Ich freue mich immer wenn jemand über Szenen und Subkulturen berichtet. Man lernt nie aus und kann immer noch etwas dazulernen oder durch kontroverse Ansichten anderer seinen eigenen Horizont erweitern. Viel zu oft werden aber die Grundsätze einfacher Berichterstattung vergessen, Recherchieren und Informieren. Das Netzt ist vollgestopft mit Halbwahrheiten und Behauptungen, die zu negativen Ausschlägen in die Gesellschaft führen und damit Vorurteile und Klischees schüren.
Jugendliche, die sich Wochenlang in antifaschistischen Gruppen oder Initiativen wie Schule ohne Rassismus aktiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus einbringen, sind der Lokalen Presse nur ein paar Zeilen wert. Drei randalierende Neonazis, die „Sieg heil!“ gröhlend durch die Innenstadt laufen, erfahren sofort eine bundesweite Medienresonanz. Besonders dann, wenn sie aus dem Osten Deutschlands kommen.
Unsere Gesellschaft ist besorgt um unsere Jugendlichen, möchte sie schützen und in einer kontrollierten Umgebung aufwachsen sehen. Rebellion gegen die Normen und die Suche nach der eigenen Persönlichkeit und Identität treibt die jungen Menschen in eine Szene. Die Gothic-Szene ist eine solche. Beobachtet man die Klientel in der Dunklen Disco fällt auf, das dort hemmungslos beobachtet und gelästert wird. Uncoole Bandshirts, beim falschen Versand gekaufte Klamotten und schlechte Kajalführung münden in der Einschätzung das der andere nie so gruftig werden kann wie jemand selbst. „Ich trage das schwärzeste Schwarz“.
Irgendwie kommt mir das bekannt vor, was nicht weiter verwunderlich ist, denn diese Jugendlichen sind genau wie alle andere Jugendlichen mit den gleichen jugendlichen Problemen. So ziemlich jeder Nachwuchsgoth verwechselt die eigenen hormonal bedingten Sorgen und Nöte mit einem tiefen Weltschmerz, den er konsequent auslebt. Im abgedunkelten Jugendzimmer sitzend werden traurige Zeilen verfasst, teilweise in Metrik und Semantik ebenso gruftig wie in der düsteren Wortwahl. Dazu gibt es noch eine Spur gruftiger Musik, deren Ausläufer mittlerweile auch im Mainstream angelangt sind. Fertig ist das Klischee.
Problematisch werden die Klischees dann, wenn sie zu ernst genommen werden. Seien es übervorsichtige Pädagogen in Form eines Lehrkörpers, ängstliche Mütter die von der Nachbarin angesprochen werden, oder engstirnige Populärtheologen die Jünger des Bösen wittern.
Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben, die Suche nach dem Sinn des Lebens und auch eine gewisse Melancholie führen viele zum Gothic hin […] Solange der Anhänger der Gothic Szene aber keine Andeutungen in Richtungen Selbstmord macht oder sich besonders stark zurück zieht, brauchen auch Eltern sich keine Sorgen zu machen. (Sandra Müller – misterinfo.de)
Wenn aber schon Ratgeber veröffentlicht werden, dann bitte recherchieren und nicht mit Halbwissen glänzen die dann in kühnen Behauptungen enden. Das gilt auch für Sandra Müller. Ich bin nicht unzufrieden mit meinem Leben, warum sollte ich auch? Problematisch ist nur, das gerade die schlechten Artikel im Rampenlicht stehen und gute immer weiter in den Hintergrund rücken. Vorurteile führen zwangsläufig zur Pauschalisierung. Das es Selbstmordgefährdete Jugendliche gibt streitet niemand ab, diese interessieren sich aber aufgrund des morbiden Charakters der Gothics für die Subkultur, die Szene selbst impliziert keine solche Gedanken. Das es besser geht beweißt Christoph Wagenseil von REMIND in diesem Artikel.
Ein wesentliches Element von dem, was man bei Jugendszenen Praxis nennen könnte, ist wohl die Provokation. Bei der Schwarzen Szene gibt es hier einen gewissen Unterschied zu all denjenigen Subkulturen, die eine gesellschaftliche Alternative verkörpern. Der damit eher auf Negatives hinweisende Protest richtet sich vornehmlich gegen die als materialistisch wahrgenommene Gesellschaft, welche auch als Spaß- und Wohlstandskultur interpretiert wird. (Christoph Wagenseil – remid.de)
Tatsache ist, ich und viele andere Gothics beschäftigen sich mit dem Tod, nicht weil wir einen Weg suchen der Gesellschaft durch Suizid zu entsagen sondern aus Neugier und Interesse für das mystische und okkulte. Es ist nur ein Annahme meinerseits das sich eben diese Leute, die uns mit diesem Vorurteil konfrontieren, aus Angst vor dem unausweichlichen damit nicht beschäftigen. Leben und Leben lassen lautet meine Devise.
Rechte Tendenzen in der Szene?
Als wäre das nicht genug der Vorurteile und Halbwahrheiten gibt es seit den 90ern Meinungen, die die Gothics mit Rechtsradikalismus und Faschismus in Verbindung bringen. Die Argumente der Kritiker sind dabei immer die gleichen, die Gemeinsamkeiten Esoterik, Okkultismus und Neoheidentum. Was anscheinend niemand begreift ist die Tatsache, das zwei völlig unterschiedlich Beweggründe dahinter stehen. Während der Gothic sich dafür interessiert, weil er von mystischen und geheimnisvollen Dingen fasziniert ist, kopiert der Neofaschist das Interesse der Faschisten des dritten Reichs. Die Überschrift eines Artikels von Arne Gräfrath bei D-A-S-H lautet Rechte Tendenzen in der Wave- und Gothic Szene, der meiner Meinung nach einer Schlagzeile in der Bild gleichkommt.
Eine Tendenz ist das Streben in eine bestimmte Richtung und würde in diesem Kontext bedeuten, das die Wave- und Gothic Szene sich von allein in die rechte Ecke begibt. Völliger Blödsinn. Vielleicht wäre das Wort Einflüsse in diesem Zusammenhang objektiver, denn Tatsache ist, das die rechte Szene versucht Einflüsse in der Gothic Szene zu platzieren und eben über diese Gemeinsamkeiten versucht innerhalb der Szene Fuß zu fassen. Im genannten Artikel heißt es weiter:
Jeder Meinung, die verbindende Elemente zur Wave Szene besaß, stand man tolerant gegenüber (und ermöglichte so den Rechten erste Erfolge). Auffällig ist dabei, dass Toleranz oftmals mit Kritiklosigkeit, Ignoranz und Beliebigkeit verwechselt wird. Gerade bei der Kritiklosigkeit gegenüber neofaschistischen Meinungen und Inhalten wird ein Widerspruch innerhalb der Szene am deutlichsten – einerseits versteht sich die WGS als Kritik und Gegenkultur zur menschenverachtenden-technokratischen Gesellschaft, anderseits wird selber mit Symbolen kokettiert, die menschenverachtender nicht sein können. (Arne Gräfrath – d-a-s-h.org)
Auf die angesprochenen menschenverachtenden Symbole wird nicht weiter eingegangen, obwohl mich brennend interessiert, welche Symbole mit denen ich angeblich kokettiere Menschenverachtend sind. Da hat wieder jemand geschrieben ohne wirklich zu recherchieren. Der ganze Artikel wirkt auf mich wie ein aneinanderreihen von angeblichen Fakten, die er dann aber wieder selbst entkräftet, von Gegenbewegung aus der Szene heraus wie z.B. Grufties gegen Rechts (inzwischen leider eingestellt) erzählt uns Arne Gräfrath beiläufig.
Sicherlich, das man rechts orientieren Bands wie zum Beispiel Vonthronstahl auf dem WGT (Wave-Gothic-Treffen) 2000 ein Forum geboten hat ist unverzeihlich, auch das die Veranstalter dieses bekanntesten Treffens noch nichts dazugelernt haben. Doch auch hier gibt es Alternative Festivals, auf denen es der Veranstalter besser macht und das Line Up mit bedacht wählt ohne Blind jede Industrial Band aufgrund ihrer Erscheinung in eine Ecke gedrängt wird. Aber warum pauschalisieren und verallgemeinern? Das die rechte Szene Musikstile der Gothics für sich vereinnahmt dafür kann niemand was, aber jeder kann was dagegen tun.
Antifaschisten oder linksextreme, die mit zusammengeschwafelten Texten die einschlägigen Nachrichtenseiten fluten wirken auf mich wie eine zugekiffte Gruppierung spätpubertierender Erwachsener. Zum einen wirft die linksextreme und gewaltbereite Minderheit der Antifaschisten selbst ein schlechtes Licht auf sich selbst und nimmt damit das gleiche Protestniveau wie die verfeindete Gruppierung ein. Außerdem wird die rechte Minderheit die es in der schwarzen Szene sicherlich geben mag pauschalisiert und Verhaltensweisen einzelner verallgemeinert.
Mensch Leute, IHR und WIR können das doch besser und sollten besser gemeinsam gegen die Unterwanderung durch Neonazis vorgehen anstatt uns anzufeinden und mit schlauen Aktionen und Informationen den Jugendlichen die Möglichkeit geben zu lernen und von sich aus aktiv zu werden. Laut jugendkulturen.de ist die rechte Szene wieder out, eine gute Gelegenheit aufzuräumen.
Der Artikel ist sehr aufschlussreich geschrieben. Und kommt auch noch gut herüber. Als wir gestern darüber geschrieben hatten, da dachte ich aber an etwas persönlichere Erfahrungen. Nun gut. Dann schaue ich mal, was ich so dazu zu sagen habe.
Du hast durchaus recht, wenn du bemerkst, dass jeder Jugendliche Probleme hat und mit seiner Lebenssituation klar kommen muss. Da wählt jeder seinen anderen Weg. Somit sind die weiteren Schlussfolgerungen auch wichtig.
Was das „ich trage das schwärzeste Schwarz“ angeht. Komplett richtig. Das ist und war wohl schon immer so. Verzeihe mir das Wort „Schwanzvergleich“. HipHopper wollen die längsten Goldkettchen haben und Gothics die schönsten Klamotten von Aderlass. Und hinzu kommt dann noch, dass die Meinung von bestimmten Individuen besser, klüger, einschlägiger ist und somit dann das sogenannte „true“ als Attribut bei bestimmten Gestalten eher angehängt wird. Obwohl es eigentlich total egal ist, wie „true“ man ist wird danach gestrebt. Von sehr vielen. Das sieht man überall.
Das die Szene dem Tod eine gewisse Bedeutung gibt, dass haben wir ja schon auf meinem Blog feststellen dürfen.
Was den Verdacht der braunen Gedankengutes in der Szene angeht: Ich habe das auch schon von vielen Leuten innerhalb der Szene gehört. Es ist also nicht nur eine Sache, die von außen herangetragen wird. Sehen wir uns die Musik an. And One wird seit Jahren der Vorwurf gemacht braune Texte zu haben. Auch Thomas Rainers Projekt Nachtmahr steht immer und immer wieder unter Beschuss. Auch und gerade innerhalb der Szene.
Mittlerweile kann man fast den Verdacht bekommen, dass dieses mehr auf uns lastet als der Ruf des „Satanismus“, den man sicherlich auch schon am eigenen Leib erfahren haben dürfte.
Ich denke das reicht für den Anfang.
Dass Nachtmahr der Vorwurf gemacht wird rechte Tendenzen zu haben *pfft*, das liegt im Grunde an der Oberflächlichkeit, im Grunde hat Nachtmahr sich diesen Ruf aber selbst besorgt und vermutlich mit bedacht. Rote Armbinde, weißer Kreis und ein schwarzes N darin, dass doch sehr an eine gekippte Sig-Rune erinnert. Hört man dann noch manche Stücke die musikalisch schon gewisse Marsch-Elemente aufweisen, dann hat man den Stempel doch recht schnell weg.
Ein ähnliches Auftreten legen auch Welle:Erdball gelegentlich hin und über Feindflug muss ich wohl nicht reden, Sprachsamples von Hitler sprechen eigentlich eine recht deutliche Sprache, zumindest für Außenstehende und Leute die sich nicht weiter damit befassen und das „Use your brain and think about it!“ übersehen.
Dass gerade die Anhänger der EBM-Szene sich auch optisch nicht viel von den typischen Skinheads unterscheiden die ja noch wesentlich stärker im Nazi-Vorurteil stehen macht die Sache nicht besser.
Gerade was die rechten Tendenzen angeht ist es in der Szene doch recht schwer braun und schwarz zu unterscheiden, denn mit dem Stil wird teilweise doch ziemlich gern gespielt.
Ansonsten kann ich mich deinem Artikel nur anschließen.
@Lordy: Gerade die Tatsache, das ein kleiner äußerer Rand der schwarzen Musik auch in das braune treibt macht die Szene so sensibel. Seit den 90er müssen immer wieder Vergleiche mit den Faschos herhalten. Schon auf den ersten Konzerten von The Cure 1978 kloppten sich links und rechts. Deswegen ist auch die Szene sehr empfänglich für dieses Thema und hat zusätzlich unter der Provokation einiger Künstler „zu leiden“. Man hat wohl resigniert und anstatt für Aufklärung zu sorgen, solche Art von Musik einfach abgelehnt. Das aber Szeneinterne Zensur nicht der richtige Weg sein kann, brauche ich Dir nicht zu erklären ;)
@Tears: So ist es, die Unterscheidung zwischen der Provokation und Realität fällt immer schwerer, Stiefel und Kurzhaarschnitt machen die Sache auch nicht besser. Und ich denke genau hier sind wir gefragt um unsere kleine Öffentlichkeit zu nutzen mit Vorurteilen aufzuräumen und Aufklärung zu bieten. Frei nach dem von Dir genannten Motto: „Use your brain and think about it!“
der artikel von arne gräfrath ist mittlerweile etwa 12 jahre (!) alt … und wird hier zur rezension herangezogen?! unglaublich eigentlich, da dieser artikel in einer zeit entstand, nämlich ende 1997, als genau diese auseinandersetzung und diskussionen mit rechten tendenzen und einflüssen in der wave/gothic-szene erst am anfang standen.das mittlerweile die auseinandersetzungen zu diesem thema weitaus differenzierter erfolgt, findet hier KEINE erwähnung.übrigens der artikel schreiber a.g. war mitorganisator des 1.wgt 1992! soviel zum sogenannten einblick in die szene…aber nichts für ungut. setzen sechs in sachen recherche!
Obwohl dieser Artikel 12 Jahre alt ist, hat er an seiner Aktualität nichts eingebüßt. Ob die Diskussion um rechte Einflüsse heute differenzierter ist, lasse ich mal dahingestellt. Das Zitat soll auch nur einleitend für die Diskussion stehen, die Mitte der 90er aufflammte. Die Auseinandersetzungen mögen in Deinen Augen differenzierter sein, für mich redet man nach wie vor um den heißen Brei. Vielleicht habe ich es versäumt, Arne Gräfrath und sein Dossier objektiver darzustellen, denn schlecht ist es nicht. Es denkt nur die Gedanken nicht weiter. Aber weder das Dossier, noch Arne Gräfrath sind Thema dieses Artikels, deshalb kann man von einer Rezension überhaupt nicht sprechen.
Das der Schreiber Mitorganisator vom WGT war spielt doch in diesem Artikel auch gar keine Rolle, sie hätten dem Zitat nur mehr Gewicht verliehen, das es vielleicht nicht verdient hat. Sind Veranstaltungen wie das WGT nicht sogar mitverantwortlich für diese Tendenzen? Wollte man nicht im Laufe des WGT durch Hinzunahme fraglicher Bands ein breiteres Publikum ansprechen?