Nachdem sich Malte schon einige Male nur gedacht hat, dem Gothic Friday beizutragen, konnte er nun nicht mehr anders und verfasste den folgenden Beitrag, welcher bereits in Kindestagen beginnt und dann auch doch irgendwie ein bisschen Szene-Einstieg ist. Wieder ein Beispiel, wie eng Musik mit dem Einstieg in die schwarze Szene verknüpft ist. Lest, wie er Malte Mitte der 80er ganz allein nach Westberlin fahren durfte und wie er bei der Bundeswehr von einem Unteroffizier mit schwarzer Musik versorgt wurde.
Vergangenheit
Mein Interesse für Musik begann mit elf oder zwölf Jahren Anfang der 80er. Irgendwo bei uns im Haus lief immer ein Radio, und ich stellte ein wenig verwundert fest, dass mir Musik mit Synthesizern viel besser gefällt als „richtige“ Musik mit Gitarren und Schlagzeug. Irgendwie wollte es mir nicht in den Kopf, dass die vergleichsweise einfache elektronische Musik bei mir besser ankam als solche, für die die Musiker mehrere Jahre investieren müssen, um ihre Instrumente zu beherrschen. Ich beschloss jedoch recht schnell, dass mir das auch egal sein kann und ich nichts mehr gegen meine keimende Vorliebe für diese künstliche, elektronische Musik unternehmen werde.
Im Radio wurden zu dieser Zeit wiederholt „Tainted Love“ von Soft Cell, „Maid of Orleans“ von OMD und „Fade to Grey“ von Visage gespielt. Ich konnte mich nicht satthören an diesen Liedern und wenn sie liefen, unterbrach ich das, was ich gerade machte und setzte mich einfach nur vor das Radio. Mein Taschengeld reichte damals noch nicht, um mir Schallplatten zu kaufen, aber mein älterer Bruder arbeitete schon und besorgte sich regelmäßig Platten. Darunter auch die oben genannten Titel, was dazu führte, dass das Radio schnell vom Plattenspieler ersetzt wurde. Danke auch an meinen Bruder, dass er mich seine Platten bereitwillig hören ließ!
Weitere Gruppen, die mich in dieser Anfangszeit begleiteten: Bronski Beat, Ultravox, Heaven 17, Tears For Fears, U2, Simple Minds, Human League, Propaganda, New Order – und natürlich Depeche Mode. „People Are People“ war meine erste, vom eigenen Geld gekaufte Maxi. Eine Ahnung, dass es neben den im Radio gespielten Hits noch eine andere Welt von „meiner“ elektronischen Musik geben muss, bekam ich mit „Are Friends Electric?“ von Gary Numan. Leider weiß ich gar nicht mehr, wie ich zu diesem Titel kam, aber er war definitiv die Bestätigung für meine musikalische Vorliebe. Da wusste ich: Es muss noch mehr geben! Unbekanntere Gruppen wie Grauzone, Invisible Limits, Kissing The Pink oder Vicious Pink begannen sich über meinen Musikhorizont zu schieben.
1985, ich war 15 Jahre alt, ließ mich meine Mutter für eine Woche nach Westberlin fahren. Allein! Meine Familie hat Freunde dort, wo ich unterkommen konnte, und mit diesem sicheren Rückhalt wurde mir die Fahrt erlaubt. Der nur wenig ältere Sohn dieser Familie nahm mich ins „Linientreu“ mit. Das war wie eine Offenbarung. Ich glaube, ich stand die erste Zeit nur mit offenem Mund da und nahm die Musik einfach nur auf. Zwei Lieder, die mich bis heute begleiten, hörte ich dort zum ersten Mal: „Unveilling the Secret“ von Psyche und „Temple of Love“ von Sisters of Mercy.
Beruhigt stellte ich bei letzterem Titel fest, dass „richtige“ Musik mit Gitarren auch gefallen kann, gut gefallen kann! Doch dieser Dualismus zwischen Elektro und Gitarre ließ mich nie richtig los, und beim Kennenlernen neuer Leute war es eine der ersten Fragen, ob man lieber Elektro oder Gitarre mag, ob man seinen Einstieg mit Depeche Mode oder The Cure hatte. Das war jedoch eher Spielerei und Neckerei und hatte nichts zu tun mit einer Verurteilung des jeweils anderen, denn es war ja klar, dass man letzten Endes die gleichen Leidenschaft teilte. Später erfuhr ich dann, dass Dr. Avalanche von Sisters of Mercy nur ein Drumcomputer ist, und mein elektrozentrisches Weltbild war wieder in Ordnung.
Auch beeinflusst von meinem Bruder, entwickelte ich einen Hang zu Reiterhosen, weiten Hemden, spitzen Schuhen, langen Kitteln, uniformähnlichen Schnitten. Kleidung von „BOY“ oder „Bogey´s“ fand ich wegen ihres Aufdrucks klasse und irgendwie kokettierte ich gern mit dem Logo von „BOY“ wegen dessen Ähnlichkeit mit dem Reichsadler. So gekleidet, dauerte es nicht lange, bis ich an der Schule oder in der Stadt ähnlich Interessierte auch außerhalb meines bestehenden Freundeskreises kennenlernte. In unserer Kleinstadtdisko, in der sich jeden Samstag alle Jugendlichen trafen, verstand es der DJ, neben dem allgemeinen Hitparadengedudel auch immer für eine halbe Stunde die Randgruppen musikalisch zu versorgen. Heavy Metal war dabei, Rock ´n´ Roll – und auch etwas für mich. Irgendwann fiel mir auf, dass immer, wenn ich tanzte, auch zwei Gleichaltrige in schwarzer Kleidung zu denselben Liedern tanzten. Im Sommer 1987 sprach ich sie an, und sie sollten zu meinen Weggefährten bis heute werden.
Gemeinsam versorgten wir uns mit Musik und Gruppen: Es gab immer jemanden, der etwas mitbekam, was die anderen noch nicht kannten und bereitwillig weitergab. Sie zeigten mir auch, dass Lieder wie „Tainted Love“ oder „Fade to Grey“ allenfalls die Spitze eines Eisbergs waren und die Gruppen dahinter ein schillerndes Universum viel prachtvollerer Lieder boten. Noch heute spielen wir uns gegenseitig neue, mittlerweile teilweise auch selbst komponierte Stücke vor, und besuchen gemeinsam Clubs oder Konzerte. Zwar nicht mehr drei- bis viermal im Monat, sondern nur drei- bis viermal im Halbjahr, aber immerhin!
Auf diese Weise lernte ich damals unter anderem kennen: „Push!“ von Invincible Spirit, „Schizophrenia“ von Cat Rapes Dog, „Torture“ von Beborn Beton, „Kill The 6“ von Plastic Noise Experience, „K.N.K.A“ von Project Pitchfork, „Babsi ist tot“ von The Arch, „Gioconda Smile“ von Poesie Noire, „Metalhammer“ von And One. „Going Round“ von Clan of Xymox zeigte mir 1989 mein ausbildender Unteroffizier zu Beginn meines Wehrdienstes. Er gab mir eine aufgenommen Kassette mit den Worten „das ist etwas für dich“, als er mich einmal zufällig abends in Zivil sah, also in schwarz statt oliv und mit zierlichen, spitzen Schnallenschuhen statt klobiger Stiefel. Er hatte die Kassette noch von seiner Autofahrt in der Tasche und schenkte sie mir einfach.
Weitere Quellen für neue, interessante Musik waren ein Plattenladen in Hannover, in dem wir unzählige Samstage verbrachten, um in diverse Platten und später auch CDs reinzuhören, sowie Ecki Stieg. Seine „Grenzwellen“ waren Pflichtprogramm (zurück zum Radio!), später passte das prima zu den Mittwochsfahrten ins „Kick“ nach Herford. Und nicht zuletzt die DJs, die in den Clubs auflegten – ich war immer ausgerüstet mit Stift und Notizblock und scheute mich nicht, bei guten unbekannten Titeln den DJ zu fragen.
Diese Diskothekenbesuche begannen 1986 oder 1987 mit dem „Basement“ in Hannover, wohin uns ein Freund mitnahm, der schon Führerschein und Auto hatte. „Der Mussolini“ von DAF und „Let Your Body Learn“ von Nitzer Ebb begegneten mir dort. Als ich dann 1988 selbst mobil war, führten uns die ersten Ausflüge in Eigenregie nach Bielefeld ins „PC69“. Von den Sisters of Mercy hörte ich dort „Train“ zum ersten Mal und „Ricky´s Hand“ von Fad Gadget. Zwar kannte ich die Gruppen schon, aber es gab damals noch nicht die Möglichkeiten, bei einer Gruppe sofort auf alle ihre Werke zugreifen zu können. Es war zwar ein langwieriges Geschäft, dieses Aufspüren von neuen und gefallenden Titeln, aber es hatte auch etwas von Schatzsuche und Schnitzeljagd, war also stets spannend und – Erfolge stellten sich immer schnell ein!
Die Tiefe
Hier habe ich nicht viel zu schreiben. Ich muss gestehen, dass ich anspruchsloser Musikkonsument bin. Hoffentlich enttäusche ich an dieser Stelle niemanden! Auf Texte achte ich kaum, auf englische schon gar nicht. Die Texte müssen nur zum Rhythmus passen, und die Musik sollte tanzbar sein. Sie muss mir gefallen. Botschaften, die die Künstler versuchen zu geben, kommen bei mir nicht an. Auch will ich Spaß haben und gute Laune beim Musikhören. Ich will unter Leute, ich will tanzen, ich will mich amüsieren. Schwermütige, mit der Welt hadernde Klänge und Texte passen daher gar nicht zu mir – oder, wenn die Musik wenigstens noch schwungvoll ist, will ich sie auch gar nicht verstehen.
Zwar lasse ich mich gerne gehen beim Tanzen, verliere mich in den synthetischen Klangsequenzen, gebe mich den Tonfolgen hin und genieße die wohlige Gänsehaut, die mich hin und wieder überkommt. Als ob ich mit der Musik verschmelzen würde. Aber von mehr möchte ich nicht sprechen, tiefe Erfahrungen oder sinnlich-esoterische Empfindungen erscheinen mir dann doch zu theatralisch und zu weit hergeholt.
Das Hier und Jetzt
Musikalische Tipps: Data Bank A, eine leider unterschätzte Elektroband mit einer Perle nach der anderen. Oder Siglo XX, etwas härter und düsterer. Les Rita Mitsouko – Was für eine herrlich abgedrehte Gruppe! Opera Multi Steel aus Frankreich, die ich über einen Umweg in Südamerika kennenlernte, wo ihr Titel „Cathedrale“ noch heute einer DER Clubhits ist. Das Lied ist von 1985.
Ewige Top 5
- Psyche: „Unveilling The Secret“
- Depeche Mode: “Photographic”
- The Bollock Brothers: “Faith Healer”
- The Invincible Limit: “Locate A Stranger”
- The Clan Of Xymox: “Going Round”
Flop 5
- Wolfsheim: “The Sparrows And The Nightingales”
- Umbra et Imago: “Gothic Erotic”
- Silke Bischoff: “On The Other Side”
- Codex: “Riechst du das?”
- Marylin Manson „Tainted Love“
Totgespielt
- Boytronic: “You”
- And One: “Technoman”
- Front 242: “Headhunter”
- Shock Therapy: “Hate Is Just A 4-Letter-Word”
- Lacrimosa: “Alles Lüge”
Aktuelle Top 5
- Welle: Erdball: „Zeitverbot“
- Project Pitchfork: „Lament“
- Beborn Beton: „24/7 Mystery”
- The Invincible Spirit: “Anyway”
- She Past Away: “Kasvetli Kutlama”
Und weil ich manchmal eben doch meine Meinung ändere noch eine weitere Rubrik „War totgespielt, trotzdem wiederauferstanden“:
- Skinny Puppy: “Assimilate”
- The Klinik: “Moving Hands”
- Eternal Afflict: “San Diego”
- The Cure: “Just Like Heaven”
- Kirlian Camera: “Eclipse”
Hallo,
„Assimilate“ habe ich mir seltsamer Weise noch nicht Leid gehört… ;-)
Data Bank A halte ich auch für unterbewertet, aber da gibt`s so viele, mir sind z.B. auch noch „Moev“ eingefallen.
Bei „Gitarre“ vs. „Electro“ ging`s mir genau so. Was Nachgeborene ja gar nicht mehr kennen, ist die Ablehnung, die einem damals oft entgegen schlug.
Mir war Gitarrenrock seinerzeit einfach zu „schepprig“, was wohl auch den schlechten Aufnahmen aus den 60ern und 70ern geschuldet war.
Die Wave-Szene hat mich wieder für Gitarren begeistert, vor allem, weil Bands wie die Chameleons oder The Cure mir zeigten, was man sonst noch mit den Dingern anstellen konnte.
Auch fand in der Szene keine Diskriminierung statt. Alles bestand gleichwertig nebeneinander oder miteinander.
LG Jörg
Lieber Malte, ist Gänsehaut keine sinnliche Erfahrung? Und mit der Musik verschmelzen, sich darin auflösen, hat das keine Tiefe? Für mich ist es beides… und Gänsehaut… immer.
Und die Meinung zu ändern, kann manchmal wunderbare, unerwartete Erfahrungen bringen.
Leider hast Du mich gerade nur um das zweite Glas Wein mit Robert auf dem WGT betrogen :))
Da du so sehr auf Synthie-Klang stehst, schon mal von Martial Canterel gehört? Evt. wäre das auch was für dich?
und ohne Gesang https://martialcanterel.bandcamp.com/track/prologue-bonus
Danke an Gruftfrosch für den Tipp mit Martial Canterel! Kannte ich bislang nicht. Genau so war das mit der Schatzsuche und Schnitzeljagd: Man hält mit Vorschlägen und Tipps nicht hinter den Berg, sondern freut sich, wenn anderen aktiv geholfen werden kann. Ich habe es auch nie verstanden, wenn neue Gesichter kritisch und argwöhnisch beobachtet wurden. Lieber helfen, aufnehmen und ordentlich mit Musikvorschlägen versorgen!