Finsterwalde ist in aller Munde. Finsterwalde verbindet. So jedenfalls mein Eindruck. Kurz nachdem Malte in seinem Artikel zu den beiden Wave-Gothic-Treffen 1992 und 1993 seine Freunde aus Finsterwalde erwähnte, fiel irgendwo Leserin „Starlight“ aus allen Wolken. Das war doch auch ihr erstes und zweites WGT! Das waren doch die Leute, die sie auch kannte! Sie kommentierte und ich konnte ihr das Versprechen, das ganze aus ihrer Sicht zu schildern, abringen. Etwas gedauert hat es ja, weil sie in einem Drang zur Perfektion selbst alte Bilder beisteuern wollte und erst eine alte Freundin kontaktieren musste, um sie zu bekommen. Gewürzt mit ihren Erinnerung wird daraus eine schöne Geschichte zum Gothic Friday im Juni, die das Warten rechtfertigt.
Warum fährst du zum WGT? Oder warum fährst du nicht?
Meine WGT-Geschichte beginnt vor 24 Jahren. Auch ich war dabei – beim allerersten WGT 1992. Einfach so. Freunde aus dem nicht weit entfernten Finsterwalde, mit denen wir regelmäßig Kontakt hatten und mit welchen wir oft gemeinsam feierten, erzählten uns von dem Treffen und wir beschlossen: da fahren wir mit! Ich besaß kein Zelt, keinen Schlafsack, kein Ticket. Ich war 17 Jahre alt und machte mir keine Gedanken. Wird schon werden, dachte ich. Bin ja nicht alleine unterwegs. Und wie es wurde! Irgendwer hatte ein riesiges Zelt, in dem wir Unterschlupf fanden. Es war ein sehr heißes und geniales Wochenende am Eiskeller in Leipzig. In der Nähe war ein kleiner Supermarkt, aus dem wir uns verpflegten. Wir lagen auf Decken rum, quatschten und tranken Wein. Lernten andere Leute kennen. Ich sah zum ersten Mal Das Ich, Love Like Blood, The Eternal Afflict und Goethes Erben. Oswald Henke gab mir ein Autogramm auf meine Eintrittskarte. Wir hatten jede Menge Spaß. Für 8 DM je Abend.
Ein Jahr später lief das Ganze schon organisierter ab. Keine Frage, dass wir wieder dabei waren. Wir reisten dieses Mal mit Zelt, Schlafsack und Campingkocher an und bauten uns eine kleine Zeltstadt mit Freunden auf. Wetter und Stimmung waren auch beim zweiten WGT bombig. Gezeltet wurde in diesem Jahr im Connewitzer Holz und es war alles schon größer und etwas weitläufiger. Hätte mir aber damals jemand vorausgesagt, in welchem Ausmaß sich dieses Treffen einmal entwickeln würde, ich hätte ihn ausgelacht. Doch für uns stand damals fest: Das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig sollte für uns zum festen Termin im Jahreskalender werden.
Aber es kam alles anders. Ein gebrochenes Herz sollte einige Jahre später der Anfang einer langen „Szene-Abstinenz“ werden, denn das Leben führte mich in eine Beziehung mit einem Mann, welcher wenig Verständnis für die schwarze Szene und meine eigenen Vorlieben aufbrachte. Wohl der Liebe wegen ließ ich es zu, dass sich nach und nach eine immer größer werdende Lücke zwischen mir und meinen Freunden auftat. Kurzurlaub statt WGT und irgendwelche Partys statt Jugendclub. Ein Jobwechsel verbunden mit einem nebenberuflichen Studium und unser Hausbau nahmen mir am Ende sowieso jegliche freie Zeit. Treu blieb ich jedoch stets meiner Lieblingsfarbe Schwarz und meiner Lieblingsband The Cure, deren Deutschland-Konzerte ich all die Jahre besuchte. Doch auch mein Hang zum Romantischen und Düsteren ließ sich nicht einfach so unterdrücken. Was blieb, war die Sehnsucht. Und so kam es, wie es kommen musste. Ich hatte mir irgendwie ein Leben aufgebaut, schmiedete Pläne eine Familie zu gründen und stellte plötzlich fest: Das alles macht mich nicht glücklich und das bin nicht mehr ICH. Ich wollte mich zurück. Ich vermisste Musik, Konzerte, Freunde. In einem bitteren Streit zog ich die Konsequenzen, aller Pläne zum Trotz.
Back to Music.
Das Internet machte mittlerweile vieles leichter, auch Kontakte knüpfen sich so leichter. So lernte ich wieder Menschen kennen, die die gleiche Musik mochten wie ich und fand auch ein Cure-Forum, in dem ich mich gut aufgehoben fühlte. Ich war viel unterwegs, besuchte Konzerte und Veranstaltungen, als wollte ich alles nachholen, was ich in den Jahren zuvor versäumt hatte. Neue Freundschaften entstanden und vorsichtig näherte ich mich bald wieder bei einem alten Freund an. Joschi erzählte vom WGT und meine Augen leuchteten.
Trotzdem waren es die neu gewonnenen Cure-Freunde, die mich zuerst wieder zurück nach Leipzig führten, noch ohne WGT-Bändchen. Auf Partys feierten wir gemeinsam unsere Leidenschaft. Ich genoss die Stadt, die schwarzen Menschen, stattete dem alten Südfriedhof einen Besuch ab und ging dort stundenlang alleine spazieren. Und war glücklich. Im nächsten Jahr besuchte ich Joschi im Heidnischen Dorf – immer noch als Tagesgast – und traf dort weitere alte Freunde wieder. Ich fühlte mich wohl, verabschiedete mich nur ungern. In einer Nachricht schrieb ich ihm später, wie sehr es mir gefallen hatte. Er antwortete: Im nächsten Jahr kommst du mit! Und es sollte Realität werden, ein Jahr später durfte ich mit einziehen in die großartigste WGT-WG ever. Ich traf alte Freunde und fand neue, wir lebten 5 Tage lang ohne Unterbrechung in einer anderen wunderbaren schwarzen Welt voller Musik, toller Konzerte, netter und schöner Menschen von überall, interessanter Gespräche, schwarzer Johanna und Patchouliduft. Und genau das ist es, was das WGT für mich ausmacht: Eine kleine gemeinsame Auszeit vom Alltag in einer wunderbaren schwarzen Welt, von der ich hoffe, dass sie uns noch viele Jahre erhalten bleibt.
Wie war Dein letztes WGT? Wie Dein erstes?
Auf das erste WGT bin ich bereits eingegangen, wie war also mein letztes WGT? Irgendwie anders. Ungewohntes Anstehen und gar Einlassstopp überall, eine Eröffnungsparty im Belantis, welche für uns wegen Überfüllung gar nicht erst stattfinden sollte, dafür unsere erste Blaue Stunde überhaupt, andere Locations, weniger Konzerte, die man auf keinen Fall versäumen wollte. Trotzdem insgesamt so schön wie immer mit Menschen, die ich mag und ich möchte es auf keinen Fall missen.
Was ist Dein schönstes Festivalerlebnis?
Vermutlich die Rückkehr zum WGT.
Was war Dein eindrücklichstes Konzert?
Mein eindrücklichstes Konzert überhaupt war mein erstes Cure-Konzert am 4. August 1990 in Leipzig. Einer der emotionalsten Tage meines ganzen Lebens. Unvergessen und alljährlich gefeiert. Never ending love.
Zu den besten Konzerten auf dem WGT zähle ich einige auf der Parkbühne, welche leider nicht mehr als Location dabei ist, erwähnt seien hier stellvertretend das letzte Konzert überhaupt von Catastrophe Ballet oder Whispers In The Shadow im gleichen Jahr. Mein Wave-Gotik-Treffen Highlight in diesem Jahr war das Konzert von Peter Murphy. Und das aus mehreren Gründen.
Welche Festivals sind noch Teil Deines schwarzen Planeten?
Ich bin kein Fan riesiger Festivals und Menschenmasse und auch nicht unbedingt vom tagelangen Zelten. Dann muss es schon eine ganz besondere Band sein, die mich dorthin zieht. Neu entdeckten wir vor einigen Jahren die Nocturnal Culture Night im Kulturpark in Deutzen. Eine hübschen Location, gemütlich klein und zeitlich passend als Sommerabschluss.
„Finsterwalde ist in aller Munde“ … und dass, nachdem ich nach dem täglichen 2,5 Stunden (einfachem) Pendlerweg von dort, wieder in der Hauptstadt angekommen bin. Liest sich lustig …
„Wir sind die Sänger aus Gothic Forest…“
„Starlight“- danke für den tollen Bericht und die super Bilder (ich bin auch drauf!!!)
Ich schwelge in Erinnerungen und grüße die „alten schwarzen Freunde“.
Du hast recht – die Liebe und Einstellung zur Musik und der Szene lässt sich auch im „bürgerlichen Leben“ nicht unterdrücken.
Eine vom „Mostrichhügel“
Yo, Matti, jetzt fehlst nur noch Du. Ich sach‘ nur „FiWa verbindet, mmh“? ;)
Allein der Name der Stadt spricht doch Bände!
Danke für den Artikel und vor allem für diese Worte „Das alles macht mich nicht glücklich und das bin nicht mehr ICH. Ich wollte mich zurück.“ Ich wollte mich zurück. Das berührt mich tief. Sich selbst treu zu bleiben bzw. wiederzufinden und den Mut, an dieser Stelle aus der Beziehung auszusteigen – mit Kredit und allem Kram, das finde ich ganz großartig.
@Thilo: Das liegt einfach daran, dass diese Finsterwalder schwerstens dafür verantwortlich zu machen sind, dass der ein oder andere überhaupt zum WGT gefunden hat. Vielleicht kannst Du uns ja berichten, wie Finsterwalde so ist. Möglicherweise war es ja mal DIE schwarze Hochburg?
@blackisblack: Was wohl heute aus den Finsterwalder geworden ist? Sind es nur Erinnerungen? Verblasste Bilder einer schöneren und unbeschwerteren Zeit? Und vor allem: Ist mit „Mostrichhügel“ etwa Senftenberg gemeint?
@Robert
Ja- Leider nur noch Erinnerungen,denn der Kontakt ist verloren gegangen. Nur durch „Starlight“ bin ich auf diese Seite aufmerksam geworden. Aber wenigstens kleben die Bilder nicht nur in meinem alten Fotoalbum, sondern sind hier öffentlich.
Und ja- Senftenberg !
Wir waren mit den Finsterwaldern immer eng verbunden und es verging kaum ein Wochenende ohne ein Treffen.
Was ist aus ihnen allen geworden?- ich würde es auch gern wissen.
Danke für die lieben Kommentare, darüber freue ich mich sehr. :)
Ja, Finsterwalde war damals schon ganz gut dabei, es gab jede Menge schwarzer und auch bunter Gestalten dort, ich erinnere mich an das besetzte Haus, was es gab und an viele Partys oder kleine Konzerte. War schon schick.
Was ist aus ihnen geworden? Ich möchte keine Namen nennen, weil ich nicht weiß, ob es Ihnen recht ist. Einer der Herren wohnt jetzt in Leipzig und ist der Inhaber der Wohnung, die alljährlich zur besten WGT-WG ever wird. Eine Dame, die auf mehreren Fotos zu sehen ist, wohnt immer noch in der Nähe und ich treffe sie auch noch regelmäßig mit ihrem Freund auf dem WGT oder auf Konzerten. Über die erste Begegnung nach Jahren habe ich mich damals auch sehr gefreut. Von dem einen oder anderen hört man mal gelegentlich was über FB oder von Bekannnten, aber die Szene, wie sie damals war, gibt es in der Form nicht mehr.
@Robert: warum „etwa“ Senftenberg?
Grüße an die Finsterwalder Radiohörer!
Finsterwalde, mir bisher nie ein Begriff und erscheint nur wie ein üblicher Flecken auf der Landkarte. Warum es damals wohl so hoch herging dort? Relative Nähe zu Leipzig? Selbsterfüllende Prophezeiung des Namens? Die besondere Gemeinschaft?
Danke für diesen wunderbaren Bericht und die tollen Fotos.