Während der Zeit der Hexenverfolgungen galt ein besonderes Augenmerk den sogenannten Flugsalben der Hexen. Dieser Glaube an die Möglichkeit nächtlicher Luftfahrten ist ein uralter Aberglaube vieler Völker: Wodans Heer brauste in den Rauchnächten über die Felder; Diana, Hera oder Herodias inszenierten nächtliche Ausfahrten durch die Lüfte, usw.
Was beinhalteten/bewirkten denn nun diese Salben, wie wurden sie angewendet und warum? Ich möchte Euch mitnehmen in ein trauriges und gleichzeitig spannendes (wie ich finde) Kapitel unserer Geschichte, wobei dieser Artikel nur einen kleinen Auszug darstellen kann … alles hier aufzuschreiben würde den Rahmen sprengen.
Das „Warum“ ist relativ einfach zu erklären … die angeprangerten Luftfahrten der Hexen waren nichts anderes als sogen.“ Traumreisen“ oder „Rauscherfahrungen“ hervorgerufen durch die halluzinogenen Inhaltsstoffe der Salben und ermöglichten den Frauen damals den alles andere als angenehmen und einfachen Alltag zu entfliehen und unausgelebte Träume sozusagen zu realisieren. Man könnte sagen die Salben waren das Genussmittel der armen Leute.
Das „Wie“ geschah eben durch Salbung bestimmter Körperstellen, z.B. Rektal, Vaginal, Achselhöhlen, Kniekehlen, etc. … wobei die Wirkung durch die Haut die Salbe feiner abgestimmt werden konnte als ein vergleichbarer Trank, was im Interesse der Nutzer war um durch die Inhaltsstoffe der Salben auch wieder aufzuwachen und nicht zu Tode zu kommen.
Das „Was“ ist weitaus umfangreicher. Ich werde hier keine Rezeptur online stellen, da ich es unverantwortlich fände Selbiges zu tun. Alle sogen. Flugsalben hatten eins gemeinsam: sie beinhalteten ein oder mehrere Giftpflanzen. Auch möchte ich dringend von Selbstversuchen mit Giftpflanzen abraten … Carl Kiesewetter überlebte 1895 eins seiner Experimente nicht. Selbst kleinste Mengen äusser-/innerlich falsch angewendet können tödlich sein.
Viele Gelehrte und Ärzte aus der Zeit der Hexenverfolgungen versuchten die Inhaltsstoffe der sogen. Flugsalben zu analysieren, denn die Richter der damaligen Zeit hatten kein Interesse an der „Ursachenforschung“. Ein Unterfangen welches nicht ganz einfach war, denn die unter Folter geständigen „Hexen“ behaupteten oft, sie haben die Salbe erst kurz vor der Luftfahrt vom Teufel oder einer Nachbarin erhalten und die Salbe danach weggeworfen. Johannes Weyer, Arzt und Gegner des Hexenaberglaubens und Hexenhammers berichtete, dass die sogenannte Flugsalbe aus organischem Fett und einer Kräutermischung bestehen würde. Weyer, bezieht sich in seinem Buch „De praestigiis daemonum“ 1 auf den Naturforscher Giambattista della Porta, der widerrum in seinem Buch „Magia naturalis“ die frühste bekannte Beschreibung von Hexensalbungen, deren Rauschwirkungen und Rezepte aufführte.
Oft wird vom Nachtschattengewächs gesprochen, welches ein Bestandteil der Salbe sei. Das Problem einer eindeutigen Nennung war jedoch, das im Mittelalter eine eindeutige Trennung der verschiedensten Wirkstoffe/Arten der Nachtschattengewächse noch nicht erforscht war. Carl Kiesewetter ging jedoch davon aus das bei den genannten Nachtschatten in alten Überlieferungen meist die Tollkirsche gemeint war. Alraune, Bilsenkraut oder Stechapfel waren ebenfalls in den Salben enthalten und gehören auch zur Gattung der Nachtschattengewächse. Weiter enthalten waren Giftpflanzen aus anderen Gattungen wie z.B. Eisenhut oder Gefleckter Schierling. All diese genannten Giftpflanzen enthalten Alkaloide, welche je nach Menge und Zusammensetzung, auf den menschlichen Organismus wirken. Die in Nachtschatten enthaltenen Gifte Hyoscyamin, Atropin und Scopolamin lösen halluzinogene Bewusstseinszustände aus, dabei kommt es zu Sinnestäuschungen, Erregungszuständen, Ekstasen und real erlebten Traumvisionen. Das im Eisenhut enthaltenen Gift Aconitin in Verbindung mit dem Gift Hyoscyamin der Nachtschattengewächse erzeugt ein Kribbeln auf der Haut, welches jemanden Glauben machte, ihm würden Flügel wachsen und er könne fliegen 2. Was die Behauptung bestätigt die Hexen können sich unter anderem in Eulen verwandeln.
Nachtschattengewächse werden übrigens seit altersher genutzt, z.B. die oben genannten Pflanzen für Liebes-/Arzneitränke oder „Hexensalben“, als Nahrungslieferant (Kartoffel, Aubergine, Tomate), als Gewürz (Paprika) oder als Genuss-/Rauschmittel (Tabak, Stechapfel).
Will-Erich Peuckert hatte zusammen mit einem Freund 1927 einen Selbstversuch nach den Vorgaben von Giambattista della Porta unternommen. Beide salbten sich Achselhöhlen und Stirn und fielen in einen Schlaf der 20 Stunden andauerte. Aufgewacht sind Beide mit ausgetrocknetem Mund und starken Kopfschmerzen wie nach einer durchzechten Nacht. Peuckert beschreibt seinen Rauschzustand wie folgt 3:
Wir hatten wilde Träume. Vor meinen Augen tanzten zunächst grauenhaft verzerrte menschliche Gesichter. Dann plötzlich hatte ich das Gefühl, als flöge ich meilenweit durch die Luft. Der Flug wurde wiederholt durch tiefe Stürze unterbrochen. In der Schlußphase schließlich das Bild eines orgiastischen Festes mit grotesken sinnlichen Ausschweifungen. […]
Alfred Lehmann 4 hatte schon 1925 auf die Versuche della Portas hingewiesen:
Von Protas Versuchen wissen wir, daß solche Salben wirklich vorhanden waren und daß sie narkotische Stoffe enthielten, die einen tiefen Schlaf mit erotischen Träumen hervorriefen. Die klugen (weisen) Frauen früherer Zeiten sind bekanntlich mit heilenden und giftigen Eigenschaften der Kräuter recht vertraut gewesen […] Daß sie während dieses Rausches von Hexenfahrten und erotischen Ausschweifungen speziell mit Teufeln und Zauberern träumten, ist wiederum nur eine suggestive Wirkung des Glaubens an die Wirklichkeit dieser Verhältnisse.
Waren (oder sind) denn nun die Hexenkünste alles nur Hirngespinste? Ja und Nein!
Ja, in Bezug auf die Halluzinationen und Visionen die unter dem Einfluss der sogen. Flug-/Hexensalben entstanden sind und als real empfunden wurden. Nein, in Bezug auf die Zubereitung der Salben die für die Rauschbilder verantwortlich waren und das die alten Kräuterweiber ein derart umfangreiches Wissen über Kräuter und deren Wirkungen/Anwendungen hatten, welches heute nicht mehr zu finden ist.
Einzelnachweise
- Übersetzt: „Von Teufelsgespenst, Zauberern und Gifftbereytern, Schwartzkünstlern, Hexen und Vnholden“[↩]
- „Giftpflanzen-Pflanzengifte“ von L. Roth, M. Daunderer & K. Kormann[↩]
- J.C. Baroja aus „Die Hexen und ihre Welt“[↩]
- Direktor des Psychophysichen Laboratoriums der Uni Kopenhagen, aus seinem Buch „Aberglaube & Zauberei“[↩]
Krass! Davon habe ich wirklich noch nie was gehört, was aber daran liegen könnte, dass ich mich mit sowas auch sonst nicht auseinandersetze. Aber der Artikel ist so klasse geschrieben, dass ich richtig Interesse an dem Thema bekommen habe.
Soso, die haben sich also gesalbt und sind dann in Trance verfallen, in denen sie Höhenflüge hatten. Das Wie erscheint mir – bis auf die Zusammensetzung – recht logisch, auch die Wirkung. Nur eines nicht: ich verstehe doch richtig, dass du damit auch die Entstehung und Manifestierung des Bildes von durch die Lüfte fliegenden Hexen und Magiern (die häufig nur den Mantel um sich schlagen müssen, um transformiert als Krähe/Rabe aus dem Fenster zu verschwinden) erklären möchtest. Da wäre es auch interessant, was die Gesalbten während ihrer Traumreise nicht nur selbst gesehen und gefühlt haben, sondern wie andere sie wahrgenommen haben. Haben sie epileptisch gezuckt oder Fluggeräusche gemacht oder laut völlig im Tee (also „in Salbe“) geschrien „Ich fliege!“. Dieser Glaube an Flughexen wird ja nicht nur aufgrund der Erzählungen der Hexen selbst von ihren eigenen Traumflügen entstanden sein, sondern auch aufgrund dessen, wie die Hexen (dabei) wahrgenommen wurden. Von außen, von anderen. Oder? Meist basierte sowas ja auf sonderbaren Verhaltensweisen von Personen, die sich Außenstehende nicht erklären konnten.
Wirklich spannend…
Danke Dir Dina :)
In der Tat gibt es mehrere „Augenzeugenberichte“ was die Hexen selbst erlebten und was die anwesenden Zeugen sahen. Diesen Bereich habe ich nur kurz angesprochen (siehe Zitat von Peuckert) da der Artikel ansonsten noch länger geworden wäre ;)
Unter anderem beschrieb Johann Nider in seinem Buch „Formicarius“ (übersetzt: „Der Ameisenhaufen“ von 1517):
[…] Darauf setzte sie sich in einen Backtrog auf eine Bank und salbte sich. Sie schlief bald ein und bewegte sich im Schlaf, warf die Hände in die Höhe, als ob sie fliegen wolle, war sehr unruhig und sprang, als ob sie tanzen wollte. Sie trieb dies eine Zeitlang, bis sie aus dem Backtrog, welcher umfiel, auf die Erde herabstürzte. Als sie hier eine Zeitlang gelegen hatte, bewegte sie sich und sprach erwachend: Jetzt hast Du mich wirklich fortfliegen und wiederkommen sehen. […]
Andere Berichte besagen das die Hexen völlig regungslose da lagen und nach Stunden des Schlafes steif und fest der Meinung waren sie wären geflogen, etc. Bei einigen Überlieferungen wurde behauptet die Hexen hätten während der Salbung Zauberformeln aufgesagt, wie zum Beispiel: Auf und davon, hier oben hinaus und nirgend an. Dabei seien sie auf Besenstielen, Böcken, etc. durch die Luft geflogen oder verwandelten sich in flugfähige Tiere.
Die ganze Thematik ist sehr umfangreich und die Quellen teilweise recht schwer zu finden ebenso ist es schwer diese Texte zu lesen, wenn sie nicht ins Hochdeutsche übersetzt wurden … ich kenne mich mit den Bezeichnungen der damaligen Sprache nicht so gut aus, ich glaube es wurde neben Latein, Mittelhochdeutsch gesprochen.
Von „Flugsalben“ habe ich auch soeben das erste Mal gelesen. Es ist einer der großen Wissensverluste, auf die Du da hinweist. Ein Jammer! Die berauschende/halluzinogene Wirkung, insbesondere von heimischen Nachtschattengewächsen, ist zum Teil extrem und so gut wie nicht zu dosieren. Lasst bloß die Finger davon!
Steffi: Ha, ich wusste doch, dass die irgendwas ausgetan haben in ihren Salbenträumen! Irgendwoher muss der Glaube an besenreitende und durch Lüfte fliegende Hexenwesen ja kommen…kann ja nicht alles auf Ottfried Preußlers Mist gewachsen sein. Danke für die erneute Erläuterung. Ich find das irgendwie voll spannend. Tolles Thema und musst dein Licht nicht untern Scheffel stellen – Du weißt echt enorm was darüber. So! ;o)
Ein interessantes Sammelsurium von Inhaltsstoffen, das nicht gerade zum Selbstversuch verlockt.
Ob man dahingehend wohl einmal mit eifrigen Apothekerinnen plaudern könnte…?
Oh da hab ich mich diesmal vertan, hätte erwartet, dass der Artikel von Rosa ist ;D
(Muss dazusagen, ich versuch immer bei den Gastartikeln den Autor zu erraten und bisher gelang mir das ganz gut ;))
Hoch interessant dieses Thema :)
Um mal ein wenig esoterisch(?) zu werden, vielleicht haben die „Hexen“ damals ja Astralreisen unternommen? Wer weiß ;D
Hmmm sehr interessanter Artikel!:)Auch wenn ich sagen muss, dass ich nun schon öfter etwas von Flugsalbengehört habe.Jedoch gibt es auch ungiftige Flugsalben denn nicht jdede Frau war damals sooo mutig, sich Tollkische und Eisenhut auf die stellen, an denen die Haut am dünnstem ist, zu schmieren ;);) (kann ich auch nachvollziehen)
Und…@ Schatten: ja soweit ich weiß, haben Hexen diese Salben oft als Hilfsmittel benutzt, um leichter in Trance zu fallen.Und um Astralreisen zu unternehmen ;)
Vlg Cristall-Darcy
Großartiger Artikel. Liest sich herrlich angenehm und zeigt mir wieder einmal Dinge, von denen ich nicht im Entferntesten wusste, schließlich ist der ewige Wunsch der Menschen nach der Möglichkeit zu fliegen durch die moderne Luftfahrt relativiert worden, Enthusiasten mit Raketenrucksäcken machen den Traum, die Legende, den Mythos in ein greifbares, reales Ereignis. Und dennoch: Die Natur liefert so viele Antworten auf Fragen, die wir uns stellen. Altes Wissen sollte nicht aussterben, sonst verlernen wir den Umgang mit unserer natürlichen Umgebung.
ein Mann am Steuer, das wird teur