck“ nicht auch im selben „Kostüm“ schon auf dem Karneval begegnet ist – gruselig. Aber dann hat es ja seinen Zweck erfüllt :D

Norma Normal
Norma Normal(@normanormal)
Vor 3 Jahre

Die Wurzeln des Karneval sind tatsächlich sehr spannend. Da verstricken sich viele interessante Aspekte miteinander. Dennoch, der Karneval wie er heute vor allem in den Hochburgen und Grosstädten gefeiert wird, ist mir zuwider. Wenn man in einem dieser Orte mitten im Gewusel wohnhaftig ist, dann ist es einfach nur die reinste Hölle. Jeder Gang vor die Tür, ob zum Supermarkt, zur Arbeit, zur Post etc. ist in dieser Zeit ein Spießrutenlauf. Von öffentlichen Verkehrsmitteln ganz zu schweigen. Man muss wirklich aufpassen wo man hintritt, Kotzpfützen alle paar Meter, Glasscherben und Kostümbestandteile säumen die Gehwege. Mal abgesehen von der Musik (da läuft ja oft übler Schlager und sonstige „Perlen“, weil man sich einmal im Jahr offenbar nicht schämen muss das heimlich dufte zu finden) und dem Lärmpegel generell. So stelle ich mir den Ballermann vor. Das muss ich nicht haben. Seit einigen Jahren gehe ich in dieser Zeit, sofern es mir möglich ist, ins Exil.
Ich möchte behaupten das die meisten die Karneval feiern, bedauerlicherweise keinen Bezug zu den im Artikel genannten Aspekten haben. Es geht ihnen einfach nur darum die Sau raus zu lassen und zwar ohne Sinn und Verstand.
Nach dem Motto im Auge des Sturms ist es still, habe ich ein/zwei Versuche gestartet mich unter das närrische Volk zu mischen und dahinter zu kommen was viele daran so toll finden, aber es hat jedes Mal ein ungutes Gefühl zurückgelassen. Da würde mich der alte Venezianische Karneval schon mehr reizen.
Klar, Szenen haben gewisse Ähnlichkeiten in ihrer Struktur. Doch der Vergleich der „Karnevalszene“ zur Gothicszene leuchtet mir nicht so richtig ein. Zumindest nicht so wie die Mehrheit Karneval heute versteht.
Aber jedem Tierchen sein Pläsierchen. Wer daran Freude hat soll das gerne ausleben, auch ein Grufti. Nur sind das aus meiner Sicht zwei paar Schuhe.

#@R!
#@R! (@guest_59894)
Vor 3 Jahre

Also wir waren zu unserer Waver-Zeit im Februar 1987 auch bei der Faschingsparty unserer Schule. Dort spielte eine Schülerband und wir tanzten mit ca. 15 Wavern (m*w) Pogo zu „Marmor Stein und Eisen bricht“ und ähnlichen Krachern. Cure konnte die Band ja leider nicht :-D

Den Fastnachtszug bei uns im Dorf haben wir ganz selbstverständlich auch besucht, allerdings mit einer kleineren Gruppe, obwohl wir eigentlich gegen sowas waren. Es gab ja nichts anderes bei uns auf dem Land und einen Führerschein hatte mit 15, 16 Jahren auch niemand. Für uns war das damals auch eher ein Event zum Saufen, nur dass wir keine Kostüme trugen, sondern bei uns war das ganze Jahr Fasching, mit unseren schwarzen Kitteln ;-)

Über den geschichtlichen Hintergrund der Fassenacht machten wir uns herzlich wenig Gedanken. Ob es uns damals interessiert hätte? Schwer zu sagen, wohl eher nicht.

Heutzutage sehe ich das etwas differenzierter. Ich schaue mir auch mittlerweile seit Jahren regelmäßig „Mainz bleibt Mainz an“, eben weil da der Ursprung der Fastnacht noch praktiziert wird. Deshalb: Danke für den Artikel!

Robert
Robert(@robert-forst)
Admin
Vor 3 Jahre

Ich lebe, seit ich denken kann, mit Karneval und seiner „närrischen“ Zeit. Allerdings habe ich trotz des sozialen Engagements, der Brauchtumspflege und der Traditionen ein zwiespältiges Verhältnis.

Und ja, Hagen. In deiner Einleitung habe ich mich wiedergefunden. Dabei stört mich noch nicht einmal die Musik oder die Jecken, sondern eben die von Dir angesprochenen „negativen“ Seiten. Saufen bis zum Umfallen, Pöbeln bis der Arzt kommt, aufgesetzte Hemmungslosigkeit und Vereinsmeierei.

Auch wenn ich nachvollziehen kann, was du mit der Nähe zu den Subkulturen meinst und ich Dir tatsächlich in vielem recht geben muss, bleibt eben dieser bittere Nachgeschmack, den die breite Masse der Karnevalisten hinterlässt.

Nein, sich für ein paar Tage im Jahr verkleiden, kurz nach anderen Regeln leben zählt für mich nicht als Subkultur, auch wenn ich weiß, das für „Hardcore-Karnevalisten“ das ganze mitunter viel länger dauert und intensiver gelebt wird. Und nein, auch der Musik kann ich nichts abgewinnen, sie klingt für mich wie die Untermalung eines infernalischen Sauf-Gelages, bei dem man die Texte auch noch mit 4 Promille mitgröhlen kann. So sehen auch dann die „eigenen Partys“, auf denen diese Musik dann gespielt wird, letztendlich aus.

Am Aschermittwoch ist dann alles vorbei? Traditionen, leben nach anderen Regeln, soziales Engagement und der Zusammenhalt, an den man sich dann kaum noch erinnern kann.

Mit den Menschen, die dann neben mir auf der Bierzeltbank sitzen, mit denen ich dann feiere, gegen die Regeln lebe und ausgelassen bin, verbindet mich nichts. Das ist in unserer Subkultur und in der Szene anders. Aber vielleicht mache ich mir da auch was vor.

Wiener Blut
Wiener Blut (@guest_59900)
Vor 3 Jahre

Bei uns ist die Ecke stark… sehr stark… protestantisch…. auch wenn der Spielmannszug im Dorf traditionell nach Köln zum mitlaufen fährt. Aber bei uns, da gehen nur die Kinder verkleidet von Haus zu Haus. Mutter ein Ei, besser sind zwei, und ne dicke Mettwurst dabei, ein Stück Speck, dann sind wir wieder weg. Es wird also Fastenbrechendes eingesammelt. Früher… in meiner Jugend… und heute… gab’s aber eigentlich Süßes. Bis auf die Alten, die gaben Eier, und die Bauern draußen, die gar nicht mit Besuch gerechnet haben, sogar Geld. Wichtig war auch der Tag. Es gab Rosenmontag Dörfer, und Dörfer die Dienstag erst gingen. Sankt Martin gibt’s bei uns auch, aber nur ein paar Kilometer weiter in der Nachbargemeinde. Da gehen die Kinder von Haus zu Haus, und singen „Eine feste Burg“ und anderes gegen Süßigkeiten. Was hat das alles mit Gothic zu tun? Nichts! Aber ich hab da vom Nachbarsbauern, vom Uropa da um genau zu sein, meinen ersten Frack und Zylinder fürs Mutter ein Ei gehen ausgeliehen. Da könnte man natürlich Parallelen ins hier und jetzt ziehen, muss man aber nicht. ;-) Ansonsten ist das hier weder eine Oktoberfest, noch eine Karnevals Gegend… gut es gibt die neumodernen Hüttenpartys von Gastwirten oder Eventleuten… aber die katholischen Gemeinden sind halt 18 Kilometer am Horizont entfernt für solche Verlustigungen wie Karnevalsumzüge. Die ernste Grundstimmung, und das grade Mund Lächeln, ohne viele Worte, 365 Tage im Jahr, am weitesten von Köln entfernten Punkt NRWs kommt dem Grurftler sehr entgegen.

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus (@guest_59901)
Vor 3 Jahre

Mit Karneval konnte ich noch nie so wirklich was anfangen.
Als Kind kannte ich nur das Fasching in Kindergarten und Schule (das war ja meist ganz okay), aber ansonsten nervte es mich, wenn tagelang im Fernsehen auf den meisten Fernsehkanälen – es gab damals ja nicht so viele – immer nur stundenlang Karnevals-Umzüge gezeigt wurden und dafür andere regelmäßige Sendungen ausfielen, die ich gerne sehen wollte.

In Berlin ist das Thema Karneval oder Martins-Umzug ja sonst nicht wirklich präsent, auch wenn seit einigen Jahren versucht wird, hier auch so regionale Veranstaltungen wie das Oktoberfest einzuführen (was ich dämlich finde, denn Brauchtum gehört schon da hin, wo seine Wurzeln liegen, alles andere ist künstliche Verpflanzung und Abklatsch).

Auf Sylt bzw. in Nordfriesland gibt es an Silvester das sogenannte Rummelpott-Laufen, wo Kinder (und z.T. auch Erwachsene) verkleidet von Tür zu Tür gehen, singen und etwas dafür bekommen. Das hab ich allerdings nie mitgemacht. Die Jugendlichen und Erwachsenen, die dabei waren, bekamen auch meist alkolische Getränke und waren recht bald ziemlich hacke, was das Gesinge an der Tür nicht erträglicher machte ;-)

Es mag ja Parallelen zu einigen „Teilzeit-Karnevalisten“ geben, die der Schwarzen Szene eigentlich nicht wirklich angehören und sich nur zum Anlass des WGT oder M’era Luna in ein Kostümchen schmeißen und meinen, das wäre alles nur ein großer Karneval. Das ist aber nicht der Kern der Szene und diese Gestalten tauchen auch nicht auf normalen Veranstaltungen und kleineren Festivals auf, daher rechne ich die überhaupt nicht zur Szene dazu. Mich nervt es aber extrem, dass die immer gezeigt werden und sich dann in der Gesellschaft das Bild aufbaut, das wir alle solche Teilzeit-Verkleidungs-Hanseln wären, die nur darauf warten, ein- zweimal im Jahr ihr Kostüm präsentieren zu können….

Letzte Bearbeitung Vor 3 Jahre von Tanzfledermaus

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