Gothic Friday November: Wer resigniert, hat bereits verloren! (Teufelsweib)

Bisher, so schreibt uns das Teufelsweib in ihrer E-Mail, war sie nur stille Mitleserin, möchte es sich aber nicht entgehen lassen, zum aktuellen Gothic-Friday ein wenig beizutragen. Das wir darüber hinaus ihre rettende Insel in der sonst so „ungothischen Welt“ sind, freut uns natürlich umso mehr – auch wenn das ja dem Klischee nach wieder ungothisch wäre.  Lest, warum Teufelsweib von unserer Versklavung spricht und was Sie ablehnt und bekämpft. Vielleicht trägt Sie ihren Kampf auch weiterhin im Gothic Friday aus und lässt uns an ihren Gedanken teilhaben.

Gothics … wieviel Gesellschaftkritik steckt dahinter? Wie seht ihr das?
Mein Eindruck ist der, dass zu aller Anfang Gesellschaftskritik und Distanzierung größtenteils Ausdruck der Szene war. In den letzen 10 – 15 Jahren ist diese jedoch leider zu einer überwiegend leeren Hülle, Maskerade beziehungsweise Verkleidung verkommen und teils dem üblichen Kommerz verfallen ist, in den Medien ausverkauft und prostituiert worden. Die Alteingesessenen mit entsprechender Einstellung und Kleidung/Frisur sind rar gesät, die Junggothen passen sich eher an, sind oft nur Freizeitgothen, von Rebellion kriege ich gar nichts mit. Stattdessen ein Sehen und Gesehen werden, dazugehören wollen – frei nach dem Motto „wer ist der/die Schönste im ganzen Land“ – auf der Fete am Wochenende oder am Festival mal Prinz oder Prinzesschen sein, das ist angesagt.

Ist Euer Kleidungsstil, Euer Styling und Euer Körper Ausdrucksmittel einer Rebellion oder wollt ihr Euch nur wohlfühlen?

Schwarze Kleidung ist für mich in erster Linie Sinnbild für Ruhe, Tiefe und die Weite und Unendlichkeit des Universums. Ich will nicht Gothic sein und dazugehören, ich bin einfach wie ich bin. Und das eine stimmt mit dem anderen halt treffend überein. Ich bevorzuge eher schlichte, schwarze, lange, asymmetrische Kleidung ohne viel Schnörkel (wenn möglich selbstgeschneidert), spitzige Schuhe, ab und an extravaganten Silberschmuck, Kreuze jedoch eher weniger. Je nach Lust und Laune rebelliere ich damit auch durchaus, vor allem dann, wenn von mir Konformität erwartet wird. Nur in authentischer Kleidung fühle ich mich auch wohl.

Durch die Kleidung, die Beschäftigung mit außergewöhnlichen Dingen und vor allen Dingen den Dingen hinter den Dingen, die Vorliebe für gothischen Ohrenschmaus, Melancholie, Sinn für Kunst, Poesie, Ästhetik und mystische Sphären ist Andersartigkeit und Nonkonformität von Haus aus gegeben und Frau eckt an.

Welche Verhaltensweisen und Normen eurer Umgebung oder der Gesellschaft lehnt ihr ab und sind dies Eurer Meinung nach szenetypische Ansichten oder Eure ganz persönlichen?

Unter anderem die Normierung der Menschen, wie ein Automat funktionieren zu sollen, mich in eine krankmachend-verkorkste Gesellschaft integrieren zu sollen, Oberflächlichkeiten jeglicher Art, unbedacht-zerstörerisches Konsumverhalten, Geldsystem und Kapitalismus mit all seinen Folgen, Umweltzerstörung, Missachtung der Menschenrechte, Würde-, Lieb- und Achtlosigkeit, Verrohung, Betrügereien, gezielte ausgeübte Reizüberflutung, Verdigitalisierung und übertriebene Automatisierung und noch vieles mehr lehne ich ab. Ich vermisse bei vielen Menschen Sinn für die feinsinnigen, tiefgründigen und stillen Dinge zutiefst.

Die meisten Menschen ahnen nicht, was sie mit ihren Verhaltensweisen anrichten, sind sich der Folgen ihrer Handlungen in keinster Weise bewusst oder wollen sie nicht sehen. Meine Ansichten sind, denke ich, sowohl szenetypisch, als auch typisch für mich. DAS bin ich. Ich lehne die genannten Verhaltensweisen deswegen ab, weil sie letztendlich in die Versklavung führen und zur Zerstörung allen Lebens und des wunderschönen Planeten beitragen. Ich sehe das als Geringschätzung und Verbrechen an der Schöpfung an.

Tut ihr etwas dagegen? Wenn ja, was? Und wenn nicht, warum nicht? Wo seht ihr euch mit Widerständen konfrontiert? Wie geht ihr mit euren Feindbildern um? Seid ihr eher aktiv, engagiert ihr euch auf irgendeine Art und Weise oder habt ihr resigniert? Wer macht euch dabei das Leben schwer?

Abgrenzung beziehungsweise Distanzierung halte ich für mich insofern für wichtig, damit ich einen achtsameren, bewussteren Weg gehen kann. Denn wer selbst im Sumpf steckt, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Es reicht meiner Meinung nach schon lange nicht mehr, vom bequemen Sessel aus melancholisch auf die Welt zu blicken. Wenn wir leben möchten, ohne restlos versklavt zu werden, dann ist es zwingend notwendig, sowohl an sich selbst zu arbeiten, als auch zu rebellieren, wo immer einem auffällt, dass Unrecht zu Recht wird … Recht im Sinne von Naturrecht. Wir leben in einem selbst erschaffenen Horrorszenario, zu dem jeder Erdenbürger auf seine spezielle Art und Weise seinen Beitrag leistet, egal ob Gothic oder nicht, aktiv oder passiv.

Ja ich tue etwas dagegen, weil sich schon lange das Unrechtsbewußtsein in mir massiv zu Wort gemeldet hat. Ich mag mich nicht mehr wie ein Fußabtreter behandeln lassen, der das Verhalten anderer traurig/frustriert herunterschluckt, noch den Planeten tatenlos den Bach runtergehen sehen.

Diese Zeiten sind lange schon vorbei, ich widerspreche, wo Widerspruch wichtig ist, auch wenn ich mich dadurch in die Nesseln setze und Nachteile habe … egal ob am Arbeitsplatz, bei Behörden oder anderswo. Ich gehe gezielt auf die zuständigen Leute zu, suche das Gespräch oder eine Klärung, konfrontiere. Das ist durchaus mit Widerständen verbunden. Man wird ignoriert, als Befehlsempfänger betitelt, als lästig oder aufmüpfig abgetan, es wird auch gerne beschönigt oder mit Totschlagargumenten verbal agiert.

Auch wenn es teilweise frustriert … aber wer resigniert hat bereits verloren!!! So gesehen will getan werden, was getan werden muß, bevor der Tod kommt und alles Sense ist .

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Svartur Nott
Svartur Nott (@guest_52927)
Vor 8 Jahre

Ein toller Beitrag, Danke, Teufelsweib.

Es reicht meiner Meinung nach schon lange nicht mehr, vom bequemen Sessel aus melancholisch auf die Welt zu blicken.

Ganz genauso ist es. Damit kommen wir sowohl allgemein in der Welt (wie du schon schriebst), als auch subkulturell nicht weiter.
Dieses lethargische, passive Element in dieser Subkultur ist mir persönlich schon seit ich mich im Umfeld der Schwarzen Szene bewege ein Dorn im Auge, da es für einige negative Entwicklungen in selbiger mit verantwortlich war („wir tolerieren ja alles und jeden, goth ist ABCDEXYZ“). Das heißt jetzt nicht, dass jetzt jeder in grenzenlosen Aktivismus verfallen sollte, aber ein bisschen mehr davon (v.a. zielgerichtet) dürfte meines Erachtens ganz vital wirken.

Rena
Rena(@normanormal)
Vor 8 Jahre

Schön von jemand Neuem zu hören!
Du schreibst vieles was ich gut verstehen und nachempfinden kann. Allerdings bin ich mir nicht sicher ob bei „Alteingesessenen“ prinzipiell immer mehr dahinter steckt als bei „Junggothen“. Zwar bin ich nur ein Grenzgänger und kein wirklicher Insider, doch habe ich manchmal den Eindruck, das bei den einen oder anderen mit den Jahren eine Art innere Anpassung stattfindet, auch wenn man vielleicht dem Kleidungsstil und dem Musikgeschmack treugeblieben ist, so ist an Stelle der jugendlichen Rebellion und Gesellschaftskritik die vielleicht mal da war, das Alltagsleben gewichen, in dem Job, Einbauküche, Auto und Altervorsorge etc. die Hauptrolle spielen. Was irgendwie auch verständlich ist, aber auch sehr schade.
Ich denke nicht das früher alles besser war und heute ausschliesslich oberflächliche Gründe junge Menschen für die Szene interessieren lassen. Ich habe die Hoffnung, das es auch aufgrund von diversen zeitaktuellen Entwicklungen (siehe US-Wahl usw.), vielleicht auch wieder eine neue Generation von kritisch denkenden Menschen geben wird, die wieder etwas verändern und bewegen möchten. Und das obwohl ich eigentlich eher pessimistisch bin.

Fogger
Fogger (@guest_52966)
Vor 7 Jahre

Schön geschrieben! Ich finde es immer wieder fazinierend, wie ähnlich die Menschen hier im Denken sind. Die Gesellschaft ist für mich ein wichtiges Thema. Aber ich befürchte auch diesen Monat werde ich keinen Beitrag leisten können ….

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