Glaube, Religion, Kirche. Immer wieder wird diese Thematik in Werken über die schwarze Szene behandelt. Noch immer scheint es in den Köpfen zu stecken, dass wir anders glauben als andere. Der Gothic Friday, der im November die Frage aufwirft: „Woran glaube ich?“ soll Klarheit schaffen, denn ich finde, der individuelle Glaube hat nichts mit der Szene zu tun.
Ich bin evangelisch aufgewachsen, obwohl meine Eltern nie wirklichen Wert auf die Kirche und ihre Dogmen gelegt haben. Als Kind und Jugendlicher habe ich von der Kirche als Institution profitiert – Töpfern, Laubsägen und andere handwerkliche Angebote fand ich gut, später war ich dann aktiv in einer kirchlichen Jugendgruppe, in der ich die Ungezwungenheit der evangelischen Kirche genossen habe. Gemeinsame Fahrradtouren, Jugendfreizeiten, Spieleabende und die alle 2 Wochen statt findenden Diskos (mit typischem 80er Jahre Flair, viel spitzen Schuhen und den ersten Berührungspunkten mit dem weiblichen Geschlechts) standen bei mir hoch im Kurs. Ich habe das kirchliche Drumherum immer als notwendiges Übel angesehen, ich war nie zugänglich für christliche Werte und Rituale und dennoch hat das, was propagiert wurde, die ersten moralischen Grundsteine gelegt, die durch elterliche Erziehung zum Fundament ausgebaut wurden.
Ich habe das Sinnbild von „Gott“ immer zu meinem Nutzen verwendet und habe beispielsweise mit 10 Jahren abends im Bett dafür gebetet, dass am nächsten Tag alles gut gehen würde, denn schließlich stand ja ein Ausflug in das Phantasialand auf dem Programm. Mit 14 stand ein weihnachtliches Krippenspiel in der Jugendrunde zur Diskussion, meine große Klappe und ein kleiner Hang zum Extrovertierten sorgten dafür, dass ich den Josef mimen durfte. Die Idee von Gott, einem imaginären Wesen der über unseren Köpfen schwebte und uns beobachtet, dass Gegenstück des Teufels, der das Böse symbolisierte, all das fand ich absurd und trotzdem faszinierend.
Glaube bedeutet für mich, etwas für wahr zu erachten, weil das notwendige Wissen fehlt, um es als unwahr zu entlarven. Ich interessiere mich für Wissenschaft, bin Nutznießer des Forschungsdranges der Menschheit der Antworten auf Fragen liefert und das alles, was uns umgibt, erklärbar macht. Ich verschlinge Science-Fiction Konstrukte, die möglichen Erklärungen für offene Fragen liefern, die zeigen, was sein könnte und Visionen einer besseren oder auch schlechteren Zukunft zeichnen.
Doch, was ist mit den offenen Fragen? Warum geschehen Dinge, die unerklärbar erscheinen? Ist der Weltraum unendlich? Was ist hinter einem schwarzen Loch? Neben den wissenschaftlichen Fragen bleiben auf zwischenmenschliche oder persönliche Fragen offen. Habt ihr euch schon mal dabei ertappt, Entscheidungen durch Omen oder Vorgänge als richtig oder falsch einzustufen? Ihr zieht in eine fremde Stadt, fragt euch, ob ihr alles richtig macht, ob eure Entscheidung gut oder schlecht ist. Ihr überlegt euch: „Wenn jetzt ein Parkplatz direkt vor der neuen Wohnung frei ist, dann habe ich alles richtig gemacht.“ Ihr fiebert der letzten Kurve entgegen, biegt ein in die Straße, die eure neue Heimat werden soll, ein und starrt gespannt auf den Fahrbahnrand. Gerade als ihr in zweiter Reihe parken wollt, winkt euch jemand, der mit seinem Auto die Parklücke freimacht. Schicksal? Zufall? Alles richtig gemacht?
„Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein Taten wie die mit dem Feigenbaum tun, sondern, wenn ihr zu diesem Berge sagt: Heb dich und wirf dich ins Meer!, so wird’s geschehen.“ 1 (Matthäus 21, 18-22) „Der Glaube versetzt Berge“, sagt der Volksmund und oft genug scheint das Schicksal ihm Recht zu geben. Aus der Kirche bin ich ausgetreten, nicht wegen der Religion, sondern weil ich diese Form der Institution ablehne. 2
Gothic und Okkultismus
Ende der 80er machte ein Phänomen die Runde durch die Medien. Schwarz gekleidete Gestalten mit umgedrehten Kreuzen, Pentagrammen und anderen merkwürdigen Schmuckstücken feiern angeblich schwarze Messen, rücken Gläser, hören Geisterstimmen, schlafen in Särgen und opfern Tiere auf Friedhöfen. Dabei polarisierte die Jugend nur das, was sich sowieso in der Gesellschaft breitgemacht hatte, der unaufhaltsame Bedeutungsverlust des Religiösen, Okkulten und Magischen. Die durch Jahrhunderte weitergegebene prägende Kraft dieser Weltanschauungen verliert immer schneller ihren Einfluss.
Blicken wir zurück in der Zeitrechnung, als in „archaische Kulturen“ 3 das Magische stets präsent war und der Magier, Schamane oder Medizinmann eine zentrale Rolle spielte. Alles was entschieden, beschlossen und umgesetzt wurde war stets von Riten begleitet. Die Kirche übernahm diese Rolle und verdrängte das Magischen durch ihre eigene Sichtweise. In vielen Kulturen überlebte der Glaube an das Übernatürliche und ging dort eine Mischung mit der Religion ein. Der Machtverlust der Kirche (Säkularisierung) befreite die Gesellschaft von der religiösen Einflussnahme auf Moral und Wertvorstellung, Glaube und Religion wurde zur Privatsache. Dieser Prozess findet meiner Ansicht nach immer noch statt.
Zugegeben, ob sich all das in einer einzigen Jugendkultur spiegelt, wage ich zu bezweifeln. Das öffentliche zur Schau stellen „merkwürdiger“ Symbolik“ provozierte und polarisierte. Darüber hinaus ging es vielen der Jugendlichen um das ausprobieren und erleben, um den sogenannten „Kick“. Doch das zentrale Thema bleibt: Woran glaubt Ihr? Die Kirche disqualifiziert sich in den Köpfen vieler Menschen, man interessiert sich (wieder) für alternative Weltanschauungen und sucht seine Antworten in Naturreligionen, Okkultismus, Wicca, Scientology oder meinetwegen auch im Satanismus. Fragen erfordern Antworten, man sucht sich etwas zum Festhalten, will an etwas glauben, weil man sich dadurch besser fühlt.
Woran glaube ich?
Werner Helsper titelt „Religionsverlust als Heimatverlust“ und schreibt: „Diese Heimatlosigkeit ist Bestandteil eines umfassenden Unbehagens, das aus der Übertragung der Rationalität der (…) Wissenschaft und Bürokratie auf das Alltagsleben resultiert. Das Wirtschaftssystem bringt eine Anonymisierung der Sozialbeziehungen (…) mit sich. Der Einzelne muss sein Handeln in diesen Institutionen ständiger Kontrolle unterwerfen, seine Emotionalität dämpfen und „managen“, immer nur in Ausschnitten der Wirklichkeit denken und handeln. Die Welt zerfällt in technisch und bürokratisch vorgefertigte Splitter, in Komponenten, die das Individuum zerteilen. Daraus resultiert die Gefahr der (…) Sinnlosigkeit, da für den einzelnen die Zusammenhänge immer undurchschaubarer werden.“ 4 Glauben wir aus Angst vor der eigenen Sinnlosigkeit?
Nennt es wie ihr wollt. Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde als das, was die Wissenschaft uns zu erklären versucht. Ich glaube an mich selbst, das ist meiner Ansicht nach das wichtigste Fazit dieses Artikels. Ich glaube beispielsweise auch an die „Dualseele“, dem ursprünglichen Gegenstück meiner selbst, ja und auch an Schicksal, daran, dass die Dinge so kommen, wie sie kommen sollen. Ich mache das, um den Sinn meines Daseins zu definieren und meine Lebensaufgaben zu benennen und der Gefühlslosigkeit der Wirklichkeit zu entfliehen. Ich glaube an die dunklen und die hellen Seiten im Menschen. Sie zuzulassen, zu fühlen und sich damit zu beschäftigen, so glaube ich, trägt dazu bei, seine eigene innere Heimat zu finden.
Einzelnachweise
- Quelle: Matthäus 21, 18-22 – Bibel Online: http://www.bibleserver.com/text/LUT/Matth%C3%A4us21[↩]
- Anmerkung: Jahrelang habe ich Kirchensteuer bezahlt aus der Hoffung heraus, den Jugendlichen, denen es heute so geht wie mir damals, einen Anlaufpunkt zu geben sich zu treffen. Als Hintergrundwissen dazukam und die kirchliche Einrichtung, in der ich auch eine Zeit lang ehrenamtlich tätig war, letztendlich geschlossen wurde, bin ich ausgetreten. Mit gelegentlichen Spenden an freie Einrichtungen für Jugendliche und junge Erwachsene, sowie einer Mitarbeit an speziellen Projekten versuche ich, dennoch einen Beitrag zu leisten.[↩]
- Wikipedia: Der Begriff der Archaik bezeichnet eine Epoche in der politischen und kulturellen Entwicklung Griechenlands zwischen ca. 750 v. Chr. und ca. 500 v. Chr. Sie schließt somit in der allgemeinen griechischen Geschichte an die Zeit der dunklen Jahrhunderte (ca. 1200 v. Chr.–ca. 750 v. Chr.) und in der Kunstgeschichte an die geometrische Zeit (ca. 900–700 v. Chr.) an und geht der Klassik (ca. 500/480–336 v. Chr.) voraus.[↩]
- Werner Helsper: „Okkultismus – Die neue Jugendreligion?“ , Leske + Budrich 1992, Seite 349f.[↩]
Schöner Artikel, nicht zu langatmig und doch wird einiges angesprochen. Das Fazit gefällt mir am besten. Aber, verzeih, mit folgender Formulierung kann ich mich gar nicht anfreunden:
Das impliziert für mich, dass es Gesellschaften, in welchen Schamanismus oder genereller Magie und Riten eine wichitge Rolle spielen nicht mehr gibt oder diese rückständig („archaisch“ „primitiv“)sind. Das ist beides nicht der Fall!
Nein, das ist damit nicht gemeint. Archaisch bezieht sich nur auf die geschichtliche Epoche, wie auch in der Fußnote nochmal erwähnt. Das „primitve“ wurde meiner Meinung nach angedichtet und bezieht sich, ich betone es nocheinmal, nicht auf aktuelle Ausprägung. Dein Umkehrschluss ist möglich, aber nicht von mir beabsichtigt :-)
Hi !
Interessant geschrieben !
Den Absatz über die Jugend hätte ich
jetzt nicht wirklich erwartet. Evtl ist das
nochmal ein Anreiz für mich, das Kapitel
explizit auch in meinem Artikel ergänzend
hinzuzufügen, mal sehen ( ich hab heute erst
mit dem Schreiben begonnen ).
Dunkle Grüße! :)
Melle
Gut, ich wollte nur sicher gehen wie du das meinst und zeigen wie man den zitierten Text auch verstehen kann. Bin aufgrund meines Studiums (Ethnologie) sensibel was diese Themen und Begriffe betrifft.