Gothic Friday Oktober – Resümee

Interview mit einem Goth? Es liegt nahe, Parallelen zu einem wirklich großartigen Film zu ziehen. Doch gemeint waren Fragen, die jeder Teilnehmer des Gothic Friday einem „schwarzen“ Mitmenschen stellen sollte. 13 Teilnehmer stellten sich der Herausforderung und fanden Menschen, denen sie immer schon einmal Fragen stellen wollten, um daraus das gewünschte „Interview mit einem Goth“ zu kreieren. Es fällt schwer, die Fülle der Antworten in einem einzigen Resümee festzuhalten, denn wie so oft fand ich die Umsetzungen umwerfend bis faszinierend und die Antworten spannend und aufschlussreich. In diesem Monat empfehle ich den Lesern (wie so oft) unbedingt eine Leserunde aller Beiträge. Es würde den Rahmen jedes Resümees sprengen, auf die interessanten Antworten und zusätzlichen Fragen einzugehen. Ich habe dennoch versucht, einen kurzen Überblick zu verschaffen und konzentriere mich – der gewünschten Vergleichbarkeit halber – auf die 5 Fragen, die jeder Teilnehmer seinem Gegenüber stellen sollte.

Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle die „visuellen“ Beiträge von Tobi und Shan Dark, die sich einer ganz besonderen Eingebung hingaben und die am Ende des Resümees zu finden sind.

  1. Warum trägst Du schwarz?
    Was hat es mit diesem Kleidungsstil auf sich? Liegt darin ein tieferer Sinn, eine Aussage oder Botschaft oder möchte der Träger sich einfach nur wohlfühlen? Die scheinbar simple Frage bringt schwarze Gestalten regelmäßig in Erklärungsnot, glücklicherweise nicht die Teilnehmer des Gothic Friday und deren Interviewpartner. „Schwarz schenkt mir Geborgenheit. Schwarz hat etwas Edles, teilweise Verruchtes„, sagt Tinúviël, die von Melle Noire befragt wurde. Steckt doch mehr in der Farbe als man auf den ersten Blick vermutet?  „Für mich war und ist das Tragen von schwarzer Kleidung immer noch ein Ausdruck meiner eigenen inneren Zerrissenheit und meiner doch noch sehr oft vorkommenden Todessehnsucht. Mag kitschig klingen, aber es gibt auch noch schwarze Menschen, die Probleme mit sich selber haben und Depressionen nicht als Szene-Accessoire benutzen.“ so Daniel, der von Grabesmond nach seinem farblichen Minimalismus befragt wurde. Es mag klischeehaft klingen, doch ausblenden sollte man auch diese Beweggründe nicht. Die Befragten sind sich über die Wirkung ihrer Kleidung in ihrem Umfeld bewusst. Sie fühlen sich in schwarzer Kleidung wohl und in bunter Kleidung unwohl, verkleidet oder auch unsicher.
    Und dennoch: Viele empfinden die Kleidung auch als Ausdruck ihrer Selbst, als einen Spiegel ihres eigenen Bildes. Es findet eine Identifikation zwischen dem statt, was man trägt, und dem, was jeden einzelnen ausmacht, ohne jedoch ein allgemeingültiges Rezept zusammenzustellen. Orphi Eulenforst, die von Spontis interviewt wurde, meint dazu: „Nur in Schwarz fin­det eine Iden­ti­fi­ka­tion mit mir selbst statt, in allen ande­ren Far­ben fühle ich mich ver­klei­det. Man ver­sucht eins mit sich selbst zu sein und aus sich selbst ein Kunst­werk zu machen, das dem eige­nen ästhe­ti­schen Emp­fin­den, dem was man selbst schön fin­det, am nächs­ten kommt.“ Es gibt nicht DEN Grund, sich schwarz zu kleiden, und trotzdem findet man in allen Antworten erstaunliche Parallelen und andere Worte der eigenen Gedanken. Schwarze Kleidung drückt eine Art der Zugehörigkeit aus und lässt trotzdem genug Möglichkeiten, sich individuell zu „gestalten“, T.W., der von Guldhan befragt wurde, sagt dazu: „Ich mag die Schlichtheit daran und bin trotzdem immer wieder fasziniert, wie viele verschiedene Outfits man mit einem Schrank voller schwarzer Klamotten zusammenstellen kann.
  2. Hast Du viele Freunde, die auch »schwarz« sind oder bewegst Du Dich eher in einem »bun­ten« Umfeld?
    Eine eher rhetorische Frage, denn üblicherweise bewegt sich jeder von uns zwanghaft in einem „bunten“ Umfeld. Doch die Teilnehmer und deren Interviewpartner haben erkannt worum es geht. Die meisten Interviewten pflegen auch einen bunten Bekanntenkreis, denn letztendlich ist es doch egal, wie ein interessanter Mensch aussieht, den man zu seinen Freunden zählt: „Das ist eher gemischt. Ich mache in der Hinsicht eigentlich keine Unterschiede. Wenn mir der Mensch sympatisch ist, ist es mir egal, welcher Subkultur er angehört, welche Hautfarbe er hat oder welche Religion.“ (Daniel/Grabesmond)- „Ich bewege mich aus­schließ­lich in einem bun­ten Umfeld, was mir aber egal ist, denn es zählt für mich nicht das Äußere, son­dern der Mensch selbst. In mei­nem pri­va­ten Umfeld ist es mir egal, wie man her­um­läuft. Ich umgebe mich mit Men­schen, die ich inter­es­sant finde. “ (Orphi/Spontis) Doch häufig kippen die freundschaftlichen Aktivitäten deutlich in eine schwarze Richtung: “ Wenn ich mal neue Menschen kennenlerne, über die Arbeit, Forums-Treffen und der gleichen, merke ich ganz schnell das ich mich sehr gut verstehe mit den Menschen die irgendwie in die Schwarze Szene verwickelt sind. Weil einfach die Lebenseinstellung meiner viel näher ist.„, sagt Annette, die von Rosa Chalybeia befragt wurde. Es ist die gemeinsame Wellenlänge in Interessen, Vorlieben, Musik und Ästhetik, die es einfacher macht, innerhalb der Szene Kontakte zu knüpfen. Es ist einfacher, über einen gleichen Geschmack und ohne Fragen über sein Äußeres zum Menschen selbst vorzudringen.
  3. Besucht du außer­halb von Fes­ti­vals oder Kon­zer­ten auch andere kul­tu­relle Ver­an­stal­tun­gen mit schwar­zem Cha­rak­ter (Lesun­gen, Aus­stel­lun­gen, Museen), oder steht für Dich nur die Musik im Vordergrund?
    Es steht unterschwellig im Raum, dass die Szene-Gemeinsamkeiten schon lange nicht mehr nur aus einem gleichen Musikgeschmack und einem ähnlichen Kleidungsstil bestehen. Sehen das auch die Befragten so? „Die Gemeinsamkeit innerhalb der Schwarzen Szene basierte ursprünglich auf der Musik. Heute sind viele Randbereiche hinzu gekommen – Lesungen, Ausstellungen, Vorträge mit schwarzem Charakter.„, so Robert, der von Orphi Eulenforst ausgequetscht wurde. „Aber ich interessiere mich sehr für Schlösser und Burgen und den dazugehörigen Gärten, genau so wie für historische Städte und ich versuche einfach, so oft ich Zeit finde, mir schöne Orte anzuschauen. Dazu zählen für mich auch Friedhöfe, nicht um ein „Klischee“ zu erfüllen, sondern einfach weil es für mich friedliche Orte sind, magische Orte mit Geheimnissen und Geschichten.“ (Tinúviël/Melle Noire) Doch ist und bleibt die Musik das zentrale Element der Gespräche und bildet gerade für die Jüngeren den Dreh- und Angelpunkt. Jo, der von Sibel befragt wurde, sagt: „Museen mit schwarzem Charakter? Ich besuche gerne Museen und Ausstellungen, doch was “Gothic” betrifft, beschränke ich mich doch eher auf die Musik.
  4. Siehst Du Dich selbst als Goth(ic)?
    Schublade? Kategorie? Stempel? Gothic ist ein Modewort geworden (oder schon immer eins gewesen). In vielen Interviews wird eine deutliche Ausdifferenzierung in einzelne Subkulturen deutlich, die von außen einen allgemeingültigen Stempel aufgedrückt bekommen. „Ich füge mich oft in dieses Muster, weil es einfacher ist. Der Begriff “Gothic” ist heute allgemein verständlich. Wenn ich keine Lust habe, mich zu erklären, dann wehre ich mich nicht gegen diese Begrifflichkeit inklusive Klischee. Aber wann ist man “gothisch”? Wenn man sich besonders mystisch fühlt oder magisch oder zauberhaft?(Robert/Sabrina) „Nein„, ist die Essenz aus den meisten Antworten. Viele lehnen den Modebegriff ab oder haben sich bereits weiter ausdifferenziert. Es ist jedoch deutlich, dass viele der jüngeren Befragten ihren Einstieg über eben diesen Begriff vollzogen, um zu entdecken, zu hinterfragen und selbst herauszufinden, wie sie sich selbst sehen. „Gothic“ ist die Tür zu einem ganzen Fächer unterschiedlichster Subkulturen, in denen viele eine neue Heimat finden. Dani, die von Zuckerwerk befragt wurde, antwortet auf die Frage, ob sie ein Gothic sei: „Im weitesten Sinne schon. Musikalisch auf jeden Fall und ich denke das ich auf jeden Fall zur „schwarzen Szene“ gehöre, meine meisten guten Freunde sind „Goth“, und auf den Veranstaltungen fühle ich mich einfach wohl, zumindest meist. Und wenn nicht, liegt das selten an den Leuten.
  5. Was wür­dest du Dir in oder für die schwarze Szene wün­schen, damit sie (noch mehr) dei­nen Vor­stel­lun­gen ent­spricht? Was stört Dich, was fehlt?
    „Back to the Roots“ könnte man zusammenfassend meinen, denn Viele wünschen sich ein wenig mehr von dem, was war, und weniger von dem, was ist. „Mich stört diese „Sehen und Gesehen Werden-Mentalität“. Alle sind penibel darauf bedacht immer im Vordergrund zu stehen, sei es wegen der Kleidung, dem Aussehen o.ä.“ wünscht sich Stefan, der Maehnenwolf Rede und Antwort stand, während Merlin, der Stoffel antwortete, auf Akzeptanz hofft: „Nicht unbedingt stören, aber wünschen würde ich mir mehr Akzeptanz der Mitmenschen zur schwarzen Szene. Gespräche und Informationsaustausch mit aufklärendem Charakter zwischen Schwarz und Bunt betrachte ich als sehr bedeutenswert.“ Andere hingegen äußern pragmatische Wünsche, die ebenso vielen aus der schwarzen Seele sprechen dürften, wie beispielsweise Nathalie, die von Green Finch befragt wurde: „…das einzige Doofe für mich persönlich ist, dass die nächste Disco ne halbe Stunde von hier ist (was noch geht) aber zwei andere, die ich noch kenne und mag sind ne Stunde von hier weg.

Tobi, dem ich hiermit eine deutliche Technik-Affinität unterstelle, gab sich in einem Video die Ehre. „Ich entschied, Christian sei der ideale Interviewpartner für die Fragen dieses Gothic Friday. Und? Er hat sofort zugesagt, nach Einbruch der Dunkelheit für meine Fragen zur Verfügung zu stehen! Vielen Dank dafür!“ Bewaffnet mit einem iPad (vermutlich) und einem Kameramann (Patrick) durchlöcherte er Christian, der vor ein paar Tagen „dummerweise“ in seinem Büro landete und als „Opfer“ herhalten musste. Bitteschön:

https://www.youtube.com/watch?v=sYXJY3E1ReE

Shan Dark versetze mich mit einem Interview im Comic-Stil in atemloses Staunen. Sie setzte ihr Interview mit Clerique Noire  zusammen mit dem „Comic-Label Dark Massacre ComiX“ um und zauberte eine ziemlich beeindruckende Bildserie. Sie setze die Fragen und ihre Freundin in bildliche Szenen, modifizierte die Aufnahmen mit Hilfe ausgeklügelter Technik und unterstrich den Stil mit Sprechblasen, die als Träger der Fragen und Antworten ideal erschienen. Großartig! Dieses Bild gibt nur einen Vorgeschmack, ein Klick endet im ganzen Comic:

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Celina
Celina (@guest_16555)
Vor 13 Jahre

Haha, das Comic Interview war schon sehr genial. Da lies bei mir die Kreativität echt zu wünschen übrig ;)
Interessante Beiträge waren das diesmal wieder.
Übrigens… man kann mich auch Celina nennen ;) Mir fällt auf, dass meist mein Blogname geschrieben wird^^

Schatten
Schatten (@guest_16560)
Vor 13 Jahre

Faszinierend was da so zu sammen gekommen ist!
Bei mir hats leider nicht rechtzeitig geklappt, das mein Interview Partner in letzter Zeit arg beschäfftigt war, aber der Beitrag wird noch nachgeliefert. ;)

P.S.
Und bevor ichs vergesse, so als kleiner Geheimtipp am Rande, demnächst kommt auch noch mein Gothic Friday – Do it yourself Artikel,
der früher oder später kommen musste, so oft wie ich irgendwas bastel ;)

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