Es ist kein Geheimnis, dass Gothics immer älter werden, sondern eine offensichtliche Entwicklung, schließlich sind einige Gruftis bereits seit den früher 80er-Jahren ein Teil der düsteren Subkultur. Allerdings, so eine Thesis der amerikanische Anthropologin Leah Bush (38), sind Gothics beim Altern glücklicher und zufriedener als Menschen, die nicht der Szene angehören. Was zunächst wie ein Paradoxon erscheint, lüftet sich nach dem Lesen des Artikels der Washington Post in wolkenlose Realität.
Auf den ersten Blick verlieren tatsächlich relativ wenig alternde Gruftis den Bezug zu ihren subkulturellen Wurzeln. „Einmal Grufti, immer Grufti!“ ist so ein Spruch, der bei den Älteren in der Szene die Runde macht. Bereits vor einigen Jahren machte sich Spontis in dem Artikel „Treffen der Generation“ über die friedliche Koexistenz von jungen und alten Gothics innerhalb der Szene Gedanken, daher erschien die ernsthafte Auseinandersetzung auf wissenschaftlicher Ebene wie ein willkommene Bereicherung.
Die Washington Post schreibt in ihrem Artikel: „Since 2014, Bush has chronicled the rituals of her forebears in Maryland’s Goth community. Her contention is that “participation in the Goth subculture presents an alternative to being aged by culture.“
Weil ich so neugierig bin und natürlich auch händeringend Selbstbestätigung für mein Dasein suche, will ich den Artikel und die Thesen der Abschlussarbeit mit Euch erforschen.
Aged by Culture
Es wird angenommen, das der vornehmlich in den USA gängige Begriff „Aged by Culture“ ein gesellschaftliches Konzept ist, das von einer „Ideologie des Niedergangs“ ausgeht. Einfach gesagt wird alles, was mit dem Altern zu tun hat, als Negativ angesehen. Sowohl die Gesellschaft als auch die Kultur begegnet den älteren Erwachsenen mit negativen Gefühlen. Ganz abgesehen vom unausweichlichen biologischen Verfall wirst du von der Gesellschaft auf das Abstellgleis geschoben oder schiebst dich selbst dahin, weil das ja eben zum Altern „dazugehört“. Kulturelles Altern meint also, seinen körperlichen Verfall zum Anlass zu nehmen, auch seinen Stil, seine Interessen und Freizeitaktivitäten zu ändern. Nicht mehr in die Disco gehen, spazieren anstatt zu joggen und lieber altersgerechte funktionale Kleidung, als hübsche Schuhe oder figurbetonte Schnitte.
Leah Bush hat in ihrer Heimat Maryland nun Gothics beobachtet und den Fokus dabei auf den sogenannten „Elder Goth“ gelegt, also die älteren Leute in der schwarzen Subkultur. Sie wollte in ihrer Abschlussarbeit herausfinden, ob ihr Eindruck, das Gothic anders altern als es die oben genannte Ideologie suggeriert, richtig ist.
Fahrplan durchs Leben
Die Musik spielt dabei eine wichtige Rolle, so Leah Bush. Denn die szenetypische Musik, die viele Gothics seit ihrer Jugend hören, sorge für eine Art Fahrplan durch das Leben. Im Gegensatz zu jugendlicheren Musikrichtungen, die den Augenblick im hier und jetzt feiern und sich um ebendiese Jugend drehen, geht es in der Gothic-Musik um universellere Themen:
there is the subculture’s deep reverence for the antique. “In the music, the focus isn’t about youth,” Bush tells me. “It’s about more universal themes. Lyrically, it casts a wider net than most pop music. For some reason a Cure lyric keeps popping into my head, the opener to the Cure’s ‘Pornography’ album: ‘It doesn’t matter if we all die.’ ”
Die Musik, die den Tod nicht tabuisiert, die sich häufig um Schmerz, Sehnsucht und Hoffnungslosigkeit dreht und die Vergangenheit und Geschichte zum ästhetischen Kult erhebt, macht Gothics reflektierter, was ihr eigenes Dasein angeht.
Leah Bush findet sich in den Ansichten der Goths, die sie im Rahmen ihrer Studie befragt hat, bestätigt. In der Szene sind viele gesellschaftliche Vorbehalte ausgehebelt, so die Befragten. Goth-Clubs sind nicht nur in den USA der zweitwichtigste Rückzugsort für queere Menschen, die sich frei von geschlechtlich einsortierbaren Rollenbilder entfalten möchten. Außerdem ist das Erleben von Traurigkeit und das Beschäftigen mit den „düsteren Seiten des Lebens“ etwas, was in der breiten Masse häufig vernachlässigt wird.
Der Happy Goth ist kein Oxymoron
Tatsächlich verströmt die Abschlussarbeit eine sehr wohlige Atmosphäre, in der ich meine Gedanken und mich selbst wiederfinde. Genauso wie für Leah Bush ist der Happy Goth kein Widerspruch, sondern Realität. Gothics leben mit ihren Entscheidungen und ihrem Weg, das was in ihrer Jugend geprägt hat, umzugehen. So bilden sich bei älteren Gothics, die durchaus mit Familie und/oder Karriere erwachsen geworden sind, dunkle Blasen, in denen sie sich immer noch so bewegen, wie sie es schon immer getan haben.
Their lives aren’t perfect. Nobody’s are. But they seem to be content with the choices they’ve made,” Bush says. “I think Goth is a way to keep people happy
Für Bush hat der Erfolg der Gothic beim Altern damit zu tun, mit scheinbar gegensätzlichen Energien zu jonglieren. Die Bereitschaft der Gothics, dunkle Gefühle wie Verzweiflung, Trübsinn und Hoffnungslosigkeit zu nutzen, anstatt sie zu unterdrücken, kann sich auf lange Sicht als gesünder erweisen, sagt Bush. Ebenso wichtig ist die Fähigkeit der Gothics, Humor, Ironie und Schönheit in vermeintlich „hässlichen“ Dingen zu entdecken. Beispielsweise in Blumen, die auf einem Friedhof wachsen oder selbst in den absurden Schwächen des alternden Körpers. „In einer Kultur, die älteren Frauen bereits als schrecklich einstuft, warum sollte man das nicht für sich nutzen, und die fabelhaft-schrecklichste Großmutter der Dunkelheit werden, die die Welt je gesehen hat?“
Wichtig ist das Gemeinschaftsgefühl, das Gothics in ihrer Unterschiedlichkeit und Andersartigkeit vereint. Die Szene gebe auch älteren Menschen das Gefühl eines Refugium, in dem sie sich, ihre Musik und ihre Individualität ausleben können. Gothic ist eine Szene, in der es völlig selbstverständlich ist, auch im Alter noch wild zu tanzen oder sich freakig anzuziehen.
Nein, die Szene ist kein Jungbrunnen
Bevor jetzt hunderte Midlife-Crisis geschüttelte Mittfünfziger in die dunklen Clubs strömen um ihrer verloren gegangenen Jugend hinterherjagen sei gesagt: Die Szene macht nicht jünger. Die Concealer und Foundation schluckenden Falten verschwinden nicht und auch die lichte Haarpracht wird nicht zu einem dichten Wald. Mein Fazit ist trotzdem hoffnungsvoll, denn Zugehörigkeitsgefühl und Identifikation mit den „schwarzen Werten“ wurden gestärkt und das Gefühl, einfach ein bisschen glücklicher alt zu werden, untermauert.
Vielleicht ist das alles auch eine Art von Pamphlet, sich dem Alter in jeder Phase zu stellen. Resignation und Engstirnigkeit sind oft Resultat einer Überforderung mit der modernen Welt und daraus resultieren immer neue Befindlichkeit, die uns davon abhalten uns diesen Mechanismen zu stellen. Ein Jungbrunnen, in dem wir täglich baden, um uns dann besser zu fühlen, ist die Szene nicht. Dafür aber eine Hantel für den Verstand, der trainiert und an seine vermeintlichen Grenzen geführt werden will. Er hat es nämlich einzig und allein in der Hand, uns glücklich zu machen
„Glücklich machen“ trifft es für mich eigentlich nicht so ganz, da bei diesem Wort doch eher die Vorstellung von Supidupi Freude pur etc. entsteht. Ich würde es eher durch „Bewusster machen“ ersetzen. Da die gesellschaftliche Programmierung zwar beinhaltet, das man glücklich werden soll, das „absolute Glück“ finden aber scheitert, bleibt es insofern immer eine Form von Such-Modus und ist somit eher eine Anleitung zum latenten Unglücklichsein. Wenn man aber einmal diese von der Aussenwelt erschaffene Seifenblase durchschaut, kann man somit vielleicht nicht „glücklich“ werden (wie ein Happy End in einem Hollywood-Streifen) aber bewusster, gelassener und reflektierter die Dinge angehen..das Leben hat kein Happy End, also muss ich auch nicht nach dem glücklichen Ende meiner Geschichte suchen sondern kann in der Gegenwart relativ zufrieden bzw. gelassener und auch humorvoller sein (die Welt ist crazy, man selbst ist auf irgendeine Art crazy aber wer crazy ist und nicht weiss, dass er crazy ist und dies für normal hält, ist vielleicht auch ne Ecke unzufriedener und unbewusster oder vielmehr Opfer der Unbewusstheit..denn das Ganze ist gar nichts Persönliches). Aber natürlich gibt es kein absolutes Schwarz-Weiss (Szene=gut/Normal=schlecht), jeder ist ein Individuum..das was die Leute aber vom Individuellsein abhält sind halt dann auch wiederum gesellschaftliche Programmierungen.
Ich ersetze für mich das „glücklich“ mit „zufrieden“. Das finde ich paßt besser… und in meiner kleinen schwarzen Nische erreiche ich das auch.
Ansonsten erinnert mich Dein Kommentar an Mark Twain: „When we remember we are all mad, the mysteries of life disappear and life stands explained.“
Wahre Worte…
Hi! This is the author. (I read your article using google translate). I’m glad you find my research interesting. By happiness, I meant more like elder goths find contentment and self-actualisation by choosing to live as they (we) are. That doesn’t mean it’s an easy path to get to that point in your life, where you are secure enough in your identity to stop caring what the world thinks of you. I hope that makes sense 🦇
Ich hab irgendwie auch noch nie verstanden, was das soll mit diesem „sich dem Alter entsprechend benehmen“, und das meine ich ernst – wer will sowas festlegen, warum, und was soll passieren wenn man sich „nicht altersgerecht“ benimmt.
OK, die Teile der Gesellschaft, die solchen Unsinn wohl als Norm aufgesaugt haben, können bisweilen eigenartig reagieren, das tun sie aber auch wenn man in jungen Jahren schon nicht ins Bild passt, der Vorteil des fortgeschrittenen Alters ist eindeutig aber der, daß man sich leichter tut, dem Teil der Gesellschaft den Stinkefinger zu zeigen, und einfach weitermacht.
Mir gehts zumindest so – solang man anderen keinen Schaden zufügt, geht des den anderen auch einen Scheißdreck an, wie man rumläuft, mit was man sich beschäftigt und wie die eigenen vier Wände aussehen.
Ich sehe in so einem Zwang des „sich entsprechend dem Alter zu benehmen“ auch einen Grund von Unzufriedenheit – mit sich selbst und seinem Leben. Meistens sind die Stänkerer ja doch Leute die – nach solchen komischen Normen – sehr angepasst sind, und eventuell stänkern die genau deswegen weil sie gern anders wollten, aber sich in dem Gedankenkonstrukt des „Reinpassen-Müssens“ insgeheim nicht wohlfühlen. Da provozieren einen diejenigen, die einfach keinen Bock darauf haben, und es vorziehen, so zu sein und zu leben wie sie eben sind. Ich denke das ist unhabhängig von unserer Szene, allerdings ist genau unsere einer der wenigen, die lange genug dageblieben ist, daß die Leute auch entsprechendes Alter haben, so ist das natürlich, wissenschaftlich gesehen, ein gutes Anschauungsobjekt.
Naja, ich hab ja die 40 auch schon überschritten inzwischen, und trotzdem keinen Bock drauf, irgendwas bleibenzulassen, nur weil jemand sagt, das Alter erlaubt das jetzt nicht mehr – aus einigen Sachen wächst man schon raus, irgendwie, aber das sind dann natürliche Weiterentwicklungsprozesse. Andere Sachen hab ich aus meiner Jugend wiedergefunden und wieder aufgenommen, und es fühlt sich absolut richtig an (ganz ungruftig – Ballett :D – auch so ein Ding das extrem klischeebehaftet ist und wo man ständig hört – Erwachsene habem spwas nicht zu machen. Da kann ich nur den Stinkefinger wieder ausfahren und damit angeben daß ich mit Ü40 meinen Spagat wieder zurückhabe, von dem weiter wachsenden Pack Tänzer-Muskeln fang ich jetzt garnicht erst an :D )
Lieber bin ich zufrieden mit mir selbst und meinem Dasein, als mich „meinem Alter gemäß“ zu verhalten.
Und jetzt pack ich mir ne Ladung neue Farbe auf den Kopf, das lila braucht etwas Nachbesserung …
Danke Adrian, besser hätte man das eigentlich kaum zusammenfassen können.
Danke, dem habe auch ich nichts mehr hinzu zu fügen. Prima zusammen gefasst. :)
Ich denke nicht, dass (allein) die Szenezugehörigkeit dem Altern ein Schnippchen schlägt. Vielmehr ist es so, dass Menschen, die aktiv sind, sich intensiv für etwas interessieren und ihre Freizeit nicht nur vor dem Fernseher oder PC verbringen, ein erfüllteres Leben haben. Das muss gar nichts mit Szene zu tun haben, das kann auch ein Hobby, ein Ehrenamt oder Schrebergarten sein. Was dem Leben halt Sinn gibt.
Und wer in seiner Szenezugehörigkeit einen roten Faden für sein Leben gefunden hat, der hat darin natürlich auch so etwas wie ein sinnstiftendes Gerüst, das innerlich trägt. Dasselbe kann aber auch ein tiefgläubiger Mensch von sich behaupten, wobei wir wieder beim Thema sind, dass die Szene das also nicht für sich gepachtet hat ;-)
Was allerdings sein kann, weshalb ältere Gothics jünger erscheinen mögen ist der Fokus aufs Äußere – viele kleiden sich gepflegt, stilsicher oder extravagant, was man von vielen „Stinos“ in demselben Alter nicht unbedingt sagen kann, wo praktisch, bequem und günstig oft Vorrang vor Stil hat. Und Extravaganz wird ja meist mit Jugend verbunden.
Ich lebe seit meiner Jugend so und für mich ist es selbstverständlich das alles passt. Viele sind entrüstet das der Tod ganz normal zum Leben gehört, sie akzeptieren nur Erfolg,Geld , Reisen und ihre Oberflächlichkeit stößt mich ab. Ich liebe das das Leben wie es ist .
Ich bin aktiv in dieser Scene seit mein 14ten Lebensjahr und werde dieses Jahr 50, die Art wie man lebt ,liebt, Leidenschaften frönt ist jeder sein eigener Herr, es gibt nichts gutes nichts schlechtes ,sondern man ist des Herres Glückes Schmied, wer sich für dieses entscheidet findet sein Weg, man toleriert man akzeptiert aber auch Widerspruch in Soziales, politisch. Aber davon abgesehen wenn mich jemand asozial bezeichnet, sollte man mir dazu die Definition dazu geben, denn ich kenne diese Bedeutung. Fakt ist ich fühle mich so wohl und denke, wo das geschrieben steht das ich mit der Masse laufen sollte. wegen der Etikette?