Resümee November: Abgrenzung und Gesellschaftskritik

In den kalten Tagen des Novembers nahmen einige Beitragsschreiberinnen und Beitragsschreiber die Feder in die Hand und teilten uns ihre Ansichten mit, welche Rolle für sie Gesellschaftskritik und Abgrenzung in der Schwarzen- beziehungsweise Gothic-Szene spielt. Wird nicht alles kommentarlos hingenommen? Gibt es im gemeinen Goth einen Funken Auflehnung? Und wie war das noch gleich mit der Abgrenzung? All dies wird nun endlich nochmal zusammengefasst, nach Wochen der erzwungenen Untätigkeit und Aufschieberei…

Wir hatten wieder einmal einige Fragen gestellt, deren Erste sich darum drehte, was genau man warum ablehnt und ob die Gründe von Euch als Szene-typisch angesehen werden.

Es wurde, auch in Kurzbeiträgen von Satoria und Markus, eine vielfältige Menge an Gründen genannt, von denen euch insbesondere Diskriminierung, Egoismus, soziale Verrohung, Schnelllebigkeit, Grausamkeit, Oberflächlichkeit, Konsumwahn, Umweltzerstörung, Konservativismus, Religion und Kleingeistigkeit am am häufigsten gegen den Strich ging. Bei manchen, wie Tanzfledermaus, Svartur Nott oder der Fledermama resultiert dies in ausgeprägter Misantrophie und der Erkenntnis: „(…) allgemein ist der Mensch einfach scheiße„.

Bezugnehmend auf den zweiten Frageteil sehen die Beitragsschreiber GM, Lilia, Orphi, Tanzfledermaus und Prinzessin ihre Gründe Kritik an der Gesellschaft zu üben nicht als szene-typisch an. Orphi meint dazu „(…) es ist doch Blödsinn, heute anzunehmen, dass Gothic auf einer Art Gesellschaftskritik beruht, die uns dazu bringt, dass wir uns anders verhalten als der Rest der Gesellschaft. Ganz im Gegenteil. Bis auf einige wenige Ausnahmen verhalten wir uns im Alltag unauffällig, verdecken unsere Sidecuts, wenn es der Arbeitgeber verlangt, ziehen uns moderate schwarze Klamotten von H & M an und erzählen andauernd jedem, der es hören oder nicht hören will, dass wir „ganz normal“ sind.“) und stellt damit bereits die Prämisse, Goth und Gesellschaftskritik hätten etwas miteinander zu tun, in Frage.

Auf der anderen Seite sind für die Fledermama, Kathi, Majudi, Marion, Svartur Nott und Teufelsweib die Themen Soziale Kälte, Kleingeistigkeit (vor allem beim Thema Geschlecht und Gefühl) und nicht zuletzt Religionskritik mehr oder minder Bestandteil der Schwarzen- und/oder Gothic-Szene. Beim Lesen fiel auf, dass sich so mancher Beitragsschreiber ungern festlegen wollten, ob Gesellschaftskritik szene-typisch ist, oder nicht. Lilia bringt es auf den Punkt und sagt: „Ich habe sowohl außerhalb, als auch innerhalb der Szene Personen kennengelernt, die der gleichen oder ähnlichen Meinung im Hinblick auf die Gesellschaft sind wie ich. Aus diesem Grund würde ich nicht behaupten, dass die Ansichten, die ich habe, zwangsweise szenetypisch sind.“

Eine beachtenswerte Sichtweise in Punkto Abgrenzung zeigte zudem GM auf, welche sich selbst fragte, was zuerst da war: Abgrenzung und Entwicklung ihrer Vorlieben oder ihre Vorlieben und daraus resultierende Ab-/Ausgrenzung?

Einen ähnlichen Standpunkt beschreibt Majudi und geht dabei in ihrem Beitrag näher auf die Schutzfunktion der Gothic-Szene ein, welche bei ihr eher eine Motivation für Abgrenzung und Rückzug war, als Provokation, Auflehnung und/oder Gesellschaftskritik.

Ist Euer Kleidungsstil, Euer Styling und Euer Körper Ausdrucksmittel einer Rebellion oder wollt ihr Euch nur wohlfühlen?

Für die Schreiberlinge steht der Wohlfühlaspekt bei ihrer Kleidungsauswahl klar und deutlich im Vordergrund, des Weiteren wurde bei Vielen die Kleidung als Ausdruck der eigenen ästhetischen Vorstellungen genannt, was ja im Mai-Beitrag bereits herausgestellt wurde. Was allerdings den Symbolwert der Kleidung in Bezug auf Rebellion und/oder bewusste und unprovozierte Abgrenzung betrifft, gehen die Ansichten auseinander. Während Orphi und Prinzessin meinen, dass sie noch nie schwarze Klamotten angezogen hätten, um zu rebellieren oder sich bewusst abzugrenzen, sinniert die Tanzfledermaus, dass es „vielleicht ja ein unbewusster Protest-Look ist, da man ja irgendwie doch sein Inneres zum Ausdruck bringt, wie man sich kleidet und gibt“. In die Kerbe mit der Autentizität schlagen Svartur Nott, als auch Teufelsweib, welche sich nur in Kleidung wohlfühlen kann, mit der sie sich verbunden fühlt und repräsentieren kann. Ihre Kleidung ist zugleich „Ausdruck ihrer Selbst und ihrer Weltsicht„.

Und natürlich verändern sich die Beitragsschreiber mit der Zeit, Prioritäten verschieben sich und damit auch die Optik. Lilia dazu: Ich trage schwarz, weil ich mich darin wohlfühle. Ein kleiner Funken bewusste Abgrenzung ist aber immer noch irgendwie dabeiKathi verbindet ihre Kleidung einerseits mit Wohlgefühl, andererseits aber auch mit einzelnen Protestelementen, „wie einem Anti-Nazi-Patch„. Die Fledermama meint dazu direkt: „Also ist für mich mein Styling, geboren aus Rebellion, heute ein Zwischending aus einem Stück Auflehnung, Trauerflor und ganz viel „Leckt mich einfach am Arsch, ich mache, was mir gefällt“.

Der bei der Fledermama genannte Trauerflor ist auch bei Marion zu finden, als Ausdruck „eine(r) Art Traurigkeit darüber wie viele Menschen miteinander, mit Tieren oder der Umwelt umgehen“. Sie selbst zitiert zudem das bereits bekannte Mantra „Lasst mich in Ruhe“, ein Statement der Abgrenzung, welche auch Majudi sehr wichtig ist – und doch wünscht sie sich, dass (…) sich die Allgemeingesellschaft etwas aus der Subkultur abschaut„, insbesondere „Toleranz, Sensibilität und Empathie„.

GM schließt die zweite Fragerunde mit einer Art metaphysischen Anischtsweise: Für sie hat schwarze Kleidung nicht nur Wohlfühlcharakter, sie ist zugleich Schranke und Eingangstor in ihre Welt abseits des banalen Lebens. Und somit wieder Teil eines Abgrenzungsprozesses.

Tut ihr etwas dagegen? Wenn ja, was? Und wenn nicht, warum nicht? Wo seht ihr euch mit Widerständen konfrontiert?

Unsere Beitragsschreiber sind in unterschiedlichem Maße und aus diverser Motivation heraus engagiert. Wie bereits herausgestellt wurde,  liegt nicht wenigen Schreibern insbesondere das Zwischenmenschliche sehr am Herzen, weshalb versucht wird, an diesem Punkt anzusetzen: Marion versucht, wie früher auch Prinzessin, in ihrer täglichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen(…) diese zu ermutigen zu ihrer eigenen Meinung zu stehen und andere Menschen nicht aufgrund von bevorzugter Kleidungsfarbe, religiöser Haltung oder sexueller Präferenz  auf- oder abzuwerten.“ Kathi wirbt mit ihrem Konterfei für den Kältebus Berlin, welcher Obdachlosen zu einer warmen und sicheren Unterkunft verhilft.

Weitere Einsender, wie Fledermama, GM, Lilia und Svartur Nott, versuchen im ersten Absatz angesprochene Missstände zu vermeiden und bewusst dem entgegenzuleben, seinen Mitmenschen eine Alternative aufzuzeigen und sie damit zum Nachdenken anzuregen. Auch wenn manche der Meinung sind, dass dies nichts bringt, dass sie „(k)einen Beitrag zur Änderung der Allgemeingesellschaft leisten“ (Majudi), ist Orphi davon überzeugt, dass jeder mit seinen Überzeugungen und seinem Verhalten Spuren in dieser Welt hinterlässt. Lilia meint dazu: „Natürlich kann man nicht von heute auf morgen die Welt verändern… Ich selbst versuche so bewusst und gut zu leben, wie es mir eben möglich ist. Ich lege viel Wert auf Respekt, Höflichkeit, Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft, Umweltbewusstsein, reflektiertes Konsumverhalten, allgemein reflektiertes Handeln und versuche das auch selbst so gut es eben geht in die Welt hinauszutragen.“

Häufig geschieht dies über das direkte Ansprechen von missliebigen Sachverhalten: Und hier kommen wir zum Punkt der Widerstände: Die Tanzfledermaus musste öfter erfahren „Egal, wie freundlich man dabei ist, meist ist die Reaktion darauf Beleidigung“. Gleiches bestätigt Teufelsweib: „Ich gehe gezielt auf die zuständigen Leute zu, suche das Gespräch oder eine Klärung, konfrontiere. Das ist durchaus mit Widerständen verbunden. Man wird ignoriert, als Befehlsempfänger betitelt, als lästig oder aufmüpfig abgetan, es wird auch gerne beschönigt oder mit Totschlagargumenten verbal agiert.“ Auch in der Familie kann es da schnell zu dicker Luft kommen, wie Marion berichtet. Ein weiterer Widerstand wurde außerdem von der Prinzessin angesprochen: Aufgrund von Zeitmangel kann sie momentan nicht mehr tun, als auf ihr direktes Umfeld achten, für einen Verein oder Ähnliches ist einfach kein Platz mehr frei.

All das frustriert und manch einer tendiert zu Resignation. Doch wird die Hoffnung dann doch nicht gänzlich aufgegeben: Denn „wenn niemand etwas sagt, ändert sich auch nichts, und wenn letztlich ein Gedankenanstoß erfolgt, ist es das wert“ (Tanzfledermaus), oder in markigen Worten vom Teufelsweib: „Wer resigniert, hat schon verloren.“

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