Gothic Friday März: Music saves my soul (Flederflausch)

Ein graues, kaltes Bürogebäude. Gesichtslose Menschen, rennen, Waffen – grau in grau, kalt und leer. Rote Ranken, die über die Eintönigkeit wuchern und Blüten treiben. Musik die einem einen Schauer über den Rücken jagt und ganz tief trifft. Ja, richtig – Depeche Mode – Enjoy the Silence. Zugegebenermaßen weiß ich nicht mehr genau wann und muss schwer in meiner Erinnerung graben, aber ich denke es müsste 2004 gewesen sein, also ich das Video erstmals auf MTV oder Viva sah und mich verliebte. Das hätte der Anfang meiner gruftig-musikalischen Karriere sein können – war es aber nicht. Warum? In irgendeiner Bravo entdeckte ich einen Artikel über Depeche Mode und was in der Bravo stand war Mainstream und was Mainstream war, war doof. Und ich in meinem pubertären Rebellions-und-grundsätzlich-gegen-alles-Gehabe auch und so sollte ich Depeche Mode erst später wieder für mich entdecken. Das Gefühl aber blieb. Schon als Kind konnte ich Stunden vor dem Radio oder dem Plattenspieler meiner Eltern verbringen und Musik hören. Immer und immer wieder. Aber dieses Gefühl, so intensiv, hatte ich vorher noch nie.

Etwas ähnliches erlebte ich das nächste Mal erst wieder mit Evanescene. My immortal und Bring me to life hatten es mir besonders angetan. Endlich fühlte ich mich verstanden und ausgedrückt, was ich nicht in der Lage war durch mich selbst auszudrücken. Angekommen in der Szene war ich deshalb trotzdem noch nicht. Ich suchte mich durch die „Alternativ-Sparten“ in der Musikabteilung der Drogerie Müller Filiale (im ländlichen Raum war der nächste Plattenladen eben nicht um die Ecke und eigentlich hatten die auch schon mehr oder weniger ausgedient). Man könnte sagen ich hatte in dieser Zeit ein komisches Verhältnis zur Musik, weil ich die Platten nach Cover und Inlet auswählte, die Wahrheit ist aber, ich war einfach viel zu schüchtern um das Personal darum zu bitten mir die CDs einzulegen, damit ich sie anhören konnte – und weit reichte das Taschengeld so wie so nicht.

Die nächsten wirklichen Offenbarungen erlebte ich durch zwei Mix-CDs,mit Musik aus dem Bereich Gothic-Metal und Dark/Progressiv Metal, die mir mein damaliger Freund erstellte. Tiamat – Cain und Katatonia – Omerta, die jeweils ersten Songs auf den Platten faszinierte mich augenblicklich. Mit seichtem Geplänkel konnte ich nichts anfangen. Ich suchte Tiefe, in die ich tauchen konnte, Dunkelheit, die mich umfasst um die Dunkelheit in mir auszudrücken und Worte, die ich nicht sprechen konnte. All das fand ich in dieser Musik. Von da ab gewährte mir mein damaliger Freund Zugang zu allen Bereichen seines Sammelsuriums. Angefangen bei Doom / Dark-Metal von Agalloch, über Dark Rock (End of Green), hin zu Sopor Aeternus und Otto Dix und kreuz und quer zwischen durch.

Vieles an Musik fand ich in den darauffolgenden Jahren im Internet, über YouTube oder über Forenbeiträge, zu Musik, die ich mir dann anhörte. Immer wieder stieß ich auf Neues, Interessantes. Manches begleitete mich nur eine gewisse Zeit, anderes immer wieder oder sehr lange. Sehr prägend für mich waren auch Haggard, Helium Vola, The 69 Eyes, Pink Turns Blue, Joy Disaster, Escape with Romeo, Clan of Xymox, Dreadful Shadows, Wolfsheim und später erst Sisters of Mercy, Linea Aspera und ich könnte wohl ewig weiter machen.. An dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich vieles an Musik nicht mehr zeitlich eingeordnet bekomme und Namen auch bei Bands für mich teilweise Schall und Rauch sind und erst in den letzten Jahren Parties und Konzerte für mich eine Quelle neuer Musik sind.

Touching

Stundenlang konnte und kann ich damit verbringen Musik zu hören, versuchen die Texte zu verstehen, den Sinn dahinter zu erkennen, mich fallen lassen. Viele prägende Momente und Erlebnisse sind für mich mit einer bestimmten Band der einem bestimmten Lied verbunden. Die Entdeckung einer neuen Band allerdings bedeutet für mich auch immer ein stück weit Neuanfang und Bewegung. Unzählige Melodiebruchstücke und Songtextzeilen springen mir immer wieder im Kopf herum und nichts ist schlimmer als einen Liedabschnitt im Kopf zu haben um ums verrecken nicht drauf zu kommen welches Lied von welcher Band es ist.

Was mich an der Bandbreite der dunklen Musik fasziniert und fesselt ist das Gefühl und die Variation. Von Schwer und Düster über seidig und leicht. Dunkle Ströme, die einen treibend-tragen und Rhythmen, die die Beine in Bewegung setzen. Schwermütiges, Trauriges, Rebellisches, Tanzbares, Heiteres. Alles dabei. Für mich zählt dabei vor allem ein: was ich fühle. Und was ich fühle hängt damit zusammen, in wie weit ich die Musik als authentisch betrachte, als Komposition eines Gefühls. In welcher Übersetzung das transportiert wird spielt erstmal keine Rolle. Stimme, Stimmung, Rhythmus, Text – das Gesamtwerk muss stimmen und was stimmt ist je nach Stück sehr unterschiedlich und so wie so eine Frage der Ansicht. Nichtsdestotrotz sind die Lyrics für mich von großer Bedeutung. Musik ist für mich immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Leben, dem Sterben, der Welt, eine Flucht aus dieser, ein Ausdruck und Katalysator für meine Depression. Musik rettet mich, wenn ich im Begriff bin verloren zu gehen und im Dunkeln zu ertrinken. Sie begleitet mich immer, durch alle Höhen und Tiefen und kann immer verklanglichen, für was ich keine Worte finde. Musik ist mein Auszug aus meiner hochkomplexen, analysierenden Gedankenwelt und Zugang zum Gefühl. Musik hält mich am Leben.

Es gibt so viel Musik, die mich berührt und so viele Texte, die mir unendlich viel bedeuten, aber dieser eine ist es wohl immer wieder: The Chameleons – As high as you can go Warum? Weil ich finde, dass der Tanz eine wunderbare Metapher für das Leben ist und Musik und Tanz meine tiefste Art des Ausdrucks sind:

Take a chance and join the dance
And you can make the sound
Take a chance and join the dance
And we can go to ground
Go to ground.

What now?

Für mich textlich wie musikalisch besonders eindrücklich und daher 4 meiner Lieblingslieder

5 Bands, die viel zu wenig beachtet werden

6 Lieder die immer gehen und die für mich nicht totzuspielen sind

 

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Kommentare

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Martin Noir
Martin Noir (@guest_51817)
Vor 8 Jahre

Ein schöner Beitrag.

Deine Lieblingslieder und die Bands unter „Viel zu wenig beachtet“ hätte ich bei der Vorgeschichte garnicht unbedingt so erwartet.

Vielen Dank für Sanne de Neige, wirklich wunderschön.

Vielleicht gefallen dir auch Derrier Le Miroir (jetzt nicht nur wegen dem B-Movie Cover)?

Svartur Nott
Svartur Nott(@svartur-nott)
Vor 8 Jahre

Was mich an der Bandbreite der dunklen Musik fasziniert und fesselt ist das Gefühl und die Variation. Von Schwer und Düster über seidig und leicht. Dunkle Ströme, die einen treibend-tragen und Rhythmen, die die Beine in Bewegung setzen. Schwermütiges, Trauriges, Rebellisches, Tanzbares, Heiteres. Alles dabei. Für mich zählt dabei vor allem ein: was ich fühle. Und was ich fühle hängt damit zusammen, in wie weit ich die Musik als authentisch betrachte, als Komposition eines Gefühls

Dies kann ich voll und ganz unterschreiben, Flederflausch. Ich könnte keine passenderen Worte finden. Und auch hier wieder: Die Chameleons. Zufall? :)

An das Depeche-Mode-Video von „Enjoy the silence (Reinterpreted) kann ich mich noch gut gut erinnern. Als auf MTV noch brauchbar war… Auch wenn ich das Original besser finde, hatte diese Version doch irgendwas, ich saß jedenfalls Abends öfter vor der Flimmerkiste und hoffte, dass dieses Lied wieder laufen würde. Was dann zu meiner Freude oft genug geschah.

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 8 Jahre

Ja, die Chameleons haben ihren ganz eigenen Zauber :-) Warum die nicht insgesamt mehr musikalischen Erfolg hatten, verstehe nicht nur ich nicht so recht…

Was mich an der Bandbreite der dunklen Musik fasziniert und fesselt ist das Gefühl und die Variation. Von Schwer und Düster über seidig und leicht. Dunkle Ströme, die einen treibend-tragen und Rhythmen, die die Beine in Bewegung setzen. Schwermütiges, Trauriges, Rebellisches, Tanzbares, Heiteres. Alles dabei. Für mich zählt dabei vor allem ein: was ich fühle. Und was ich fühle hängt damit zusammen, in wie weit ich die Musik als authentisch betrachte, als Komposition eines Gefühls. In welcher Übersetzung das transportiert wird spielt erstmal keine Rolle. Stimme, Stimmung, Rhythmus, Text – das Gesamtwerk muss stimmen

Das spricht mir aus der Seele!

Mr. Niles
Mr. Niles (@guest_51842)
Vor 8 Jahre

Der mäßige Erfolg der Chameleons ist schnell erklärt:
Die hatten ihren Vertrag seinerzeit bei einem Majorlabel.
Und das ging in jenen Tagen überhaupt nicht! Heute würde sich da niemand drüber aufregen, aber damals kam das einem Verrat an der Szene gleich…

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 8 Jahre

Ich meinte ja nicht den ausschließlich szeneinternen Erfolg. Es haben sich immer wieder diverse Kritiker gewundert, warum z.B. U2 (di ja auch recht gitarrenwavig begannen) und The Smiths so erfolgreich wurden, die Chameleons jedoch stets in deren Schatten blieben. Und gerade ein Majorlabel hatte damals ja auch ein Sprungbrett bedeuten können. Ich hätte ihnen zumindest etwas mehr Erfolg gegönnt. Wenn man sieht, welcher musikalische Bockmist Erfolg hat(te), so finde ich es schon traurig, wenn eine Band mit gutem Potential ein Schattendasein führt.

Nenia
Nenia (@guest_52773)
Vor 8 Jahre

Musik rettet mich, wenn ich im Begriff bin verloren zu gehen und im Dunkeln zu ertrinken. Sie begleitet mich immer, durch alle Höhen und Tiefen und kann immer verklanglichen, für was ich keine Worte finde. Musik ist mein Auszug aus meiner hochkomplexen, analysierenden Gedankenwelt und Zugang zum Gefühl. Musik hält mich am Leben.

Das hast du ganz wundervoll beschrieben, Flederflausch. Du sprichst mir hiermit wirklich aus der Seele. Es ist erstaunlich was Musik in uns auszulösen vermag und wie sehr sie unsere Gefühle und unseren Gemütszustand beeinflussen kann.

Heiko
Heiko (@guest_52776)
Vor 8 Jahre

Nenia und Flederflausch muss ich da wirklich zustimmen. Die Macht, die Musik über unsere Gefühle und Gedanken hat, ist wirklich erstaunlich. Darum finde ich „neutrale“ Musik, also das, was so im Radio läuft schrecklich. Es ist großteils plattes Geplätscher, Hintergrundgeräusche für die Hausarbeit, damit es im Haus nicht so still ist(da ziehe ich Stille noch vor).
Musik muss bewegen, sie muss Saiten in unserm Inneren zum klingen bringen. Gerne auch unangenehme.
Ein Stück Musik, das für mich zum Beispiel, ganz besonderns emotional aufgeladen ist(neben der Tatsache, dass es auch rein musikalisch großartig ist), ist das „Faith“ Album von The Cure. Eine der wenigen Platten, die mich, in egal welchem Zustand, berühren, bisweilen sogar arg durchrütteln.
Ja, die Macht von guter Musik ist wirklich erstaunlich…

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