Ich habe noch nie einen toten Menschen gesehen. Ich meine, jetzt in echt und wirklich und so. Zugegebenermaßen habe ich bisher in den Momenten, in denen es die Möglichkeit gab, sich von einem Verstorbenen am offenen Sarg zu verabschieden, immer dankend abgelehnt. Auch weil ich weiß, wie Tote nach Krankheiten aussehen können. Und trotzdem faszinieren mich bildliche Darstellungen von Toten. Eben weil man mit diesem kaum konfrontiert wird. Gestorben wird heute vornehmlich in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, offene Särge während Trauerfeiern sind gänzlich unüblich und Rituale wie beispielsweise Totenwachen gehören in deutschen Gefilden auch nicht mehr zu den etablierten Bestattungsritualen. Von Bildern der Verstorbenen, die nach deren Tod aufgenommen wurden, also Post Mortem, ganz zu schweigen.
Post-Mortem oder Totenfotografie bezeichnet das Fotografieren von Verstorbenen und die dadurch entstehenden Aufnahmen. Schon in der Renaissance, also noch vor der Erfindung der Fotografie, wurden Adelige oder hohe Geistliche auf ihrem Totenbett gemalt. In Europa spielten die fotografischen Aufnahmen als Teil des Totenkultes im späten 19. Jahrhundert – als noch meist zu Hause gestorben wurde und der Tod als ganz normaler Teil des Lebens galt – eine bedeutende Rolle. Die Aufnahmen ermöglichten es die Verstorbenen in Erinnerung zu behalten. Besonders Kinder, welche im viktorianischen Zeitalter (1860-1910) nicht selten früh verstarben, wurden nach ihrem Tod fotografiert. Die Darstellungen der Toten in den Aufnahmen, lassen sich in drei Typologien aufteilen: „der letzte Schlaf“ – die Toten wurden schlafend, seltener auch in Särgen dargestellt; „lebend aber tot“ – die Toten wurden möglichst lebendig dargestellt, Kindern oftmals mit Spielzeug und „mit Angehörigen“ – die Verstorbenen waren im Kreis von Familie zu sehen. In der Regel trugen die Verstorbenen ihre besten Kleider. Metallene Ständer gelten oft als Mitte um die Toten aufrecht zu erhalten, einige kritische Stimmen gehen allerdings davon aus, dass diese Vorrichtungen eher die Lebenden darin unterstützen sollten still zu stehen.
Die Post-Mortem Fotografien waren oft eine der wenigen, wenn nicht die einzigen Aufnahmen, die eine Person zeigten, denn Fotos waren zu dieser Zeit noch recht unüblich und gehörten nicht zum alltäglichen Leben. Die neue Technik ermöglichte es zudem die Bilder zu vervielfältigen und waren oft das Letzte was von den Verstorbenen blieb. Zwischen 1940 und 1960 verschwand die Post-Mortem Fotografie fast vollständig aus dem nordeuropäischen und nordamerikanischen Raum. Nur in den USA sind Bilder mit totgeborenen Babies auch heute nicht unüblich.
Mittlerweile gibt es auch in Deutschland wieder einen Fotografen, der Tote für deren Angehörige fotografiert. Dr. Martin Kreuels begann nach dem frühen Tod seiner Frau sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und ist mittlerweile seit vier Jahren als Totenfotograf tätig. Die Bilder, so erzählt er in einem Interview, können helfen den Tod wahrzunehmen und zu akzeptieren. Immer gibt es eine Perspektive oder ein Detail, dass sich bildlich besonders gut einfangen lässt.
Für gewöhnlich begegnet man dem Tod als dem großen Rätsel, dem opaken Nichts und der abgründigen Leerstelle des Lebens, die nicht aus sich selbst heraus zu erfahren ist, allein im Spiegel der Kultur. 1
Die Bilder, so finde ich, machen auf abstrakte Art den Tod zugleich greifbar, wie ungreifbar. Sie zeigen das Mittelbarste was bleibt vom Leben: den Körper. Das Äußere eines Menschen, das ein Teil von ihm ist und gleichzeitig die leere Hülle in der der Mensch nicht mehr ist. Ähnlich wie Friedhöfe, Kreuze oder Grabmale erinnern sie an die Vergänglichkeit des Lebens und inspirieren zur weiteren Auseinandersetzung.
Am Ende sind sie wie das Leben: eine Momentaufnahme in der Zeit.
Einzelnachweise
- Schulz, Martin: Spur des Lebens und Anblick des Todes. Die Photographie als Medium des abwesendenKörpers, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 64. Bd., H. 3 (2001), pp. 381-396[↩]
Sehr schöner Artikel. Bei einigen Fotos muss man wirklich ganz genau hinschauen, um Tote von Lebenden zu unterscheiden. In Frage stellen möchte ich die Aussage, dass Bilder von totgeborenen Babys nur in den USA üblich sind. Auch in Deutschland gibt es (ehrenamtliche) Fotografen, die professionelle Fotos von sogenannten Sternenkindern anfertigen.
Es geht ja jeder mit dem Thema Tod, anders um .
Ich – schon aus beruflicher Sicht , gehört der Tod zum Leben genauso dazu – wie die Luft zu atmen .
Mit den Fotos kann ich persönlich nicht viel anfangen . Da ich eben anders mit dem Thema „ umgehe „ .
Und tote Menschen oder andere Lebewesen zu fotografieren , die eingeschlafen sind- finde ich – nicht ansprechend .
Es gab vor ein paar Jahren eine Fotoausstellung mit der Gegenüberstellung der Aufnahmen einiger Menschen kurz vor und kurz nach ihrem Tod. Auch wenn mich das Thema Tod persönlich sehr ängstigt, fand ich diese Bilder sehr beeindruckend. Die Ausstellung selbst habe ich nicht besucht, aber die webseite. Hier ist der Link:
https://www.noch-mal-leben.de/
Meine Oma habe ich 2001 ganz kurz nach ihrem Tod im Krankenhaus gesehen – ich kam leider zu spät, um mich von ihr zu verabschieden. Das war meine allererste Begegnung mit einem toten Menschen, und ich hatte wahnsinnig Angst davor. Sie lag zwar wie schlafend, wirkte aber völlig fremd durch die fehlende Mimik – ich merkte deutlich, das war nicht mehr sie, ihre Persönlichkeit. Nur noch die Hülle.
Meinen Vater sah ich 2010 mehrere Wochen nach seinem Tod vor seiner Beerdigung das letzte Mal. Ich hatte ihn zuvor 6 Jahre lang nicht mehr gesehen und konnte daher nicht so recht vergleichen, was nur der Tod verändert hatte oder schon die letzten, ungesunden Lebensjahre zuvor (er war Alkoholiker). Er war natürlich für die Verabschiedung hergerichtet (was deutlich zu sehen war), aber allein die Vorstellung, dass er schon lange tot war und nur dank Kühlung noch halbwegs normal aussah, hat mich sehr gegruselt. Er sah auch sehr fremd aus.
Meine Mutter war vor bald 10 Jahren sehr dicht an der Schwelle zum Tod, durch ein Aneurisma im Kopf, wofür sie in ein Koma versetzt wurde und wo die Ärzte ihr gerade einmal 5% Überlebenschancen einräumten. Sie hat es geschafft, was einem Wunder gleichkam, auch nahezu ohne deutliche Folgeschäden. Aber während des Komas wirkte sie auch wie tot, sah unglaublich viel älter aus und meine Schwester und ich hatten uns schon darauf eingestellt, sie nicht mehr lebend wiederzusehen. Dieser Schmerz brach natürlich voll durch und brannte sich tief ein.
Ein guter Freund von mir verstarb vor ein paar Jahren ganz plötzlich mit 49 Jahren durch einen tragischen Unfall, hier war kein Abschied möglich. Nicht nur dieser Vorfall hat dazu geführt, dass ich mein Leben nicht mehr als „selbstverständlich“ und langandauernd sehe. Im Gegenteil, ich beschäftige mich wieder vermehrt mit dem Thema eigener Sterblichkeit. Zuletzt hatte ich diese Grübeleien als Teenager, kurz bevor ich zur Schwarzen Szene stieß. Dann hatte ich das Thema lange Zeit verdrängt, auch wenn ich viel auf Friedhöfen spazieren ging. Sie sind für mich jedoch mehr Orte der Erinnerung als des Todes, sie machen mir keinerlei Angst, sondern berühren aufgrund ihrer stillen Ästhetik.
Das Thema Tod ist für mich sehr bedrohlich. Aufnahmen von Verstorbenen, die mir nahe standen, würde ich keine haben wollen. Eben weil ich gesehen habe, dass sie es nicht mehr selbst sind. Das ist zum einen traurig und für mich auch gruselig. Wem es über die Trauer hinweg hilft, der möge sich solche Bilder bewahren und anschauen. ich könnte es nicht.
Die Fotos hier sind schon etwas skurril und doch haben sie etwas faszinierendes an sich.
Für mich gehört der Tod ganz einfach zum Leben dazu (nicht zuletzt durch den plötzlichen Tod meines Mannes, bei dem ich glücklicherweise bei ihm war und Berührungsängste hatte ich mit seiner Leiche natürlich überhaupt keine). Ich erinnere mich an „meine“ Toten am liebsten per Vorstellung oder anhand besonderer Fotos der Lebenden, aber wenn damals alles, was übrig blieb, ein Totenfoto war, finde ich das Vorgehen vollkommen nachvollziehbar und ja, fast natürlich.
Mich haben diese Bilder schon während meines Studiums fasziniert, weil sie eine Doppelbödigkeit besitzen. Denn ein Foto ist immer nur ein Sekundenbruchteil eines vergangenen Ereignisses. Etwas überspitzt ausgedrückt: Obwohl ein Foto viel erzählt, ist es doch „tot“, weil es nur die Vergangenheit kurz einfängt und „totenstarr“ macht. Das wird durch das Ablichten eines bereits Verblichenen meiner Meinung nach noch potenziert, weswegen wir beim Anblick solcher Fotografien auch ein unruhiges Gefühl in uns haben.
Generell ist die philosophsche Kraft der Fotografie unglaublich spannend. Ich empfehle als leichten Einstieg Roland Barthes kurzes Essay „Die helle Kammer“ und Walter Benjamins „Klene Geschichte der Photographie“.
Und wie interessant sich Bilder in Romane einbauen lassen, sollte zu den Werken von W.G.Sebald greifen („Die Ringe des Saturns“ und „Die Ausgewanderten“ gehören zu den interessantesten).
Ja, ich wollte auch gerade anführen, dass die Fotografie von Sternenkindern auch in Deutschland gar nicht so ungewöhnlich ist.
http://www.dein-sternenkind.eu
Ich persönlich finde die hier gezeigten Fotos nicht negativ oder beunruhigend. Fotos sind ja erstmal nur Fotos und Tote nur Tote. Erst durch die Beziehung zum Toten, die Art des Lebens und des Todes des Toten, und dem Grund und Anlass/Gedanken des Fotografen davon ein Foto zu machen… auch des „Besitzers des Fotos und was er mit dem herzeigen bezwecken will…, bekommt das Ganze ein „Geschmäckle“ in eine Richtung. Dazu kommt noch die eigene Erfahrung mit dem Thema, auch wenn man direkt zu einer „Leiche“ gar keine Infos oder einen Bezug hat. Meine Erfahrungen mit Verstorbenen Betrachtung ist positiv. Zuletzt bei meiner Lieblingsoma. So friedlich und „erleichtert/befreit“… kurz geschrieben „gut“, sah sie zu Lebzeiten lange nicht mehr aus, wie im offenen Sarg liegend. Dieser „letzte Besuch“ hat meinen Standpunkt zum Tod, und Betrachtung dessen, doch ein Stück weiter Richtung „positiv“ geschoben. Ich hab noch ein Foto zu Lebzeiten in der Geldbörse, wers eins aufgebahrt, würde mich dieser Anblick wohl auch nicht weniger oder mehr an die schönen Momente mit ihr erinnern. Ich weiß noch als sie mir von der Zeit erzählte, als noch länger zuhause aufgebahrt wurde. Vielleicht liegt da der Hase im Pfeffer. Es wird weniger in der Familie und zuhause gestorben, gewaschen, umgezogen, aufgebart… und damit auch angeschaut. Dazu kommt das viele sich um das „Abschied“ am offenen Sarg drücken oder abwinken. So wird es fremd. Ich sehe das persönlich als wichtig an damit es nicht fremd wird. Ob ein Familienmitglied oder Haustier, ich möchte sehen um wirklich auf wiedersehen, aber ich denk noch an dich, in mir sagen zu können. Denn erst wenn keiner mehr gedenkt, ist jemand wirklich „weg“ finde ich.
Ich finde die Bilder wunderschön! Ich empfinde es als eine feierliche letzte Ehre, die man den Toten erweist, indem man sie so hübsch herrichtet und fotografiert. Ich finde es gar nicht schön, daß der Tod heutzutage so „weggesperrt“ wird. Meistens kommt der Tote in den Sarg, wird begraben oder eingeäschert, ohne, daß man ihn vorher noch mal sehen kann. Er ist einfach weg. So wird für mich der Tod viel ungreifbarer, abstrakter und auch furchteinflößender. Es ärgert mich bis heute, daß ich damals meinen toten Opa nicht sehen durfte, der friedlich in seinem Bett verstarb. Ich wollte sofort hinfahren, aber mein Vater hat mich aus falschem Schutzgedanken davon abgehalten. Meine Oma starb im Krankenhaus und ich habe sie dort tot liegen sehen. In der Nacht zu Silvester ist meine liebe alte Katze neben mir im Bett gestorben. Ich habe sie auf ein Tuch gelegt, konnte sie streicheln und mich verabschieden, bevor ich sie begraben habe. Mir fällt es viel leichter, so mit dem Tod umzugehen.
Ich finde den Artikel sehr gut, es gibt mittlerweile hier in Deutschland auch Fotografen die aufnahmen von Sternkindern machen.
Es ist richtig, dass es auch in Deutschland zunehmend Aufnahmen von Sternenkindern gibt, in den USA ist es wohl weiter verbreitet ;)
@RonnyRabe: Ja, jeder geht anders mit dem Tod um. Ich denke jeder Mensch muss da seine eigenen Mechanismen finden um damit umzugehen und man kann hier nicht nach „richtig“ oder „falsch“ beurteilen. Das ist einfach eine sehr persönliche Sache.
@Tanzfledermaus: Ich glaube so ein Bild von inem Angehörigen oder jemand der mir sonst wie nahesteht würde ich auch nicht haben wollen. Da würde mir dann die Distanz fehlen um das rein ästhetisch betrachten zu können
@Ella. Mir geht es ähnlich, dadurch, dass diese Bilder oft einige der einzigen Aufnahmen sind, die damals gemacht wurden kann ich die Intention dahinter sehr gut verstehen. Generell muss man ja auch sagen, dass der Umgang mit dem Tod damals eauf der eien Seite viel natürtlicher, auf der anderen Seite auch viel mystifizierter war.
+VLFBERH+T : Danke für deinen Beitrag und deine Tipps um weiteres zu lesen
@Wiener Blut: Eine Scheu vor dem Tod? Hmm, sicher ja. Wobei ich in letzter Zeit vermehrt auf Berichte gestoßen bin, dass sich der Umgang damit wandelt. Vielleicht haben sich viele auch keine Gedanken gemacht, wie sie sich den Abschied von jemanden vorstellen, bis es dann so weit ist? Fremd ist die ganze Sache sicher vielen. Bei Menschen habe ich diesen ausgelassenen Abschied vom leblosen Körper bisher nicht vermisst, kann aber auch sagen, dass es mir den Abschied von meiner letzten Katze sehr erleichtert hat, sie nach dem Tod nochmal zu sehen.
Sehr viele Fotos auf dieser Seite sind keine PM Fotos! Bitte genauer recherchieren!
Tina N., Ich danke dir für den Hinweis. Vielleicht möchtest du mir diesbezüglich ja weiterhelfen? :)
Tina N. möchte uns im Unklaren lassen. Möglicherweise handelt es sich dabei um eine Dame aus dem allmystery-forum, die aber auch dort unbeantwortet lässt, was ihrer Meinung nach „falsche“ Bilder sind. Ohne Quellen zur Aussagen „Bitte genauer recherchieren“ oder Möglichkeiten der Recherche, bleibt aber auch das nur eine Behauptung. Leider.