Ein Produkt der subkulturellen Genforschung dürfte wohl der Gothabilly sein, der möglicherweise entstanden ist, als man die Rockabillys, die schon seit den 50er in den USA ihr Unwesen trieben, mit den Gothics kreuzte, die sich dort vor allem in den frühen 90er verbreiteten. Das Auxiliary Magazin bringt den Stil der Subkultur auf den Punkt: „Elvis raised from the grave and re-fashioned as a goth.“ Eine kurzes Video, das neulich nochmal bei ARTE zu finden gewesen ist, gibt Einblicke in den Lifestyle des Gothabilly und mir Anlass für einen genauere Blick.
Tatsächlich ist diese Szene ein gelungenes Gesamtpaket und kann neben einer eigenen Musikrichtung, mit einem eigenen Style und einer alternativen Lebensweise glänzen, die jedoch allesamt sehr amerikanisch geprägt sind. Neben Cowboy-Stiefel trägt man auch gerne Creepers oder High Heels zu Bleistiftröcken, langen Totengräber-Mänteln, mit Schnallen verzierte Hosen oder auch PVC-Korsagen und Hot-Pants. Die Frisur spielt, ähnlich wie bei den Gruftis, eine entscheidende Rolle, oder besser gesagt Tolle, denn die ist bei den männlichen Vertretern dieser Subkultur fast schon obligatorisch. Die Damen lassen sich in ihren Frisuren von Bettie Page inspirieren oder tragen „Rattennester“, die dem gruftigen Gegenstück „Vogelnester“ entsprechen dürften.
Zombie-Cowboys, die mit vampiresken Pin-Up Girls nachts über den Friedhof schleichen. Dem Gothabilly ist kein Klischee zu kitschig und kein Horrorvorstellung zu gruselig. Eine typische US-amerikanische Überzeichnung einer morbiden Attitüde, die auf Melancholie oder Tiefgründigkeit verzichtet, um sich den Spaß an der Andersartigkeit nicht nehmen zu lassen. Dafür bedienen sich die Gothabillys bei ihrem anderen Elternteil an der Vorliebe für aufgemotzte alte Autos, bei denen es sich häufig um – wie könnte es anders sei – Leichenwagen handelt.
Gothabilly: Die Musik von der kitschigen Traurigkeit
Dafür bieten diese Subkultur eine Form der musikalischen Eigenständigkeit, die nicht zuletzt durch die Band „The Cramps“ besiegelt wurde, die schon in den später 70er ihren Stil als „Gothabilly“ bezeichnet haben sollen. Dabei handelt es sich bei ihrem Musikstil um ein feines Destillat aus Horrorpunk und Psychobilly, der mit feinen Nuancen des Gothic bereichert wird. So finden sich im Gothabilly neben den klassischen Instrumenten der Rockabillys, wie dem Kontrabass, auch die typischen Gitarrensounds des Gothic-Rock wieder. Die Chronologie der Musikrichtung vom Rockabilly zum Gothabilly liegt demnach auf der Hand.
In den späten 70er mischte man im Psychobilly den seit den 50er Jahren populären Rockabilly mit dem aufkommenden Punk und gab dem gefälligen und verstaubten Sound eine aggressive und kraftvolle Attitüde. Der Psychobilly, der sowieso schon eine thematische Verwandtschaft zum Gothic pflegte, wurde dann mit dem typischen Gothic-Sound bereichert und mündete in Bands wie Zombie Ghost Train, Cult of the Psychic Fetus oder auch Ghoultown.
In den Texten geht es klassischerweise um Vampire, das Paranormale, Romantik, Leidenschaft und Traurigkeit, die aber stets – und hier liegt der Unterschied zum Gothic – mit einer guten Portion Kitsch gewürzt oft ins Plakative abdriften. Das die Bands zu ihren Auftritten häufig B-Movies im Hintergrund laufen lassen, ist noch so eine offenkundige Verwandtschaft zu unserem Lieblingsgenre.
Fazit: Zu fröhlich für Gothic und zu düster für Rockabilly
Kitsch ist mit Sicherheit eine amerikanische Erfindung. Vom Weihnachtsmann bis zu Halloween, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird alles mit Zuckerguss übergossen und mit blinkenden Sternen verziert. Der Gothabilly ist die logische Konsequenz aus dieser Strategie. Für waschechte Gothics ist man zu humorvoll, nicht ernsthaft genug und definitiv zu klischeeverliebt. Für die Rockabillys, die den amerikanischen Traum der 50er immer noch leben, aber auch viel zu morbide und zu merkwürdig. Sie sitzen zwischen den Stühlen und fühlen sich dabei offensichtlich Pudelwohl.
Dennoch. Man kann ihnen vorwerfen was man möchte, dieser Gothabilly ist eine eigenständige Subkultur, mit eigener Musik, eigener Mode und einem speziellen Lifestyle. Eine friedliche Koexistenz ist durchaus möglich, zumal die musikalische und thematische Nähe gegeben ist. Auf dem Wave-Gotik-Treffen hat sich in den letzten Jahren ein kleiner, aber feiner musikalischer Bereich gebildet, der als Refugium für Horrorpunks, Psychobills und Gothabillys dient.
Außerhalb der USA hat diese Szene aber in der Regel weniger Zuspruch. Für den nachdenklichen und stilvollen deutschen Bewohner der Subkulturen scheint dieser extrovertierte Lebensstil eher nicht geeignet. Vielleicht fehlt trotz dem Hang zur Selbstdarstellung möglicherweise die Ernsthaftigkeit. Schade?
Danke dir, lieber Robert, dass du dieser Art von Subkultur hier einen Raum schaffst. Ich selbst bin ja seit vielen Jahren absolut fasziniert vom Gothabilly (ebenso wie vom Horrorpunk und auch Psychobilly, wobei hier ja die Grenzen zum Teil auch fließend sind). Zombie Ghost Train haben mir hier vor vielen Jahren die Türen geöffnet.
Und wie ich auch immer wieder auf entsprechenden Konzerten feststelle, bin ich bei Weitem nicht der einzige Grufti, dem diese vielleicht nicht ganz so erste Art, mit Musik und Ästhetik der eigenen Sterblichkeit zu huldigen, zusagt. Besonders dem ein oder anderen Batcaver begegne ich dort doch immer mal wieder. Zufall? Oder vielleicht auch mehr als nur die Sympathie zu thematischen Überschneidungen zu unserer Subkultur?
Ich jedenfalls genieße es jedesmal sehr, mir die trashige Ästhetik zu geben und mit den rock’n’rolligen Klängen mitzugehen. Und warum auch nicht? Muss es denn immer das Gleiche sein? Der selbe Einheitsbrei immer und immer wieder, den ich zwar liebe, aber dem man vielleicht auch manchmal entkommen möchte? Naja, zugegeben, vielleicht liegt meine Sympathie dieser Szene gegenüber auch meiner nicht gerade gering ausgeprägte Affinität zum guten alten (trashigen) Horrorfilm zugrunde, aber so what? Zwei Dinge (Tod und Horrorfilm), für die ich mich sehr interessiere vereint in einer dritten spitzen Sache, nämlich guter Musik. Wer kann denn da nein sagen. Und wie du schon ganz korrekt fragst, muss es denn immer ernst sein? Ist es tatsächlich schade, dass diese Szene die eigene Sterblichkeit grotesk humoristisch zur Schau stellt? Ich finde nicht.
Ich kann nur jedem empfehlen, vielleicht beim nächsten WGT mal montags das Täubchental zu besuchen. Raus aus der Kompfortzone! ;)
Das Zeug ist daran Schuld, dass ich mit der Gothic Szene (abseits von „Gothic“ ala Nightwish und was um 2005/6 rum sonst noch cool war) in Kontakt gekommen bin. Damals waren auf Myspace viele die diese Bands auch mochten eigentlich Teil der Deathrock und Tradgoth Szene.
Mina Miau : Es gibt Facetten der schwarzen Szene, die müssen einfach Raum einnehmen. Gerade beim Gothabilly sind ja die thematischen Überschneidungen sehr hoch, anders, als beispielsweise bei den Cybergothics zum Beispiel. Ich muss auch zugeben, dass ich musikalisch eher in diese Richtung sympathisiere und Musikgenre wie „Gothic-Metal“ oder „Hellelectro“ oder sonstigen gehaltlosen musikalischen Hülsen nichts abgewinnen kann.
@Name: Na, dann ist diese längst überfällige Vorstellung dieses Genre ja mehr als überfällig :)