„Es spricht für die Qualität der Fragen, wenn man selbst keine Antwort darauf hat„, dachte ich mir und startete zusammen mit Shan Dark, der dieses knifflige Thema übrigens beim Laufen in den Sinn kam, die Oktober-Ausgabe unter dem Motto „Interview mit einem Goth„. Doch meine Tage blieben bunt, keine dunkle Gestalt in Sicht, die man hätte ausquetschen können. Für jeglichen Kontakt zum schwarzen und verstreuten Bekannten- und Freundeskreis fehlte die Zeit. Was lag da näher, als die Lesung der Schementhemen, die ich zusammen mit Sabrina besuchte, dazu zu nutzen, sie mit den Fragen zum Gothic Friday zu konfrontieren?
Zugegeben, ich habe nicht unbedingt den Kreis erweitert, doch letztendlich geisterte mir die im Ursprungsbeitrag beschriebene Situation durch den Kopf, in der ich mich befand: „Manche sinnieren über den Sinn der eigenen Existenz und philosophieren, was war, was ist und was noch kommen mag. Plötzlich geistert eine Frage durch den Patchouli geschwängerten Raum: ‚Was ich Dich schon immer mal fragen wollte…‘“ Ein Augenblick, der sämtliche Vorsätze nach Erweiterung über den Haufen warf. Ich griff zum Notizblock und schrieb:
Warum trägst du schwarz?
Die Kleidung muss zu mir und meinem Selbstbild passen. Schwarz ist die einzige Farbe, in der ich mich wohlfühle und die mein Selbstbild am besten spiegelt. Es gab Zeiten, da habe ich für den Beruf versucht bunte Kleidung zu tragen, und mich im Spiegel nicht mehr wiedererkannt. Nur in Schwarz findet eine Identifikation mit mir selbst statt, in allen anderen Farben fühle ich mich verkleidet. Man versucht eins mit sich selbst zu sein und aus sich selbst ein Kunstwerk zu machen, das dem eigenen ästhetischen Empfinden, dem was man selbst schön findet, am nächsten kommt.
Ich wende mich gegen den Mainstream der Äußerlichkeiten und habe auch keine Lust zu gucken, was zusammenpasst und was nicht. Mein Charakter ist bunt und dennoch steht die schwarze Farbe meines Äußeren symbolisch für den Wunsch nach Ruhe. Ich möchte aus dem Schatten der eigenen Kleidung heraus beobachten.
Hast du viele Freunde, die auch „schwarz“ sind oder bewegst du dich eher in einem „bunten“ Umfeld?
Ich bewege mich ausschließlich in einem bunten Umfeld, was mir aber egal ist, denn es zählt für mich nicht das Äußere, sondern der Mensch selbst. In meinem privaten Umfeld ist es mir egal, wie man herumläuft. Ich umgebe mich mit Menschen, die ich interessant finde. Die Farbe spielt dabei keine Rolle. Unter schwarz gekleideten Menschen finde ich jedoch häufig gemeinsame Interessen. Ich fühle mich dabei innerlich entspannter, weil man häufig die gleiche Wellenlänge hat, die Leute ähnlich ticken und man sich nicht ständig erklären muss.
Besucht du außerhalb von Festivals oder Konzerten auch andere kulturelle Veranstaltungen mit schwarzem Charakter (Lesungen, Ausstellungen, Museen), oder steht für Dich nur die Musik im Vordergrund?
Ich sortiere Veranstaltungen nicht nach einem aufgesetzten schwarzen Charakter. Das geschieht ganz von alleine, wenn sie zu meinen Interessen passen. Wenn mir eine Veranstaltung interessant erscheint, eine Lesung tiefgründig oder ein Konzert inspirierend und beeindruckend, versuche ich hinzugehen. Ich kann mit der sogenannten „schwarzen“ Literatur nicht viel anfangen, sondern lese eher lustige und sehr humorvolle Fantasygeschichten. Es gibt keine Schema, dass einer Veranstaltung einen schwarzen Charakter verleiht.
Siehst du dich selbst als Goth(ic)?
Nein. Das, was man heute darunter versteht, basiert auf Äußerlichkeiten. Rüschen, Reifröcke, Netzstrümpfe und Klamotten aus Lack und Leder sind für mich die Weiterentwicklung des Stylings der Waver oder Dark-Waver. Der Begriff „Gothic“ wurde mir erst viel später geläufig. Daher kann ich mich selbst auch damit nicht identifizieren. „Schwarze Szene“ ist mir darüber hinaus als Begrifflichkeit auch lieber als Gothic, denn als ich meine Vorlieben dort fand, sprach niemand davon, ein Goth zu sein. Ich verstehe aber durchaus, dass sich gerade die jüngere Generation so bezeichnet, denn die sind in diesen Begriff hineingewachsen.
Was würdest du Dir in oder für die schwarze Szene wünschen, damit sie (noch mehr) deinen Vorstellungen entspricht? Was stört Dich, was fehlt?
Aufsplittung. Ich wünsche mir Veranstalter, die sich auf eine Strömung konzentrieren und nicht alles in einen Topf werfen. Ich mag diese musikalischen Mischungen nicht. Ich wünsche mir kleinere Hallen und kleinere Veranstaltungen, auf denen man seinem speziellen Geschmack nachgehen kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die zusammengepferchten Splittergruppen auf heutigen Festivals wirklich wohlfühlen. Mir fehlt ein Rückschritt in Sachen Outfit, Ambiente und Musik. Weniger Plüsch, Rüschen und Konfetti auf der Bühne. Ich vermisse den Underground, ein Gefühl von „Zuhause“. Ich finde, es sollte nichts hinzukommen, sondern eher etwas weggenommen werden.
Du wünscht Dir einen Rückschritt zu „alten Werten“, welcher aktuelle Künstler verkörpert diesen Wunsch?
Chris Corner. Eine bunt-schwarze Persönlichkeit mit Tiefgang. Er experimentiert auf hohem Niveau und steckt viel Herzblut in das, was er macht. Er drückt für mich das aus, was ich als wertvoll erachte. Er ist stilvoll und glamourös, ohne sich anzupassen. Ein sehr kreativer, individueller Künstler, der sich nicht von Trends beeinflussen lässt.
In einem Artikel schreibst du über den „Great Tiefsinn Swindle“, was meinst du damit und was ist für Dich tiefgründig?
Die Künstler geben den Ton an. Ohne Künstler keine Szene und auch keine Anziehungskraft. Doch die meisten Künstler schwindeln etwas vor, was sie nicht sind. Sie drücken sich den Stempel der Tiefgründigkeit auf, um diese „Vorliebe“ der Szene zu bedienen. Die meisten Künstler – bis auf wenige Ausnahmen – wollen jedoch nur Geld verdienen. Das dürfen sie ja auch. Ich glaube aber nicht an den übermäßigen Tiefgang. Künstler können als Inspiration dienen, in der Praxis handeln die meisten jedoch vermutlich anders als sie predigen. Tiefgründigkeit ist für mich, sich seine eigenen Gedanken zu den Dingen zu machen und nicht angelernten Denkmustern zu folgen. Man sollte nicht der Masse hinterherlaufen, sondern in sich selbst gehen und seinen ganz eigenen Wahrheiten finden und – ganz wichtig – auch danach handeln. Es geht um das Reflektieren der Dinge die in und um einen herum stattfinden. Nicht einfach hinnehmen oder nachbrabblen, sondern hinterfragen und seine eigenen Antworten finden.
Siehst du das Netz als Chance die Szene zu etwas neuem, besserem zu machen oder ist die globale Verbreitung des Underground ihr Tod?
Die Marke „Gothic“ lässt sich nicht mehr aufhalten. Es gibt jedoch viele Blogs, Online-Magazine und Internetseiten, die den wirklichen Underground ausgraben und verstehen, um ihn mit anderen, die suchen, zu teilen. Ich finde nicht, dass sich Underground und Öffentlichkeit widersprechen, denn viele Menschen sind in der Lage, sich wirklich zu interessieren und selbst zu entscheiden, wem sie ihre Aufmerksamkeit schenken. Es ist eine Chance, Gleichgesinnte zu verbinden, denn auch im Internet gibt es wirklich gute und interessante Seiten. Man muss sie nur suchen und entdecken. Denn das Netz ist nur ein Spiegel der Gesellschaft mit positiven und negativen Seiten.
Die Bilder sind genial! Die Worte natürlich auch ;-)